Cinemania 15:
Kinostart Mai 2005
[Bis auf Das ferpekte Verbrechen alle Rezensionen von Thomas Vorwerk]
Schildkröten können fliegen
(Bahman Ghobadi)
Originaltitel: Lakposhta hâm parvaz mikonand , Iran / Irak 2004, Buch: Bahman Ghobadi, Kamera: Shahryar Assadi, Schnitt: Geranaz Moussavi, Musik: Hossein Ali Zadeh, mit Avaz Latif (Agrin), Soran Ebrahim (Satellit), Saddam Hossein Feysal (Pashow), Hiresh Feysal Rahman (Hengov), Abdol Rahman Karim (Digah), Ajil Zibari (Shirkooh), 98 Min., Kinostart: 5. Mai 2005"Der erste Film aus dem Irak" prangt es auf dem Plakat, was natürlich nicht etwa eine komplette Nationalkinematographie ungeschehen machen soll, sondern nur deklariert, daß im Irak der "normale" Alltag mittlerweile wieder soweit existent ist, daß man Filme drehen kann.
Schildkröten können fliegen lief in diesem Jahr auch auf der mit "14plus" bezeichneten Untersektion des Kinderfilmfestes in Berlin, und man kann sich schon ein wenig wundern, was den 14plusjährigen da so zugemutet wird. Der Alltag einer Schar von Kindern, wie er hier dargestellt wird, ist von der bundesdeutschen "Normalität" Lichtjahre entfernt, der Krieg ist hier sehr viel evidenter als beispielsweise im Universum von George Lucas, daß den Krieg zwar im Titel trägt, aber nur buntes Lichtschwertgeplänkel bietet.
Der kleine "Satellit" ist damit beauftragt, die TV-Informationsmaschinerie in einem kleinen Dorf wiederherzustellen, das wegen seiner ungünstigen Lage die nach Kriegsende hochwichtigen Nachrichtensendungen zunächst nicht empfangen kann. Satellit, der auch den Verkauf alter Minen im Dorf leitet (die Kinder, die die Minen ausscharren, hinterlassen dabei so manches Gliedmaß), führt sich mitunter fast wie ein kleiner König auf, und als ihm der Dorfälteste sogar verspricht, ihm ein Haus zu bauen, wenn er das Dorf wieder mit Fernsehinformationen versorgt, steigt er in der Bewunderung der anderen Kinder noch weiter auf.
Doch während Satellit damit beschäftigt ist, CNN-Nachrichten zu übersetzen (Seine Englischkenntnisse beschränken sich auf Phrasen wie "Come on" und "I don’t know") und dabei zu verhindern, aus Versehen einen der "verbotenen Sender" mit nackten Frauen einzuschalten, bei denen sich der Dorfrat immer peinlich berührt wegdreht (Soviel zum im Film auch vorhandenen Humor), verliebt er sich in das Mädchen Agrin, das mit seinem armlosen Bruder Hengov und einem weiteren kleinen Bruder, den sie blind auf ihrem Rücken trägt, neu im Dorf ist. In einer der ersten Einstellungen des Films sahen wir Agrin bereits, wie sie mit dem Freitod spielt, es ist offensichtlich, daß das Mädchen ein dunkles Geheimnis auf den Schultern trägt, und nach und nach wird der Film von traumatischen
Flashbacks durchdrungen, die bruchstückhaft andeuten, daß Agrin von feindlichen Soldaten mehrfach vergewaltigt wurde und der vermeintliche Bruder auf ihrem Rücken eigentlich ihr Sohn, was angesichts des vielleicht 13jährigen Mädchen auch für erwachsene Zuschauer ein immenser Schlag in die Magenkuhle ist.
Schildkröten können fliegen kann filmisch nicht immer überzeugen, aber das Thema des Films wird niemanden unberührt lassen, und auch wenn sich die Atmosphäre des Films immer mehr verdunkelt, ist es die Glauben eines Landes in seine Kinder, die selbst verkrüppelt und verstümmelt noch voller Hoffnung und Spieltrieb über die Felder laufen, der aus diesem Film spricht. Und das macht den Film zu einem Meisterwerk, der verdientermaßen mit dem Friedensfilmpreis der Berlinale 2005 ausgezeichnet wurde.
