Cinemania 1:
Zwischen den Jahren
Bis auf Sergeant Pepper alle Rezensionen von Thomas Vorwerk.
Die Brautjungfer (Claude Chabrol)
Originaltitel: La demoiselle d’honneur, Frankreich / Deutschland 2004, Buch: Pierre Leccia, Claude Chabrol, Lit. Vorlage: Ruth Rendell, Kamera: Eduardo Serra, Schnitt: Monique Fardoulis, Musik: Matthieu Chabrol, mit Benoit magimel (Philippe), Laura Smet (Senta), Aurore Clement (Christine), Bernard Le Coq (Gérard), Solene Bouton (Sophie), Anna Mihalcea (Patricia), Isolde Barth (Sentas Mutter), Michel Duchaussoy (Clochard), Suzanne Flon (Madame Crespin), Eric Seigne (Jacky), Pierre-Francois Dumeniaud (Nedeau), Philippe Duclos (Kommissar), Thomas Chabrol (Lieutenant Laval), Mazen Kiwan (Pablo), 110 Min., Kinostart: 6. Januar 2005Chabrol ist aus dem Alter heraus, wo er noch mit einem neuen Meisterwerk sein gesamtes vorheriges Schaffen in den Schatten stellen will, aber im Gegensatz zu etwa Woody Allen, der mit einer ähnlichen Beständigkeit jedes Jahr einen neuen Film vorlegt, sind selbst die weniger gelungenen Chabrol-Filme immer einen Kinobesuch wert, weil sich der Regisseur trotz relativ festgefahrener Vorlieben mit einer Leichtigkeit über die Erwartungshaltung "seines" Publikums hinwegsetzt, daß schon dies eine Freude ist.
Diesmal erzählt Chabrol von einer
amour fou, die Elemente gleich mehrerer Hitchcock-Filme aufs Feinste verquickt. Da wäre etwa der junge Mann (Benoit Magimal, der bereits in
La fleur du mal mit Chabrol zusammenarbeitete), der bereits unsterblich in eine Frau verliebt ist, bevor er sie das erste Mal sieht. Aufgelöst wird das Ganze aber ganz anders als in
Vertigo, denn die junge Frau (Laura Smet, Tochter von Nathalie Baye und Johnny Halliday) spielt mit ihm ein ähnliches Spiel wie in
Strangers on a Train und will als Liebesbeweis neben einem Gedicht, einem gepflanzten Baum und einer sexuellen Erfahrung mit demselben Geschlecht einen Mord, ganz leidenschaftslos wie in
Rope, aber über Kreuz und deshalb doch mit (geringem) Motiv. Ohne weiter auf diese Prämisse einzugehen, kann ich versichern, daß Chabrol auch jenseits des
main plots viel zu sagen hat, zunächst weiß man als Zuschauer nicht genau, worauf man achten muß, denn auch Chabrols Dekonstruktion der Oberschicht wird hier weitergetrieben. Im Grunde genommen ist der Zuschauer ähnlich wie bei
Psycho (und jedem zweiten Hitchcok-Film) ein geheimer Komplize des Täters, denn erst durch das Auftauchen von Senta gerät der Film in Geschwindigkeit, die atemberaubend ansteigt, bis man schließlich den Boden unter den Füßen verliert.
Und am Rande erlaubt sich Chabrol seine eigenen kleinen Scherze, nicht nur innerhalb der Narration, die einen immer wieder im Ungewissen lässt, ob man nicht überinterpretiert und eigentlich gar nichts "passiert" ist, sondern auch jenseits der eigentlichen Geschichte, wenn ein Statist etwa fast minutenlang verharrt und eine uninteressante Szene dadurch wieder spannend wird - oder ein anderer in enen Hundehaufen tritt, und man selbst dies als Kommentar liest.
Selbst die Unerfahrenheit der Hauptdarstellerin wird zum Thema, weil sie im Film eine Schauspielerin darstellt, und somit jede
Performance zweifach gilt. Damit Sentas Geschichte vom Film mit John Malkovich, aus dem ihre gemeinsame Szene herausgeschnitten wurde, "zieht", darf sie auch nicht zu gut sein, die Ambiguität der Figur lebt von der Hilflosigkeit der Darstellerin, ähnlich wie bei der Katze in Rivettes
Histoire de Marie et Julien.
