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Januar 2005 | Kathi Hetzinger für satt.org | |
9 SongsMichael Winterbottoms vielseitige Filmographie zeichnete sich bisher einerseits z.B. durch dezidiert politische Filme aus, wie Welcome to Sarajevo oder In This World, der mit dem Goldenen Bären der Berlinale 2003 ausgezeichnet wurde, andererseits experimentierte er auch stets gerne auf der formalen Ebene, im Bestreben, Form und Inhalt zu einem sinnvollen Ganzen zu verquicken. Auch seinem neuer Film 9 Songs merkt man an, dass solche Überlegungen in der Konzeption eine Rolle gespielt haben. Als Ausgangspunkt mag das Verlangen der wilden 60er und 70er nach "Sex, Drugs and Rock’n’Roll" gedient haben. Halb Konzertfilm, halb Hardcore-Porno, versucht der Film, Gefühle über Musik und Sexualität auszudrücken. Der Aspekt der Drogen spielt eine untergeordnete, rein unterstützende Rolle. Trotz der, für einen kommerziellen Kinofilm, äußerst expliziten Sexszenen und der marginalisierten Handlung will der Film ein Liebesfilm sein, das Experiment steht im Dienst der Erzeugung oder Darstellung von Emotion. Jedenfalls theoretisch. Matt, ein englischer Klimaforscher, lässt auf einem Flug über die Antarktis seine Beziehung zu Lisa, einer amerikanischen Austauschstudentin, nochmals vor seinem inneren Auge vorüberziehen. In Rückblenden erlebt der Zuschauer wie die beiden auf Konzerte gehen, miteinander schlafen, ab und zu reden und sich schließlich trennen, da Lisa beschließt, in ihr Heimatland zurückzukehren. Matt erinnert sich, dass Lisa "young, egotistical, careless and crazy" war, aber was ihm von ihr zuvorderst im Gedächtnis geblieben ist, ist nicht, was sie gesagt oder gedacht hat, sondern ihre Haut, ihr Geruch, ihr Geschmack etc. Die Kommunikation zwischen Matt und Lisa findet im Film fast ausschließlich auf körperlicher Ebene statt. Erst anhand von Matts Off-Kommentar erschließt sich dem Zuschauer die Beziehung, die er einmal mit der Antarktis vergleicht, als Paarung von Klaustrophobie und Agoraphobie, ein anderes Mal als quasi-religiöse Erfüllung beschreibt: "Ich war blind, jetzt kann ich sehen." Die Entwicklung der Beziehung wird auch von der Musik vollzogen, die Texte spiegeln das Seelenleben der Protagonisten. Das Problem dabei ist nur, dass es bei einer reinen Behauptung der Gefühle bleibt; es gibt kaum einen Moment im Film, in dem man tatsächlich nachvollziehen kann, was in den Personen vorgeht. Liegt das möglicherweise daran, dass die Sexszenen, in denen eigentlich alles über die Beziehung gesagt werden können sollte (handelt es sich doch um einen der intimsten Aspekte einer Beziehung), für das Auge des Zuschauers so neu und ungewohnt sind, dass man sie (noch) nicht lesen kann, wie es bei verbaler Kommunikation möglich wäre? Die Darstellung der Sexualität ist zwar sehr offen, dabei jedoch keineswegs pornographisch, im negativen (eigentlichen) Sinne: obwohl praktisch keine Tabus unangetastet bleiben, bleibt der Film sehr neutral und respektvoll, wozu die grobkörnigen, dunklen, handgehaltenen Bilder sicherlich stark beitragen. Andererseits bleibt der Zuschauer trotz aller Ekstase außen vor, die Leidenschaft wird nicht nachvollziehbar. Ähnlich verhält es sich mit der Musik: möglicherweise bieten die Songs jedoch Zuschauern, die mit der aktuellen britischen Musikszene besser vertraut sind, eine größere Fläche zur Projektion. Dem, in dieser Hinsicht, unbedarften Zuschauer jedoch bleiben Matt und Lisa weitgehend fremd; die wenigen Momente, die etwas von ihrer alltäglichen Beziehung außerhalb des Schlafzimmers oder Konzertsaals zeigen, können den Film nicht über seine gesamte Dauer tragen, auch wenn es sich dabei nur um 69 (!) Minuten handelt. Was der Film jedoch bewirkt, ist, den Mythos von "Sex, Drugs and Rock’n’Roll" auf den Boden der Tatsachen zu holen: weit entfernt von gewollter, inszenierter Provokation erleben wir die Sexualität, die Rockmusik und die Drogen hier als alltägliche Selbstverständlichkeiten einer Beziehung. Was eigentlich keinen Skandal wert ist (den der Film zweifellos auslösen wird bzw. in England bereits ausgelöst hat). |
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