Somersault
(Cate Shortland)
Australien 2004, Buch: Cate Shortland, Kamera: Robert Humphreys, Schnitt: Scott Gray, Musik: Norman Parkhill, Decoderring, mit Abbie Cornish (Heidi), Sam Worthington (Joe), Lynette Curran (Irene), Erik Thomson (Richard), Hollie Andrew (Bianca), Leah Purcell (Diane), Olivia Pigeot (Nicole), Blake Pittman (Karl), 106 Min., Kinostart: 19. Mai 2005Die spätpubertäre Heidi rebelliert gegen ihre Mutter - u.a. auch dadurch, daß sie deren Lover anbaggert, sich aber bereits beim ersten Ausflug ins Ehebett von der Mutter erwischen lässt, und als einzigen Ausweg nur nach die Flucht sieht. Sie reißt aus in den australischen Wintersportort Jindabyne, außerhalb der Saison - weil sie mal jemanden kennengelernt hatte, der ihr anbot, sie dort zu besuchen. Inzwischen hat der aber eine feste Freundin und ist auf ihren Einzug nicht mehr erpicht. Eine Einstimmung auf weitere Enttäuschungen durch das andere Geschlecht, daß nur solang an ihr interessiert ist, wie sie etwas "zu bieten" hat.
Schließlich landet sie nahezu ohne Geld in einer unterbelegten Pension, deren Chefin Irene sie vor allem deshalb fast umsonst wohnen lässt, weil deren etwa gleichaltriger Sohn gerade im Knast sitzt und Heidi ihr die übliche Mär vom Waisenmädchen und den bösen Pflegeeltern auftischt.
Heidi tritt einen Job bei der örtlichen Tankstelle an, und versucht sich mit kurzlebigen Abenteuern, wobei sie zumeist ausgenutzt wird. Der Übergang von der Jugend zum Erwachsensein gestaltet sich schwieriger als erwartet. Im etwa doppelt so alten Farmersohn Joe scheint sie schließlich den Mann ihrer Träume gefunden zu haben, doch jener sieht in ihr auch nur eine kurze Bettgeschichte und will sich nicht mit einer minderjährigen Tankstellenhilfe lächerlich machen - ungeachtet dessen, daß sie ihm lang vermisste Geborgenheit schenkt. Gerade als Joe doch kurz davor ist, sich für sie zu entscheiden, hat sie volltrunken zwei (natürlich männliche und nicht lange drumherum redende) Touristen mitgebracht und es kommt zu einer Konfrontation, die schließlich auch die nette Ersatzmutter Irene nicht mehr übersehen will. "So ein Mädchen" eignet sich nicht als Kindersatz, Heidi muß ausziehen …
Der in Australien mit 13 australischen "Oscars" in sämtlichen möglichen Kategorien ausgezeichnete Film stellt die Pubertät als Mysterium dar und bietet auch keine Erklärungen zur Handlungsweise seiner Hauptfigur. Die ungewohnt winterlichen Bilder evoziieren gemeinsam mit der immer wieder auftauchenden Melodie einer Spieluhr ein Märchenland, doch überall bricht die harte Realität durch, da hilft auch Heidis rosarote Skibrille nicht mehr. Wie der zunächst unberührte Schnee wirkt auch Heidi in ihren abgründigsten Momenten nur noch wie dreckig-grauer Matsch, der nie wieder seine ursprüngliche Farbe annehmen kann. Doch trotz aller Enttäuschungen wirkt Heidis Flucht ins Erwachsenendasein dennoch wie eine Lehrstunde, durch die die junge Frau zumindest ein wenig Stärke und Lebensweisheit erhalten wird, nur halt schneller als notwendig. Da die Zeitperiode zwischen der letzten Barbie-Puppe und den ersten sexuellen Erfahrungen aber mit jener Generation mehr zusammenschmelzen zu scheint, ist
Somersault trotz seiner teilweise verstörenden Handlung nur das Abbild eines nicht einmal untypischen Erwachsenwerdens - hätte Heidis Mutter sie nicht mit dem Freund erwischt, wäre der weitere Ausgang der Geschichte wahrscheinlich auch nicht glimpflicher ausgegangen, fast inflationär auftretende Filme wie
Ken Park, Palindromes, Thirteen oder
The Dreamers sind längst nicht mehr die Skandale einer Lolita-Größenordnung, und wie der Zuschauer wird Heidi aus Jindabyne eher den Anblick der schneebedeckten Berge mit sich nehmen als irgendwelche Traumata. Und daß Cate Shortlands Film nicht zu den Extremen tendiert, macht seine Stärke aus.
