Jonathan Demme war mal eine der großen Hoffnungen des amerikanischen Films. Schon vor seinem Oscar-Abräumer The Silence of the Lambs (1991) war er mit Filmen wie Melvin and Howard (1980), Something Wild (1986) oder Married to the Mob (1988) manchem aufgefallen, danach folgte mit Philadelphia (1993) noch ein völlig anderer, aber interessanter Film, bevor er dann mit seiner Stoffauswahl nicht mehr soviel Erfolg hatte und Filme wie The Beloved (1998) zumindest in Deutschland kaum jemand im Kino sah, bevor dann die nachfolgenden zwei Filme gar keinen Kinostart hierzulande mehr hatten.
Wie schon The Truth about Charlie (2002, nach Stanley Donens Charade) ist auch The Manchurian Candidate ein Remake eines Films aus dem 1960ern, in diesem Fall John Frankenheimers brisantem Polit-Thriller über einen Heimkehrer aus dem Korea-Krieg, der nach einer Gehirnwäsche zu einem unfreiwilligen Attentäter wird. Frank Sinatra spielte damals den "guten" Kameraden, Laurence Harvey den "unfreiwillig bösen" und Angela Lansbury dessen hinterhältige Mutter. Mit den drei neu besetzten Hauptrollen ist das Remake eigentlich schon fast ein instant classic, Denzel Washington kann seine Rolle sehr viel dunkler gestalten als dies sonnyboy Sinatra möglich war, Liev Schreiber (Scream) liefert die beste Darbietung seiner bemerkenswerten Karriere und Meryl Streep, von der man nicht weniger als Wunder erwartet, hat in ihrer - im Verhältnis zum Original etwas ausgebauten - Rolle als Mutter mehrere mal wieder oscarverdächtige Auftritte.
Die Geschichte wurde modernisiert, aus dem Korea-Krieg machte man die Operation Desert Storm, und unser "Kandidat" stammt auch nicht mehr aus der Mandschurei, sondern wird von einem Multi-Konzern namens "Manchurian" unterstützt, deshalb wohl auch die blödsinnige Eindeutschung des Titels, der auch nicht überzeugender klingen würde, wenn man auf den ersten Blick wüsste, daß es sich um einen Firmennamen handelt (Beispiel: "Der Microsoft Kandidat").
Schon beim Vorspann überrascht der Film zweifach: Zunächst sind die ersten Credits wie in den Nationalfarben gehaltene Flaggen (mit Sternen hier und dort) animiert, dann lässt Demme sich überraschend viel Zeit, die Kameraderie unter den Soldaten im dauerbeschallten Jeep vorzuführen. Über den modernen Soundtrack, der die Gespräche übertüncht, und die Montage, die über Ellipsen und Fragmentation das Zeitgefühl des Zuschauers irritiert, fühlt man sich ein wenig wie in einem der harten Vietnam-Filme und ahnt Schlimmes für die jungen Männer …
Befehlshaber Bennett (Washington) gehört ebensowenig zu dieser eingeschworenen Gruppe wie der scheue Außenseiter Shaw (Schreiber). Wenn Shaw dann später in Erzählungen seiner Kollegen zum vorbildlichen Kriegshelden idealisiert wird, der ihrer aller Leben gerettet hat, passt das so gar nicht mit den ersten Bildern des Films zusammen, der Zuschauer soll selbst an seinem Gedächtnis zweifeln. Insbesondere das später immer wieder präsente Gruppenfoto aus der Wüste ist in seiner Ambiguität ein meisterlicher Beweis für Demmes bestehendes Regietalent.
Ich will gar nicht zu sehr auf die Geschichte eingehen, sondern einige Details schildern, die zeigen, wie Demme es tatsächlich gelungen ist, Frankenheimers Klassiker nicht nur zu modernisieren, sondern ihn auch in manchen Passagen zu verbessern.
Im Original-Film gibt es zwei Szenen, die einen noch lange verfolgen, zum einen ist dies die eher klinisch aufgemachte Prozedur der Gehirnwäsche, wo die Soldaten dazu gezwungen werden, Dinge zu tun, die sie bei klarem Verstand niemals tun würden. Hier hat Demme sich dazu entschieden, die Filmgeschichte nicht zu ignorieren, die mit Bilderfluten wie in A Clockwork Orange oder The Parallax View eine solche Prozedur fast greifbar machen kann. Demmes Gehirnwäsche erinnert an Oliver Stone oder David Lynch, doch im Gegensatz zu diesen belässt Demme es bei kleinsten Ausschnitten in die traumatischen Erlebnisse, die der Zuschauer allenfalls zu rekonstruieren versuchen kann - wo es bei Frankenheimer fast schon zu logisch aufgebaut war.