Ein Kollaborateur Chabrols, dessen Arbeit auch zum Gelingen des Films beigetragen hat, ist Kameramann Eduardo Serra (
Confidences trop intimes, Girl with a Pearl Earring), der schon in den ersten Momenten des Films eine Atmosphäre aufbaut, die die spätere Farbdramaturgie um die Farben Blau und Weiß vorwegnimmt. Serra fährt die Vorgärten der Bourgeoisie ab ähnlich wie Robby Müller in den frühen Jarmusch-Filmen, doch nicht nur über die elektronische Einfärbung des hier besonders unschuldigen Himmels wird Weiß als Farbe der späteren Braut zur Projektionsfläche, die Vorspanntitel erscheinen auf Lattenzäunen, die Serra wie Leinwände einsetzt. Von der ersten bis zur letzten Minute ist
La demoiselle d’honneur ein Genuß, den jeder Freund von Hitchcock oder Chabrol zu schätzen wissen wird.
Sergeant Pepper (Sandra Nettelbeck)
[Rezension von Friederike Kapp]
Deutschland 2004, Drehbuch: Sandra Nettelbeck, Kamera: Michael Bertl, Schnitt: Ewa Lind, Jörg Langkau, Szenenbild: Renate Schmaderer, Kostümbild: Bettina Helmi, mit Ulrich Thomsen (Johnny Singer), Johanna Ter Steege (Anna Singer), Neal Lennart Thomas (Felix Singer), Carolyn Prein (Felicia Singer) Barbara Auer (Corinna von Gordenthal), Oliver Broumis (Simon von Gordenthal), August Zirner (Dr. Theobald), Jasmin Tabatabei (Taxifahrerin), Cleo (Sergeant Pepper), Felix Lucas (Stimme von Sergeant Pepper), 98 Min.Rechtzeitig zu Weihnachten erscheint dieser unterhaltsame, gut gemachte Film, der einem in der Tat gestattet, den Kindern während der Feiertage einen Kinobesuch zu spendieren, ohne sich selbst zu langweilen. Zumindest die Anhänger folgender Figuren werden nicht enttäuscht:
Calvin und Hobbes von Bill Watterson,
Pu, der Bär von A. A. Milne,
Rantanplan, der Hund mit den mitunter schicksals-bestimmenden Auftritten aus den
Lucky Luke-Geschichten von Morris und Goscinny. In der Geschichte um einen kleinen Jungen und einen Hund wird ihnen manches bekannt vorkommen: Ein kleiner Junge (Neal Lennart Thomas), dessen bester Freund ein Phantasie-Tiger ist. Felix schlüpft in die Rolle des Tigers, sobald er sein Tigger-Kostüm trägt (praktisch ständig). Ein Hund (Cleo), der ein Vermögen erbt und deshalb um sein Leben fürchten muß.
Johnny, der Vater des Jungen (Ulrich Thomsen) ist Erfinder, ein bißchen verrückt, ein bißchen genial, ein bißchen verschusselt und ein überzeugter Vater. Die Mutter Anna (Johanna Ter Steege), Dirigentin von Beruf, ist diejenige mit dem Sinn fürs Praktische, die sich immer schützend vor ihren vom Alltag überforderten Mann und ihren - nun, sagen wir es uncharmant - verhaltensgestörten Sohn stellt. Die Schwester, Felicia (Carolyn Prein), befindet sich in vorpubertären Verstrickungen und verbringt ihre Freizeit am liebsten außer Haus - Golf, Reiten, was man als Zwölfjährige eben so tut. Die Eltern sind gut für den Bringe- und Abholservice. Viele Eltern werden dieses kleine Sittengemälde goutieren, manche auch, daß Felicias Eltern es noch nicht einmal zum Taxidienst, sondern nur zum Winkdienst gebracht haben - der Vater der Freundin fährt die Kinder im schicken Wagen.
