Cinemania 20:
Kinostart August 2005
L. A. Crash
(Paul Haggis)
[Rezension von Friederike Kapp]
Originaltitel: Crash, USA/Deutschland 2004, Buch: Paul Haggis, Bobby Moresco, Kamera: J. Michael Muro, Schnitt: Hughes Winborn, mit Don Cheadle (Detective Graham Waters), Matt Dilon (Officer John Ryan), Chris ‘Ludacris’ Bridges (Anthony), Larenz Tate (Peter), Thandie Newton (Christine Thayer), Terrence Dashon Howard (Cameron Thayer), Brendan Fraser (Rick Cabot), Sandra Bullock (Jean Cabot), Jennifer Esposito (Ria), Ryan Phillippe (Officer Thomas Hansen), Shaun Toub (Farhad), Michael Peña (Daniel), Loretta Divine (Shaniqua Johnson), Keith David (Lieutenant Dixon), 113 Min., Kinostart: 4. August 2005
Hier geht es um Zusammenstöße - sinnbildlich und buchstäblich. Die ersten Einstellungen zeigen ein Paar in einem stehenden Auto. Gerade hat sich offenbar ein nächtlicher Auffahrunfall ereignet. Wortgefecht, wer hat schuld etc. Sie (Jennifer Esposito) will der Aufforderung des Straßenpolizisten, im Wagen zu bleiben, nicht Folge leisten. Sie hitzig, emotional. Er (Don Cheadle) von dieser aufreizenden „Vernünftigkeit", die bremsen soll, jedoch garantiert aus jeder emotionalisierten Frau eine hochemotionalisierte Frau macht. Sie steigt aus und kriegt sich prompt mit der Fahrerin des anderen Wagens in die Haare. Sofort entspinnt sich auch hier ein Wortgefecht, das aufs politisch Unkorrekteste entgleist. Mexikanische Schlampe, bleibt einfach plötzlich stehen, kriegt die eine zu hören, wenn du groß genug wärst, um über das Lenkrad zu kucken, hättest du meine Blemslichter gesehen und ebenfalls lechtzeitig blemsen können, muß die andere sich anhören. Schnell wird deutlich, daß es die ethnische Zusammenstöße sind, die der Film zum Gegenstand nimmt.
In einer Reihe verschiedener Episoden folgen weitere Zusammenstöße mit anderen Personen. Ist die eben geschilderte erste Begegnung für den Zuschauer amüsant, so verschiebt sich das Verhältnis zwischen Komik und Ernst im Verlauf der Ereignisse deutlich zugunsten dramatischer Szenen. Immer spielen dabei ethnische Konflikte eine entscheidende Rolle. Die nächste Sequenz zeigt ein weißes Pärchen des gehobenen Mittelstandes, das von zwei schwarzen Straßenräubern (Chris ‘Ludacris’ Bridges, Larenz Tate) seines Nobelgefährts enthoben wird. Die Frau (Sandra Bullock) reagiert neurotisch, der Mann (Brendan Fraser), ein Staatsanwalt, sorgt sich um seine Karriere. Er kann es sich nicht leisten, sich von Schwarzen überfallen zu lassen. Zu sehr bedient dieser Vorfall einschlägige Klischees, um ihn nicht im Endeffekt schwarze Wählerstimmen zu kosten.
Ein schwarzer Schauspieler und seine Frau, ebenfalls gehobener Mittelstand, haben das Pech, in genau dem Typ Auto herumzufahren, das dem Staatsanwalt gestohlen wurde. Eine Polizeistreife hält sie an. Einer der weißen Polizisten nutzt die Gelegenheit, sein rassistisches Mütchen an den beiden zu kühlen. Befragen, bedrohen, aussteigen lassen, abtasten, befingern. Die Frau (Thandie Newton) muß sich in ihrem leichten Seidenkleid mit gespreizten Beinen an das Auto stellen, der Polizist (Matt Dillon) befühlt ausgiebig ihre Schenkel und Geschlechtsteile. Der Ehemann (Terrence Howard) schaut zu, hilflos. Die ultimative Demütigung eines Paares.
Weitere Episoden mit weiteren Protagonisten folgen. Zwischen den zunächst einzeln auftretenden Figurenkonstellationen entsteht ein Netz von Bezügen, Wege überkreuzen sich, man trifft sich wieder. Auch die gedemütigte Frau und ihr Belästiger treffen sich wieder, unter atemberaubend dramatischen Umständen. Beide tragen die Spuren ihrer ersten Begegnung in sich. Diese Szene ist die ergreifendste des gesamten Films.
L. A. Crash erinnert an
Pulp Fiction (1994, Quentin Tarantino) in mehr als einer Hinsicht. Neben der Ähnlichkeit der Erzählstruktur teilen beide ein Faible für actionlastige Motive (Autounfälle, Schußwechsel) und schnörkellose Dialoge. Auch
The Usual Suspects (1995, Bryan Singer) kann eine gewisse Patenschaft zugeschrieben werden. Die Erzählung verläuft kreisförmig. Der Eingangsszene folgt ein zeitlicher Rücksprung, von dem aus chronologisch linear erzählt wird, bis die Ausgangssituation wieder erreicht wird. Der vernünftige Beifahrer aus der Eingangsszene ist Detective Waters, der mit seiner Partnerin zum Fundort einer Leiche gerufen wurde. Zu ihm kehrt die Erzählung zwischen den einzelnen Episoden immer wieder zurück. Sie begleitet ihn in epiloghafter Form noch einige Momente nach dem zweiten Erreichen der Ausgangssituation. In diesen Momenten schließen sich sämtliche Linien, die zuvor so kunstvoll unterbrochen wurden. Sie treffen sich bei der Figur des Detectives.
L. A. Crash greift ein brisantes, tabubesetztes Thema auf und macht daraus spannende Unterhaltung. Zum Gelingen dieses Films trägt neben der durchdachten Inszenierung auch die durchweg gute Leistung der vielen namhaften und weniger namhaften Schauspieler bei. Ein Kino-Highlight des laufenden Jahres.
Liebe lieber Indisch
(Gurinder Chadha)
Originaltitel: Bride & Prejudice, UK / USA 2004, Buch: Paul Mayeda Berges, Gurinder Chadha, Lit. Vorlage: Jane Austen, Kamera: Santosh Sivan, Schnitt: Justin Krish, Musik: Anu Malik, Craig Pruess, Casting: Susie Figgis, Production Design: Nick Ellis, Art Direction: Nitish Roy, Mark Scruton, mit Aishwarya Rai (Lalitha Bakshi), Martin Henderson (William Darcy), Nadira Babbar (Mrs. Bakshi), Anupam Kher (Mr. Bakshi), Naveen Andrews (Balraj Bingley), Namrata Shirodkar (Jaya Bakshi), Daniel Gillies (Johnny Wickham), Indira Varma (Kiran Bingley), Sonali Kulkarni (Chandra Lamba), Nitin Ganatra (Mr. Kholi), Meghnaa (Maya Bakshi), Peeya Rai Choudhuri (Lakhi Bakshi), Alexis Bledel (Georgie Darcy), Marsha Mason (Catherine Darcy), Ashanti, 107 Min., Kinostart: 18. August 2005 Während die neueste Verfilmung von Jane Austens
Pride & Prejudice aufgrund ihrer Hauptdarstellerin Keira Knightley bereits ihren Schatten vorauswirft, kommt hier eine weitere Bearbeitung des Stoffes, ausgerechnet von der indischstämmigen Regisseurin von
Bend it like Beckham, mit dem Ms Knightley seinerzeit bekannt wurde.
