6 Jahre sind seit "Jackie Brown" vergangen, und im skurrilen Vorspann gibt es tatsächlich einen Hinweis darauf, daß dies der
vierte Film von Tarantino ist (was natürlich ein ungünstiges Licht auf seine Mitarbeit bei "Four Rooms" wirft), auch wenn es sich ja nur um die erste Hälfte des Films handelt.
Die schnell erzählte Geschichte: Nach vier Jahren aus dem Koma erwacht, hakt die "Braut" bei ihrem Rachefeldzug nacheinander die Schuldigen ab, die ihre Hochzeit zu einem Massaker umfunktionierten.
"Kill Bill" vereinigt alle Aspekte des Popcornkinos, nur eben nicht im Gefolge schaler Genüsse wie "Charlie's Angels: Full Throttle" oder "The Avengers" (um gleich zwei vergleichsweise unerträgliche Filme mit den weiblichen Hauptdarstellerinnen zu nennen), sondern eher im Sinne größenwahnsinniger, aber nichtsdestotrotz unterhaltsamer Materialschlachten wie Spielbergs "1941" oder Bogdanovichs "What's up, Doc". Genau wie sein Ziehbruder Rodriguez, Joel & Ethan Coen oder der unsägliche McG gefällt sich Tarantino in einem Kino der Zitate, und nie zuvor hat er seiner Vorliebe für obskure Martial-Arts-Streifen und den Stil der 70er stärker ausgelebt als in dieser Geschichte, die zwar nie vorgibt, realistischer als die Abenteuer von Steed und Miss Peel oder der drei Engel zu sein, aber unendlich viel mehr Spaß macht als deren moderne Remakes … wenn man sich erstmal an die Blutfontänen gewöhnt hat.
Neben den offensichtlichen Ehrerweisungen an die Shaw-Brüder oder die mitspielenden Stars Sonny "Streetfighter" Shiba oder David "Kung Fu" Carradine macht Tarantino es dem Publikum in jeder Sekunde klar, daß er weniger an einer homogenen Narration interessiert ist, sondern daran, seinem unermesslichen Filmgedächtnis ein buntes Medley aus Genres, Versatzstücken und Anspielungen zu entreißen. Hier nur zwei Beispiele, die zufällig auf Filme verweisen, die ich gut kenne (wahrscheinlich gibt es hundert andere): Uma Thurmans Spiel beim Erwachen im Krankenhausbett scheint mir minutiös dem von Sissy Spacek bei der berühmten Duschszene in De Palmas "Carrie" nachempfunden zu sein, und O-Rens Notlage nach ihrem ersten Mord teilweise mehr als nur inspiriert von Albert Finneys grandiosem Auftritt in "Miller's Crossing". Und da die Coens ebenso wie Brian De Palma auch schon Filmregisseure der dritten oder vierten Generation sind, die ihre Inspirationen mehr aus der Welt des Films als aus der Realität schöpfen, wird "Kill Bill" zu einem einzigen, langanhaltenden Kabinettstück, das aber bis zur letzten Minute eine Energie beibehält, von der das übliche Popcornkino des 21. Jahrhunderts nur träumen kann.
Tarantino vertraut dabei auf seine bekannten (und geliebten) Mätzchen, pfeift auf eine chronologische Erzählung, springt etwa zwischen künstlichsten Exteriors, japanischen Zeichentricksequenzen und Schwarz-Weiß-Passagen hin und her. Kämpfer, die sich im einen Moment kaum auf den Beinen halten können, trotzen im nächsten wieder mit Leichtigkeit der Schwerkraft - das kennt man zwar auch aus anderen kampfbetonten Filmen dieser Zeit, aber im Gegensatz zu etwa den Matrix-Streifen ist die Welt Tarantinos keine klinische Computeroberfläche, sondern haptisch fast erfahrbares Fleisch, und viele der Hiebe und Schnitte schmerzen auch den Zuschauer, statt an ihm abzuperlen wie Regen an der coolen Lederjacke von Neo.
Zwar ist auch hier alles bigger-than-life wie das "plopp" eines Moskitostachels oder das Gurgeln durchtrennter Kehlen, aber Tarantino tut wenigstens nicht so, als hätte er Baudrillard gelesen, sondern schöpft seine Weisheit aus klingonischen Sprichwörtern, Fernsehserien und Animes - und das Ergebnis ist postmoderner als die Wachowskis und vor allem tausendmal fesselnder als die mittlerweile leider üblichen Bruckheimer-produzierten, einer MTV-Ästhetik verpflichteten Verfilmungen von Videospielen.