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September 2004
Kathi Hetzinger
für satt.org

Anything Else
USA 2003

Anything Else (R: Woody Allen)

Buch
und Regie:
Woody Allen

Kamera:
Darius Khondji

Schnitt:
Alisa Lepselter

Darsteller:
Jason Biggs (Jerry Falk), Woody Allen (David Dobel), Christina Ricci (Amanda), Danny DeVito (Harvey), Stockard Channing (Paula), Jimmy Fallon (Bob), KaDee Strickland (Brooke), Diana Krall (als sie selbst)

111 Min.

Kinostart:
2. September 2004

Anything Else


Endlich auch in Deutschland! In seinem besten und lustigsten Film seit Jahren, feiert Allen die Rückkehr zu seinen berühmten New Yorker Beziehungskomödien (Annie Hall!), und vollzieht nebenbei den längst fälligen Generationenwechsel - just like anything else.

Anything Else (R: Woody Allen)
Anything Else (R: Woody Allen)
Anything Else (R: Woody Allen)
Anything Else (R: Woody Allen)
Anything Else (R: Woody Allen)
Anything Else (R: Woody Allen)

Jerry Falk ist Anfang 20, scheint aber bereits ein sehr gefestigtes Leben zu führen: er hat einen guten Job, eine Wohnung in Manhattan und eine Verlobte. Doch als er eines Tages bei einem Dinner zu viert Amanda, die atemberaubende, wenn auch leicht neurotische Freundin seines Kumpels Bob, kennen lernt, funkt es gewaltig zwischen den beiden. Und damit gehen dann auch Jerrys Probleme los. Nach einer gewissen Zeit mag Amanda nicht mehr mit ihm schlafen, sie scheint sogar allergisch auf ihn zu reagieren. Sein Psychotherapeut, der übermäßigen Gefallen an Jerrys Träumen gefunden zu haben scheint, kann ihm jedoch keine Fragen beantworten. Und sein Manager will einen neuen, diesmal siebenjährigen Vertrag mit seinem einzigen Klienten, der sich doch eigentlich viel lieber um seinen ersten Roman kümmern würde als weiterhin Gags zu schreiben. Als auch noch Amandas Midlife Crisis-geplagte Mutter, mitsamt Klavier, in die kleine gemeinsame Wohnung der beiden einzieht, wird selbst Jerry langsam klar, dass er etwas zu viel unnötigen Ballast mit sich herumschleppt.

Den komplexen Beziehungen zwischen Menschen galt schon immer Allens hauptsächliches Interesse. Auch hier stellt er wieder die Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit, persönliche Entfaltung und gegenseitige Rücksicht miteinander zu vereinbaren, sei es in der Liebe, in der Familie oder bei der Arbeit. Jerry, der stets bemüht ist, es den Menschen in seinem Umfeld recht zu machen, und sich selbst schon mal zurückstellt, um Probleme zu vermeiden, wird sich so selbst zum Verhängnis. Es ist ihm schlichtweg nicht möglich, sich selbst zu helfen. Ohne Ecken und Kanten, verliert die Welt, besonders Amanda, das Interesse an seiner Person. Amanda sucht einen Mann, der so ist wie ihr Vater; Jerry fehlen dazu die disziplinären Eigenschaften. Amanda selbst ist ein Abbild ihrer Mutter, die mit knapp 50 kaum reifer wirkt als ihre Tochter. Stellenweise scheint sich das Mutter-Kind-Verhältnis sogar umzukehren, etwa wenn Amanda ihre Mutter davon abbringen will, sich tätowieren zu lassen.

Das Aufeinandertreffen der Generationen zeigt sich auch in Jerrys Beziehung zu seinem etwa 40 Jahre älteren Kollegen David Dobel. Dieser arbeitet hauptberuflich als Lehrer, wirft mit Fremdwörtern nur so um sich und bewundert die Kreativität seiner Schüler, wenn es darum geht, Waffen in die Schule zu schmuggeln. Dobel, der eher etwas zu viele Ecken und Kanten hat, fordert durch seine Aggressivität im Alltag Konflikte geradezu heraus. Eine seiner Maximen ist es zum Beispiel, stets eine geladene Pistole in Reichweite zu haben. Er sieht das Interesse der Welt (z.B. von imaginären antisemitischen Terrorgruppierungen) immer direkt auf bzw. gegen sich persönlich gerichtet. Was sich bei Jerry als Minus (sei es im Bett oder auf der Couch) äußert, entlädt sich bei Dobel mit voller Kraft. Einen Teil dieser überschüssigen Energie führt Dobel auch seinem jungen Schützling Jerry zu, den er mit guten Ratschlägen über das Leben und, im selben Atemzug, übers Rasieren förmlich bombardiert.

Eine von Allens Stärken besteht sicherlich in der Auswahl und Führung seiner Darsteller, und auch hier hat er wieder eine Riege hochkarätiger Schauspieler um sich versammelt, deren tragikomisches Talent er voll ausschöpft. Besonders Christina Ricci nutzt hier die Möglichkeit, sich gewohnt sexy, aber auch liebenswürdig brüchig zu zeigen. Aber besonders hervorzuheben ist die Besetzung der Hauptrolle mit Jason Biggs, die für den Regisseur ein ganz besonderer Glücksfall ist: in ihm hat Woody Allen seinen wahren schauspielerischen Nachfolger gefunden. In seinen fahrigen Bewegungen, seiner hilflosen Verwirrung und Schlagfertigkeit gelingt es ihm, die uns so wohlbekannte Figur des (jungen) Woody Allen zu evozieren und gleichzeitig der Figur einen eigenen, moderneren Charakter zu verleihen. Allen selbst wirkt jetzt, da er den Stab endgültig weitergereicht hat, seltsam befreit in seinem Schauspiel und scheint aufgestaute Energien herauslassen zu können: die destruktiven Elemente, die auch in früheren Filmen bereits vorhanden waren (die kleinkriminellen Ambitionen in Small Time Crooks, oder die durch Hypnose ausgelösten, unbewussten dunklen Seiten in The Curse of the Jade Scorpion), kann Allen hier jedenfalls voll ausleben.

Vieles im Woody Allen-Universum ist aber konstant geblieben: mit gewohnter Jazz/Swing-Unterstützung (z.B. einem Gastauftritt von Diana Krall) gelingt es ihm wieder einmal die tausend schönsten Impressionen seiner Heimatstadt Manhattan auf die Kinoleinwand zu bannen, und wieder einmal wirkt die Großstadtatmosphäre oft zu elegant und pastoral um wahr zu sein. Ein ums andere Mal führt David Jerry auf ihren Spaziergängen durch den Central Park unter einer idyllisch gelegenen kleinen Brücke hindurch, aus dem Schatten des Gewölbes wieder ins lichte Grün des Parks. So ist es nur logisch und angemessen, dass auch die letzte Begegnung der beiden an einem solchen versteckten Ort im Park stattfindet, wenn David Jerry seine letzte Lektion erteilt. Er führt seine katalysatorische Wirkung konsequent zu Ende und tritt dann mit einem Knall ab. Hoffen wir, dass der Regisseur Allen das in nächster Zeit nicht vorhat.