Familie Singer hingegen muß sehen, wie sie über die Runden kommt - die Erfindungen des Vaters schlagen nicht so recht ein, sondern verärgern stattdessen den Vermieter, dessen durch säumige Mietzahlungen bereits strapazierte Geduld das flächendeckende Vorkommen unschmelzbaren Kunstschnees - Johnnys jüngste Erfindung - in Grenzbereiche gelangt.
Die Freundschaft zwischen Felix und Sergeant Pepper beginnt, als der Hund auf der Flucht vor den habgierigen, mörderischen Kindern (Barbara Auer und Oliver Broumis) seines verstorbenen Herrchens in Singers Garten auftaucht. Daß Pepper sprechen kann, vereinfacht die Kommunikation zwischen Kindern und Hund - Erwachsene sind taub für die Hundesprache. Pepper scheint sicher, doch der listreichen gelingt die Entführung. Die Kinder nehmen die Verfolgung auf, es folgt eine Jagd durch verschiedene Stätten des Grauens: eine Industriebaustelle, ein Friedhof, schließlich eine Tierversuchsstation. Es wird spannend und bleibt spannend bis zum Schluß. Werden die fiesen Erbschleicher ihren gerechten Lohn finden? Werden Felix und Pepper vereint? Werden die Singers ein schönes, neues Domizil finden mit einem netten Vermieter? Wird die Prachtvilla, die Sergeant Pepper sein eigen nennt, weiterhin leerstehen? Das alles soll hier nicht verraten werden!
In 80 Tagen um die Welt (Frank Coraci)
Originaltitel: Around the World in 80 Days, Buch: David Titcher, David Benullo, David Goldstein, Lit. Vorlage: Jules Verne, Kamera: Phil Meheux, Schnitt: Tom Lewis, Musik: Trevor Jones, mit Jackie Chan (Passepartout / Lau Xing), Steve Coogan (Phileas Fogg), Cécile de France (Monique La Roche), Jim Broadbent (Lord Kelvin), Ewen Bremner (Inspector Fix), Ian McNeice (Colonel Kitchner), David Ryall (Lord Salisbury), Arnold Schwarzenegger (Prince Hapi), Rob Schneider (New York Hobo), Luke Wilson (Orville Wright), Owen Wilson (Wilbur Wright), Kathy Bates (Queen Victoria), 120 Min.Wie bei jeder internationalen Großproduktion, die teilweise in Berlin gedreht wurde (
Bourne Supremacy, Mission Impossible 3, Beyond the Sea), wurde auch bei
Around the World in 80 Days bereits im Vorfeld mehr Wirbel um den Film gemacht, als ihm gut tun kann. Natürlich kann der Gendarmenmarkt keine Original-
Locations "around the World" ersetzen, aber viel seltsamer ist eigentlich die Besetzung von Jackie Chan in der
Hauptrolle des franzöischen Dieners Passepartout. Nach dieser Vorstellung kann selbst ich mit meinen allenfalls rudimentär vorhandenen Franzöischkenntnissen mit Recht von mir behaupten, daß ich in einem Film einen Franzosen spielen könnte. Da mir das genausowenig jemand abnehmen würde wie Jackie Chan, hat man halt Jules Vernes bekannte Geschichte ein wenig gebogen, um alles noch ein wenig abenteuerlicher, grotesker und Jackie-Chan-tauglicher zu gestalten. Dummerweise ist es mit Herrn Chans Darstellungskünsten trotz seiner wöchentlich geäußerten Aussagen, bald keine Actionfilme mehr zu drehen, um als vollwertiger Schauspieler akzeptiert zu werden, nicht weit her, und auch der zu verhalten auftretende britische Komiker Steve Coogan (
24 Hour Party People, Coffee and Cigarettes), die zu harmlose Jungmimin Cécile de France (César für
L'auberge espagnole) und der hier völlig überdreht chargierende Dauer-
Sidekick Ewen Bremner (
Trainspotting, zuletzt
Alien vs. Predator) können aus diesem Jackie Chan-Vehikel, das wie schon
Shanghai Knights passend zu Weihnachten einige Familien ins Kino locken soll, keine quirlige europäische Abenteuergeschichte machen, wie sie in den 1950er und -60er Jahren immerhin einen gewissen Charme besessen hat (und ich meine jetzt nicht nur die bekannteste Verfilmung des Stoffes von Michael Anderson, sondern die unzähligen Filme um Rennen, Schatzsuchen und Abenteuern, die einen auch über den 13. Geburtstag hinaus verzaubern können).