Das Schwiegermonster
(Robert Luketic)
Originaltitel: Monster-in-Law, USA 2004, Buch: Anya Kochoff, Kamera: Russell Carpenter, Schnitt: Scott Hill, Kevin Tent, Musik: David Newman, mit Jennifer Lopez (Charlotte "Charlie" Cantilini), Jane Fonda (Viola Fields), Michael Vartan (Kevin Fields), Wanda Sykes (Ruby), Adam Scott (Remy), Monet Mazur (Fiona), Annie Parisse (Morgan), Will Arnett (Kitt), Elaine Stritch (Gertrude), 95 Min., Kinostart: 26. Mai 2005Monster-in-Law erscheint wie das
missing link zwischen den momentan beliebten Hochzeitskomödien inkl. Peinlichkeitsmarathons bei den Schwiegereltern wie
Meet the Parents bzw.
Fockers und wahren Familienkriegen wie
War of the Roses. Der Film kann uns noch dazu durch einen veritablen
casting coup beeindrucken und beschert uns das Comeback von Jane Fonda, die wir zuletzt 1990 in
Stanley and Iris (mit ihrem Schwiegerkollegen Robert De Niro) auf der Kinoleinwand sehen durften. Daß die andere weibliche Hauptrolle mit Jennifer Lopez besetzt wurde, ist allerdings schon ein früher Dämpfer bei der Angelegenheit, den man auf dem Filmplakat dadurch kaschiert hat, daß man weder das Kassengift J.Lo (man denke an ihre Auftritte mit ihrem Ex-Schmusi Ben Affleck in
Gigli und
Jersey Girl) noch die in die Jahre gekommene Fonda auf dem Plakat abgebildet findet. Das nenne ich geschicktes Marketing.
Jane Fonda spielt die erfolgreiche und berühmte Talk Show-Moderatorin Viola Fields, die allerdings gleich zu Beginn des Films durch eine ungleich jüngere Nachfolgerin ("Können Sie mir ein Autogramm geben? Meine Großmutter ist ein großer Fan von ihnen …") abgelöst wird, und in ihrer letzten Sendung beim Interview mit einem 16jährigen (und nicht besonders hellen) Popstar á la Britney Spears ihre verspätete Midlife Crisis durch einen Tobsuchtsanfall auslebt, und dem kleinen Mädchen, das ihr Feindbild zu personifizieren scheint, wie eine Furie anfällt, woraufhin sie zunächst einmal in psychiatrische Aufsicht übergeben wird.
Währenddessen spielt sich die Romanze zwischen Violas Sohn, dem ebenso erfolgreichen Chirurgen Dr. Kevin Fields, und der als Sprechstundenhilfe, Hundesitterin und Cateringhostess arbeitenden "Charlie" (Lopez) ab, die ihren Höhepunkt bei der zunächst harmlosen Vorstellung bei Kevins Mutter nimmt. Jener ist nämlich von der offensichtlichen Sympathie zwischen den beiden "wichtigsten Frauen seines Lebens" so angetan, daß er Charlie in Anwesenheit seiner Mutter (hier kann Jane Fonda ihre schauspielerischen Fähigkeiten zeigen) bittet, seine Frau zu werden.
Hiermit beginnt der zunächst verdeckte Psychokrieg des Schwiegermonsters, der schließlich zu einem direkten Schlagaustausch führt, der trotz Jennifer Lopez (an die man sich nach etwa 20 Minuten gewöhnen kann) mitunter recht witzig ist. Erstaunlicherweise bleibt die Komödie des durch Filme wie
Legally Blonde und
Win a Date with Tad Hamilton zertifizierten Komödienregisseurs Robert Luketic aber durchweg "im zweiten Gang" und viel zu harmlos für den reißerischen Titel. Die Schwiegermutter zeigt noch soviel Anstand, daß sie Informationen über die diversen Allergien der Frau, die ihren Sohn stehlen will, dann doch nicht ausnutzen will, und J.Lo zeigt sowenig Rückgrat, daß sie sich sogar entschuldigt, nachdem sie die Schwiegerbestie erstmals ohrfeigt. Statt wie War of the Roses mit einem gegenseitigen Doppelmord zu enden, gibt es hier trotz des Auftauchens von Gertrud, der Schwiegermutter, eine Komplettversöhnung, die den ganzen Film seiner Existenzberechtigung beraubt.
