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Februar 2006
Thomas Vorwerk
für satt.org

The Proposition
UK / Australien 2005

Filmplakat

Regie:
John Hillcoat

Buch:
Nick Cave

Kamera:
Benoît Delhomme

Schnitt:
Jon Gregory, Ian Seymour

Musik:
Nick Cave, Warren Ellis

Production Design:
Chris Kennedy

Kostüme:
Margot Wilson

Darsteller:
Guy Pearce (Charlie Burns), Ray Winstone, (Morris Stanley), Emily Watson (Martha Stanley), David Wenham (Eden Fletcher), Danny Huston (Arthur Burns), John Hurt (Jellon Lamb), Richard Wilson (Mike Burns), Tom Budge (Samuel Stote)

104 Min.
Berlinale 2006

The Proposition
Panorama Special

Wer schon Nick Cave-Fan war, bevor er sein Duett mit Kylie Minogue trällerte, weiß auch um den etwas seltsamen Knaststreifen Ghosts … of the Civil Dead, in dem St. Nicolas bereits 1988 sein Schauspieldebüt gab (und am Buch mitarbeitete). Nun gibt es eine weitere Zusammenarbeit Caves mit Regisseur John Hillcoat (der auch einige seiner Musikvideos inszenierte), bei dem Cave zwar nicht mitspielt, aber neben der Musik vor allem auch für das Drehbuch (diesmal mit alleinigem Credit) zuständig war.

Vorführungstermine: 
Montag, 13. Februar, 19 Uhr im Zoo-Palast
Dienstag, 14. Februar, 11 Uhr im CinemaxX 7 (Potsdamer Platz)
Samstag, 18. Februar, 21 Uhr 30 im Zoo-Palast

Obwohl Nick Cave auch schon einen Roman (And the Ass saw the Angel, 1989) und diverse Kurzgeschichten veröffentlichte, hätte man ihm nicht unbedingt ein Drehbuch zugetraut, das so überzeugt wie das von The Proposition. Offensichtlich inspiriert von Klassikern des New Hollywood wie Apocalypse Now und Heaven’s Gate entwarf er einen australischen Spätwestern, der sowohl ästhetisch wie auch poetisch an Meisterregisseure wie Cimino, Coppola oder Malick heranreicht.

Nach einer Schrifttafel, die davor warnt, daß einige im Film verwendete Archivfotos für australische Ureinwohner „offensive“ sein könnten, kommt der Film auch schnell zur Sache und beginnt völlig unvermittelt mit dem Kugelhagel, der einen Schuppen, für den die Bezeichnung Bordell ein Euphemismus wäre, durchsiebt.

Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene

Australien in den 1880ern. Beim Bestreben, einem Land, das bekanntlich größtenteils von Kriminellen bevölkert wurde, Zivilisation einzubleuen, ist dem aus England stammenden Captain Morris Stanley (“Sexy Beast“ Ray Winstone) ein Teilerfolg gelungen. Er konnte die jüngeren zwei Brüder der Burns-Gang, die zuletzt für das Massaker auf der Hopkins-Farm zuständig waren, gefangennehmen. Doch Arthur, der blutrünstige Kopf der Gang, um den selbst die eingeborenen black rebels einen Bogen machen, weil er sich u. a. in einen Hund verwandeln können soll, bleibt noch auf freiem Fuss, und so macht Captain Stanley Charlie Burns (Guy Pearce, hier wie der veritable Nachfolger Clint Eastwoods in Szene gesetzt) ein Angebot, die titelgebende Proposition. Der jüngste Bruder Mikey wird in neun Tage, zu Weihnachten, aufgehängt, wenn Charlie nicht seinen älteren Bruder aufspürt und höchstpersönlich tötet. Dieser Auftrag erinnert ein wenig an Captain Willards Reise ins Herz der Dunkelheit, um den nicht weniger mythisch überhöhten (und wahnsinnigen) Colonel Kurtz in Apocalypse Now zu töten. Spätestens wenn Charlie bereits recht früh im Film vom Speer eines Eingeborenen durchbohrt wird und mit einigen Naturheilkräutern auf wundersame Weise wieder geheilt wird, verlässt der Film wie damals bei Coppola die herkömmliche Realitätsebene und wird zu mehr, zu einer Reise auf der Suche nach dem Sinn hinter der „Poesie der Gewalt“.