Einzig der Kurzauftritt von John Cleese könnte vielleicht an die Auftritte von Mimen wie David Niven, Alec Guiness oder Peter O'Toole erinnern, doch in so kurzer Zeit ist auch ihm das nicht möglich, woran insbesondere Arnold Schwarzenegger und Rob Schneider ganz grandios scheitern - nämlich ihren sich abwechselnden Gastauftritten so etwas wie eine den Film zusammenhaltende Kohärenz zu schenken. Alles ist nur CGI-Schein, bunte Lokalitäten wechseln sich ab wie Kalenderblätter, und außer Kindern und Jackie Chan-Fans wird sich wohl niemand wirklich für diesen Film begeistern können.
Dabei hat
Around the World in 80 Days immerhin ein bodenständiges Skript und ein sympathisches Ensemble, doch alles an dem Film ist zu sehr auf ein vorpubertäres Publikum zugeschnitten, statt Stil und Klasse gibt es Hau-Drauf-Humor, den ich für seit Jahrzehnten begraben erachtet hatte - und der für Nostalgiker, die Bud Spencer und Terrence Hill vermissen, sogar sehenswert sein könnte.
Jersey Girl (Kevin Smith)
USA 2004, Buch: Kevin Smith, Kamera: Vilmos Zsigmond, Schnitt: Kevin Smith, Scott Mosier, Musik: James Venable, mit Ben Affleck (Olli Trinke), Raquel Castro (Gertie Trinke), Liv Tyler (Maya), George Carlin (Bart Trinke), Jennifer Lopez (Gertrude Trinke), Stephen Root (Grenie), Mike Starr (Block), Jason Lee (PR-Agent), Will Smith (Himself), Matt Damon (Rainold)Kevin Smiths Zeiten als eindrucksvoller Regisseur scheinen endgültig vorbei.
Dogma war meines Erachtens schon ein Super-GAU,
Jay and Silent Bob strike back habe ich mir gleich erspart, und nun bringt er uns denn zweiten Ben Affleck/Jennifer Lopez-Film nach
Gigli …
Doch immerhin stirbt einer dieser zwei Knallchargen nach etwa einer Viertelstunde, und der Film und der Zuschauer bleiben mit Ben Affleck und seiner kleinen Tochter zurück, die wie ein winziger JLo-Klon aussieht, nur definitiv besser schauspielern kann. Aus dieser Prämisse könnte man einen wirklich gelungenen Film machen, wie uns
Flower & Garnet vorletztes Jahr auf der Berlinale bewiesen hat. Doch in Jersey Girl geht es weniger um tiefempfundene Trauer oder sonstige große Gefühle, sondern einfach um eine Geschichte, wie sie vorhersehbarer kaum sein könnte, ähnlich wie in
Moonlight Mile erkennt man die Trösterin des Witwers schon von weitem und dem neuen Happy End steht nicht mehr viel im Wege.
Bevor es aber soweit ist, spielt Ben Affleck nun zunächst einmal einen schlechten Vater, was er als schlechter Schauspieler immerhin ganz gut kann, auch wenn ihn die kleine Raquel Castro und noch stärker deren säuglingsalte Vorgängerin in jeder einzelnen Szene extrem "alt aussehen" lassen.
Eine der gelungenen Ideen des Films ist Afflecks Tätigkeit als PR-Agent, wobei er die Zugkräftigkeit des "Fresh Prince of Bel Air" einige Wochen vorm Start von Independence Day stark unterschätzt und sich wegen unangebrachten Klienten-Bashing auf viele Jahre hinaus aus dem Job katapultiert, bevor Will Smith dann seinen überfälligen Auftritt im Film hat und Affleck einiges über die Vaterrolle beibringt.
Den Inhalt von
Jersey Girl hat Kritikerkollege Sönke Lars Neuwöhner im Tip 01/2005 perfekt zusammengefasst:
"Yuppie Afflecks Ehefrau stirbt im Kindbett, Yuppie hat Baby am Hals,
Yuppie in der Krise, Yuppie wird Müllmann, Yuppie wird ein guter Papi,
alle lieben Papi, aber der will plötzlich wieder Yuppie werden,
und rate mal, wie es ausgeht."