Neben einer kolossalen, wenn auch etwas übertrieben agierenden Jane Fonda rechtfertigt den Kinobesuch deren Assistentin, die hierzulande unbekannte Stand-up-Komikerin Wanda Sykes, die durchweg die besten Drehbuchzeilen bekommt. Etwa im Dialog mit J. Lo ("Do you have any firearms in the house?" - "Oh, no." - "You might wanna get one.") oder auch als qualifizierte Schwiegersitterin ("I go get the vodka.").
Neben kleinen Ärgernissen wie dem wiederholten Gassigehen mit sieben Hunden an einem malerischen Badestrand (Im Gegensatz zu den Filmen von Jay Roach wird der Fäkalienhumor hier soweit ausgespart, daß der Zuschauer wohl schlichtweg vergessen soll, warum J.Lo mit den Hunden ausgeht) ist es vor allem bedauerlich, daß manchmal einfach humoristisches Potential brachliegt. Wenn Charlie etwa nach einem anstrengenden Tag mit dem Schwiegermonster einen Freddy Krüger-Streifen schaut und dabei von der mit gefährlich aussehenden Metall-Fingernägel ausgestatteten Viola zunächst erschreckt und dann noch bedrängt wird, schlafen die beiden schließlich ermattet zusammen ein, ohne daß die sich aufdrängende Traumsequenz folgt. Jane Fonda im Freddy Krüger-Pulli, das wäre auch ein überzeugendes Plakatmotiv gewesen …
Garden State
(Zach Braff)
USA 2004, Buch: Zach Braff, Kamera: Lawrence Sher, Schnitt: Myron Kerstein, Musik: Chad Fischer, mit Zach Braff (Andrew Largeman), Natalie Portman (Sam) Ian Holm (Gideon Largeman), Ron Leibman (Dr. Cohen), Method Man (Diego), Peter Sarsgaard (Mark), Jean Smart (Carol), Amy Ferguson (Dana), Magoo (Masturbierender Hund), 110 Min., Kinostart: 26. Mai 2005
Ich weiß nicht viel über Zach Braff. Er hat mal in
Manhattan Murder Mystery den Sohn der von Woody Allen dargestellten Figur gespielt und soll ein begnadeter Komiker sein, so behaupten jedenfalls die Zuschauer der TV-Serie Scrubs, für die er in diesem Jahr für einen Golden Globe nominiert wurde (den dann aber Jason Bateman gewann).
Ach ja, und dann gibt es da noch diesen Film, in dem Braff die Hauptrolle spielt, den er aber auch geschrieben und inszeniert hat:
Garden State.
Ein seltsamer Film, der offensichtlich gerne den anarchischen Flair einer "erwachseneren" Version von
Harold and Maude oder
Rushmore für sich einnehmen möchte, der aber so unausgewogen und -gegoren wie
Igby goes down oder
The Royal Tenenbaums erscheint. Andrew Largeman (Braff) ist ein in L.A. lebender TV-Schauspieler, der sein Leben nur dauerbetäubt mit Lithium erträgt, bis er durch den Tod der Mutter aus einem Trott gerissen wird und zurückkehrt in den "Garden State" (New Jersey ist damit glaube ich gemeint), wo sein übermächtiger Vater (Ian Holm) bereits auf ihn wartet und er mit alten Bekannten "herumzieht". Daurch, daß diese Bekannten noch skurriler als er sind, wirkt er fast schon wieder normal, wenn um ihn herum bekiffte Mütter mit den Freunden ihrer Söhne rummachen, Alligatoren sich ihr Mittagessen besorgen oder sogar ein Hund masturbiert (!). Doch auch, wenn einige der Ideen des Films ganz interessant sind wie in eine Peepshow verwandeltes Hotel oder eine Bleibe am Rande eines Abgrunds, stellt sich selbst trotz der mal wieder entzückenden Natalie Portman, in die Andrew sich natürlich verliebt, und die ihn fast wieder ins Leben zurückbringt, kein wirkliches Interesse für die Figuren oder den Film ein.
