Veer-Zaara und
Main Hoon Na waren 2004 in Indien die beiden erfolgreichsten Filme, und
rapid eye movies, der Kölner Kleinverleih mit einer Vorliebe für asiatische Filme, bringt nun beide Filme auch in Deutschland heraus, eine Weiterführung der Bollywood-Erfolgsgeschichte der Kölner mit
Kabhi Kushi Kabhie Gham (Sometimes Happy Sometimes Sad) und
Kal Ho Naa Ho (Indian Love Story).
Wie schon in diesen beiden Filmen spielt auch in
Veer-Zaara und
Main Hoon Na Shah Rukh Khan, der Superstar des aktuellen Bollywood-Kinos, die Hauptrolle. Doch damit sind noch längst nicht alle Gemeinsamkeiten der beiden Filme zusammengefasst, denn Khan spielt ferner in beiden Filmen einen Angehörigen der indischen Armee, es geht beide Mal um die indisch-pakistanische Völkerverständigung, und in beiden Fällen spielt auch das Verstreuen der Asche eines verstorbenen Familienmitglieds eine nicht unbedeutende Rolle.
Doch abgesehen davon ist die Machart der zwei Filme sehr unterschiedlich.
Veer-Zaara, von der indischen Regie-Ikone Yosh Chopra, und in meinen Augen der überzeugendere der zwei Filme, beginnt seine Geschichte mit einer ausschweifenden Rahmenhandlung. Nach einem farbenfrohen ersten Song mit einer geheimnisvollen Frau erwacht der ehemalige Squadron Leader Veer Pratab Singh (Khan) in dem pakistanischen Gefängnis, in dem er seit 22 Jahren einsitzt und in dem er in fast genauso langer Zeit kein Wort von sich gegeben hat. Doch heute kommt Besuch von der jungen Anwältin Saamiya (Rani Mukerji) und er bricht sein Schweigen, um ihr und damit dem Zuschauer seine Geschichte zu erzählen:
In (relativ) jungen Jahren war Veer bei der indischen Luftwaffe beschäftigt und wurde mit seinem Hubschrauber oft für Rettungsflüge eingesetzt. Bei einem dieser Rettungsflüge lernt er eine ihm zunächst sehr querköpfig erscheinende pakistanische Frau namens Zaara (Preity Zinta aus
Kal Ho Naa Ho) kennen, die sich selbst in Lebensgefahr weigert, ein Bündel mit irgendwelchen Habseligkeiten zurückzulassen, ein klarer Verstoß gegen die „Rettungsstatuten“. Doch etwas später erfährt Veer, daß Zaara erstmals allein in Indien die Asche ihrer geliebten Ersatzmutter nach einem Sikh-Ritual verstreuen will und sie nach ihrem Busunglück mit dieser Aufgabe klar überfordert ist. Veer trägt ihr Geleitschutz an, und gemeinsam ziehen sie durch das schöne Indien, wobei Veer Gefühle für Zaara entwickelt. Er stellt sie sogar seinen Pflegeeltern vor, die eine kleine Gemeinde gegründet haben und gerade bei den Vorbereitungen zu einem großen Dorffest sind, bei dem Zaara dann natürlich auch teilnimmt. Nach diesem wunderschönen Tag bringt Veer sie wieder zur indisch-pakistanischen Grenze, wo sie bereits von ihrem Verlobten (surprise!) erwartet wird.
Die für Bollywood-Filme übliche Pause in der Mitte wird dann sehr geschickt eingebuat, weil während dieser Erzählung natürlich auch der Tag im Gefängnis vergangen ist, und die Anwältin am nächsten Tag wiederkommen will. Bisher haben wir größtenteils die Geschichte von Veers Liebe gehört, wie genau Zaara dazu steht, wurde noch offengelassen. Allzuviel von der zweiten Hälfte will ich noch nicht ausplaudern, Veer ist es aber als Mitglied der indischen Luftwaffe nicht gestattet, Pakistan zu betreten, und ob seine Liebe oder dieses Verbot stärker ist, dürfte wohl keine Frage sein.
Shah Rukh Khan kann in seinem gealterten Zustand im Knast ausnahmsweise mal sein schauspielerisches Potential voll ausloten, und die Vermengung der zwei Geschichten lässt natürlich Raum für viele mögliche Auflösungen, wobei ich den Zuschauer beruhigen kann, daß sich die Anwältin nicht als die gemeinsame Tochter von Veer und Zaara erweist (was mein Tip während des Films war). Über die aufstrebende Anwältin wird sogar ein feministisches Element in den Film eingebracht, denn in Pakistan sind weibliche Anwälte eindeutig Sonderfälle, und der als hoffnungslos eingestufte Fall des Gefangenen 786 (Allahs heilige Zahl) ist eigentlich nur ein verstecktes Manöver, die Unfähigkeit weiblicher Juristen zu propagieren. Doch ich würde sicher nicht zuviel verraten, wenn ich den Ausgang des Gerichtsfilms-im-Film preisgeben würde.
