Im August 2004 laufen in den deutschen Kinos gleich zwei Filme mit Emmanuelle Béart an. Zu Beginn des Monats startet
Nathalie von Anne Fontaine, der zu seinem Staraufgebot auch noch Fanny Ardant (mit der Béart schon in Ozons
8 femmes zusammenarbeitete) und Gerard Depardieu zählen kann. Ende des Monats folgt dann der neue Film von Altmeister Jacques Rivette, der die Béart 1991 mit
Le belle noiseuse (Die schöne Querulantin) bekannt machte.
In beiden Filmen hat Frau Béart eine Art "Geheimnis", das unterschiedlich geschickt vorm Zuschauer verborgen wird - und auch unterschiedlich interessant ist. Verraten wird an dieser Stelle natürlich keines der beiden Geheimnisse, denn unabhängig davon, wie gut man Filme wie The Crying Game oder The Sixth Sense mag - wenn man schon vor dem ersten Sehen weiß, wie der Hause läuft und worauf man achten muß, dann machen die Filme nur halbsoviel Spaß.
In Nathalie ist die eigentliche Hauptfigur des Films eigentlich die von Fanny Ardant gespielte Catherine. Diese organisiert im Pariser Appartement eine Überraschungs-Geburtstagsparty für ihren Gatten Bernard (Gérard Depardieu), der dann aber kurzfristig nicht kommen kann und in Zürich übernachten muss. Natürlich überspielt Catherine ihre Enttäuschung vor den Partygästen gekonnt, und als Bernard am nächsten Tag dann doch eintrifft, scheint es eigentlich überhaupt kein Problem zu geben. Doch dann entdeckt Catherine auf Bernards Handy-Mailbox die Nachricht einer jungen Frau, die sich für die gelungene Liebesnacht in Zürich bedankt - und eine Welt bricht für sie zusammen
.
Als sie Bernard mit seinem Betrug konfrontiert, findet der, es sei (insbesondere für Männer) nur normal, wenn man nach diversen Ehejahren mal "auswärts ißt", doch Catherine hat an dem Vertrauensbruch noch lange zu knapsen. Anstelle ihres geregelten Berufslebens irrt sie fortan öfters durch die Stadt und landet irgendwann in einer Rotlicht-Bar, wo sie die Prostituierte Marlene (Béart) auf ihren Mann ansetzt. Als "Nathalie" sucht Marlene Kontakt zu Bernard und berichtet Catherine anschließend von den immer intimeren Treffen. Zunächst verstört dies Catherine fast noch mehr, doch schließlich ist sie fasziniert davon, was eine andere Frau mit ihrem Mann erlebt - ihr Verlangen kehrt zurück, sie erlaubt sich sogar selbst ein amouröses Abenteuer.
Auch die zunächst rein professionelle Verbindung zu Marlene entwickelt sich in eine Frauenfreundschaft, die auch durch die beiden Darstellerinnen zum Kern des Films wird. Regisseurin Anne Fontaine hat einen Frauenfilm über Männer geschaffen, der durch ein von Catherine geheim arrangiertes Treffen aller drei Parteien aber eine für manchen unerwartete Wendung erfährt …
Ich sage "für manchen", weil in meinem Fall der Twist des Films überhaupt nicht funktioniert hat. Während Regisseurin Fontaine in der Schauspielerführung und beim Aufbau einer Atmosphäre durchaus Talent zeigt, sabotiert sie durch ihre allzu klare Inszenierung die Narration des Films. Mehr Ambiguität hätte dem Film sicher geholfen, doch in ihrem Bemühen, den Zuschauer nicht absichtlich in die Irre zu führen, wird aus einer düsteren Dreiecksgeschichte eine allzu durchsichtige Affäre.
Positiv zu erwähnen ist aber noch die Musikauswahl. Neben dem Original-Soundtrack von Michael Nyman (Das Piano, Wonderland) gibt es lauter liebevoll ausgesuchte Songs von Interpreten wie Leonard Cohen, Goldfrapp, Joy Division oder Amon Tobin - der bordelleigene DJ zeigt Geschmack!