Autor und Regisseur Braff erklärt dies unter anderem damit, daß er mit Absicht auf die üblichen Drehbuch-Strukturen verzichtet hat und sich seine Geschichte organisch und realistisch entwickeln sollte. Nur passt dies nicht mit den ganzen wahnwitzigen Einfällen zusammen, die die Struktur des Film ebenso wie seine Glaubwürdigkeit immer wieder durchbrechen. Ein Beispiel dafür ist zum Beispiel eine Einstellung, die Andrew in einem eigens für ihn erstelltem Oberhemd zeigt. Ich will den Gag nicht verraten, aber selbst ich musste bei diesem Bild schallend lachen. Doch im Gegensatz zu
Rushmore oder
The Graduate, wo jede liebevoll komponierte Einstellung auch viel über die Figuren und ihre Entwicklung sagt, hat man es in
Garden State oft mit für sich stehenden Kapriolen zu tun, die wie das Kennenlernen von Braff und Portman im Film zwar ihren Reiz und Charme haben, aber im Nachhinein wie eine von vielen Episoden aus einer Gag-Kompilation wie
Monty Python’s Flying Circus oder
Kentucky Fried Movie erscheinen. Für manch einen mag dies die Definition einer gelungenen Komödie sein, ich persönlich finde aber, daß sich Braff entweder für skurrilen Klamauk oder eine glaubwürdige Charakterentwicklung hätte entscheiden müssen …
Ein ferpektes Verbrechen
(Àlex de la Iglesia)
Originaltitel: El Crimen Ferpecto, Spanien 2003, Buch: Àlex de la Iglesia, Jorge Guerricaechevarría, Kamera: José L. Moreno, Schnitt: Alejandro Lázaro, Musik: Roque Baños, mit Guillermo Toledo (Rafael), Mónica Cervera (Lourdes), Luis Varela (Don Antonio), Kommissar Campoy (Enrique Villén), 104 Min., Kinostart: 26. Mai 2005
[Rezension von Friederike Kapp]
Rafael arbeitet in einem großen Kaufhaus. Er ist der beste Verkäufer in der Abteilung Damenoberbekleidung. Die übrigen Verkäufer in seiner Abteilung sehen zu ihm auf wie kleine Hündchen zum Herrchen, die Verkäuferinnen wünschen sich nichts sehnlicher, als mit ihm zu schlafen, und Rafael verteilt seine Gunst wie ein Sonnenkönig. Wer Glück hat, ergattert einen Quickie nach Feierabend in der Damenumkleide, wer großes Glück hat, darf die ganze Nacht mit ihm verbringen, sich im Kaufhaus einschließen lassen, in den Exponaten kopulieren (Betten-Abteilung) bzw. sie verzehren (Gourmet-Abteilung). Nur zwei Personen paßt das soziale Gefüge nicht: Don Antonio, dem besten Verkäufer der Abteilung Herrenoberbekleidung, und Lourdes, Verkäuferin in der Damenabteilung, die von Rafael keines Blickes gewürdigt wird, weil sie nicht hübsch genug ist. Anläßlich der Übernahme der gesamten Bekleidungsabteilung geraten Don Antonio und Rafael in einen heftigen Streit, in dessen Verlauf Don Antonio zu Tode kommt. Lourdes ist die einzige Zeugin. Sie wittert ihre Chance. Fortan ist Rafael in ihrer Hand. Sie zwingt ihn zum Beischlaf, zur Ehe, zum Besuch bei den gräuslichen Schwiegereltern. Sie läuft ihm auch beruflich den Rang ab, übernimmt die Damenabteilung und macht mehr Umsatz als er, indem sie all die hübschen Verkäuferinnen durch häßliche ersetzt, so daß die Kundinnen nicht eingeschüchtert werden, sondern aufblühen. Rafael, nurmehr eine Marionette in ihren Händen, sinnt auf Abhilfe. Aber diesmal muß alles perfekt sein. Wie perfekt der Gattenmord gelingen wird, deutet der Filmtitel bereits an.