Gurinder Chadha hat nicht nur beim Titel den ersten Buchstaben verändert, ihre zeitgenössische Version der Zähmung des zunächst etwas arroganten Mr. Darcy integriert auch diverse Elemente des Bollywood-Kinos, spielt größtenteils in Indien, und gleicht entsprechend auch die Namen der Hauptfiguren an. So wird aus Elisabeth Lalitha, aus Mr. Collins Mr. Kholi, und zwei Schwestern von Elisabeth, Lydia und Kitty, werden sogar in einer Person namens Lakhi zusammengefasst.
In einem Indien, in dem bevorzugt Englisch gesprochen wird, in dem selbst in einem abgelegen Provinzort namens Amritza die Ortsansässigen auf Anhieb englischsprachige Songs mitsingen können, ist es natürlich ebenso wie bei Jane Austen ganz klar, daß ein alleinstehender Mann im Besitz eines Vermögen auf der Suche nach einer Frau sein muß. In diesem Fall ist es der in England wohnhafte Balraj Bingley, der zusammen mit seinem amerikanischen Freund, dem Hotelier William Darcy, auf einer indischen Hochzeit auftaucht, und die mit vier alleinstehenden Töchtern gesegnete Mrs. Bakshi ist kräftig am Kuppeln, damit sie nicht am Ende in einem Haus mit vier verarmten Jungfern altwerden muss. Während die älteste und vermeintlich hübscheste Tochter (was aber noch in keiner Verfilmung nachvollziehbar war) Jaya sich auf Anhieb mit Balraj gut versteht, fühlt sich die zweitälteste Tochter Lalitha, auf der das Hauptaugenmerk der Geschichte liegt, zwar zu dem Amerikaner Darcy hingezogen, doch mit seiner zurückhaltenden arroganten Art macht er es der Liebesgeschichte ebenso schwer wie mit seinen etwas ungeschickt vorgebrachten Vorurteilen über indische Gepflogenheiten …
Selbst die laut imdb eine Viertelstunde längere Version in Hindi ist mit 122 Minuten für einen "echten" Bollywood-Film natürlich viel zu kurz, und um der Austen-Vorlage noch einigermaßen gerecht zu werden, sind auch nicht allzuviele Tanz- und Gesangeinlagen im Film, der Balanceakt zwischen Literaturverfilmung und Musical ist Frau Chadha noch ganz gut gelungen, doch am romantischen Knistern hapert es ebensosehr wie an einer wirklich überzeugenden Choreographie oder aussagekräftigen Songs. Nur selten bringt der Gesang die Story voran, man tritt eher auf der Stelle (umso besser, daß der Film keine drei Stunden geht), und insbesondere der Schnitt ist teilweise etwas holprig, weit entfernt von der spielerischen Eleganz, mit der in Bend it like Beckham etwa Fußballspiele inszeniert wurden.
Während eine Videoclip-Einlage mit Ashanti eher ärgerlich ist, gelingen dem Film gegen Ende aber auch einige Meisterstreiche, die den Zuschauer wieder versöhnen. Die Einbindung eines Gospelchors ist hierbei überraschend wie eine Schlägerei im National Film Theatre in London, wo natürlich gerade ein "echter" klassischer Bollywood-Film läuft, bei dem die Protagonisten sich teilweise parallel zum Geschehen vor der Leinwand attackieren.
Bei der deutschen Synchronfassung stören neben dem saublöden Titel
Liebe lieber indisch auch Dialogübersetzungen wie Mr. Kholis nicht besonders inspiriert wirkendes Minigedicht "Ohne Frau ist das Leben grau", daß im Original als "No life without wife" auch eines der besten Songs des Films abgibt.
Das größte Rätsel des Films bleibt aber, warum man für einen Flug von Indien nach Los Angeles in London umsteigen muß, anstatt den Pazifik zu überqueren …
Zwei ungleiche Schwestern
(Alexandra Leclère)
Originaltitel: Les sœurs fâchées, Frankreich 2004, Buch: Alexandra Leclère, Kamera: Michel Amathieu, Schnitt: Hervé de Luze, Jacqueline Mariani, Musik: Philippe Sarde, mit Isabelle Huppert (Martine), Catherine Frot (Louise), François Berléand (Pierre), Brigitte Catillon (Sophie), Michel Vuillermoz (Richard), Christiane Millet (Géraldine), Rose Thiery (Fernanda), Bruno Chiche (Charles), 93 Min., Kinostart: 25. August 2005 Louise (Catherine Frot), die in der Provinz als Kosmetikerin arbeitet und auf ihren Durchbruch als Romanautor wartet, besucht in Paris ihre Schwester Martine (Isabelle Huppert). Die Einstellung der ungleichen Schwestern zum Leben entspricht ganz dem Casting: Catherine Frot gibt die lebenslustige, manchmal etwas peinliche Landpommeranze, die in ihrem Roman natürlich die halberdachte Romanze mit ihrem ganz persönlichen „Mr. Right“ beschreibt, Isabelle Huppert hat einen weiteren Auftritt als frustriertes, zynisches Stadtweibchen, das mit den Mädels aus
Sex and the City höchstens die Designerklamotten und der hohe Lebensstandard verbindet. Verheiratet und mit einem Sohn „gesegnet", ist das Leben für sie nur noch eine einzige Pein, ihr Gatte kann ihr schon durch sein Atmen am Frühstückstisch den gesamten Tag versauen, und wenn er dann auch noch „zärtlich“ werden will, ist es endgültig mit ihrer Geduld vorbei …
Daß
beide Frauen durchaus enervierend sein kann, macht der Film schon durch die jeweils ersten Einstellungen klar, in denen sie vor allem über die Tonspur vorgestellt werden. Isabelle Huppert gurgelt, um sich auf den täglichen Stadtstreß vorzubereiten, Catherine Frot überschläft lieber und empfängt den Zuschauer mit ihrem ungerührten Schnarchen.
Es ist offensichtlich, daß Regisseurin und Drehbuchautorin Alexandra Leclère ihren Film ganz auf die zwei Hauptdarstellerinnen zugeschnitten hat. Isabelle Huppert, die vor langer Zeit in Filmen wie
Heaven’s Gate auch mal lebenslustig sein durfte, fasziniert ihr Publikum immer wieder mit Darstellungen wie in
Die Klavierspielerin oder
Acht Frauen, und wer sie so wiedererleben will, dürfte auch zufrieden sein.
