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Februar 2005
Kathi Hetzinger
und Thomas Vorwerk
für satt.org

Cinemania 3
Berlinale für Minderjährige

In unserem ersten Berlinale-Special 2005 stellen wir neben dem allgegenwärtigen Hase Felix Filme vom Kinderfilmfest und der noch recht neuen Reihe 14plus vor - von vielen Kinogängern werden diese Reihen nicht recht für voll genommen, doch qualitativ können sie durchaus mithalten. Sogar der beste Film, den Filmredakteur Vorwerk bisher aus dem Berlinale-Programm gesehen hat, ist hier zu finden: No Man‘s Land.
Und das Detail, daß der Eintritt bei beiden Reihen nur 3 Euro beträgt, ist auch oscarwürdig. Beim Kinderfilmfest stört es auch kaum, daß die fremdsprachigen Filme eingesprochen werden.



Berlinale-Bär

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Cinemania 3:
Berlinale für Minderjährige

Bis auf Hana & Alice alle Rezensionen von Thomas Vorwerk


Die Reihenfolge der Filme spiegelt die (empfohlene) Altersfreigabe, wir beginnen mit den Filmen für die ganz kleinen, weiter unten dann die 14plus-Filme


Cirkeline und die Supermaus (Jannik Hastrup, Kinderfilmfest)

Dt. Titel: Cirkeline - verdens mindste superhelt, Dänemark 2004, Buch: Jannik Hastrup, Kit Goetz, Musik: Søren Siegumfeldt, Hans-Henrik Ley, 80 Min., empfohlen ab 5 Jahren

Die Figur Cirkeline gibt es bereits seit 1967 und sie erinnert aus deutscher Sicht an eine weibliche Version der Mainzelmännchen oder eine vierte Schwester von Ute, Schnute, Kasimir. Ihr sehr kinderverträgliches Erscheinungsbild (und ihr Name) wird dann auch in einer kurzen Einführung erklärt, denn eine Künstlerin, bei der Cirkeline nun lebt, zeichnete mal einen Kreis, aus dem dann wie von selbst jene Figur wurde, die die Künstlerin basierend auf dem dänischen Wort für Kreis dann „Cirkeline“ taufte, die gleich darauf vom Papier hopste wie seinerzeit auch in den Fix und Foxi-Heften meiner Jugend die Gifticks.
Doch im Gegensatz zu den Gifticks, bei denen der Übergang vom zweidimensionellen zum dreidimensionellen Zustand (und umgekehrt) immer eine starke Veränderung war, wirkt Cirkeline in diesem Zeichentrickfilm trotz allem recht zweidimensionell, weil die Animation doch eher limitiert ist und nur geringfügig aufwendiger als bei South Park. Allerdings gelingt es dem erfahrenen dänischen Trickfilmer Jannik Hastrup sehr viel besser, dies zu vertuschen, schon bald taucht man auch als Erwachsener in die Welt der Cirkeline ein.
In Cirkelines drittem Kinoabenteuer nimmt die Künstlerin Cirkeline mit in den Urlaub in der Türkei. Cirkeline will auch ihre Mäusefreunde Ingolf, Fredrik und Viktor in einem Koffer mitschmuggeln, doch dieser wird ausgemustert und die urlaubshungrigen Mäuse müssen sich selbst in die Türkei durchschlagen, was als blinder Passagier auf einem Schiff relative einfach funktioniert, wäre da nicht jene alte Maus, die sich wie ein Pirat und der Hausherr aufführt - und übelriechende Fürze von sich gibt. Und - definitiv noch gefährlicher - eine Katze, die die Mäuse zum Schiff verfolgt hat und nun auf seine Chance wartet.
An Bord finden sie noch einen anderen blinden Mäusepassagier namens Ali, von dem der Zuschauer zu diesem Zeitpunkt bereits erfahren hat, daß es sich um ein Mäusemädchen aus der Türkei handelt, das sich dort ungerecht behandelt fühlte, nun aber dennoch nach Hause will. Auch wenn die ganze Geschichte in positivem Sinne an Käptn Blaubär erinnert (nicht zuletzt wegen des großväterlichen Seemannsgarn) und selbst Vierjährige nicht überfordert, merkt man auch als erwachsener Zuschauer, mit wieviel Liebe dieser Film entstanden ist, wie er gleichzeitig ein fast feministisches pädagogisches Statement herüberbringt, aber auch mit Furzscherzen erheitert.
Wenn Özlem (so heißt Ali als Mädchen) Gespräche mit Gott führt (Allah bleibt außen vor und auch in der Türkei sprechen die Mäuse natürlich Dänisch), dann erinnert das sogar an einen anderen großen dänischen Film, Lars von Triers Breaking the Waves, und kleine Anspielungen wie an Lewis Carroll machen den Film auch für Erwachsene zu einem anregenden Abenteuer.