Die zweite Szene aus dem Schwarzweiß-Film ist das erste Attentat des "Sleepers", ein Schuß durch eine Milchtüte auf den von John McGiver gespielten Senatoren. Für 1960er-Verhältnisse extrem drastisch, aber auch irgendwie klassisch. Hier entscheidet sich Demme, den Mord völlig anders aufzulösen, einerseits mit Unterstützung moderner Film-Technologie, andererseits ganz ohne Blutvergießen. Und das Schönste dabei: durch eine spätere Szene wird das visuelle Thema noch mal aufgegriffen, und gibt dem Film, wie an vielen Stellen, eine zusätzliche Substanz.
Diese kleinen inszenatorischen Einfälle sind es, die The Manchurian Candidate zu etwas besonderem machen: Meryl Streeps Rede, die mit Trommelwirbeln wie die Ansprache eines Generals vor der Schlacht wirkt, eine Kamerafahrt in ein Schlafzimmer, die zuerst symbolisch, dann real Türen in die mise en abyme öffnet.
Umso mehr verwundert es, wenn Denzel Washington dann bei einer Zugfahrt doch jene junge Frau trifft, die sich später überraschend aufopferungsbereit um ihn kümmert. Diese Rolle für Janet Leigh war eine der größten Schwächen des Originals, verwässerte sie doch die brisante Story mit einer ebenso überflüssigen wie wenig überzeugenden Love Story. Doch sogar hier könnte man behaupten, daß Demme das Original-Drehbuch verbessert hat, von dem er sich gegen Ende des Film immer mehr entfernt - nicht ausschließlich zum Besten des Films. Denn jetzt hat Rosie tatsächlich eine Bedeutung für den Film, ist nicht nur gutaussehende Staffage.
Die andere, weitaus überzeugendere love story des Originals zwischen Shaw und seiner Herz- (bzw. Karo-) Dame Jocelyn hingegen hat im neuen Film eine sehr viel geringere Bedeutung - zumindest bis zu Jocelyns letztem Auftritt. Zu keinem Zeitpunkt tappt Demme in jene Fettnäpfchen, die so viele Remakes zu einem Ärgernis für jene (zugegeben wenigen) Zuschauer machen, die das Original kennen - wie zuletzt ausgiebig bei The Stepford Wives.
Demme zeigt einerseits Hochachtung für das Original, sträubt sich aber auch nicht, alles zu modernisieren, die Geschichte um einen umtriebigen Präsidentschaftskandidaten ist so aktuell, daß es schon fast gruselig ist …
Und es gibt noch einen weiteren Aspekt um Regisseur Demme, den man fast vergessen hatte, und der in diesem Film zu einer echten Stärke wird. Demme hatte immer wieder in seinen Filmen kleine Rollen für Produzenten wie Roger Corman und Kenneth Utt oder Musiker wie Chris Isaak über. Die beiden erstgenannten tauchen auch im Manchurian Candidate auf, aus Musikerkreisen hat diesmal Robyn Hitchcock eine kleine Rolle - noch interessanter ist es aber, wie Demme den mit vielen kleinen (aber wichtigen) Nebenrollen vollgestopften Film durch einen Rückgriff auf viele seiner Lieblingsdarsteller aus alten Filmen zu einer kleinen Starparade macht: Denzel Washington kennt man natürlich auch aus Philadelphia, Kimberly Elise hatte in Beloved ihren ersten großen Auftritt, Dean Stockwell war schon in Married to the Mob ein zwielichtiger Geselle und sogar Ted Levine, der "Buffalo Bill" aus The Silence of the Lambs hat eine Rolle bekommen, während der leicht schielende Schachspieler aus dem selben Film (ich weiß, ich hätte den Namen nachschlagen können …) hier zumindest unscharf im Mittelgrund zu sehen ist.
Bei soviel Unterstützung von alten Mitarbeitern wie auch dem Kameramann Tak Fujimoto ist ein Comeback zur alten Form tatsächlich möglich, wer hätte damit gerechnet?