Catherine Frot auf der anderen Seite ist hierzulande ja noch nicht dermaßen bekannt, und nachdem ich sie durch ihre (melo)dramatische Rolle in Lucas Belvaux’
Trilogie kennenlernte, begriff ich erst spät, daß sie vor allem als Komödiantin bekannt ist, wie in Filmen wie
Boudu, Vipère au Poing oder jetzt eben in
Les sœurs fâchées. Sie legt ihre Rolle wie eine Mischung aus
Amelie Poulain und
Monsieur Hulot an, und auch dies ist durchaus sehenswert.
Natürlich lernen die zwei Schwestern während des Films aus den Extremen der jeweils anderen, doch wirklich verbunden sind sie sich nur bei einer Szene, die auf ihrer gemeinsamen Kindheit aufbaut und wo sie vor dem Fernseher zu Jacques Demys
Les demoiselles de Rochefort ausgelassen mitsingen.
Doch auch wenn Alexandra Leclère in ihrem Langfilmdebüt das ihr am Herzen liegende Thema ihres Kurzfilms
Bouche à Bouche (2002) noch weiter ausbaute, und sie den Film zielgerichtet aus den Gefilden einer Komödie in ein ernsteres Terrain führt, können an den
ungleichen Schwestern vorgeblich nur die ungleichen Schauspiel-Schwestern Frot und Huppert verzaubern, seltenst gibt es mal Szenen wie die zwanglose Affäre von Martines bester Freundin mit Martines Gatten, die auch ohne die zwei Hauptdarstellerinen beim ausgefeilt subtilen Faxenmachen für längere Zeit im Gedächtnis bleiben.
Beautiful Boxer
(Ekachai Uekrongtham)
Thailand 2003, Buch: Ekachai Uekrongtham, Desmond Sim Kim Jin, Kamera: Choochart Nantitanyatada, Schnitt: Dusanee Puinongpho, Musik: Amornbhong Methakunbudh, mit Asanee Suwan (Nong Toom Parinya Charoenphoi), Sorapong Chatree (Pi Chart), Orn-Anong Panyawong (Nong Tooms Mutter), Nukkid Boonthong (Nong Tooms Vater), Kyoko Inoue (Herself [japanische Wrestlerin]), Sitporn Niyom (Nat), Yuka Hyodo (japanischer Fan), 118 Min., Kinostart: 25. August 2005 In Frankreich boomen aufgrund des dort gebürtigen Muay-Thai-Champions Did Diafat, der sich im Biopic
Chok Dee sogar selbst darstellte, die Kickboxerfilme. Ein Film wie
Ong-Bak schaffte es beispielsweise erst über den Umweg Frankreich (wo der Streifen mit französischen Elektrobeats aufgemischt wurde) nach Deutschland, und daß die Welle bis über den Rhein zu schwappen scheint, zeigt jetzt auch
Beautiful Boxer, im Programm des Berlinale-Panoramas 2004 als kleiner Geheimtip gehandelt, von dem sicher niemand annahm, daß er mal einen regulären Kinostart bekommen würde.
Auch
Beautiful Boxer erzählt eine wahre Geschichte, die eines in Thailand berühmten Boxer namens Nong Toom, einen Transvestiten, der bevorzugt geschminkt in den Ring stieg, damit einerseits die „Ehre“ des Traditionssports zu unterminieren drohte, gleichzeitig aber gewann er über (auch ausländische) Schaulustige neue Fankreise hinzu.
Der Film beginnt in der Kindheit des damals noch Parinya Charoenphoi genannten Knaben, der bei einem Kirmesbesuch gleich mehrere Schlüsselerlebnisse verzeichnete. Da gibt es zunächst jenes mysteriöse gleichaltrige Mädchen, das eine rosafarbene Blum im seidigen schwarzen Haar trägt. Bei der Verfolgung dieser nur schemenhaft auftauchenden Figur betrachtet Parinya seinen ersten Muay Thai-Kampf, sieht aber auch den Auftritt einer hübschen Schauspielerin, die bei einem offenbar traditionellen Song ihren Wunsch äußert, „zu kämpfen wie ein Mann". Der kleine Parinya schnappt sich noch am gleichen Abend einen Lippenstift und trägt den selben Song bei sich zuhause vor. Die Mutter und Schwester sind begeistert, der Vater vor allem verwirrt. Bei einem bald folgenden Gespräch mit der Mutter äußert er recht früh seine Furcht: „Aber was machen wir, wenn er ein Transvestit wird?", worauf die Mutter - ganz die Toleranz - entgegnet, daß ihr Sohn seinem Karma folgen solle.
Die Dramaturgie des sehr farbintensiven Films, bei dem der erwachsene Nong Toom vom schauspielerisch durchaus talentierten Real-Kickboxer Asanee Suwan gespielt wird, erinnert an andere Boxerfilme, Nong Tooms späte Kämpfe gegen eine japanische Wrestlerin entsprechen ähnlichen Kämpfen in
Rocky III &
IV, das harte Training, die Laufnahn der Karriere über diverse Kämpfe und die hemaligen Freunde, die später gegeneinander antreten müssen, das alles kennt man von anderswo. Mitunter wirkt die Inszenierung etwas holprig, was aber durch einen liebenswert naiven Enthusiasmus wieder wettgemacht wird. Der Film, der nur in digitaler Kopie startet, hatte bei seiner Pressevorführung einige technische Probleme, die neben einer unfreiwilligen längeren Pause mitten im Film dem Zuschauer auch das Gefühl gab, daß verschiedene Kapitel der DVD entweder ausgelassen oder zweimal gezeigt wurden, was hoffentlich bei bei regulären Vorführungen mit funktionierendem Beamer nicht passieren wird. Weitaus störender empfand ich da die deutsche Synchronisation. Die thailändische Sprache und der damit verbundene Sprachrhythmus ist einfach so viel schöner als das derbe Deutsch, bei dem man sich dann noch fragt, ob jene Frauenstimme dieselbe ist, mit der Uma Thurman hierzulande spricht - darauf hätte ich gern verzichten können …
Beautiful Boxer kann als Biopic und Boxerfilm zwar mehr überzeugen als als mitunter etwas einfach gestrickter Beitrag zur Genderdiskussion, doch wie Nong Toom hier „kämpft wie ein Mann", um sich irgendwann seine Geschlechtsumwandlung zur Frau leisten zu können, ist eine durchaus liebenswerte Aschenputtel-Geschichte, der man auch die seltsamen Traumvisionen und ein menschenverachtendes Ritual beim Feststellen des Kampfgewichtes verzeiht.
Jesus, Du weißt
(Ulrich Seidl)
Österreich 2003, Buch: Ulrich Seidl, Veronika Franz, Kamera: Wolfgang Thaler, Jerzy Palacz, Schnitt: Christof Schertenleib, Andrea Wagner, Casting: Anja Salomonowitz, Silvana Toneva, mit Elfriede Ahmad, Waltraute Bartel, Hans Jürgen Eder, Thomas Grandegger, Thomas Ullram, Angelika Weber, 88 Min., Kinostart: 25. Juli 2005 Als ich mit
Jesus, Du weißt meinen ersten Ulrich Seidl-Film sah, ging ich zunächst davon aus, einen Dokumentarfilm zu sehen. Immerhin hatte er ja bei einem Festival (Karlovy Vary) den Preis als bester Dokumentarfilm bekommen, und ich bildete mir zu diesem Zeitpunkt auch noch ein, daß
Hundstage, Seidls bekanntester Film, jener Streifen wäre, in dem dokumentiert würde, wie manche Leute die Liebe zu ihren Haustieren übertreiben.