Felix - Ein Hase auf Weltreise (Guiseppe Maurizio Laganà)

Buch: John Patterson, Gabriele M. Walther, Vorlage: Annette Langen, Constanza Droop, Musik: Danny Chang, Songs: Vicky Leandros, Ralph Kretschmar, mit den Stimmen von Patrick Flecken (Felix), Lilian Brock (Sophie), Rick Kavanian (Poltergeist / Nessie), Uschi Glas (Eule), Jochen Nickel (Yeti / Butler), Michael Schernthaner (Vater), Susanne von Mevdey (Mutter), Tim Schwarzmeier (Julius), Lara Wurmer (Lena), Sonja Kirchberger (Fledermaus), Ralph Kretschmar (Kakerlaken), Hugo Egon Balder (Männlicher Dodo), Janine Kunze (Weiblicher Dodo), 80 Min., Kinostart: 3. Februar 2005

Der Fluch (oder die Gnade?) der frühen Geburt: Von den Kinderbüchern um den Hasen Felix hatte ich zuvor nie gehört, einzig auf einer Trinkflasche meiner damals noch sehr kleinen Nichte sah ich mal diesen Nager, hielt ihn aber für einen Merchandise-Kollegen der unerträglichen Diddl-Maus.
Doch ähnlich wie bei Winnie Pooh oder Hobbes handelt es sich bei Felix um ein Plüschtier mit vermeintlichem Eigenleben. Beim Campingurlaub stört die Familie, zu der auch Felix‘ Besitzerin, die achtjährige Sophie gehört, einen Elfenring, was den Zorn eines Riesentrolls auf sie zieht. Doch Felix rettet die Situation, verliert dabei aber den Anschluß zur Familie, wodurch wir im Nachhinein aus Briefen an Sophie von den Abenteuern von Felix erfahren. Die Hintertür, daß die Abenteuer des Hasen nur der Phantasie von Sophie entspringen, ist nicht so auffallend wie bei den oben genannten Kollegen, ist aber trotz einiger beabsichtigter Unstimmigkeiten durchaus gegeben. Was die durchaus possierlichen Abenteuer um sagenumworbene Wesen wie den „Yeti“, „Nessie“, ein U-Boot auf dem Weg nach Atlantis und einige seltsame junge „Vampire“ jedoch schmälert, ist die Dramaturgie des Films, die selbst bei Siebenjährigen den Eindruck hinterlässt, es handele sich um mehrere hintereinandergeschnittene Episoden einer Serie. Auffällig ist dabei, daß ausgerechnet jene Figuren, die das Ganze narrativ zusammenflicken sollten, am wenigsten überzeugen. Ein seltsamer „Poltergeist“ mit allerlei Zauberschnickschnack, drei HipHop-Kakerlaken und eine nicht minder nervige Eule tauchen immer wieder auf, wenn ein Abenteuer bestanden wurde, bringen die Handlung aber ansonsten nicht voran. Dadurch wirken die kindertauglichen 80 Minuten mitunter um einiges länger, und auch die prominenten Sprecher wie Rick Kavanian oder Hugo Egon Balder können die älteren Zuschauer nicht unbedingt bei der Stange halten. Meinen beiden Nichten hat es aber gefallen.

