Die bemitleidenswerten Kreaturen, die nie James M. Barries Buch lasen, kennen wahrscheinlich zumindest die solide Disney-Zeichentrick-Adaption (jüngst mit passablen Sequel ausgestattet). In Sachen Realfilm gab es leider in den letzten Jahrzehnten nur Steven Spielbergs
Hook, ein Totaldebakel, ansonsten muß man schon in graue Film-Vorzeiten zurückgehen, um diesen außergewöhnlichen Stoff auf der Leinwand bewundern zu können.
P. J. Hogan, vor allem durch Muriel‘s Wedding und My Best Friend‘s Wedding bekannt, hat nun diesen eigentlich untragbaren Zustand geändert und uns einen wunderschönen Film für die ganze Familie beschert. Hierbei beruht er sich auf die filmhistorisch abgeklopfte Neuerung, endlich mal einen Jungen den Peter spielen zu lassen (ähnliche Verlautbarungen bei Romeo & Juliet belustigten mich meist nur, aber in diesem Fall ist es - nicht zuletzt durch den gecasteten Jungdarsteller - eine wirklich erwähnenswerte Verbesserung). Außerdem hat er in den Erwachsenenrollen leidlich unbekannte (aber talentierte) Darsteller besetzt (eine klare Verbesserung zu Hook, wo Gestalten wie Julia Roberts und Dustin Hoffman fast so sehr störten wie der Hauptdarsteller) - und ein wahrer Besetzungscoup (den man fast nur unterbewusst wahrnimmt) war es, den Piratencaptain und den etwas überforderten Vater vom selben Schauspieler (überzeugend) mimen zu lassen, wodurch Hook trotz aller schleimigen Bösartigkeit eine unterschwellige Verführungskunst erzielt, die man sonst mit Christopher Lees Dracula assoziieren könnte. (Wobei auch die Vorpubertät von Wendy und Peter ein ähnlich wichtiges Thema ist wie die Sexualität beim Blutsauger).
Doch schon Peter und Wendy sind besetzungsmäßig Volltreffer. Die Darstellerin der Wendy (Rachel Hurd-Wood) hat zwar den Nachteil, abwechseln weinen und lächeln zu müssen, aber der einem blutjungen Damon Albarn aus dem Gesicht geschnittene Jeremy Sumpter übt genau die magische Faszination aus, die für die Rolle so wichtig ist. Man kann einfach die Augen nicht von ihm lassen …
Gleiches gilt natürlich auch für my little darling Ludivine Sagnier, seit Swimming Pool auch in den Staaten bekannt, die allerdings sowohl mit ihrer stummen Rolle (Overacting) als auch mit der kleinen Gestalt Tinkerbells zu kämpfen hat. (So ein ganzseitiges Pin-Up wie im Presseheft, gekleidet in schmackhaften Kohlblättern, sucht man im Film vergebens).
Und über die kleine Elfe kommen wir auch zum wohl visuell auffallendsten Macher hinter dem Film, den schon in Baz Luhrmanns Moulin Rouge! gab es eine von Kylie Minogue dargestellte Fee (die natürlich singen konnte), und die farbenprächtige Opulenz des Kameramanns Donald M. McAlpine (zuletzt wenig auffällig in Anger Management) verleiht dem Film jene zuckersüße Künstlichkeit, die jeden Zuschauer für Momente in seine Kindheit zurückführen wird. So wie es in Moulin Rouge! immer wieder jene rasante Kamerafahrt direkt in die Skyline des fin de siècle-Paris gab, flitzen wir hier gemeinsam mit den fliegenden Kindern durch orange Universal-Wolken, einen blau und lila animierten Nachthimmel, und wie eine Steigerung durch ein kolossales Weltall (auf dem Weg nach Neverland), das man gesehen haben muß - und das sich einzig durch seine Farbenpracht und die technischen Möglichkeiten von den Visionen Georges Méliès unterscheidet.
Und solche visuellen Extravaganza (für die natürlich nicht nur der Kameramann zuständig ist, aber der Vergleich zum ebenfalls halbaustralischen Moulin Rouge! drängt sich auf) durchziehen den ganzen Film mit Momenten, die schon allein das Eintrittsgeld wert sind.
Etwa die Einführung Captain Hooks, der seinen namengebenden Haken zunächst ganz locker in der Hand hält, bevor er einem mit seinem grauenerregenden Armstupf solch einen visuellen Tiefschlag versetzt, daß man sich nicht im geringsten daran stört, Hooks Behinderung im weiteren Verlauf des Films nie wieder zu sehen. Auch Kleinigkeiten wie die Kostüme oder die Kriegsbemalung der Indianer um Tiger Lily machen klar, daß Spielberg seinerzeit nur mit dem Farbtopf um sich warf, während P. J. Hogan gezielt dosiert und damit verzaubert.
Die Meerjungfrauen in der kristallklaren See sind fast so unheimlich wie in Sinbad, das Krokodil ist beileibe keine Witzfigur mehr wie bei Disney, aber all diese kleinen Gruseleffekte werden auch Kinder verzaubern und sind ebensosehr im Geiste der Vorlage wie die hypertextischen Eingriffe Smees in die Narration oder die Umsetzung des berühmten „I do believe in fairies. I do! I do!“, dem Spielberg immerhin mithilfe der jungen Drew Barrymore in E.T. ein Denkmal setzen konnte, das fast über seine Unfähigkeit bei Hook hinweghilft. Es bedurfte eines (relativ) jungen, noch hungrigen Regisseurs wie Hogan, um Barries Peter Pan auf die Leinwand zu zaubern, daß man am liebsten gleich nochmal ins Kino gehen will.