Die Geschichte von Marie und Julien
|
Jacques Rivettes Histoire de Marie et Julien sollte bereits Mitte der 1970er ein Film werden, doch die Dreharbeiten wurden auf mysteriöse Art abgebrochen, und nur durch ein Buch über seine drei "Phantomfilme", in dem auch Fragmente der in einer Schublade des Kameramann William Lubtchansky entdeckten Story des Films abgedruckt wurden, kam auch Rivette wieder auf jenes alte Projekt zurück. Aus heutiger Sicht ist es interessant, wie der Film wohl damals geworden wäre, als die Story noch sehr viel innovativer gewirkt haben muß, während man heute den Eindruck bekommt, Rivette wäre von erfolgreichen amerikanischen Filmen inspiriert, die sich so gar nicht mit dem Werk des sehr individuellen französischen Regisseurs verbinden lassen.
Damals lebte Hitchcock noch, und Chabrol war auf dem Höhepunkt seines Schaffens. In gewisser Weise paßt Histoire de Marie et Julien in diesen Dunstkreis viel besser als in die Nähe eines M. Night Shyamalan, der doch eher wie ein mehrfach wiedergekäuter Hitchcock der Neuzeit daherkommt und von Film zu Film ausgelutschter erscheint.
Der Uhrmacher Julien (Jerzy Radziwilowicz) lebt zurückgezogen mit seiner Katze in der Werkstatt, die er nur selten verlässt. Seine seltsamen Treffen mit einer Madame X, die er beiläufig erpresst (Warum das Erpressungsopfer und nicht der Täter solch einen Namen trägt, macht die Angelegenheit noch dubioser), bringen ein dunkles Element in das Leben des menschenscheuen Mechanikers, doch erst durch das Erscheinen von Marie (Béart), mit der er eine alte Liebe neu durchlebt, bringt das Leben Juliens etwas durcheinander. Einiges an Marie scheint nicht zu stimmen, sie beteiligt sich schließlich sogar an der Erpressungsgeschichte und scheint irgendwie mit Madame X verbunden zu sein. Oder mit der angeblich verstorbenen Schwester der Madame? Marie zieht sich immer mehr in ein Dachzimmer zurück, das sie obsessiv verändert. Mehr wird nicht zur Handlung verraten …
Wie auch bei La belle noiseuse funktioniert der Film über die Annäherung der beiden Hauptfiguren, die Rivette durch eine geschickte Schauspielerführung und die Chronologie des Drehs beeinflußt. Wenn man das Geheimnis von Marie nicht verraten will, kann man das Prinzip dieser Schauspielerführung wahrscheinlich am besten mit der Katze "Nevermore" erklären. In den ersten Einstellungen des Film, bei denen die Katze zu sehen ist, ist es für den Zuschauer offensichtlich, daß das Tier durch den Kameramann derart verängstigt ist, daß es Jerzy Radziwilowicz nur schwerlich gelingt, die Katze zu beruhigen.
Als Zuschauer, der um die langjährige Erfahrung des Regisseurs weiß, fragt man sich da natürlich, warum jener dieses nicht erkannt hat und die Szenen später noch einmal neu gedreht hat. Denn später im Film ist die Werkstatt des Uhrmachers für "Nevermore" ein zweite Zuhause, die Katze klettert sogar in einem Turmuhr-Mechanismus herum, während Julien an der Uhr herumbastelt - eine der schönsten und anrührendsten Szenen des Films, die selbst die für Rivette-Verhältnisse überraschend intimen Liebesszenen aussticht.
Doch gegen Ende des Films erkennt man dann, daß die "verpatzten" Szenen am Anfang durchaus ihren Sinn für die Narration und Atmosphäre des Films haben - und dadurch klappt dieser Film definitiv besser als Nathalie - wenn man auch kritisieren muß, daß Rivette mit seinen obligatorischen zweieinhalb Stunden Filmlänge diesmal das Interesse des Zuschauers nicht durchgehend fesseln kann. Der Verzicht auf zwei oder drei jener typischen Rivette-Momente hätte dem Film sicherlich nicht geschadet, sondern eher genützt, ich für meinen Teil war jedenfalls öfters gelangweilt, wenn nicht gerade die textilfreie Béart oder "Nevermore" durchs Bild liefen …