Unsere merkwürdigen Ferien (Li Hong)

Originaltitel: Zhe Ge Jia Qi Te Bie Chang, China 2004, Buch: Wang Yan, Lit. Vorlage: Yan Xuzhi, Kamera: Qian Daming, Schnitt: Yang Xangyuan, Musik: Li Fang, mit Li Chang (Panxing), Zhang Haocheng (Huoda), Shen Kai (Jinbao), Shao Yunyun (Youyou), Chang Xueren (Großvater Guo), 86 Min., empfohlen ab 7 Jahren

In China feiert man dieses Jahr „100 Jahre Kino“, und bei der Einführung der drei kleinen Hauptfiguren in diesem Film ist es mal wieder offensichtlich, daß man in anderen Ländern auch anders Filme dreht. Die drei Schulfreunde Panxing, Huoda und Jinbao kommen auf ihren Fahrrädern in den Film geradelt, bevor sie uns sozusagen vorgestellt werden, jeweils mit einer Einzeleinstellung, bei der die jungen Darsteller direkt in die Kamera grinsen. Ähnliches habe ich zuletzt in Stummfilmen gesehen, aber es hat einen gewissen Charme, das Medium und die kleinen Zuschauer so zu behandeln.
Verglichen mit diesem doch sehr direkten approach wirkt die nachfolgende Geschichte etwas sehr konstruiert, denn unsere drei Jungs (einer davon sowohl Brillenträger als auch übergewichtig) tollen herum und stören einen alten Herrn beim Angeln, bis dieser ausrastet und sie verfolgt. Erstaunlich viel Kondition hat der Klappergreis, aber schließlich gibt er auf, hat er doch kein Fahrrad. Unsere jungen Deliquenten indes müssen nochmal zurück zum tatort, weil einer seinen Fahrradhelm vergessen hat, und nach einer westernmäßigen Anschleichaktion stoßen alle vier Protagonisten mit den Köpfen zusammen, wobei der alte Herr bewußtlos zurückbleibt.
Panxing, Huoda und Jinbao begehen sozusagen „Fahrerflucht“ und das schlechte Gewissen nagt sehr an ihnen. Als sich dann herausstellt, daß der Alte zwar überlebt hat, aber sein Gedächtnis (und mehr) verlor, weshalb seine Enkelin, die den Jungs schon vorher aufgefallen ist, nicht mehr zu den Musikstunden gehen kann (Ohne PIN ist das Bankkonto unerreichbar, der Opa spielt lieber mit Verpackungsfolie).
Die Jungs sind hin- und hergerissen zwischen ihrem Wunsch, dem Mädchen zu helfen und der Furcht, daß der sich wieder erinnernde Alte sie erkennen wird …
Für Erwachsene zieht sich der Film etwas, insbesondere, weil man eine recht konkrete Vorstellung hat, wie sich wohl alles auflösen wird. Doch bei diesem Film ist es offensichtlich, daß er für Kinder gemacht wird - In der Pressevorführung waren zwar keine dabei, aber ich hörte im Geiste schon die Kinderstimmen, die „oh, wie süß“ riefen, als einige Küken ins Spiel kommen. Die message der Ehrlichkeit contra einem schlechten Gewissen, das einen jederzeit kompromittieren kann, ist natürlich auch auf ein kindliches Publikum zugeschnitten - und ich muß sagen: Dies ist ein Film, den ich gerne mit meinen Nichten schauen würde, die auch öfter lügen, als es gut für sie ist …


Die folgenden drei Filme stammen aus dem Kurzfilmprogramm 4 des Kinderfilmfest
(insgesamt 6 Filme, empfohlen ab 11 Jahren)

No Man‘s Land (Clara Glynn, Kinderfilmfest)

UK 2003, Buch: Clara Glynn, Kamera: Mike Eley, Schnitt: Colin Monie, Musik: Sally Beamish, mit Euan Mackay (Rory), Liam Brannan (Peter), Louise Ludgate (Margaret), Julie Austin (Naomi), 10 Min.

