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Mai 2006
Thomas Vorwerk
für satt.org

Der Tintenfisch und der Wal
USA 2006

Plakat

Originaltitel:
The Squid and the Whale

Buch
und Regie:
Noah Baumbach

Kamera:
Robert Yeoman

Schnitt:
Tim Streeto

Musik:
Dean Wareham, Britta Phillips

Production Design:
Anne Ross

Darsteller:
Jeff Daniels (Bernard Berkman), Laura Linney (Joan Berkman), Jesse Eisenberg (Walt Berkman), Owen Kline (Frank Berkman), Anna Paquin (Lili), Halley Feiffer (Sophie), William Baldwin (Ivan), Peter Newman (Mr. Greenberg)

88 Min.

Kinostart:
11. Mai 2006

Der Tintenfisch und der Wal
The Squid and the Whale

The Squid and the Whale ist zwar bereits Noah Baumbachs dritte Regiearbeit, doch am bekanntesten dürfte er für sein Co-Drehbuch (mit Regisseur Wes Anderson) zu The Life Aquatic with Steve Zissou sein. Nun deuten nicht nur diese Filmtitel eine gewisse Ähnlichkeit an, auch erinnert die Geschichte einer mitunter exzentrischen kleinen Familie ein wenig an einen Anderson-Film wie The Royal Tenenbaums, und da ich persönlich der Meinung bin, daß Anderson seit Rushmore nie wieder einen auch nur halbwegs so interessanten Film gedreht hat, konnten mich auch die Vorschußlorbeeren vom Sundance Festival (Grand Jury Prize) oder die drei Golden Globe-Nominierungen (für den besten Film [Musical or Comedy] sowie die Hauptdarsteller Jeff Daniels und Laura Linney) davon überzeugen, daß es sich hierbei um einen Film handelt, für den ich meine knapp bemessene Zeit ofern will.

Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene
Filmszene

Doch irgendwie ließ ich mich doch überreden, und wurde positiv überrascht, denn trotz komischer Elemente erinnert der Film eher an Familientragödien wie American Beauty oder The Ice Storm als an die putzig-quirligen Filmchen Andersons.

Park Slope, Brooklyn, New York - 1986. Wenn der Vater Bernard (Jeff Daniels) seinem 16jährigen Sohn Walt beim Familientennis rät, auf die schwache Rückhand der Mutter Joan (Laura Linney) zu spielen, deutet sich bereits das Verhältnis und die drohende Trennung zwischen den Eltern an. Über die Kinder wird ein Psychokrieg ausgetragen, bei dem fair play nichts zu suchen hat. Der Vater, ein Literaturdozent, der immer noch von seiner einige Jahre zurückliegenden literarischen Karriere zehrt, muß ausziehen und nutzt die letzten Nächte im früheren Familienheim, um Bücher aus dem gemeinsamen Regal unter dem Bett zu verstecken. Nach dem Umzug in eine eher schäbige Wohnung, in der der ältere, stärker vom Vater indoktrinierte Walt sich schnell einfindet, wird er erstmal in Jahre zurückliegende Affären der Mutter eingeweiht, keine Aktion scheint für den bitteren Bernard zu niederträchtig, und man fragt sich als Zuschauer, wer wohl verantwortlich ist für das Plakat des Eustache-Films La maman et la putain, das in Walts Jugendzimmer hängt.

Während der 12jährige Frank sehr unter der Trennung zu leiden scheint und neben seiner Neigung zum innovativen Fluchen (“Fuck that cock-shit!“ oder „Suck my dick, assman!“) mit frühem Bierkonsum oder eigentümlichen Masturbationspraktiken auffällt, hat sich der 16jährige Walt für seine ersten Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht ausgerechnet mit seinem Vater einen denkbar schlechten Ratgeber ausgesucht. Dieser scheint außerstande, sich in seinem Erfahrungshorizont in frühere Zeiten zurückzuversetzen (deshalb wahrscheinlich auch die Schreibblockade - wenn für ihn alles nur „minor Fitzgerald“ ist, scheitert man an den eigenen hohen Ansprüchen) und lässt erstmal eine gutaussehende Studentin (Anna Paquin) aus einem seiner Kurse in der vermeintlich geräumigen Wohnung „untermieten“ - und bringt damit den bei seiner ersten Freundin noch sehr verunsicherten Walt völlig aus dem Konzept. Aber auch die Mutter hält sich nicht eben zurück, und so ist schon sehr bald der Tennislehrer (William Baldwin) der beiden Jungen häufig zu „Besuch“ da.

Der zunächst verwirrend klingende Titel des Films erklärt sich später über ein im Naturkundemuseum hängendes Bild, das den Kampf zweier Meeres-Monster zeigt - nicht unähnlich dem Kampf der Eltern. Mögen Teile des Skripts (etwa die etwas platten Namen Walt oder Ivan - der Tennislehrer!!) noch ganz dem Humor eines Wes Anderson verpflichtet sein, zeigt sich in der Inszenierung (bei der sich Baumbach laut eigenen Angaben vom direct cinema und der nouvelle vague hat inspirieren lassen), daß hier Emotionen, Atmosphäre und Figurenentwicklung wichtiger eingeschätzt werden als kleine Gags am Rande.

Allerdings ist der Film manchmal fast zu clever für seinen Regisseur. Wenn der vermeintlich weltmännische Bernard einmal die Schlußszene aus A bout de souffle imitiert, um seine Frau (mal wieder) zu demütigen, muß er dies auch noch erklären - so ungebildet erscheint (ihm) die ebenfalls schriftstellerisch ambitionierte Joan. Doch wenn er Belmondos berühmtes letztes Wort „dégueulasse“ (das ja seinerzeit auch erklärt werden musste) mit „bitch“ übersetzt, fragt man sich, ob dies ein Kommentar zur klugscheisserischen Filmfigur ist - oder der Regisseur selbst seine Französischkenntnisse vor allem amerikanischen subtitles verdankt. Aber vielleicht interpretiere ich in dieses Detail auch zuviel hinein.