Bei dem Drehbuch, das Yash Chopras Sohn Aditya verfasst hat, ist man über weite Teile des Films positiv überrascht, wie geschickt potentiell politische Themen eher marginalisiert werden und sich dem Unterhaltungscharakter des Films beugen. Doch spätestens, wenn das große Geheimnis gelüftet wird, warum Veer ausgerechnet für eine junge, ihm unbekannte Anwältin sein Schweigen bricht, könnte der aufgeweckte Zuschauer eine der Hauptprämissen des Films in Frage stellen. Mit viel gutem Willen kann man zwar das Vorgehen der Anwältin im Kontext der Geschichte erklären, aber es ist offensichtlich, daß die Filmemacher an dieser Stelle einfach davon ausgingen, daß die Zuschauer bestimmte Dinge einfach nicht in Frage stellen - was bei mir Erbsenzähler nicht immer funktioniert.
Amitabh Bachchan, mit dem Yash Chopra in den 1970er Jahren seine größten Erfolge feierte, und der als
angry young man in die indische Filmgeschichte einging, ist heutzutage öfters auch als
angry old man wie in Kabhi Kushi Kabhie Gham unterwegs. Bei seiner kleinen Rolle als Veers Onkel und Pflegevater „Banji“ sieht man ihn zur Abwechslung mal als sehr freundlichen alten Mann, was im Ganzen auch für den hier etwas umgänglicheren Stil des vormals oft kontroversen Regisseurs Chopra gilt.
Auch die Regisseurin von
Main Hoon Na ist im Bereich Bollywood keine Unbekannte, doch die Regiedebütantin Farah Khan war zuvor nur als Choreographin vieler Bollywood-Erfolge tätig, darunter neben den in diesem Text bereits mehrfach erwähnten
K3G und
KHNH für
Dil Se (1998), aber auch für Mira Nairs Monsoon Wedding oder den "Slave Dance" in Nairs neuer (erstaunlich indischer) Thackeray-Verfilmung
Vanity Fair.
Main Hoon Na ist ganz in der Tradition der
Massala-Filme gehalten, die (mitunter ohne Rücksicht auf Verluste) unterschiedlichste Genres mischen, in diesem Fall könnte man etwa von einer indischen Mixtur von
Die Feuerzangenbowle und
Die Hard sprechen.
Während sich Farah Khan ganz auf die Tanz- und Gesangsszenen konzentriert, hat sie für die nicht wenigen Actionszenen auch einen eigenen Regisseur verpflichtet, und so beginnt der Film bereits mit einer Geiselnahme/Attentat in einem Fernsehstudio. Der Terrorist Rhagavan will das "Projekt Milaap" verhindern, das zum indischen Unabhängigkeitstag (15. August) 50 pakistanische Gefangene freilassen soll, in der Hoffnung, daß Pakistan auf diese wohlmeinende Geste mit einem Gegenzug antwortet. Der von Hass erfüllte Rhagavan will keinen Frieden mit den Pakistanis und versucht stattdessen, General Bakshi (Kabir Bedi, manchem vielleicht noch aus der 1970er TV-Serie Sandokan bekannt), der hinter dem Projekt steht, zu erschießen. Doch während Major Ram Prasad Sharma (Shah Rukh Khan) versucht, den Terroristen dingfest zu machen, schmeißt sich sein Vater, ebenfalls ein hohes Tier in der Armee, in die Schußlinie und rettet den General.
Im Sterben eröffnet Rams Vater seinem Sohn, daß dieser noch einen Bruder namens Lakshman habe, mit dem zusammen er die Asche seines Vaters verstreuen soll. (Bei diesem Sohn handelt es sich
nicht um den Terroristen, wie jeder Bollywood-erfahrene Zuschauer jetzt annehmen könnte).
Außerdem bittet der gerettete General Ram, sich um seine nun wohl auch Gefahr schwebende Tochter zu kümmern, und die sich - der Zufall und Bollywood machen es möglich - genau auf der selben Uni wie Lakshman befindet.
Da die natürlich betörend schöne Tochter Chadni eine Abneigung gegen Uniformträger hat, schleust sich Ram incognito als etwas betagter Student auf der Uni ein, und sucht - seinem Auftrag entsprechend - deren Nähe. Doch der in altmodischen Pollundern auftretende Ram fällt unter den jüngeren und hipperen Kommilitonen nur negativ auf, und ausgerechnet der vielumschwärmte Taugenichts "Lucky" (drei Mal sitzengeblieben) macht es sich zur Aufgabe, den alten Herren immer wieder mal "hopszunehmen". Während die Terroristen ihren nächsten Schlag vorbereiten (natürlich gegen diese Uni), versucht Ram, Freundschaft mit seinem Bruder (Lucky = Lakshman, nur cooler) zu schließen, und Chadni ist in Lucky verschossen, der allerdings nur Augen für oberflächliche Luder wie Minni hat. Außerdem lernt Ram schließlich Luckys Mutter und deren Gram gegen Rams Vater kennen, und eine neue Chemielehrerin bringt auch noch seinen Hormonhaushalt durcheinander.
Wie die Inhaltsangabe schon klar machen dürfte, passiert in Main Noon Ha (übersetzt etwa "I'm here now") genügend für drei "normale" Filme, und man muß der Regisseurin auch attestieren, daß einige ihrer Regieeinfälle außergewöhnlich sind. Wenn etwa ein Professor mit feuchter Aussprache Ram geradezu mit Speichelprojektilen beschießt, denen dieser in Matrix-Manier ausweichen muß, so unterhält dies auch mich, der ansonsten weder den Pennäler-Humor noch die Action-Sequenzen (Ram könnte auch Rambo heißen) wirklich zu schätzen wusste.
Doch Bollywood soll vor allem Unterhaltung sein, und in dieser Hinsicht erfüllt
Main Hoon Na klar das Klassenziel.