Zu militärisch anmutenden Trommelrhythmen stapfen Stiefel durch lehmigen Matsch, vorbei an Stacheldrahtresten. No Man‘s Land evoziiert die Schlachtfelder des ersten Weltkriegs, ehe sich herausstellt, daß die Füße dem kleinen Rory gehören, der das Feld durchquert, das zwischen den Wohnorten seiner getrennt lebenden Eltern liegt.
Während Rory mit seinen Spielzeugsoldaten spielt, spielt sich zwischen seinen Eltern ein anderer Krieg ab, ein Krieg, bei dem das Telefon eine der Waffen ist - und Worte die verhängnisvolle Munition. Während Vater Peter einfordert, daß auch er seinen Sohn an den Feiertagen mal sehen darf, wird es schon mal etwas lauter, und spätestens wenn er versichert „Natürlich ist er nicht im Zimmer“, ist dem Zuschauer klar, daß auch in diesem Krieg alles erlaubt ist.
Als dann auch noch Naomi, Peters neue Freundin, über Weihnachten kommt, gibt die Exgattin Margaret zu bedenken, daß dies dem Jungen Leid antun könnte - und dem Zuschauer ist augenblicklich klar, wer hier wirklich leidet.
Am Weihnachtstage verabschiedet sich Rory von seiner Mutter und nimmt einen Fußball mit. Sein Vater erwartet ihn bereits und gemeinsam rangeln sie ein wenig über das stoppelige Feld, bis sie in Sichtweite der Mutter kommen. Und siehe da - zu Weihnachten gibt es noch Wunder - sie schließt sich den beiden Bolzern an.
Das Erstaunliche an No Man‘s Land ist, daß der Film selbst nach solch einem tearjerker-Moment jenseits aller Wahrscheinlichkeit noch die Kurve kriegt. So, wie der Darsteller des Rory es mit einigen erwachsenen Schauspielern aufnehmen könnte, verzaubert und verzückt No Man‘s Land in seinen zehn Minuten weitaus mehr als 95% der abendfüllenden Spielfilme.

Der Schatten in Sara (Karla Nielsen, Kinderfilmfest)

Originaltitel: Skyggen i Sara, Dänemark 2004, Buch: Karla Nielsen, Schnitt: Morten Egholm, Musik: Ronen Thalmay, 8 Min.

Die Zeichnungen in Skyggen i Sara könnten von Pete Sickman-Garner stammen, sie sind nur eine Spur freundlicher. Dieser Eindruck entsteht auch dadurch, daß neben der herkömmlichen Animation kleine Elemente, wie zum Beispiel im Wind wehendes Gras, mit dem Computer erschaffen wurden, während Realelemente wie die Wolken, die sich am Himmel zusammenziehen verfremdete Realaufnahmen sind. Das hört sich jetzt zunächst ein wenig nach Wuthering Heights an, aber durch die strenge Farbdramaturgie, die fast ausschließlich aus freundlichem Gelb und sommerlichem Blau besteht, wirken selbst die deprimierenden Momente dieses Films zumindest noch ansehnlich.
Sara hat sich vorgenommen, zum Geburtstag ihrer Mutter mal nicht mit dieser zu streiten und stattdessen hat sie ein schönes Bild von einem fliegenden Pferd gemalt. Ihr kleiner Bruder verhöhnt ihr Zeichentalent bereits auf dem Nachhauseweg und kritisiert, das Kühe nicht blau sind. Und das, obwohl man leicht erkennen kann, daß es sich um ein Pferd handelt. In ihren Tagträumen schießt Saras Pferd durch die Lüfte und rettet sie nach einem Sturz von einer Klippe. Doch auch in der Realität scheint das Pferd magische Kräfte zu haben.
Zuhause angekommen, sorgt zunächst der rote Pulli, den die Mutter von der Großmutter geschenkt bekommen hat, für eine zusätzliche Farbe. Die Mutter schenkt Saras Bild nicht die angemessene Aufmerksamkeit, und so läuft es doch wieder auf Saras Trotzigkeit hinaus, der Geburtstagskuchen und ein Glas Orangensaft landen auf dem Fußboden. Doch dann rauft sich die Familie doch noch zusammen, und das Blau, das zuvor für den Himmel und die Freiheit stand, symbolisiert nun die familiäre Geborgenheit.
Eine Abschlußarbeit, die zwar auf ein kindliches Publikum zugeschnitten ist, sich aber dennoch nicht in Süßlichkeit verliert und neben der atemberaubenden Animation durch eine in flinken Strichen skizzierte Geschichte überzeugt.

Die kleinen Dinge (Reina Webster, Kinderfilmfest)

Originaltitel: The Little Things, Neuseeland 2004, Buch: Reina Webster, Kamera: Rhys Duncan, Schnitt: Owen Ferrier Kerr, Musik: Mark Michel, Chris Chetland, mit Norissa Tala (George), Romain Waerea (Tama), Mia Mitchell (Mo), 12 Min.