Noch erwähnen kann man Liv Tyler, die zumindest so schnuckelig ist, wie es ihre Rolle verlangt, George Carlin (der Rufus aus den Bill & Ted-Filmen) als grießgrämiger Großvater, und jede Menge Mainstream-Mucke, angefangen mit der Bruce Springsteen Version des Titelsongs aus der Feder von Tom Waits, doch der ganze Film ist mit Songs von Fleetwood Mac, Stevie Wonder, The Cure, Aimee Mann, Bruce Springsteen (again!), Fiona Apple usw. übertüncht, was aber den Film auch nicht wirklich besser macht. Die zwei besten Gags des Films kann man auch dem Trailer entnehmen, eigentlich also keine Grund für einen Kinobesuch, wenn man nicht gerade Fan von Liv Tyler, Will Smith, Sweeney Todd oder (schudder!) Ben Affleck ist …
Alexander (Oliver Stone)
USA / England / Deutschland 2004, Buch: Oliver Stone, Christopher Kyle, Laeta Kalogridis, Kamera: Rodrigo Prieto, Schnitt: Tom Nordberg, Yann Herve, Alex Marquez, Musik: Vangelis, Kostüme: Jenny Beavan, Ausstattung: Jan Roelfs, mit Colin Farrell (Alexander), Jared Leto (Hephaistion), Angelina Jolie (Olympias), Val Kilmer (Philipp), Anthony Hopkins (Ptolemaios), Rosario Dawson (Roxane), Christopher Plummer (Aristoteles), Erol Sander (Prinz Pharnakes), 176 Min.Nach
Troy und
King Arthur folgt nun schon das dritte große Historienspektakel dieses Jahres, was wir wohl nicht zu geringen Teilen dem Erfolg von Ridley Scotts
Gladiator zu verdanken haben. Wie üblich wurde jede Menge Geld verbraten, und als bekannt wurde, daß
Alexander in den Staaten nach einem respektablen Startwochenende stark einbrach, kamen sofort von allen Seiten die Mediengeier, die ein Opfer wittern, das man zerfleddern kann, eine Misserfolgsgeschichte, wie sie Filme wie
Heaven's Gate oder
Waterland zum Nährboden einer hollywoodkritischen Presse machten.
Doch auch wenn es fraglich erscheint, daß der Werbefeldzug um Alexander das investierte Kapital in absehbarer Zeit wieder einspielen wird, gehöre ich nicht zu jenen, die bei einem bereits ins Straucheln geratenen "Gegner" noch nachtreten. Ganz im Gegenteil, ich muß zunächst einmal konstatieren, daß mir
Alexander definitiv besser gefallen hat als
Troy, auch wenn die Titelbesetzung des in seiner blonden Perücke mitunter etwas deplaziert wirkenden Colin Farrell natürlich nicht mit solchen Schauwerten wie Brad Pitt oder Orlando Bloom mithalten kann. Auch Angelina Jolie als seine Mutter (!) kann mich wie üblich nicht überzeugen, und generell finde ich solche Sandalenfilme mit Überlänge zumeist ermüdend, doch Oliver Stone ist immerhin ein Regisseur, der gleich auf drei wichtigen Teildisziplinen viel Erfahrung mitbringt:
- Für ihn ist ein Drei-Stunden-Film nichts besonderes.
- Er ist Spezialist für my(s)thisch überhöhte Biopics über megalomanics wie Jim Morrison, Ron Kovic, Richard Nixon oder JFK.
- Und er weiß es auch, Kriegsfilme und andere Gemetzel zu inszenieren, spielen sie in Salvador, Vietnam, auf dem Football-Feld oder auch irgendwo jenseits von Makedonien.