Während des Films erschien mir auch vieles dokumentarisch, doch als jemand, der vor diversen Jahren aus der Kirche ausgetreten ist und der lieber versucht, an sich selbst zu glauben, konnte ich den dargestellten tiefen Glauben der Personen, die ihre Gebete und Beichten direkt an die Kamera richten, nur selten nachvollziehen. Ein Kritikerkollege berichtete mir nach der Vorstellung von einer Theateraufführung desselben Stoffs, für ihn war es klar, daß wir soeben durchweg Schauspieler gesehen hatten.
Zuhause angelangt, wollte ich endlich Gewißheit haben, und rief eine andere Kollegin an, von der ich wußte, daß sie
Hundstage kannte. Ich wollte abchecken, ob hier zwei Dokumentarfilme extreme Formen von Liebe (entweder zu Haustieren oder zu Gott) zeigen oder es doch eher danach aussieht, als hätte Seidl hier eine entlarvende Farce geschrieben und inszeniert. Beim Telefonat erfuhr ich, daß
Hundstage keine Dokumentation ist und sich auch nicht mit Hunden befasst, sondern, ganz dem Titel getreu und analog zum gleichnamigen Streifen mit Al Pacino (
Dog Day Afternoon), mit den besonders heißen Tagen des Spätsommers. Als ich dann allerdings später noch mal die Filmographie von Ulrich Seidl inspizierte, fand ich dort auch einen Film mit dem Titel
Tierische Liebe, bei dem ich mir dann wieder sicher war, daß er sich um jenen Hundefilm handelte, den ich (nun wohl doch gerechtfertigt) dem Regisseur zugeordnet hatte.
Eine Gewißheit darüber, ob
Jesus, Du weißt nun ein Dokumentarfilm oder ein inszeniertes Werk ist, habe ich nun nach wie vor nicht, und ich weigere mich auch, an dieser Stelle eine Glaubensentscheidung zu treffen, denn ein Urteil über den Film kann ich mir auch unabhängig davon bilden, ob die gezeigten Personen ihren Glauben gelebt oder nur gespielt haben.
Der Film beginnt mit Gebeten dafür, daß der Film den zuschauer im herzen berührt, ihn Gott und Jesus ganz neu sehen lassen soll. Von Anfang an fällt es mir schwer, diese Personen ernstzunehmen, die Gott auch mal als Herren über „Österreich bezeichnen“ oder um Hilfe bei der ehelichen Fernsehkrise bitten: „Mein Mann hat leider nicht die Gabe, immer das richtige Programm zu wählen."
Wenn eine der Gläubigen auch als Putzfrau in der Kirche arbeitet, ist dies natürlich ein ebenso cleverer Schachzug des Regisseurs wie die eingestreuten Aufnahmen aus der Wohnung, wo man den bereits vorgestellten Ehemann mit Eulenaugen beim Talkshow-Schauen sieht, während seine Frau bügelt. Doch das sowohl die Frau als auch ihr Mann für solche entlarvenden Aufnahmen, die auch noch perfekt kompositioniert erscheinen, eine Dreherlaubnis gaben, strapaziert das Vertrauen, den
Glauben an den Regisseur schon immens.
Jesus, Du weißt berichtet von mehreren Gläubigen, einem halben Dutzend, die im Gespräch mit Gott oder Jesus beispielsweise vom Plan, ihren Gatten zu vergiften, reden oder sich dafür schämen, daß sie
Soap Operas schauen, bei denen die Schauspielerinnen nicht besonders gut sind, sondern vor allem gut aussehen. Ein Student, der sich mit seinen Eltern darüber streitet, daß er zuviel Zeit in der Messe verbringt, statt mal sein Zimmer aufzuräumen, und der dann von Heldenphantasien erzählt, bei denen er sich als Old Shatterhand sieht, verlangt dem Zuschauer einiges ab. Die Nähe zu den hier so verteufelten Talkshows ist keineswegs zufällig, doch ungeachtet dessen, ob
Jesus, Du weißt erdacht oder dokumentiert ist - der Film kratzt leider nur an der Oberfläche. Weder wird einem der alltägliche Glauben nahegebracht, noch kann der Film als Satire funktionieren, weil die wirklich witzigen Passagen sehr sporadisch über die anderthalb Stunden verteilt sind. Interessant ist der Film trotzdem, und allein für die Einstellung der bügelnden Gattin oder eines Tischtennis-Matches im Aufenthaltsraum der Kirche lohnt es sich, das Kino aufzusuchen, das ja einer Kirche in vielen Aspekten nicht unähnlich ist. Was Ulrich weiß.
Der verbotene Schlüssel
(Iain Softley)
Originaltitel: The Skeleton Key, USA 2005, Buch: Ehren Kruger, Kamera: David Mindel, Schnitt: Joe Hutshing, Musik: Ed Shearmur, mit Kate Hudson (Caroline Ellis), Gena Rowlands (Violet Devereaux), Peter Sarsgaard (Luke), John Hurt (Ben Devereaux), Joy Bryant (Jill), Maxine Barnett (Mama Cynthia), Fahnlohnee Harris (Hallie), Isaach De Bankolé (Kreolen-Tankwart), Ronald McCall (Papa Justify), Jeryl Prescott Sales (Mama Cecile), 104 Min., Kinostart: 18. August 2005 Der Film beginnt damit, daß Caroline (Kate Hudson), die in einem Pflegeheim arbeitet, einem älteren Herren aus Stevensons
Treasure Island vorliest. Dies ist bereits mit unheilvollen Bildern von Ästen unterschnitten (man erinnere sich an die anthropomorphe Nutzung von Bäumen bei Stevenson), um bereits früh klarzustellen, daß es sich bei
The Skeleton Key (der Titel erinnert auch irgendwie an Stevenson) um einen Horrorfilm handelt. Nachdem sich herausstellt, daß die Familie des verstorbenen Mr. Thacott keinen Wert auf seine Habseligkeiten legt, muß Caroline miterleben, wie rabiat an ihrer Arbeitstelle die mit dem Namen der Verstorbenen versehenen Pappkartons „entsorgt“ werden. Sie „erbt“ unter anderem einen Schlüsselanhänger von Mr. Thacott ("Live fast, die young") und kündigt, um kurz darauf für einen neuen Job als private Altenpflegerin in den Sümpfen Louisianas vorzusprechen.