Wenn niemand zu registrieren scheint, daß man gerade seinen 14. Geburtstag feiert, kann man sich nur an den kleinen Dingen erfreuen. Damit ist weniger die gräßlich plärrende Geburtstagskarte oder die Mini-Torte gemeint, die die etwas älter als 14 aussehende George von ihrem offenbar getrennt lebenden Vater bekommt, sondern jene zum Geburtstag geklaute CD, der Versuch einer Gratis-Kinovorstellung oder die gegen den Security-Heini oder den Feuermelder abgebaute Aggression. Der etwas kleinere Junge aus der Nachbarschaft, den sie sonst kaum beachtet, wird mit nach Hause eingeladen, gemeinsam isst man den Geburtstagskuchen und trinkt etwas Cola mit nicht besonders kindersicher aufbewahrtem Whisky. Als der kleine Knabe von dem Geburtstag erfährt, sozusagen als Ständchen einen Tanz aufführt und dann tatsächlich auch ein Geschenk organisiert, ist man schnell gerührt, der etwas zu maßgeschneiderte Song, der dann allerdings im Radio läuft (“when you were just a little girl making it though hard times“), schmälert den Gesamteindruck des Films etwas.

Die Brieffreundin (Shmuel Peleg Haimovitch, Kinderfilmfest)

Originaltitel: Sipur Kaits, Int. Titel: Summer Story, Israel 2004, Buch: Shmuel Peleg Haimovitch, Kamera: Shay Goldman, Schnitt: Gila Cohen, Musik: Yonatan Bar-Giora, mit Kosta Kaplan (Gal), Aya Koren (Haya), Tiki Dayan (Aliza), Albert Iluz (Dadon), Moshe Folkenflik (Ovadia), Itamar Cohen (Boaz), Eden Katz (Ronit), 74 Min., empfohlen ab 11 Jahren

Vorführungen:
13. 2., 16 Uhr, Zoo-Palast 1,
14. 2., 14 Uhr, CinemaxX 4,
15. 2., 16 Uhr, Filmtheater am Friedrichshain,
18. 2., 16 Uhr, Zoo-Palast 1

Der frühpubertäre Gal (“in acht Jahren bin ich wehrtauglich“) arbeitet in der Siedlung als Briefträger. Es ist 1982, sein vater ist im Krieg gegen den Libanon. Als einige Fremde in einem Auto längere Zeit vergeblich nach einem gewissen Ovadia Guerta suchen, den keiner im Dorf zu kennen scheint, ist Gal ihnen behilflich und führt sie zu ihm, er konnte ja nicht wissen, daß es sich um Feldjäger handelt, die es unterbinden, daß Ovadia für seine kleine Familie arbeitet. Hiermit macht sich Gal nicht unbedingt beliebt.
Einige häufige Empfängerin von Briefen, die Gal aber noch nie gesehen hat, ist Haya, ein volljähriges Mädchen, das über Korrespondenz mit Frontsoldaten den Mann fürs Leben sucht. Wegen ihrem schwachen Herzen verlässt sie fast nie ihre Wohnung, und als Gal sie zum ersten Mal sieht, verliebt er sich in sie, ist sie doch soviel interessanter als seine gleichaltrige „Freundin“ Ronit. (Gal kennt sich aus mit weiblichen Vorzügen, schickt er doch auch seinem Vater an die Front ein Poster von „Pamela Ewing“, ungeachtet der Einwände der Mutter …)
Gal verbringt Zeit mit Haya und lernt sie kennen, wobei einige Vorgänge in ihrem Haus einer Liebesbeziehung schon gefährlich nahekommen. Eigentlich wartet sie aber auf Moshe Mandelbaum, den sensibelsten unter ihren Brieffreunden, auch wenn er ihr immer noch nicht sein Foto geschickt hat, was Gal so interpretiert, daß der gute Moshe halt hässlich wie die Nacht sein muß. Eines Tages kommt dann der neue Brief von Moshe - und Gal öffnet ihn, stellt fest, daß er einen ernstehaften Konkurrenten hat und zerreißt das Bild. Doch diese Tat bereut er sehr schnell und er muß einiges tun, um diesen Fehler wiedergutzumachen.
Im „Tip“-Magazin zur Berlinale wird Sipur Kaits als Filmbeispiel einer schrecklichen Kindheit zusammen mit Fourteen Sucks etc. vorgeführt, die kurze Zusammenfassung des Inhalts unterschlägt aber völlig die poetischen Qualitäten des Film und die optimistische Grundhaltung. Wenn Gal seiner kleinen Schwester das Märchen von der „Blume mit dem goldenen Herzen“ vorliest und kurz darauf Hayas vernachlässigten Garten mit bei Ovadia gekauften Blumen ausstaffiert, wenn wir das Geheimnis von Hayas Namen erfahren oder Gal schließlich einen neuen Versuch mit Rodit startet, so hat dies nichts von einer traumatischen Kindheit, sondern zeugt nur von der Flexibilität und Energie der Jugend. Und selbst wenn einige der plot twists in diesem Film insbesondere für Kinder sehr traurig erscheinen müssen, so ist Sipur Kaits doch unter den „erwachseneren“ Filmen aus Kinderfilmfest und 14plus einer der schönsten.