Stone ließ sich nicht wie irgendwelche Bruckheimer-Videoclip-Fuzzis vom letzten großen Erfolgsfilm inspirieren (auch wenn ich bei den Elefanten natürlich an
Lord of the Rings denken musste), sondern von den "alten Meistern". So ist die vehemente Rede vor der Schlacht seit Laurence Oliviers Shakespeare-Verfilmung
Henry V ein gern kolportierter
plot point (daß Oliviers Nachfolger Brannagh sich bereits von Stones
Platoon beeinflussen ließ, schließt den Kreis), aber auch der Pfeilregen oder die Kamerafahrt parallel zu den reitenden Streitmächten waren bereits in den 1950er Jahren beeindruckende Momente, die auch in der heutigen Zeit noch funktionieren.
Ein weiteres maßlos überteuertes
spectaculum des vielleicht größten
megalomaniacs der Filmgeschichte, der von Stanley Kubrick übernommene
Spartacus, hat auch erst nach einigen Jahrzehnten einen Kultstatus eingenommen, und vielleicht wird man in dreißig Jahren
Alexander immer noch auf der Kinoleinwand betrachten können, während
Troja höchstens mal alle Jubeljahre auf RTL7 abgespult wird.
Fortuna favet fortibus.
Alexanders Verbindung zu
Spartacus ist die Andeutung homoerotischer Momente zwischen den Kriegsherren. Beschränkte sich dies bei Kubrick vor allem auf die Auftritte Tony Curtis, ist es bei Oliver Stone noch ein wenig eindeutiger, auch wenn den weiblichen Fans von Colin Farrell jederzeit die Möglichkeit gegeben wird, solche eindeutigen Hinweise zu übersehen und darauf zu beharren, daß es sich nur um eine harmlose Männerfreundschaft zwischen Alexander und Hephaistion (Jared Leto) handelt. Mit welcher Beiläufigkeit Stone inszeniert, daß Alexanders Vater Philipp (Val Kilmer) bei seiner zweiten Hochzeit einen Lustknaben mehr oder weniger vergewaltigt, wirft natürlich ein unschönes Bild auf die sexuellen Gepflogenheiten, bei seinem weitaus weniger brutalen Sohn werden ähnliche Neigungen zu einem Bestandteil des rätselhaften Mythos um Alexander verarbeitet. Wenn Anthony Hopkins als Ptolemaios die gesamte Geschichte des Alexander in einer Rahmenhandlung erzählt, ist dies in Alexander nicht nur ein abgehalftertes narratives Mittel, um Zusammenhänge darzustellen, sondern ein gelungener Kunstgriff, um über den Wahrheitsgehalt dieser Erzählung zu reflektieren. Ptolemaios lässt Details weg, die er erst später erklärt oder ändert seine Geschichte auch mal, während sie niedergeschrieben wird. Am interessantesten wird es aber, wenn Ptolemaios auf die Frauen in Alexanders Leben zu sprechen kommt. Da gibt es beispielsweise Roxane (Rosario Dawson), die Alexander selbst als "bloßen Abglanz" seiner Mutter darstellt. Wenn Ptolemaios im Off-Kommentar darüber sinniert, warum Alexander wohl "ein Mädchen ohne politische Bedeutung zur Frau nimmt", zeigt uns der Film Hephaistion, den Alexander öfters mal dazu einlädt, mit ihm die Nacht zu verbringen (wenn es nicht gerade jener gutgebaute androgyne Diener ist, der die letzte Kerze ausmacht). Und selbst nachdem Alexander endlich ein Kind mit Roxane gezeugt hat (wie schon sein Vater ist er im Umgang mit seinem Eheweib nicht eben zimperlich, während er sich den Herren in seiner Umgebung aber immer als vollendeter Gentleman zeigt), geht das Rätselraten um Alexanders sexuelle Orientierung im filmischen Diskurs noch weiter. Ptolemaios erwähnt, daß es die "Phantasie der Welt beflügelt habe, daß sich Alexander zwei weiter Frauen nahm" - und auf der Leinwand sehen wir abermals Alexander am Bette Hephaistions, der gerade im Sterben liegt. Diese eindeutigen Zweideutigkeiten finden sich auch in etwas zweifelhafteren politischen Message des Films, wenn etwa der große Gegner ein bärtiger Turbanträger ist, der sich in der Wüste versteckt oder gar die zweite große Schlacht des Films gegen eine dressierte Elefantenherde im Dschungel durchaus Parallelen zum Vietnamkrieg evoziiert, wenn die Kamera von Rodrigo Pietro (
Amores Perros, 25th Hour) sich mal wieder in surreale Rot- und Orangetöne taucht und man von Ptolemaios hört: "Es war unsere blutigste Schlacht, ein reines Gemetzel, das Ende jeder Vernunft - danach wurden wir nie wieder ganz Menschen."
