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Oktober 2006
 

Cinemania 36:
Kinostart Oktober / November 2006

Der Kinostart von Der Lebensversicherer wurde kurzfristig in den Dezember verlegt, die Rezension wird deshalb im nächsten Cinemania nachgeholt. Aber auch ohne Lebensversicherer ist es interessant, was sieben Zwerge so mit sieben Jungfrauen anstellen oder wer dem Jackass den letzten Kuss gibt …



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Cinemania 36:
Kinostart
Oktober / November 2006

[Alle Rezensionen von Thomas Vorwerk]

7 Jungfrauen
(Alberto Rodríguez)

Originaltitel: 7 vírgenes, Spanien 2005, Buch: Alberto Rodríguez, Rafael Cobos López, Kamera: lex Catalán, Schnitt: J. Manuel G. Moyano, Musik: Julio de la Rosa, mit Juan José Ballesta (Tano), Jesús Carroza (Richi), Vicente Romero (Santacana), Alba Rodríguez (Patri), Julián Villagrán (José Maria), Manolo Solo (Direktor der Reformschule), Ana Wagener (Richis Mutter), Maite Sandoval (Patris Mutter), 86 Min., Kinostart: 9. November 2006

Der sechzehnjährige Tano sitzt eine Haftstrafe ab, bekommt aber 48 Stunden frei, um der Hochzeit seines Bruder Santacana beizuwohnen. Obwohl dieser in Sevilla spielende Film in seiner ungestümen Energie teilweise an Larry Clarks Kids erinnert, geht es nicht darum, daß Tano in zwei Tagen sieben Jungfrauen “knacken” will, die einzigen in solcher Anzahl im Film auftauchenden Jungfrauen sind sieben Postkarten, die die Jungfrau Maria zeigen. Das Spiel der “Sieben Jungfrauen” geht so, daß man sich zwischen zwei Kerzen 60 Sekunden lang wie in einem Countdown anstarren soll, um so seine Zukunft zu erfahren.
Doch dazu später … Nachdem ihn sein Bruder noch gewarnt hat, “nichts anzustellen”, wird Tano gleich wieder mit der Kriminalität konfrontiert. Jede Handtasche scheint ihn anzulachen, und wenn auf einem Marken-Sportartikel “Just do it” steht, ist das für ihn wie eine Aufforderung, diesen zu stehlen. Sein bester Freund Richi (der mit den Postkarten) ist da nicht wirklich eine Hilfe, und schon bald wird ein Besuch der Mall ein Rennen um die Freiheit. Aber mit der Beute kann man immerhin einen vernüftigen Anzug für die Hochzeitsfeier und einen Farbfernseher für Tanos Großmutter organisieren …
Probleme werden unterdrückt, man ist auf “Fun” aus (was der Soundtrack mit pulsierenden Hip Hop-Rhythmen und “Latin Jazz” auch unterstreicht), und weder vor einem Date-Rape noch vor offener Gewalt beim Kampf gegen “die Typen vom Wohnblock” schreckt man im “Barrio”, Tanos Kiez in Sevilla, zurück. Solange niemand aus den Ohren blutet, ist ja alles halb so schlimm. Nebenbei gibt es Polizeikontrollen, ein seltsamer Typ beschwert sich über das (offensichtlich geklaute) Autoradio, das er bei Richie gekauft hat, Tanos Freundin Patri scheint etwas zu bedrücken und Richies Mutter treibt es mit einem Typen mit Armstumpf.
Der Vergleich mit Kids drängt sich auf, abgesehen von Juan José Ballesta, der für seine Rolle als Tano in San Sebastian als bester Hauptdarsteller ausgezeichnet wurde, sind alle Jungdarsteller Debütanten, und die Prioritäten der Figuren scheinen ganz ähnlich zu sein: Sex, Drogen, Musik, Geld und ein bißchen Vandalismus.
Der Blick in die Zukunft wirkt wie ein billiges Horoskop: Vor einem “grünen Bären” soll Richi sich hüten … Sicher, und wenn rosa Elefanten von links die Straße kreuzen, gibt es morgen Regen … 7 Jungfrauen hatte in Spanien eine Million Zuschauer, und sein Thema ist international wiedererkennbar. Verglichen aber mit beispielsweise Knallhart wirkt der Film energetischer, teilweise rauher, aber vor allem authentischer - selbst, wenn die Struktur des Drehbuchs gegen Ende kaum mehr übersehbar ist. Ein weiterer Beweis dafür, daß das Filmland Spanien sich langsam vom Exotenstatus verabschiedet, und zumindest in Europa in der Topliga spielt.

