Nachdem "
Blood Work" mit einer dem alternden Clint Eastwood auf den Leib geschriebenen Rolle im Kino kaum eine Chance bekam, hat sich der Regisseur Eastwood mal wieder von seinem Lieblingsdarsteller Eastwood losgesagt, und sich stattdessen auf hervorragende Schauspieler wie Sean Penn, Tim Robbins oder einen seit langem mal wieder überzeugenden Kevin Bacon verlassen.
Das Drehbuch hat Brian Helgeland verfasst, der schon mit seiner Adaption von James Ellroys "L. A. Confidential" bewiesen hatte, daß er komplexe Handlungsstränge in überdurchschnittliches Mainstreamkino umwandeln kann. Der streng chronologisch erzählte Film beginnt mit den drei vorpubertären Jungs Jimmy, Sean und Dave, die zunächst auf der Strasse Hockey spielen, bis die Kanalisation mal wieder einen ihrer Bälle schluckt. Statt dann mal eine Probefahrt mit einem "ausgeliehenen" Auto zu machen, schreiben sie ihre Namen in eine frische Zementplatte, werden dabei aber erwischt. Ein wie ein Polizist auftretender Fremder schnappt sich Dave, um mit seiner Mutter ein "ernstes Wörtchen" zu sprechen. Schon bei dem ersten Blick in das Auto des Fremden wird klar, daß dies kein Polizeiauto ist, aber es ist bereits zu spät, unerbittlich wird Dave in eine Hölle gestoßen, aus der er sich erst vier Tage später wieder befreien kann. Der ebenso zynische wie lapidare Kommentar eines Nachbarn nach der Rückkehr Daves lautet: "Damaged goods, if you ask me."
25 Jahre später. Während Jimmy (Sean Penn) sich auf die Erstkommunion seiner jüngsten Tochter vorbereitet, kristalliert sich für den Zuschauer langsam heraus, daß seine älteste Tochter, die 19jährige Katie, die Nacht nicht überlebt hat. Dave (Tim Robbins), der zu den letzten Personen gehörte, die sie lebend in einer Kneipe gesehen hat, taucht blutverschmiert und mit einer Schnittverletzung am Bauch nachts um drei bei seiner Frau (Marcia Gay Harden) auf und erzählt ihr eine wenig kohärente Geschichte von einem Räuber, der ihm aufgelauert habe und den er vielleicht tödlich verletzt habe. Seine verstörte Frau findet in den Nachrichten nichts über den Vorfall, daß aber in der selben Nacht Katie ermordet wurde, stört das Vertrauensverhältnis der Eheleute empfindlich. Sean (Kevin Bacon) schließlich, der den Kontakt zu seinen Kindheitsfreunden verloren hat, ist einer der ermittelnden Beamten in dem Fall.
Regisseur Eastwood zu seinem Film:
"Krimis über Mordfälle konzentrieren sich üblicherweise auf die Aufklärung des Verbrechens. Doch in dieser Geschichte wird jenseits des Mordes deutlich, wie das Schicksal aller Beteiligten durch das Verbrechen in neue Bahnen geleitet wird. Wir erleben, welche Auswirkungen ein Gewaltverbrechen auch viele Jahre nach der Tat haben kann. Das ist ein Teufelskreis - alle drei Männer müssen sich mit Problemen auseinandersetzen, die sie verdrängt haben. Ihre Vergangenheit wird von einem Trauma geprägt: ein Schaden, der sich nicht reparieren lässt."
Viel besser kann man es nicht zusammenfassen. Auch wenn sich die Narration des Films mit der Polizeiarbeit beschäftigt, mit nach und nach entdeckten Indizien und Zusammenhängen, selbst wenn sich an zwei Fronten ein Showdown um Rache, Vergeltung und Eifersucht entwickelt, "Mystic River" ist vor allem eine Charakterstudie, die durch das Genre nicht automatisch an Intensität und Tiefgang verliert. Etwa in der Mitte des Films sagt der trauernde Vater Jimmy einmal, daß er tief in seinem Innersten weiß, daß er mitschuldig am Tod seiner Tochter ist - er weiß nur noch nicht genau, auf welche Art. Ganz nebenbei stellt er (oder im nachhinein der Zuschauer) dann einige Theorien darüber auf, eine der absurdesten hängt damit zusammen, daß er natürlich an der Geburt der von ihm abgöttisch geliebten Tochter "schuld" ist - und wäre sie nicht geboren, hätte sie auch nicht ermordet werden können. Die Szene, wie der junge Dave aus dem Auto seiner Peiniger zurück auf seine Freunde blickt, wird später noch zweimal wiederholt, einmal als die einzige Quasi-Rückblende, einmal als
modern reenactment - und wie Eastwood so treffend zusammenfasst, dieser Moment verändert das Leben der drei Jungen für immer. Dave ist danach nie wieder Dave, die anderen beiden wären am liebsten mit ihm gefahren, können aber ihren Fehler nicht wieder gutmachen - und "Mystic River" lebt davon, wie sich langsam herausstellt, was dieser Tag aus den dreien gemacht hat: Dave erfüllt allzu geflissentlich die üblichen Profile der früheren Opfer, die zu Täter werden; beim stärksten der drei, den ehemaligen Knacki Jimmy, wiederholt sich die Hilflosigkeit seiner Kindheit; und Seans Entscheidung, als Polizist das Trauma zu verarbeiten, funktioniert auch nur in Ansätzen.
Einer der wenigen Vorwürfe, die man dem Film (oder vielleicht schon der Roman-/ Drehbuchvorlage?) machen kann, ist eine gewisse Frauenfeindlichkeit. Von den Männern kommt zwar ähnlich wie bei "L. A. Confidential" auch kaum einer mit einer weißen Weste davon, aber ungeachtet der hervorragenden Darstellungen von Marcia Gay Harden und Laura Linney (einer Shakespeare-Bühne würdig) erscheinen beide (und auch die wenigen anderen Frauen des Films) nur wie supporting Actors, im wörtlichen Sinne - auch eine Art Nachhall von "L. A. Confidential" - aber vielleicht gehört dies dann auch zu den wenigen Genre-Konventionen, die der Film nicht durchbrechen konnte.
Aber darüber sieht man gerne hinweg, denn "Mystic River" ist Eastwoods beste Regiearbeit seit fast zehn Jahren (1995: "The Bridges of Madison County"), und ein Film, der bloße Krimifans ebenso begeistern wird wie Freunde dramatischer, psychologisch ausgefeilter Stoffe. Und mit Darstellern wie den alles überragenden Sean Penn oder die hier überdurchschnittlich agierenden Robbins, Bacon - und sogar Fishburne wird "Mystic River" mit Leichtigkeit zu dem US-amerikanischen Mainstream-Film des Jahres.