Oliver Stone erfüllt natürlich auch in Sachen "blutiges Gemetzel" die Erwartungen, die man an den Regisseur von
Platoon und
Natural Born Killers haben könnte, und auch, wenn Alexander verteufelt oft über Achilles und
Troja spricht, gibt es hier Szenen, die sich wohltuend von Wolfgang Petersens Filmchen abheben, etwa jene Bettszene, die man auch schon mit Brad Pitt sah (Zähmung der widerspenstigen Gespielin, die einem am liebsten die Kehle aufschneiden würde), die aber hier nicht mit einer Harmlosigkeit, wie sie aus
Quo Vadis oder einer Karl May-Verfilmung stammen könnte, daherkommt.
Als ich einem Bekannten von meinem Vergleich zwischen
Alexander und
Troy erzählte, meinte jener, daß er auch lieber eine "Schramme am Arm" als eine "Furunkel am Sack" hätte, aber lieber auf beides verzichtet, aber ich finde, zumindest auf
Alexander passt diese Analogie nicht, denn hier hatte immerhin ein Regisseur eine Vision, und jeder, der hin und wieder auch mal den Besuch eines Films von Oliver Stone als positives Erlebnis erfährt, macht mit
Alexander auch keinen Fehler.
Sylvia (Christine Jeffs)
England 2003, Buch: John Brownlow, Kamera: John Toon, Schnitt: Tariq Anwar, Musik: Gabriel Jared, mit Gwyneth Paltrow (Sylvia Plath), Daniel Craig (Ted Hughes), Jared Harris (Al Alvarez), Blythe Danner (Aurelia Plath), Michael Gambon (Professor Thomas), Amira Casar (Assia Wevill), Andrew Havill (David Wevill), Lucy Davenport (Doreen), 100 Min.Bei der wahren Flut von
Biopics, die Anfang des Jahres über die deutschen Kinos zusammenbrechen, fällt
Sylvia allenfalls dadurch auf, daß es sich um eine weibliche Titelheldin und Regisseurin handelt. Trotz Anglistikstudium gehöre ich zu den Ignoranten, die niemals zuvor etwas von Ted Hughes gehört hatten, dem zu Lebzeiten sehr viel bekannteren englischen Dichtergatten der amerikanischen Dichterin Sylvia Plath, die erst durch ihren Selbstmord wirklich bekannt wurde und fortan in die Riege anderer Suizidkünstler von Van Gogh über Hemingway bis Cobain aufgenommen wurde.
Sylvia beginnt mit der Liebesgeschichte zwischen Plath und Hughes, die für meine Verhältnisse etwas emotionslos und schnell "vollzogen" wird. Fortan lebt Frau Plath im Schatten ihres berühmteren (und offensichtlich auch begabteren) Gatten, der außerdem nebenbei die eine oder andere Affäre hat. Soweit alles sehr ähnlich wie vor kurzem in
Frida, nur daß jener Film allein visuell schon vielfach ansprechender war. In
Sylvia gibt es zwar eine nette Montage-Idee, die schon früh die Ausweglosigkeit der Ehe andeutet, aber ansonsten ist alles wie aus dem Lehrbuch. Nachdem es schon mit einer ohne jede Inspiration ins Visuelle übertragenen Metapher eines Baumes beginnt, ist der unaufhaltsame Abstieg der Titelheldin schon durch immer düster werdende Farbpalette des Films mehr als offensichtlich, zu den wenigen Höhepunkten des Films gehören Gedichtrezitationen, angefangen mit jenen Shakespeare-Passagen, die Frau Paltrow bereits in einem anderen Film zum Oscar verholfen haben, über Poe, Yeats bis hin zu einer tatsächlich in Mittelenglisch vorgetragenen Passage aus Chaucers
Canterbury Tales, die sich natürlich wenig überraschend um die Wife of Bath dreht. Noch stärker als Nicole Kidman in
Birth ist Frau Paltrow zu sehr damit beschäftigt, fotogen in die Kamera zu lächeln, durch ihr Schauspiel überträgt sich die Verzweiflung von Frau Plath nur selten, und wenn, dann über Heulorgien und andere Ausbrüche - da habe ich mehr erwartet. Gegen Ende hin wirkt der Film wie eine Parodie seiner selbst, alle Register werden gezogen. Natürlich hat niemand Zeit, wenn man anruft, die Kinder werden auf umständliche Weise gerettet, und schließlich steht ein blutroter Sarg im Schnee - ohne Frage ist dies aber durchweg historisch belegt - bis vielleicht auf die ärgerliche Mythologisierung einer engelsgleichen Toten - "thus with a hiss I die" (frei nach Shakespeare).