Auf der Fahrt dorthin (in einem seltsamerweise 1A-erhaltenen roten VW-Käfer) sehen die Passanten teilweise wie Zombies aus (natürlich mit Einkaufswagen), bei einer Tankstelle fühlt man sich an degenerierte Familien à la
Leatherface erinnert, und die Alligatoren, die in den Sümpfen zuhause sind, werden zumindest auch schon mal erwähnt. Kurzum, es wird nichts ungenutzt gelassen, um eine dräuende Atmosphäre aufzubauen …
Violet Devereaux (Gena Rowlands), die mit der Pflege ihres seit einem Monat halbseitig gelähmten Mannes Ben (John Hurt) überfordert ist, hat bereits eine junge Altenpflegerin vergrault, und auch mit Caroline scheint sie nicht zufrieden. Nur der Fürsprache des jungen Immobilienanwalts Luke (Peter Sarsgaard), der Caroline auch vermittelt hatte (potentieller
love interest?), ist es zu verdanken, daß caroline schließlich den Job bekommt, und damit auch den titelgebenden Universalschlüssel, der ungeachtet des deutschen Synchrontitels zu keinem Zeitpunkt des Films verboten ist, aber
Der Universalschlüssel oder
Dietrich machten als Filmtitel wohl nicht viel her …
Über die Geschichte des Hauses, einen abgesperrten Raum auf dem Boden, wo jemand eingesperrt zu sein scheint, seltsame Schallplatten alter Hoodoo-Priester und die stummen Hilfeschreie von Ben, der sogar mal mitten in der Nacht bei strömenden Regen über das Verandadach wegkrabbeln will, wird langsam die eigentliche Geschichte des Films aufgebaut. Zu langsam. Denn auch wenn Regisseur Iain Softley (
K-Pax, Backbeat) einen psychologischen Thriller ohne Make-Up-Effekte aufbauen will und Drehbuchautor Ehren Kruger (
The Ring, Arlington Road) trotz Anleihen an das
Haunted House-Motiv ganz darin aufgeht, Mädchenhorror mit einem doch sehr gelungenen Twist zu liefern, dauert es schlichtweg zu lang, bis wirklich etwas Gruseliges oder Spannendes passiert, und auch wenn einige der inszenatorischen Westentaschentricks (Buh!) bei Teilen des Publikums funktionieren dürften, stellt sich bei horrorgewöhnten Zuschauern schnell Langeweile ein, die auch das gelungene Ende des Films nicht mehr rückgängig machen kann. Wo bei vielen Horrorfilmen nach japanischem Vorbild die „Auflösung“ im letzten Drittel vieles verdirbt, kann hier der schale Geschmack der höchstens durch die Auftritte der Schauspielveteranen Gena Rowlands und John Hurt erträglich gemachten ersten zwei Drittel später nicht mehr nachgewürzt werden, und gerade in Louisiana ist man eigentlich andere Rezepte gewohnt …
Holy Lola
(Bertrand Tavernier)
Frankreich 2004, Buch: Tiffany Tavernier, Dominique Sampiero, unter Mitwirkung von Bertrand Tavernier, Kamera: Alain Choquart, Schnitt: Sophie Brunet, Musik: Henri Texier, mit Isabelle Carré (Géraldine), Jacques Gamblin (Pierre), Maria Pitarresi (Sandrine), Bruno Putzulu (Marco), Anne Loiret (Nicole), Philippe Said (Bernard), Lara Guirao (Annie), Laurence Lasheb (Béatrice), Jean-Yves Roan (Michel), Somany Na (Chenda), Frédéric Pierrot (Xavier), Corine Thezier (Isabelle Fontaine), Gilles Gaston-Dreyfus (Yves Fontaine), Sévérine Caneele (Patricia), Nathalie Becue (Sabine), Philippe Vieux (Jérome), Anne-Marie Philipe (Marianne), Vongsa Chea (Dr. Sim Duong, Leiter eines Waisenhauses), Daniel Langlet (Monsieur Detambel, Frz. Botschaft), Pridi Phath (Sokhom, Gastgeber in Kep), Sothea Tran (Cheng, Chef des Adoptionsbüros), Neary Kol (Kim Saly, Chengs Assistentin), Rithy Panh (Khieu, Chengs Vorgesetzter), Narith Ponn (Lolas Amme), Srey Pich Krang (Lola), 128 Min., Kinostart: 18. August 2005 Pierre und Géraldine wollen ein Kind. Vorsorglich (wie Padmé) haben sie das Kinderzimmer bereits eingerichtet und brechen nach Kambodscha auf, wo sie ein Kind adoptieren wollen. Dafür haben sie sich einen Haufen Geld und Zeit mitgebracht (Pierres Arztpraxis wird einfach für ein paar Monate geschlossen), doch nicht einmal auf die momentan herrschende Regensaison sind sie vorbereitet. Die ersten Bilder von Kambodscha sind noch die typischen Postkartenansichten zu gefälliger Musik, bei einer Taxifahrt erscheint es einem, daß die Kinder wie Überschußware hinter einem Schaufenster präsentiert werden. Doch der Weg zum Elternglück ist weit, denn es gibt kein Merkblatt, wieviel Schmiergeld, pardon - „Spenden“ wo angebracht sind.
In einem Hotel geraten sie in eine seltsame Ersatzzivilisation, unzählige Paare stecken hier fest und warten darauf, daß
ihr Traum wahr wird. Zwar unterstützen sich die Paare gegenseitig und geben sich Tips (auch, um die von den Amerikanern bereits verdorbenen Preise nicht noch höher schnellen zu lassen), doch natürlich bleibt auch eine unterschwellige, nervöse Konkurrenzsituation. Paare, die bereits ein Kind bei sich haben (das heißt noch lange nicht, daß sie es mit ins Heimatland nehmen dürfen), stören beispielsweise durch das Babygeschrei, was dadurch, daß eigentlich alle solch ein Geschrei herbeisehnen, besonders pervers wirkt.
Zurück zu unserem Paar, Pierre und Géraldine. Zunächst wirkt dieses Adoptionsabenteuer auch wie ein Urlaub, die zweiten Flitterwochen. Neben jeder Menge Sex gibt es aber auch schnell die ersten Streitigkeiten, man ist sich nicht immer darüber einig, wie man vorgehen soll. Auf einem kleinen Walkman sprechen sie bereits zu ihrem zukünftigen Kind, machen somit auch dem Zuschauer ihre Erfahrungen noch transparenter. Die regulären Kinderheime und Adoptionsämter scheinen nicht weiterzuführen, man begegnet auch weniger legalen „Kindervermittlern“ oder erlebt auf einem Müllplatz, wie die Kinder hier ihr Dasein fristen, mit unhygienischer und gefährlicher Kinderarbeit. In seinen stärksten Momenten wirkt
Holy Lola fast dokumentarisch, ähnlich wie in Taverniers
Ça commence aujourd'hui (
Es beginnt heute), in dem es ja sozusagen auch um Gerechtigkeit für benachteiligte Kinder geht. Bereits damals stammte das Drehbuch von Taverniers Tochter Tiffany und deren Lebensgefährten Dominique Sampiero, und Tiffany Taverniers Romandebüt über die Reise einer jungen Frau nach Kalkutta erschien während der Dreharbeiten zu
Ça commence aujourd'hui und war in gewisser Weise die Initialzündung für
Holy Lola, auch wenn man erst drei Jahre später darauf kam, die Reise in ein fremdes Land, die den Regisseur damals faszinierte, mit dem Thema Adoption zu verbinden.