Falling Beauty (Lena Hanno Clyne, 14plus)

Originaltitel: Falla vackert, Schweden 2004, Buch: Lena Hanno Clyne, Kamera: Peter Palm, Schnitt: Bernhard Winkler, mit Leyla Belle Drake (Ninni), Simon Mezher (Ramon), Malena Engström (Helena), Jacob Nordenson (Jörgen), Charlie Gustafsson (Isak), Penny Elvira Loftéen (Molly), Åsa Johannisson (Louise), Anders Ekborg, Lia Boysen, 96 Min.

Vorführungen:
15. 2., 14 Uhr 30, Zoo-Palast 4,
19. 2., 11 Uhr, Zoo-Palast 4,
20. 2., 14 Uhr 30, Zoo-Palast 4

Die 16jährige Ninni (Leyla Belle Drake) lebt mit ihren Eltern und den jüngeren Geschwistern Isak und Molly auf einem Landhaus, dessen Raten angesichts der momentanen Flaute des als TV-Schauspieler arbeitenden Vater Jörgen eigentlich viel zu teuer ist, worunter natürlich auch die Ehe leidet. Kurz vor der Mittsommernachtswende taucht der charasmatische kolumbianische Flüchtling Ramon (Simon Mezher) auf, der dann auch zu dem großaufgemachten Fest eingeladen wird. Ninnis Mutter Helena, die schon etwas zu tief ins Aquavitglas geschaut hat, flirtet recht auffällig mit dem jungen Mann, am nächsten Tag ist es Mal wieder an Ninni, mit ihrer Mutter ein ernstes Wort zu sprechen, denn die Mutter-Tochter Rollen sind zwischen dem introvertierten, ernsten Mädchen und der etwas zu impulsiven Erziehungsberechtigten mitunter vertauscht.
Während der nahe dem Grundstück in einer Hütte lebende Ramon immer mehr Freizeit mit Ninnis Eltern verbringt, was zu marihuanageschwängerten Strippoker-Abenden führt und (u. a.) das Sexualleben der Eltern auffrischt, ist Ninni der Ansicht, daß Ramon der „falsche Umgang“ für ihre Eltern ist. Ihr gegenüber ist er auch frech bis aufdringlich und ungeachtet einer gewissen Faszination, die der Südländer auf sie ausübt, ist Ninni generell nicht darauf aus, sich zu verlieben - und schon gar nicht in diesen Taugenichts, der ihren Eltern jetzt auch noch den Floh ins Ohr setzt, eine Bank zu überfallen, um die Geldprobleme zu beseitigen.
Ebenso wie der Vater Jörgen will auch die Mutter Helena, daß es den Kindern „mal besser geht“ - Helena selbst hatte durch eine frühe Schwangerschaft einen schweren und plötzlichen Übergang ins Erwachsenenleben. Doch Bankraub ist natürlich nicht die richtige Methode, einer Familie ein sicheres Heim zu bieten, und so droht sich die sommerliche Komödie, bei der natürlich auch das „erste Mal“ wieder eine Rolle spielt, in ein Sozialdrama zu entwickeln, als der zweite Bankraub nicht ganz nach Plan funktioniert. Wie soll man seine Eltern davon abbringen, kriminell zu werden? Mit einem Anruf bei der Kinderseelsorge oder gleich bei der Polizei?
Falla vackert ist einer von drei schwedischen Filmen in der Reihe 14plus, was schon alleine etwas darüber aussagt, wie man sich dort dem jungen Publikum annimmt. Humor und Realismus, eine mitunter innovative Narration mit einer ausgeklügelten Rahmenhandlung, einer Reihe von freeze frames als Kernstück der Narration - und vor allem vollends überzeugende Darsteller. Hauptdarstellerin Leyla Belle Drake wurde nicht zu Unrecht mit der jungen Juliette Lewis (Cape Fear, Husbands and Wives) verglichen und beim Darsteller des Ramon ist besonders verblüffend, daß es sich eigentlich um einen Dänen handeln, der allenfalls ein wenig libanesisches Blut in sich hat - den feurigen Südamerikaner nimmt man ihm jederzeit ab - und er sieht auch fast so gut aus wie Gael García Bernal.