Bis auf Lourdes sind alle Verkäuferinnen bildschön oder zumindest ausnehmend hübsch, haben Model-Maße, sind sorgfältig zurecht gemacht. Lourdes trägt häßliche Schuhe, ihr Verkäuferinnenkittel, der an den Kolleginnen einem eleganten Kostüm gleicht, hängt an ihr herunter wie ein Sack. Lourdes hat Glupschaugen. Lourdes ist häßlich. Alle Frauen sind entweder hübsch oder häßlich. Die hübschen sind willfährig und bis auf den Aspekt der sexuellen Verfügbarkeit vollkommen uninteressant. Die häßliche Lourdes ist ebenfalls willfährig, aber aufgrund ihrer mangelnden optischen Reize so dermaßen ober-uninteressant, daß der pure Gedanke an sie bereits einer Zumutung gleichkommt für Rafael, den Akkord-Stecher.
Durchgehend alle Frauen sind sehr schlicht in der Birne. Zwar zeigt Lourdes eine gewisse strategische Denkfähigkeit in ihrem Bemühen, Rafael in ihre Gewalt zu bringen, diese ist jedoch provoziert durch die Bitterkeit, die seine Ablehnung in ihr auslöst. Sexuelle Frustration kann eben in Einzelfällen durch intellektuelle Aktivität kompensiert werden (unvollständig, natürlich). Sobald sie entspannt, sinkt auch der Pegel ihrer Hirntätigkeit rapide: nichts schöner als Telenovelas und Kitschmöbel.
Auch Don Antonio, Rafaels Gegenspieler, zeichnet sich durch Bitterkeit, Sauertöpfischkeit sowie ein gewisses Minimum an Intellekt aus und vermag durch Äußerlichkeiten nicht zu punkten. (Er trägt ein Toupet!)
Vor diesem abgrundtiefkomischen Hintergrund vollzieht sich die Handlung. Man stelle sich alle Nudelholz-, Kommt-ne-Frau-zum-Arzt-, Hahnrei- und Toupetträger-Witze und -Zeichnungen vor, die man jemals erdulden mußte, und man hat eine ungefähre Vorstellung.
Wer jedoch den Filmtitel im Internet eingibt, stellt fest, daß
El Crimen Ferpecto nicht nur haufenweise ausgezeichnete Kritiken abräumt, sondern sogar einen Preis gewinnen konnte, nämlich den
Grand Prix au Festival du Film Policier de Cognac 2005. So daß sich die Vermutung aufdrängt, an dem Film müsse doch das eine oder andere auch ganz gelungen sein. Hhmm, mal überlegen. Also. Nun ja, es wird nie langweilig, das stimmt. Keine Längen, Gag jagt Gag, überraschende Wendungen, pralle, auch originelle Situationskomik in Fülle. Mein persönlicher Lichtblick ist Don Antonio, nach seinem gewaltsamen Ableben. Mit überzeugenden Grüntönen überzogen, erscheint er als Geist in prekären Situationen hinter oder neben Rafael und versorgt diesen mit den guten Ratschlägen des überlegenen Freundes, der er zu Lebzeiten nie war. Ein versöhnlicher Geist, nicht nachtragend, die Axt noch im Schädel zwar, aber Schwamm drüber. Dieses gelungene Moment skurrilen Innehaltens schafft einen stimmigen Kontrapunkt zu der sich zunehmend überstürzenden Handlung.
Dennoch: auch wenn sich einige lobende Worte finden lassen, macht
El Crimen Ferpecto seinen Regisseur Àlex de la Iglesia noch lange nicht zum "Hitchcock der schwarzen Komödie" (
El Cultural), noch zur "Europäischen Antwort auf Quentin Tarantino" (
arte). Bzw. diese Antwort hätte man schuldig bleiben können.