Was aber den Qualitätsunterschied zwischen Taverniers Film von 1999 (damals auf der Berlinale) und dem neuen Werk verdeutlicht, was einem
Holy Lola regelrecht vergrätzt, ist der zu vorhersehbare Plot, das obligatorische Happy End, das sich über alle Geld- und Zeitprobleme hinwegsetzt. Weil die Probleme mit der Bürokratie (Ämter werden wegen ausgefallener Klimaanlagen mal eben geschlossen, Fehlendes Büromaterial sollen natürlich die Besucher aus den Industriestaaten „stiften") aus Sicht der Drehbuchautoren wohl nicht ausreichen, um das Interesse des Zuschauers zu fesseln, gibt es kleine teilweise humoristische Episoden, die nicht zum Rest des Films passen, und als ultimatives Stilmittel, zumindest die männlichen Zuschauer zu verzücken, muß Hauptdarstellerin Isabelle Carré immer wieder ihren wohlgeformten Körper präsentieren. Solange dies den Sexdrive des jungen Paares oder die Klimakonditionen in Kambodscha illustrieren soll, beschwere ich mich nicht. Aber wenn es beispielsweise bei einem Familienbad mit der kleinen Lola klar wird, daß zwar bei der Mutter jeder Fetzen Kleidung nur stört, der Vater sich aber selbst in der Duschwanne hinter seiner Turnhose versteckt, wirkt das Ganze irgendwie so verlogen wie die Postkarten-Ansichten und die Plätschermusik. Womöglich waren dies Auflagen der kambodschanischen Regierung für den Film, der Tourismus soll angekurbelt werden, aber man möchte auf keinen Fall Konnotationen zu Kindersex riskieren, aber vielleicht wäre ein Dokumentarfilm über die Dreharbeiten und das Erringen von Drehgenehmigungen (oder der geplante neu Roman von Tiffany Tavernier und Dominique Sampiero über die „Geschichte des Films") eben auch „ehrlicher“ und dadurch spannender und besser geworden als dieses allzu gefällige Semi-Doku-Märchen.
Aliens der Meere
(James Cameron & Steven Quale)
Originaltitel: Aliens of the Deep, USA 2004, Kamera: Vince Pace, Schnitt: Ed W. Marsh, Fiona Wight, Matt Kregor, Musik: Jeehun Hwang, mit James Cameron, Dijanna Figueroa u. v. a., 47 Min., Kinostart: 25. August 2005 Nach
Ghosts of the Abyss (
Titanic 3D) nun
Aliens of the Deep. James Camerons vermeintliche Dokumentarfilme im IMAX-3D-Format erscheinen schon aufgrund ihrer Titel wie Fortsetzungen seiner Spielfilme. Immerhin verzichtet Cameron diesmal auf einen Schauspieler (statt Bill Paxton hätte sich Ed Harris aus
The Abyss angeboten) als Begleiter der Expedition, der durch seine Kommentare ("incredible“ - „amazing") dem Zuschauer Begeisterung ob des Gesehenen suggeriert, aber Cameron vertraut dennoch auf das bewährte Prinzip, wie er bereitwillig zugibt: „Ich habe die ‘Darsteller’ des Films sorgfältig ausgewählt. Ich wollte unbedingt Menschen, die gute Wissenschaftler sind und die die Dinge in einer technisch korrekten Weise erklären konnten, aber die auch eine Wirkung auf die Menschen hatten und gute Kommunikatoren für das Publikum sind. Ich wandte mich an junge Menschen, die ihren Sinn für das Wundervolle nicht verloren hatten - ich wollte diese Begeisterung vermitteln, die Idee, daß Wissenschaft ein Abenteuer ist.“ Und so trägt beispielsweise die junge Meeresbiologiestudentin Dijanna Figueroa keinen weißen Laborkittel und Hornbrille, sondern Rastazöpfe, die in 3-D auch noch nett anzuschauen sind.
Wie schon in Ghosts of the Abyss hat man leider nur selten das Gefühl, einen Dokumentarfilm zu sehen, jedes zweite Statement eines der Forscher scheint aus einem Drehbuch zu stammen, die komplette Unsichtbarkeit der 3D-Kamera macht es schon früh klar, daß hier vieles inszeniert wurde, denn wenn man eben noch direkt in einer der kleinen Kugelcockpits der
submersibles saß, zeigt einem die nächste Einstellung diese Unterwasserfahrzeuge wieder von außen und es ist auffällig, daß da gar kein Kameramann daneben sitzt. Und bei den eindeutig zu häufigen Einstellungen, bei denen einer der Forscher als Gegenschnitt zu den
wirklich dokumentarischen Einstellungen aus einem Bullauge schaut, muß man sich fast das Lachen verkneifen, so irreal und später nachgedreht kommen diese Bilder herüber.
Aliens of the Deep beginnt mit einigen unerwarteten Bildern. Eine Einstellung von Kindern, die um einen Rasensprenger herumtollen, gehört zu jenen Szenen, bei denen das 3D-Format wirklich zu schätzen weiß, und ein Schnitt von einer Kuh, die fast die Kamera ableckt, zu einem herzhaften Biss in einen fetten Burger ("it’s the food chain!") erinnert fast an
Super Size Me oder die Filme von Michael Moore. Doch zwischendurch gibt es auch eine Einstellung, die aus dem Vorspann von
Star Trek: Voyager abgeschaut scheint: Wir schweben durch’s All, vorbei an einer Sonne, mitten hindurch durch eine Eruption - in 3D alles sehr eindrucksvoll, aber natürlich ist es offensichtlich, daß man bei diesen ohne weiteren Kommentar eingestreuten Bildern keineswegs von einer Dokumentation sprechen kann - geschweige denn, es ginge darum, den Fortschritt der CGI-Technologie zu dokumentieren. Kurz darauf erklärt uns „Jim“ Cameron, warum er lieber solche Expeditionen filmt, statt seine Spielfilm-Karriere fortzuführen: „This is way more exciting than any special effects.“ Okay, aber warum besteht dann diese Dokumentation zu etwa einem Fünftel auch aus Spezialeffekten???
Schon früh wird über Kommentare der „Gag“ des Films aufgebaut. Während wir durchaus faszinierende Bilder aus den Tiefen der Meere sehen, sprechen die „Forscher“ immer wieder in einem eigentümlichen Jargon: „looks like a spaceship“ - „wie von einem anderen Planeten“ - es wird viel von
humans und
aliens gesprochen, während Fische eigentlich kaum mal erwähnt werden. Diese Taktik wird fast schon peinlich, wenn sich Cameron selbst einem imposanten Meeresbewohner gegenüber findet und meint: „I have no idea what that is.“ Nur dumm, daß man wirklich kein Meeresbiologe sein muß, um dieses vermeintliche außerirdische Wesen als Qualle zu identifizieren.