Hana & Alice (Shunji Iwai, 14plus)

Japan 2004, Buch, Schnitt, Musik: Shunji Iwai, Kamera: Noboru Shinoda, Shinichi Tsunoda, mit Anne Suzuki (Hana), Yu Aoi (Alice), Tomohiro Kaku (Miyamoto), Shoko Aida (Alices Mutter), 135 Min.

[Rezension von Kathi Hetzinger]

Vorführungen:
14. 2., 14 Uhr 30, Zoo-Palast 4,
15. 2., 11 Uhr, Zoo-Palast 4,
17. 2., 17 Uhr, Zoo-Palast 4

Hana (jap. für Blume“) und Alice sind beste Freundinnen. Sie sind 15 Jahre alt und gerade dabei, das Leben, bzw. die Jungs zu entdecken. Während Alice jedoch mehr mit ihrem leicht chaotischen Familienleben, ihren Ballettstunden und den Anfängen ihrer Modelkarriere beschäftigt ist, lässt sich Hana ganz auf ein Abenteuer ein: sie beginnt, ihrem Schwarm, einem bücherversessenen, stillen Jungen aus der U-Bahn, heimlich zu folgen, sie fotografiert ihn sogar. Eines Tages ergibt sich jedoch die Gelegenheit ihn tatsächlich kennen zu lernen; fatalerweise nutzt Hana sie jedoch, um sich mit einer kleinen Lüge den Erfolg zu garantieren. Die kleine Lüge wird natürlich immer größer, bis schließlich auch Alice in die Geschichte hineingezogen wird.
Der Name des jungen Mannes, der sich plötzlich zwischen den beiden Mädchen wieder findet, ohne recht zu wissen, wie er dorthin gelangte, ist Miyamoto Musashi: möglicherweise eine Anspielung auf einen mythischen japanischen Schwertkämpfer, der seine schwächenden Emotionen überwinden muss, um im Kampf zu gewinnen? Im Gegensatz zu seinem literarischen Vorbild, ist Miyamoto, dessen Name im Film übrigens von den Mädchen mehrmals abgewandelt wird, kein rechter Held; obwohl auch Miyamoto am Ende eine Entscheidung treffen muss, ist er zumeist ein passives Opfer“, das einem manchmal schon etwas leid tun kann. Er ist nicht nur das Objekt der Begierde, die Mädchen scheinen ihn auch lenken zu können, wie es ihnen gerade passt. Und anstatt ein schlechtes Gewissen zu haben, fassen die beiden das ganze zunächst einmal als großes Abenteuer auf. Womit sie am Ende sogar recht behalten.
In lichtdurchfluteten Bildern führt uns Shunji Iwai (der 2002 mit dem Erfolgsfilm All about Lily Chou-Chou auf der Berlinale vertreten war) das Abenteuer des Erwachsenwerdens vor. Der Regisseur, Drehbuchautor und Produzent war bei diesem Film auch noch für den Schnitt verantwortlich, und auch die sanfte Klaviermusik, die den ganzen Film über nur leicht variiert und die heitere, gelassene Atmosphäre der Bilder unterstützt, stammt aus der Feder des Regisseurs. Man merkt dem Film an, dass viel Herzblut seines Schöpfers hinein geflossen sein muss; der Film ist nicht nur in allen Aspekten, z.B. der Ausstattung oder den Nebenfiguren, sehr liebevoll gemacht, er steckt vor allem auch voller spitzbübischem Humor, der sich bis in Details wie die Handyklingeltöne der Mädchen fortsetzt. Es fällt schwer sich eine passendere literarische Anspielung zu denken als auf Lewis Carrolls Alice im Wunderland: der Film macht verständlich, dass einem Heranwachsenden die Welt der Erwachsenen tatsächlich oft wie ein Wunderland vorkommen kann. In dem sich Hana und Alice natürlich trotzdem meist prima zurechtfinden. Die gelungene Kombination aus Ernsthaftigkeit und Schwerelosigkeit und vor allem die Darbietung der zwei Hauptdarstellerinnen trägt Hana und Alice locker über seine 135 Minuten Länge hinweg.

