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Februar 2005
Kathi Hetzinger
für satt.org

Childstar
Kanada 2004

Berlinale-Bär

Childstar

Regie: Don McKellar, Buch: Don McKellar, Mike Goldbach, Kamera: Andre Turpin, Darsteller: Don McKellar (Rick Schiller), Jennifer Jason Leigh (Suzanne Burnbaum), Mark Rendall (Taylor Brandon Burns), Kristin Adams (Nathalie Alexis), Brendan Fehr (Chip Metzger), Eric Stoltz (Fresno Burnbaum), Gil Bellows (Isaac Fitzpatrick), Alan Thicke (J.R. Robinson), Dave Foley (Philip Templeman), 96 Min.

Childstar ist die zweite Regiearbeit des kanadischen Drehbuchautors / Schauspielers / Regisseurs Don McKellar nach Last Night (1999); in Deutschland dürfte er vor allem als Schauspieler bekannt sein, u.a. aus David Cronenbergs eXistenZ, Patricia Rozemas When Night is Falling oder Thom Fitzgeralds The Event, die alle auf der Berlinale zu sehen waren. Der titelgebende Childstar ist der 12-jährige Taylor Brandon Burns (Mark Rendall), bekannt aus der erfolgreichen Sitcom Family Differences. Nun beschließen seine Agenten, dass er den Action-Blockbuster The First Son in Kanada drehen soll. Der selbstbewusste und frühreife Junge und seine Mutter Suzanne (Jennifer Jason Leigh), die den Spagat zwischen mütterlicher Fürsorge und Profitgier mal mehr, mal weniger perfekt beherrscht, machen es dem Filmteam nicht gerade leicht. Um selbst nicht ständig am Set bleiben zu müssen, macht Suzanne kurzerhand den Chauffeur Rick (Don McKellar), ein Experimental-Filmemacher und ehemaliger Dozent der Filmwissenschaft, zu Taylors Vormund – nachdem dessen leiblicher Vater sich nach der Scheidung der Eltern ganz seiner Band in L.A. widmet. Auch zwischen Suzanne und Rick entsteht schnell mehr als eine rein geschäftliche Verbindung. Doch als Taylor nach einer Weile genug von The First Son hat und mit einer jungen Frau ("actress / model / …"), die er am liebsten sofort ehelichen möchte, davon läuft, kommen die unterschiedlichen Interessen an dem jungen Star deutlich zum Vorschein. Wer kämpft hier eigentlich für wen, geht es tatsächlich jemandem um die Menschen, um die Kunst, oder dreht sich doch alles nur ums Geld?

Filmszene

Childstar beschäftigt sich auf vielfältige Weise mit den Beziehungen zwischen Film und Realität. Immer wieder spielt McKellar mit Szenen, die deutliche Anklänge an Filme bringen, nur um das Ganze dann als offensichtliche Inszenierung, als Illusion zu entlarven. Dabei kommt auch der oft etwas schräge, manchmal durchaus zynische kanadische Humor nicht zu kurz, sei es im Dialog oder in der Kameraführung. Die Auseinandersetzung mit dem Medium Film wird in weiteren Gegenüberstellungen fortgesetzt: Kunst – Kommerz, Film – Fernsehen, USA – Kanada. In Frage gestellt wird dabei nicht nur der Sinn und Zweck von kommerziellen Action-Streifen, die nicht nur die Intelligenz eines 12-jährigen beleidigen; auch die amerikanische Kinoindustrie, vor allem in ihren aggressiveren (um nicht zu sagen mafiösen) firmenpolitischen Ausformungen, kommt ziemlich schlecht weg: der Film kann durchaus auch als Selbstbehauptung des kanadischen Kinos gegenüber dem großen Nachbarn gesehen werden.

Ähnlich wie in Atom Egoyans Berlinale-Beitrag von 2003 Ararat (Egoyan und McKellar, zwei der Hauptvertreter des zeitgenössischen kanadischen Kinos, haben bereits mehrmals zusammen gearbeitet, z.B. in The Adjuster oder Exotica) findet sich eingebettet in diesen Metadiskurs jedoch ein anderes Thema, das direkter mit den Problemen der Menschen zu tun hat. McKellar geht es aber weniger um Vergangenheitsbewältigung als um Gegenwartsanalyse: er beleuchtet das angekratzte Verhältnis zwischen den Generationen und stellt den Druck dar, der auf Kindern lastet, denen so oft mehr zugemutet wird, als man von so manchem Erwachsenen erwarten kann, nicht nur beim Film. Aber, da das allein ja etwas langweilig wäre, wird der Spieß herumgedreht: manche Kinder sind auch so manchem Erwachsenen haushoch überlegen.