Wrong Turn
Genau wie die anderen zwei Horrorfilme, die ich in den letzten sieben Tagen zu sehen bekam ("
28 Days Later" und "
Fear Dot Com"), versteckt auch "Wrong Turn" seine Vorbilder oder Inspirationen nicht im geringsten. Schon im Vorspann erfährt man über diverse Zeitungsausschnitte, daß die legendären "Mountain Men", die immer wieder mit dem Verschwinden von Urlaubern in Beziehung gebracht werden, durch Inzucht degenerierte und entstellte Kreaturen sind, die den Splatter-Experten sofort an Leatherface und seine Familie erinnern, ohne daß man zu diesem Zeitpunkt bereits weiß, daß auch die Mountain-Men auf kannibalische Kost stehen. Und relativ früh im Film fragt jemand (in der deutschen Synchronisation recht umständlich), ob John Boorman's Klassiker "Deliverance" den anderen ein Begriff sei.
Bevor ich es vergesse, muß ich erstmal darauf hinweisen, daß "Wrong Turn" natürlich keineswegs ein filmisches Meisterwerk ist, sondern eine ziemliche voraussehbare, blutige Angelegenheit, die ich wirklich nicht empfehlen würde. Zynisch, menschenverachtend, oft genug unlogisch, und natürlich in keinster Weise ein Beispiel dafür, daß Film auch "Kunst" sein kann. Dennoch bleibt festzuhalten, daß der Film im Vergleich zu ähnlichen Filmen ziemlich spaßig ist, und daß man bei einem Vergleich mit den Splatter-Klassikern, die ich in meiner Jugend noch nicht sehen durfte (aber natürlich dennoch sah), irgendwie "stylish" wirkt. Im Vergleich zu etwa "Fear Dot Com", meinem momentanen "Haßfilm Nr. 1" fällt etwa positiv auf, daß die gutaussehenden Darstellerinnen nicht sofort ihre Oberteile verlieren, und sogar, wenn die amerikanischste und sexuell inkorrekteste aller Geschlechtspraktiken angedeutet wird, kostet Regisseur Rob Schmidt diesen Moment nicht aus, wie ich es aus diversen "Freitag, der 13."- Teilen, aber auch aus der "Scream"-Trilogie gewohnt bin.
Hier werden auch nicht unterwürfig die Regeln des Genres bedient, nicht jede Bluttat wird detailliert gezeigt, und in der szenischen Dramaturgie schien man sich wirklich von "Der weiße Hai" inspirieren zu lassen, denn man sieht nach und nach immer mehr und immer schrecklicheres, weshalb zumindest die erste halbe Stunde des Films noch für eine Freigabe "ab 12" hätten durchkommen können, während dies später undenkbar erscheint. (Das mit Abstand witzigste an dem Film ist es, daß Constantin tatsächlich versucht haben soll, diese Freigabe zu erhalten, was etwa so unrealistisch ist wie ein Fünfjähriger, der sich zur Führenscheinprüfung anmelden will.)
Was mich für diesen Film ein bißchen einnimmt, sind nicht nur die komischen Momente, sondern vor allem jene, in denen man wirklich eine Spannungsdramaturgie anwendet, die über plötzlich aus Schränken springende Katzen hinauskommt. Bereits bei den ersten zwei Opfern sieht man eigentlich nur einen Bluttropfen, aber es kommt schon ziemliche Panik auf, und wenn einige Bäume sich zu bewegen scheinen (weil offensichtlich unten jemand dagegen schlägt), fühlt man sich an Kurosawas Macbeth-Bearbeitung "Das Schloß im Spinnwebwald" erinnert.
Und damit nicht genug der Vergleiche mit sehr viel höherwertigen Klassikern, denn einige der schönsten Momente des Films erinnerten mich immens an "Lord of the Rings" (Die Mountain-Men ziehen mit Fackeln durch den Wald, im Zwielicht erblicken wir von einem Aussichtsturm den sich unermeßlich erstreckenden Wald, der den "ewigen Jagdgründen" eine neue Bedeutung gibt), und bei der Erkundung der Hütte gibt es wirklich Momente, die auch Hitchcock, einem der Vorväter des Genres, Spaß gemacht hätten.
Eigentlich wollte ich über diesen Film gar nicht soviel schreiben, aber ich habe erfahren, daß sogar eine detaillierte Nacherzählung des Films nicht nur Ungläubigkeit über meinen Geschmack wachruft, sondern selbst Leuten, von denen ich es nie erwartet hätte, eine gewisse Lust auf diesen Film verspüren lässt.
Der filmische und Spezialeffekte-Höhepunkt des Films machte mir vor allem klar, daß die Zeiten von Tom Savini, Rick Baker oder Rob Bottin zwar größtenteils vorbei sind, aber sich gerade durch neue Technologien Bilder erzeugen lassen, die man mit herkömmlichen Mitteln in den Achtzigern nie hätte schaffen können. Und in diesem Fall muß ich diesen menschenverachtenden Moment einfach noch mal vorm Auge des Lesers rekonstruieren, auf daß er entscheiden mag, ob er sich diesen Film antun mag oder er es bereits bereut, diesen Text gelesen zu haben.
Wir befinden uns etwa 25 Meter über dem Erdboden in den Baumkronen eines mächtigen Waldgebietes. Drei unserer potentiellen Opfer sind auf der Flucht vor einem sich auch durch die Bäume bewegenden Mountain-Men und seinen zwei Kollegen am Waldboden, die wenig sportlich von unten mit Pfeil und Bogen für zusätzliche Gefahr sorgen. Man kann sich an drei Fingern abzählen, welcher unserer attraktiven Protagonisten als nächstes dran ist, und da passiert es auch schon: Carly steht mit dem Rücken an einem Baumstamm, als hinter ihr der Bösewicht auftaucht und ihr mit einem gewaltigen Hieb seiner Axt ein permanentes Lächeln aufs Gesicht zaubert. Nun folgt die wahrscheinlich größtenteils aus dem Rechner stammende Einstellung: Carlys Auge erfüllt die Leinwand, wie wir es vom Anfang von "First Contact" kennen. Dann fährt die Kamera zurück bis auf eine Großaufnahme ihres Gesichts, wobei auffällt, daß unterhalb der Axt die Kinnpartie und alles weitere fehlen. Die Kamera kippt nach unten, und wir sehen noch, wie Carlys Körper, durch diverse Äste zu einem kleinen Tanz animiert, zu Boden fällt. Sehr einfallsreich, wenn auch nicht besonders nett.