Film (14plus): Fourteen sucks
(Filippa Freijd, Martin Jern, Henrik Norrthon, Emil Larsson)

Originaltitel: Fjorton suger, Schweden 2004, Buch: Martin Jern, Kamera: Åsa Kostenniemi und die vier Regisseure, Schnitt, Musik: ebenfalls die vier Regisseure, mit Elin Ahlberg (Emma), Jesper Fridh (Markus), Andreas Karoliussen (Aron), Björn Månsson (Patrik), Jörgen Düberg (Vater), Katrin Jeppson (Mutter), Emily Nilsson (Lina), Thomas Hesslow (Per), Simon Lindell (Andy), 81 Min.

Vorführungen:
13. 2., 14 Uhr 30, Zoo-Palast 4,
14. 2., 11 Uhr, Zoo-Palast 4,
16. 2., 18 Uhr 30, Zoo-Palast 4

Emma (Elin Ahlberg) ist 16. Beziehungsweise sie wird 16. Am 24. Oktober nächsten Jahres. Grund genug, auch mal zu den Partys zu gehen, die im Umfeld ihres älteren Bruders Markus stattfinden, selbst wenn er selbst selten dort zu sehen ist. Emma hat eigentlich keine Probleme, sie hat die reichsten Eltern der Stadt und wegen ihres Aussehens wird sie hin und wieder als „Supermodel“ beschimpft. Auf jener Party am Anfang des Films trinkt sie etwas zu viel, und ehe man sich versieht, beginnt Fjorton suger so, wie Larry Clarks Kids endete: Emma wird im Beinahe-Komazustand vom Freund ihres Bruders vergewaltigt.
Der Film lässt es zunächst ein wenig offen, ob Emma überhaupt weiß, was mit ihr geschehen ist, doch an ihrem psychologischen Zustand kann man schnell ablesen, daß sie weiß, was mit ihr geschehen ist und wer der Täter war. Was ihr Leben nicht unbedingt angenehmer macht, wenn der Übeltäter häufiger im Nebenzimmer bei ihrem Bruder ausgedehnte Videospiel-Sitzungen durchführt und sich bei den üblichen pubertären Truth or Dare-Spielen sogar zu dem Statement durchringt, er habe „noch nie jemanden anal vergewaltigt“. Einzig dem Zuschauer wird hierbei klar, daß dies wie ein Schuldeingeständnis wirkt, was diesen Arsch aber auch nicht sympathischer macht.
Letztes Jahr war der thailändische Forumsbeitrag Fan Chan / My Girl der Beweis, daß selbst Regiekollektive im 21. Jahrhundert funktionieren können, und Fjorton suger zeigt, daß das semiauthentische / dokumentarische Flair von Kids wohl auch durch die jungen Regisseure, die sich durch eine mögliche Vierteilung auf die jungen Darsteller einlassen konnten, auch hier erreicht werden konnte. Doch ungeachtet des Titels und des unerfreulichen Themas ist Fjorton suger weitaus optimistischer im Grundton, denn der Film begleitet Emma vor allem durch den langwierigen Prozeß, wieder Freude am Leben zu finden, und mit dem Skater Aron besteht sogar Hoffnung auf ein „normales“ Sexualleben nach diesem Vorfall. Vor allem wird aber das spießige Elternhaus beschrieben und die schwierige Beziehung zum Bruder, der schließlich davon erfährt und eine völlig neue Seite zeigt.
Nicht unbedingt ein Feelgood-Movie und teilweise überzeugt auch die Kamerarbeit nicht völlig (sprunghafte Zooms als missglücktes Stilelement), aber Fjorton suger festigt mich in meiner Vorliebe für den skandinavischen Film, nicht nur, aber auch im Kinder- und Jugend-Bereich. Und Elin Ahlberg als Emma überzeugt ebensosehr wie Oksana Akinshina in Lilja 4-ever oder seinerzeit Chloe Sevigny in Kids.


Coming soon in Cinemania 4 (Klickeradoms):
Rezensionen zu sechs Comic-Verfilmungen, darunter unverwendetes aus unserem Archiv, aber auch die zwei neuesten Vertreter dieses boomenden Genres:
Batman and Robin, The X-Men, X-Men 2, Daredevil, Elektra, Constantine