Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen


 

Februar 2004
Thomas Vorwerk
für satt.org

Baby
D/NL 2002

Baby (R: Philipp Stölzl)

Regie:
Philipp Stölzl

Buch:
Wolfgang Kohlhaase, David Hamblyn

Kamera:
Michael Mieke

Schnitt:
Sven Budelmann

Musik:
Ingo Ludwig Frenzel

Darsteller:
Alice Dwyer (Lilli), Lars Rudolph (Paul), Filip Peeters (Frank), Christian Grashoff (Stiefel), Hamid Bundu (Tommy), Irina Platon (Lana), Mischa Hulshof (Johann), Catherine Flemming (Julia), Barbara Philipp (Elisabeth), Marc Prätsch (Wachmann), Fedja Van Huet (Polizist)

Kinostart:
26. Februar 2004

Baby



Philipp Stölzl arbeitete zunächst als Art Director, ab 1997 auch als Regisseur für Video-Clips. Für Künstler wie Rammstein (4x), Madonna ("American Pie"), Garbage ("The World is not enough"), Die Ärzte ("Rock'n'Roll Übermensch") und nicht weniger als sechs
Baby (R: Philipp Stölzl)
Baby (R: Philipp Stölzl)
Baby (R: Philipp Stölzl)
Baby (R: Philipp Stölzl)
Baby (R: Philipp Stölzl)
Mal für Marius Müller-Westernhagen, der derart von dem 1967 geborenen angetan war, daß er ihn immer wieder ermunterte, sich doch auch mal der Herausforderung zu stellen, einen Kino-Spielfilm zu drehen - und ihm schließlich sogar ein Drehbuch zuspielte, daß das Schauspiel-Comeback des früher mal als Synchronsprecher (Roman Polanski in "Der Mieter") und Darsteller des (unter anderem) "Theo gegen den Rest der Welt" bekannten Sängers werden sollte.

Nachdem das Buch durch die Hände diverser Regisseure ging, und auch die Hauptdarsteller immer wieder verworfen wurden, gelang es schließlich doch wieder zu Stölzl. Da für dessen Regie-Debüt jedoch nur ein geringes Budget zur Verfügung stand, machte Westernhagen einen Rückzieher - und wartet immer noch auf sein Kino-Comeback …

Stattdessen spielt die Hauptrolle nun Lars Rudolph, unterstützt durch den Belgier Filip Peeters und die junge Alice Dwyer in der Titelrolle (inzwischen spielte sie auch in Hans-Christian Schmids "Lichter" und der eine Woche später anlaufenden Senator-Produktion "Erbsen auf halb sechs"). Und das Drehbuch wurde überarbeitet von niemand geringerem als Wolfgang Kohlhaase, einem alten DEFA-Mitstreiter, der u. a. auch für Gerhard Kleins "Berlin - Ecke Schönhäuser" (1956), Konrad Wolfs "Ich war 19" (1968) oder zuletzt Volker Schlöndorffs "Die Stille nach dem Schuß" (2000) verantwortlich zeichnete.

Über die Geschichte will ich nicht zuviel verraten. Es geht um eine zunächst harmonische Zweckfamilie: Paul und Frank, zwei im Rotlichtbezirk tätige, vom Pech verfolgte Kleinkriminelle und Franks 15jährige Tochter Lilli. Als Lilli sich für den farbigen Pizzalieferanten Tommy zu interessieren beginnt, zeigt ihr Vater seine cholerische Seite. Als sie dann auch noch schwanger wird, dreht er völlig durch …

Doch die Geschichte von "Baby" ist nicht ganz so straight, denn ich will ja wie gesagt nicht alles ausplaudern. Nur soviel noch: Lilli und Paul hatten auch mal einen gemeinsamen schwachen Moment, und als Frank bei seinem Amoklauf verhaftet wird, ergreifen Lilli und der auch nicht eben unschuldige Paul die Flucht und fahren an die holländische Küste, wo die Geschichte Jahre zuvor auch begann …

Stölzl hat sich für sein Debüt einen seltsamen Stoff ausgesucht, eine Mixtur zwischen Drama und Komödie, wobei der Humor oft unfreiwillig erscheint, im nächsten Moment aber wieder von tragischen Ereignissen überschattet werden kann. Als Inspiration standen für Stölzl "The Graduate" und "American Beauty", zwei Filme, in denen generationsübergreifende Affären auch nicht eben glücklich enden - er sieht seinen Film aber nicht als "Lolita"-Variation - Lilli hat Paul zwar verführt, aber bei den drei Hauptfiguren gibt es keinen, der wirklich einen Plan hat - immer wieder bestimmen impulsive Handlungen oder dumme Zufälle das Schicksal der drei, und wenn Lilli schließlich als Fazit über ihre zwei Väter zusammenfasst "Ihr seid solche Arschlöcher", zeigt sie zwar erstmals einen Anflug von Weisheit, aber vom Anfang bis zum Ende des Films ist sie ebenso ein Opfer der Umstände wie auch der Auslöser aller Mißgeschicke.

Die junge Darstellerin meistert ihre erste Hauptrolle mit Bravour, und auch ihre beiden Väter und Nebenfiguren wie Tommy oder der seltsame Herr von der Mordkommision machen aus "Baby" einen immens amüsanten Film - auch, wenn man sich nie des Eindrucks erwehren kann, daß die manchmal überbordende Naivität des Films ebenso wie der bereits erwähnte unfreiwillig erscheinende Humor ganz auf das "Regie-Baby" Stölzl gehen - und dabei bin ich mir nicht sicher, ob der Film durch einen routinierten und erfahrenen Regisseur gewonnen hätte oder es gerade diese stolpernde Erkundung des cineastischen Neulands ist, die dem Film einen gewissen Reiz verleiht.