I Heart Huckabees
(David O. Russell)
USA / Deutschland 2004, Buch: David O. Russell, Jeff Baena, Kamera: Peter Deming, Schnitt: Robert K. Lambert, Musik: Jon Brion, mit Jason Schwartzman (Albert Markovski), Mark Wahlberg (Tommy Corn), Naomi Watts (Dawn), Jude Law (Brad Stand), Dustin Hoffman (Bernard Jaffe), Lily Tomlin (Vivian Jaffe), Isabelle Huppert (Caterine Vauban), Talia Shire (Mrs. Silver), Shania Twain (Herself), 106 Min., Kinostart: 12. Mai 2005David O. Russells bisher bekanntester Film,
Three Kings (u. a. mit George Clooney und Mark Wahlberg), wurde seinerzeit teilweise euphorisch von der Kritik gefeiert, und entsprechend hoch waren bei dem beeindruckenden Cast, das Russell hier versammeln konnte, die Erwartungen. Die sieben Hauptdarsteller des Films werden immer alphabetisch genannt: Dustin Hoffman, Isabelle Huppert, Jude Law, Jason Schwartzman, Lily Tomlin, Mark Wahlberg, Naomi Watts. Wenn man nicht zufällig an jemanden gerät, der die großen Zeiten von Lily Tomlin (
The Incredible Shrinking Woman, Nine to Five, All of Me) noch nicht miterlebt hat und auch ihren Auftritt in Robert Altmans
Short Cuts verpasst hat, würde wahrscheinlich jeder auf die Frage, welcher der sieben Namen ihm oder ihr am wenigsten sagt, mit "Jason Schwartzman" antworten, und daß dieser Darsteller (der mir zumindest aus
Rushmore und
The Hebrew Hammer positiv in Erinnerung ist) hier eigentlich
klar die Hauptrolle spielt, könnte einem wie ein Etikettenschwindel vorkommen.
Albert Markovski stolpert in wenigen Tagen mehrfach über einen auffälligen Afroamerikaner, der ihm unter anderem als Pförtner über den Weg läuft. Weil er daraufhin glaubt, der Antwort nach der Frage zum Leben, dem Universum und allem auf die Schliche kommen zu können, engagiert er Jaffe & Jaffe (Tomlin & Hoffman), die "existentialistischen Detektive", weshalb Bernard Jaffe ihn in Zukunft "unauffällig" beschattet, was Alberts Leben nicht einfacher macht. Im Verlauf des Films erfahren Albert und der Zuschauer zwar einiges über den schmierigen Supermarkt-Executive Brad (Jude Law) und dessen Supermodel-Freundin Dawn (Naomi Watts), einen weiteren Klienten der Jaffes namens Tommy (Wahlberg) und die große Konkurrentin der Jaffes, die französische Philosophin Caterine Vauban (Isabelle Huppert), aber weder dem Sinn des Lebens noch einem wirklich gelungenen Kinoabend kommt man dabei nahe.
Wem es genügt, daß Jude Law mal wieder sein Lächeln aufsetzt, Dustin Hoffman mit einem saublöden Toupet herumläuft und Naomi Watts in einem Aufzug herumläuft, der im Film als "obdachlose Amish-Frau" beschrieben wird, der könnte sich mit dem Film anfreunden, aber als existentialistische Komödie mit Staraufgebot funktioniert beispielsweise Steven Soderberghs
Full Frontal sehr viel besser (und da wird einem auch nicht vorgegaukelt, daß Julia Roberts die Hauptrolle spielt). Wahrscheinlich inspiriert von Soderbergh,
Being John Malkovich und Paul Austers frühen Romanen wie der
New York-Trilogie (hier gibt es
wirklich "existentialistische Detektive") dümpelt der Film von einem schwachen Scherz zum nächsten, vielleicht halbwegs gelungenen, und schreckt dabei nicht einmal davor zurück, als französische Grundidee der Philosophie den Kampf zwischen Licht und Dunkelheit herbeizuzitieren:
La force iz wiff you! Was man in diesem Film über Individualismus, Idealismus oder Supermarktmanagement erfährt, läuft einem in jeder
Simpsons-Folge besser aufbereitet über den Weg, und insbesondere die Prügeltherapie ist direkt aus der allerersten Folge der Simpsons geklaut, ohne hier auch nur halbwegs so witzig zu erscheinen.
Coming soon in Cinemania 16 (Kinostart Juni 2005):Aktuelle Rezensionen:
Bin ich sexy?, Crossing the Bridge - The Sound of Istanbul, Der Flug des Phoenix, Kung Fu Hustle, Der Mann des Hauses, One Night Husband, Playa del Futuro, Sahara, So was wie Liebe