Beim Kampf zwischen Captain Stanley und den Burns-Brüdern spielt immer wieder die „Zivilisation“ eine Rolle. Stanley lebt mit seiner zierlichen Frau (Emily Watson, der man in einigen Szenen die Strapazen der Dreharbeiten sehr ansieht) in einer von einen blütenweißen picket fence umgebenen Farm, man speist aus gutem Porzellangeschirr inmitten prächtiger Ölgemälde oder importiert sich zu Weihnachten auch mal einen Tannenbaum nebst gläsernen Engelbehang. Dieses traute Heim steht aber in direktem Widerspruch zum vom Captain geführten derben Polizeileben, wo Gefangene wie Mike Burns mit umgetexteten Weihnachtsliedern (“on the fifth day of christmas … four noozes dangling, three crows a-picking“ oder so ähnlich) malträtiert werden und die dreckverkrusteten Uniformen kaum mehr als solche zu erkennen sind.

Arthur Burns hingegen (Danny Huston, der momentan auch in The Constant Gardener brilliert) lebt zwar irgendwo in der Wildnis, rezitiert aber ebensogerne Gedichte wie er den Sonnenuntergang betrachtet. Und bei ihren blutigen Mitteln trennt die beiden Figuren, die man nur schwer in Gut und Böse dividieren kann, nur wenig, gerade die Geringschätzung der Aborigines sagt hier mehr über „Zivilisation“ aus als der exemplarische Kirchenbesuch nach der Auspeitschung. Wenn die Polizeitruppe blutbesudelt und besoffen „Rule Britannia!“ singt, steht man als Zuschauer klar auf der Seite jener, die diese nur nach außen hin christlich wirkende Order durchbrechen wollen.

Trotz drastischer Bilder, die man nach Ghosts … of the Civil Dead auch wieder erwartet hat (auch in seinen Songs dreht sich bei Cave ja oft viel um alttestamentarischen und anderen Mord und Totschlag) lebt The Proposition von einem eigentümlichen ästhetischen Reiz, den man seit Heaven’s Gate nur selten erlebte - vielleicht noch am ehesten in Michael Winterbottoms The Claim, einem ähnlich fatalistischen Western. Kameramann Benoît Delhomme (Tsai Ming-Liangs What time is it there?, Michael Radfords The Merchant of Venice) nutzt hier das Breitwandformat voll aus und knüpft nebenbei noch an die großen Italo-Western Sergio Leones oder die Gewaltorgien eines Sam Peckinpahs an. Wobei ungeachtet einiger weggepusteter Gesichtshälften mitunter auch mal mit subtilen Mitteln gearbeitet wird. Bei der bereits erwähnten Auspeitschung etwa sieht man nie den blutigen Rücken des Opfers, sondern stattdessen die Rückenpartien einiger der Zuschauer, die fast ausnahmslos von Fliegen übersät sind. Schon diese Nebeneinanderstellung stimuliert die Phantasie des Zuschauers, doch wenn dann auch noch die von blut triefende Peitsche regelrecht ausgewrungen wird, bevor der 38. (von 100) Peitschenschlägen folgt, so wirkt dies wie ein Tritt in die Magengrube. Und davon kann The Proposition viele bieten, selbst wenn Drehbuchautor Cave einige Momente direkt aus seinen Vorbildern übernommen hat, und man beispielsweise schon recht früh ahnt, daß Emily Watson ein ähnliches Schicksal wie Isabelle Huppert in Heaven’s Gate blüht (über Nebendarsteller John Hurt wird die Verbindung zu Ciminos Epos übrigens noch verstärkt). Doch von dieser Anknüpfung an die letzte große Epoche des englischsprachigen Kinos lebt der Film auch. In einem Jahr, in dem Terrence Malick der Berlinale einen Wettbewerbsbeitrag (wenn auch außer Konkurrenz) spendiert hat, könnte ausgerechnet ein (zumeist ja weniger beachteter) Panoramabeitrag diesem ernsthafte Konkurrenz machen.