Bei Filmen gibt es mehrere Lesarten. Für die meisten Zuschauer bietet "The Good Thief" ein spannendes
caper movie mit einige Überraschungen. Die Leistungen der Darsteller sind allesamt solide, die aus Georgien stammende junge Nutsa Kukhianidze könnte man vielleicht sogar als Entdeckung bezeichnen, die an die frühesten Rollen von Sarah Polley oder Chloe Sevigny erinnert.
Andererseits gibt es natürlich auch einige Aspekte, die nicht völlig überzeugen, beispielsweise die Figur Philippa und ihre Spinnenangst oder Paulos Tat und ihre Konsequenzen. Als düster-europäische Antwort auf Steven Soderberghs "Ocean's Eleven" überzeugt Neil Jordans Film aber jene Zuschauer, die weniger auf eine glitzy Atmosphäre und ultracooles Gehabe von Stars wie Clooney, Pitt oder Julia Roberts abfahren, und ein gut konstruiertes Drehbuch bevorzugen.
Ich persönlich sah aber in dem Film weitaus mehr, denn ich erlaubte mir den Luxus, aus Recherchegründen vorher die filmische Vorlage anzuschauen, auf der dieses Remake basiert: Jean-Pierre Melvilles "Bob le flambeur" (Dt.: "Drei Uhr nachts"), ein früher Gangsterfilm des französischen Regiemeisters, der hierzulande wohl noch am ehesten durch seine Arbeiten mit Alain Delon ("Le samurai", "Le cercle rouge") bekannt wurde. Melvilles Film entstand 1955, also noch vor dem Original von "Ocean's Eleven", in dem laut Melville auffallend viele Dialogzeilen aus seinem Drehbuch "auftauchen".
Ende der 50er war die Zeit der caper movies, Filme wie "Du Rififi chez les hommes" entstanden, und Stanley Kubricks Frühwerk "The Killing" erinnert in seiner kargen Stimmung und der Ausnutzung geringer Produktionsmittel ebenfalls an "Bob le flambeur". In Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs war der Film Noir plötzlich nicht mehr zeitgemäß. Vielleicht fühlte man sich auch durch den Erfolg einiger thematisch verwandter Komödien aus den "Ealing Studios" wie "Ladykillers" oder "The Lavender Hill Mob" inspiriert, jedenfalls war meines Erachtens ausgerechnet "Ocean's Eleven" 1960 ein Wendepunkt, der aus den schwarzweißen caper movies jene bunten (teilweise satirischen) Gesellschaftskomödien machte, bei denen manchmal gar eine hollywoodmäßige Liebesgeschichte wichtiger war als die Ausführung des Raubzugs. Beispiele: Blake Edwards "The Pink Panther", "How to Steal a Million" mit Audrey Hepburn und Peter O'Toole, "Topkapi" vom "Rififi"-Regisseur Jules Dassin, der sich selbst parodiert, und die Rettung kam erst durch "The Thomas Crown Affair" mit Steve McQueen und Faye Dunaway, der weit über das übliche Schema hinausging und im Tonfall wieder härter wurde.
Und damit sind wir wieder bei den Vorzügen von Jordans atmosphärischem Film gegenüber Soderberghs Schauwerten. Mit "The End of an Affair" hat Neil Jordan bereits einmal bewiesen, daß er interessante Remakes drehen kann (Dafür verzeiht man ihm sogar "We're No Angels"), und "The Good Thief" zeigt, wie subtil Jordan seine Geschichte auf dem Melville-Film aufbaut. Die Plots um Heroinabhängigkeit und Gemälde findet man bei Melville gar nicht, die Drogensucht von Bob und Anne verstärkt aber die Konflikte, und der zweite Raubzug macht den Film selbst noch für jene Leute spannend, die das Original kennen. Ähnliche subtile Veränderungen, die die Geschichte verbessern, sind etwa Jordans Idee, aus dem verräterischen Zuhälter zwei Personen zu machen, wobei die notgedrungene Kollaboration des algerischen Dealers Said mit der Polizei hier sogar Teil von Bobs Plan ist. Weniger die Bandbreite an Nationalitäten der in Nizza tätigen Unterweltsgrößen, sondern vor allem die Intensivierung der Freundschaft zwischen Bob und dem Polizisten Roger (Bei Melville hatte die Figur keinen Vornamen, bei Jordan ist man auf first name basis) lässt mich sogar einen Vergleich bemühen, der vielleicht zwei bis drei Spuren zu schmeichelhaft erscheint, denn diese wunderbare Freundschaft erinnerte mich sogar an "Casablanca".
Und am Rande gibt es immer wieder Reminiszenzen an den Melville-Film, wenn etwa Ann erwähnt, daß sie Pommes mit Mayonaise aß (Bei "Bob le flambeur" eine der ersten Szenen) oder Polizist Roger nichts Kriminelles daran entdecken kann, daß sie zu fremden Männern aufs Motorrad steigt. Melville hatte es seinerzeit nie so offensichtlich ausgesprochen, daß Ann bereits auf den Strich geht, Nick Noltes Ratschlag an seinen Freund könnte also aus dem Munde Melvilles stammen: "Use your imagination …"
Und der letzte Geniestreich, der wie ein Pinselstrich erscheint, ist der neue Titel des Films. Natürlich bezieht sich "The Good Thief" auf Bob, aber am Rande wird auch mal die Geschichte von jenem Dieb erzählt, der neben Christus am Kreuze hing. Und aus Picasso machen Bob und sein "Fine Arts Consultant" ebenfalls einen Dieb, der sich aus der Kunstgeschichte die passenden Inspirationen zusammenklau(b)t. Der beste Dieb jedoch ist Neil Jordan, der einen der wenigen Beweise antritt, daß ein Remake sogar das Original in den Schatten stellen kann.