Alles auf Zucker! (Dani Levy)
Deutschland 2004, Buch: Dani Levy, Holger Franke, Kamera: Charly F. Koschnick, Schnitt: Elena Bromund, Musik: Niki Reiser, mit Henry Hübchen (Jakob Jaeckie" Zucker), Hannelore Elsner (Marlene), Udo Samel (Samuel), Golda Tencer (Golda), Steffen Groth (Thomas), Anja Franke (Jana), Sebastian Blomberg (Joshua), Elena Uhlig (Lilly), Rolf Hoppe (Rabbi Ginsberg) Inga Busch (Irene), 90 Min.Dani Levy hat in seiner Filmographie als Regisseur schon manche Komödie (angefangen mit
Robbykallepaul) ebenso wie Filme über jüdische Themen (z. B.
Meschugge) vorzuweisen. Was liegt näher, als diese beiden Themenbereiche miteinander zu verquicken?
Auf dem Papier kann eigentlich nichts schief gehen, und die Berichte darüber, daß der ursprünglich fürs Fernsehen konzipierte Film wegen des großen Zuspruchs bei Probevorführungen einen Kinostart bekam, stimmen freundlich. Laut Pressemeldungen soll sich das potentielle Publikum auch nicht dadurch beirren lassen, daß der ursprünglich als "Zucker" angekündigte Film schon in wenigen Monaten im Fernsehen laufen wird, denn im Kino, also in einer großen Gruppe, zünden die Lacher des Films noch viel besser.
Soweit die Theorie, die auch in manchen Fällen mit der Realität übereinstimmen mag. In
meiner Vorführung jedoch wurde nicht allzuviel gelacht, ich persönlich, der ich durchaus zugänglich für den speziell jüdischen Witz bin, empfand den Film als viel zu fernsehmäßig, und zwar nicht im Sinne der schnell geschnittenen RTL-TV-Movies, sondern im Sinne dessen, was ich in den 1970ern und 80ern auch mal witzig fand, worüber ich mich heute aber nur noch wundern kann — Formate wie Nonstop Nonsens" oder Sketchup".
Im Gegensatz zum spritzigen Trailer und dem putzigen Plakat des Films kommt das eigentliche Produkt recht behäbig daher, Scherze zielen auf Langzeitstudenten und Stotterer ab, und selbst Henry Hübchen und Hannelore Elsner können mich hier nur selten zum Schmunzeln bringen. Ein vorgetäuschter Herzanfall am Grab der Mutter, ein Boulevard-Komödien-mäßiges Versteck- und Verwirr-Spiel — man kann sich kaum vorstellen, daß der Regisseur doch einige Jahre jünger als seine zwei Hauptdarsteller ist — wirken tut vieles so unendlich betagt, daß man sich schon über kleine Begleitumstände wie die Lebensverhältnisse der Tochter freuen kann — nur schade, daß zuweniges darauf hindeutet, daß es sich hier um einen Film des 21. Jahrhunderts halten soll, der nicht nur um 21 Uhr am Silvesterabend für die wenigen vor der Glotze feiernden bestimmt ist.
Coming soon in Cinemania 2 (The Horror! The Horror!):Rezensionen zu
Blade Trinity, Creep, Dead Like Me (Pilotfilm zur Fernsehserie), Kontroll, The Legend of Evil Lake, Lemony Snickett - Rätselhafte Ereignisse, Stimmen aus dem Wald