Cameron zeigt uns Tiere, die direkt an heißen Vulkanquellen leben, und dabei nicht gekocht werden. Chemosynthese statt Photosynthese, wieder was gelernt! Und nachdem der Film fast schon interessant zu werden drohte, kommt nun ein CGI-Ausflug zu einem der 61 Jupitermonde namens Europa, von dem Forscher annehmen, daß unter einer meilenweiten Eisdecke auch in der Tiefsee Leben entstanden sein könnte. Da ein Ausflug zu einem Jupitermond momentan nicht im NASA-Budget eingeplant ist, schaut man sich also die Krabben etc. an, die hier ohne Licht tief unten im Meer leben können, und lernt dadurch womöglich etwas über den Jupitermond - so jedenfalls die Logik dieses Films. Während das gesamte Unterfangen immer prätentiöser wird, kommt dann zum Abschluß des Films die Einstellung, die Dijanna einfach per CGI-Technologie auf den Jupitermond versetzt, wo sie den friedlichen
First Contact mit den Großneffen der Wesen aus
The Abyss vollzieht - und im Hintergrund sieht man das Lichtermeer einer Unterwasser-Stadt, gegen das Atlantis wie ein Provinznest aussieht …
Im Nachhinein ist abgesehen von den viel zu wenigen Meeresbewohnern, die man in diesem Film sieht, das einzig Interessante das Schicksal des Unterwasser-Roboters Elwood. Wir erinnern uns: In
Ghosts of the Abyss waren Jake und Elwood, das wüsteste Team seit Backfisch und Remoulade, noch gemeinsam unterwegs, wie zwei putzige Brüder. In
Aliens of the Deep ist nur noch Jake unterwegs, sein verschollener Kollege wird nicht einmal mehr erwähnt - vielleicht folgt die Elogie auf den von uns gegangenen Roboter als nächster Cameron-Film … Nur schade, daß der Titel
Deep Blue Sea schon vergeben ist.
Herbie fully loaded
(Angela Robinson)
USA 2005, Buch: Thomas Lennon, Robert Ben Garant, Alfred Gough, Miles Millar, Kamera: Greg Gardiner, Schnitt: Wendy Greene Bricmont, Musik: Mark Mothersbaugh, mit Lindsay Lohan (Maggie Peyton), Justin Long (Kevin), Michael Keaton (Ray Peyton), Matt Dillon (Trip Murphy), Breckin Meyer (Ray jr.), Jeff Gordon, Jimmy Johnson, Kevin Harvick, Jamie McMurray, Casey Mears, Rusty Wallace, Dale Jarrett, 98 Min., Kinostart: 4. August 2005 Die Filmographie des Hauptdarstellers dieses Streifens ist schon recht beeindruckend, und ich meine damit weder die Red Bull-Gallionsfigur Lindsay Lohan noch den anderen Batman neben Adam West, sondern den Darsteller der Titelfigur, der auch mit dreieinhalb Jahrzehnten Filmerfahrung und Baujahr 1963 noch mit ein bißchen Schönheitspflege glatt so aussieht wie am ersten Tag.
1968 hatte Herbie seinen ersten Filmauftritt in
The Love Bug (
Ein toller Käfer), durchschnittlich alle vier Jahre kam ein neuer Film mit dem charmant-robustem Volkswagen (1974:
Herbie rides again /
Herbie groß in Fahrt; 1977:
Herbie goes to Monte Carlo /
Ein toller Käfer in der Rallye Monte Carlo; 1980:
Herbie goes Bananas /
Herbie dreht durch), und ähnlich wie bei Carl Barks und Rolf Kauka gab es sogar eine minderwertige deutsche Nachahmung namens Dudu, über die wir hier aber ebensowenig Worte verlieren wollen wie über Herbies späte TV-Auftritte.
Inzwischen werden längst keine Käfer mehr hergestellt, aber Herbie ist trotzdem wieder da - und wenn es der Boykott diverser Kinos wegen dreister Verleihforderungen nicht vermasselt, wird eine neue Generation von Kindern dieses Markenzeichen des Disney-Konzerns neu erleben. Disney, war das nicht diese Firma, die früher mal Zeichentrickfilme herstellte, und die sich nun nach der Trennung von Pixar mal wieder etwas Neues einfallen lassen muß? Wer das Disney-Programm des letzten Jahrzehnts studiert hat, weiß, daß etwas Neues oft nur etwas Altes im neuen Gewand ist, und wenn es schon keine Zeichentrickfilme mehr sein sollen, dann dreht man halt Remakes von
Flubber oder gar
Zotti, das Urviech (
The Shaggy Dog, nächstes Jahr mit Tim Allen).
Dem jungen Publikum wird im Vorspann von Herbie fully loaded immerhin über Zeitungsausschnitte gezeigt, was für eine bewegte Vergangenheit dieser nun auf dem Schrottplatz abgelagerte kleine Kerl bereits hinter sich hat. Immerhin trieb er sich sogar mal mit dem
Knight Rider K.I.T.T. herum - mit ein bißchen Glück kennen den die kleinen Gören noch aus der TV-Wiederholung. Daß dies trotz ein paar ausgefahrener Antennen als Phallusersatz ein Film für die ganze Familie sein soll, dürfte jedermann klar sein - warum die Kinder in den ersten fünf Minuten mehr (englischsprachige und nur teilweise untertitelte oder gar eingesprochene) Zeitungsschlagzeilen lesen sollen als an einem durchschnittlichen Schultag der zweiten Klasse, weiß allerdings wohl niemand.
Seltsam eigentlich, denn ansonsten ist alles kindgerecht. Wemm das Design der Scheinwerferaugen noch nicht anthropomorph genug ist, der darf auch noch mit Herbies Augen als subjektiver Kamera inklusive typischer Fernglasblende sehen und somit das Auto als Identifikationsfigur annehmen, falls ihn die spätpubertären stubenreinen Techtelmechtel der mitunter in ein zu enges Oberteil gezwängten Miss Lohan (noch) nicht interessieren.
Für die älteren Zuschauer gibt es neben dem ganz netten Soundtrack (jede Menge Gute-Laune-Mucke von den Surfaris und Lionel Ritchie bis hin zu
Born to be Wild oder Van Halens
Jump für den Kampf mit den Monstertrucks) vor allem die Zeitreise in die 1970er, als man die Bösewichte noch auf den ersten Blick erkennen konnte und alles darum ging, das Familienglück zu bewahren. Michael Keaton als Rennfahrervater, der lieber den talentlosen Sohnemann auf die Rennpiste schickt als die risikofreudige Tochter, die ihn so an deren verstorbene Mutter erinnert, hat in seiner Karriere selten Rollen gespielt, die ihm weniger abverlangten, Matt Dillon als schmieriger Schumi-Verschnitt ohne störende Moralvorstellungen kann immer erstaunlich blöd aus der Wäsche gucken, doch von Regisseurin Angela Robinson
(
D. E. B. S.) hatte man einfach einen zumindest einen klitzekleinen Hauch perfideren Witz erwartet. Nach drei Filmen kann ich mit Lindsay Lohan auch nicht mehr viel anfangen, und die Nebendarsteller wie Justin Long (
Dodgeball), Breckin Meyer (
Garfield) und Gevatter Dillons Schmiermaxe sind noch am interessantesten …
Daß Trailer dafür da sind, Leute ins Kino zu locken, ist mir auch klar, aber der Trailer zu Herbie bringt mal wieder das Kunststück fertig, daß man die wenigen noch ganz gelungenen Gags (Flirt mit dem New Beetle: „Sie ist zu jung für Dich", Umweg beim Formel 1, pardon, NASCAR-Rennen) auch schon zu oft zuvor gesehen hat, den Kinobesuch kann man sich also schenken, wenn man nicht unbedingt den Kindern einen Gefallen tun will. Und da im August auch noch
Charlie und die Schokoladenfabrik und
Das wandelnde Schloss (von wegen, es gibt keine Zeichentrickfilme mehr!) anlaufen, gibt es da auch die eine oder andere bessere Wahl.
Deuce Bigalow: European Gigolo
(Mike Bigelow)
USA 2005, Buch: Rob Schneider, David Garrett, Jason Ward, basierend auf Figuren kreiert von Rob Schneider, Harris Goldberg, Kamera: Marc Felperlaan, Schnitt: Peck Prior, Sandy Solowitz, Musik: James L. Venable, mit Rob Schneider (Deuce Bigalow), Eddie Griffin (TJ Hicks), Hanna Verboom (Eva Voorsbach), Jeroen Krabbé (Gaspar Voorsbach), Til Schweiger (Heinz Hummer), Carlos Ponze (Rodrigo), Kostas Somer (Assapopolous), Topper (Lil’ Kim), 95 Min., Kinostart: 18. August 2005 Mit dem exemplarischen Tagesbeginn eines europäischen Gigolos fängt auch der Film an. Dieser erwacht im luxoriösen Bett einer etwa zehn Jahre älteren, aber definitiv noch ansehnlichen Frau, die ihm ein „Danke für letzte Nacht“ zuhaucht und einen Stapel Banknoten in die Hand drückt, bevor sie furchtsam den gerade auf das Grundstück fahrenden Gatten erwähnt. Schnell die Sachen zusammengekramt, aber immer Herr der Lage schwingt sich der Gigolo wie ein Westentaschen-James Bond in Zeitlupe über eine Balustrade der Villa, landet aber vor einem etwas burschikosen Hausmädchen, doch der kurze Moment der Überraschung (wird sie ihn an den Hausherren verraten?) verfliegt, als auch diese sich artig für die letzte Nacht bedankt und ihm einen womöglich etwas kleineren Stapel Scheine ins männliche Dekolleté schiebt. Draußen springt der Gigolo in seinen Sportwagen, doch da kommt der gut gesicherte Außenzaun mit einem mit Maschinengewehr bewaffneten Gorilla in Sicht …
Ganz so vorhersehbar wie der nachfolgende Satz des Gorillas sind glücklicherweise nicht alle Scherze in
Deuce Bigalow: European Gigolo, aber viel geschmackvoller oder subtiler wird es danach auch nicht mehr. Etwa 20% der Scherze sind vermeintliche Schenkelklopfer der Fraktion Schwulenwitz, die das Niveau der Zuschauer schon recht tief einordnen, dann gibt etwa genausoviele Scherze auf Kosten unterschiedlich missgestalteter Frauen (riesengroß, mit Buckel, elefantösen Ohren oder einer penisähnlichen Nase), die es offensichtlich als einzige nötig haben, die Dienste eines Gigolos für sich in Anspruch zu nehmen. Die restlichen 60% sind tatsächlich etwas schwieriger aufzuteilen, aber gut 10% sind noch Ekelscherze à la Farrelly, die definitiv unter der Gürtellinie liegen. Wie sieht es aus, wenn eine Frau mit Penisnase niest, eine Frau mit Kehlkopfkrebs-Loch einen Schluckauf hat oder diese beiden unglücklicherweise aufeinander treffen? Alles, was sie nie über schlechten Geschmack wissen wollten …
Den Vorgängerfilm
Rent-A-Man muss man (ebenfalls …) nicht gesehen haben, um der Story zu folgen. Offensichtlich hat Rob Schneider, der Hauptdarsteller und Co-Autor, damals eine seiner Kundinnen (mit Beinprothese) geehelicht, zum Beginn des neuen Films ist er wieder solo, um in Eva (gespielt von der recht sympathischen holländischen Newcomerin Hanna Verboom), einer Frau mit 137 obsessiv-kompulsiven Zwngshandlungen, ein neues
love interest finden zu dürfen.
Die Story des Films entspringt immerhin mal einem anderen Genre, denn die Mitglieder der „European Union of Manwhores“ werden von einer mysteriösen großen blonden Frau nach und nach umgebracht. Dies bringt immerhin Til Schweiger als Heinz Hummer einen recht unterhaltsamen post-mortem-Auftritt, sieht aber irgendwie aus wie eine krude Mischung aus Brian De Palmas
Dressed to Kill und Ted Kotcheffs
Who is killing the Great Chefs of Europe?, die weder so spannend noch so witzig wie die Vorbilder ist.
Apropos Europa: Mit Ausnahme ganz weniger Szenen, die mal in Heidelberg, Spanien oder den USA spielen, spielt der gesamte Film in Amsterdam, das durch den Titel vorgegebene europäische Flair erschöpft sich größtenteils in Bigalows europäischen Gigolo-Kollegen, die wie Assapopolous aus Griechenland, McManus aus Irland oder Lil’ Kim aus Taiwan stammen, und jeweils für zwei, drei Scherze über Penisgröße, Ehehygiene oder -mal wieder- homoerotische Neigungen herhalten müssen.
Mit ausreichend Alkoholpegel kann man bei
Deuce Bigalow: European Gigolo durchaus öfter mal lachen, aber daß ich mich neben einem Pixies-Song und einer ekligen Pommes-Szene (definitiv schlimmer als in
A Fish called Wanda) noch am ehesten an das holländische Wettermädchen oder die Schaufensterputzerin, die sich in ihrem etwas nass gewordenen T-Shirt immer wieder an die Scheibe drückt (um auch noch den letzten Fleck zu erwischen), erinnern kann, unterstreicht eindrücklich, an welche niederen Instinkte dieser Film appelliert. Nur wem das egal ist, und wer auch gerne mal über hässliche Frauen oder schwule Männer lacht und Benny Hill oder Dieter Hallervorden zu den Großmeistern der Komik zählt, dem kann ich diesen Film empfehlen. Aber solche Leute werden auch ganz sicher nicht so viel Text ohne begleitende Bilder (bevorzugt von holländischen Nackedeis, die den Film aber auch nur spärlich durchsäen) durchgelesen haben …
Coming next month in Cinemania 21 (Kinostart September 2005):Aktuelle Rezensionen, wahrscheinlich mit:
Die große Depression, SommerHundeSöhne, Wächter der Nacht und anderen, zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststehenden Filmen …