Lucas, der Ameisenschreck
(John A. Davis)

Originaltitel: The Ant Bully, USA 2006, Buch: John A. Davis, Lit. Vorlage: John Nickle, Kamera: Ken Mitchroney, Schnitt: Jon Price, Musik: John Debney, mit den Originalstimmen von Julia Roberts (Hova), Nicolas Cage (Zoc), Zach Tyler (Lucas Nickle), Paul Giamatti (Stan Beals), Bruce Campbell (Fugax), Regina King (Kreela), Lily Tomlin (Mommo), Meryl Streep (Queen Ant), Ricardo Montalban (Head of Council), Allison Mack (Tiffany Nickle), Cheri Oteri (Doreen Nickle), Larry Miller (Fred Nickle), Austin Majors (Blue Teammate), S. Scott Bullock (Glow Worm / Wasp Survivor), Frank Welker (Spindle / Frog / Caterpillar), David Kaye (Sleeper Ant), Alfred Jackson (Slacker Ant), Clive Robertson (Hova's Wasp), 88 Min., Kinostart: 12. Oktober 2006

Schlechte Zeiten, Kamerad! Im Gegensatz zu etwa Jimmy Neutron, Boy Genius oder Till Eulenspiegel bekam man bei The Ant Bully leider nicht einmal in einer Kinometropole wie Berlin die Chance, diesen Film in der Originalfassung zu betrachten. Was bei der hochkarätigen Besetzung der Stimmen (Oscar-Gewinner Julia Roberts, Nicolas Cage, Meryl Streep, Oscar-Nichtgewinner Paul Giamatti, Ricardo Montalban, Lily Tomlin, Bruce Campbell) doppelt vergrätzt.
Positiv war hingegen, daß ich mir den Film - wenn ich ihn schon in der Synchronfassung anschauen muß - auch mit meinen Nichten in der Provinz (bzw. Semi-Provinz Bremen) zur Gemüte führen konnte. Wenig überraschend hatten diese (acht bzw. neun Jahre alt) noch nie etwas von dem Film gehört, dessen Werbe-Etat bei einen Major wie Warner Brothers wohl kaum die Kaffeekasse gesprengt hat.
Man sah dem Film durchaus an, daß sein Regisseur zuvor den bereits erwähnten Jimmy Neutron, Boy Genius (immerhin einer der drei Filme, die die Oscar-Kategorie "Bester animierter [Lang-]Film" einführten) betreute. Titelheld Lucas erinnert teilweise an Jimmy, doch dafür sind die eigentlichen Helden des Film, die Ameisen (und Wespen) umso überzeugender animiert.
Donaldisten werden beim Plot an einem Barks-Comic erinnert, denn ähnlich wie seinerzeit Donald und seine Anverwandten ist es hier der kleine Lucas, den es verkleinert in einen Ameisenbau verschlägt, in dem man ihn noch bis vor kurzem ehrfürchtig als "Peanut, the Destroyer" bezeichnete, weil unser Ant Bully gerne seine Probleme mit einem menschlichen Bully mit Wasserpistole oder auch einer gewissen "gelben Flüssigkeit" gegen den Ameisenbau gerichtet kompensiert.
Ich fand es erstaunlich, wie gut der Film bei den kleinen Zuschauern funktionierte, die sich sehr schnell mit den Ameisen identifizierten. Wespen als solche zu identifizieren, fiel durch die veränderte Perspektive (und die nicht völlig naturalistische Animation) zwar groß wie klein nicht leicht (“Thomas, was sind das für Tiere?” --- “Ich weiß es nicht, vielleicht Libellen?”), doch an Kleinigkeiten wie den sich in Zauberei übenden Ameisen wollte man sich nicht stören, so mitreißend war der Film. Der gemeinsame Angriff von Ameisen, Wespen und noch so manchem Getier auf einen üblen Kammerjäger (Paul Giamatti) erinnerte mich zwar ein wenig an Open Season, doch lief Lucas in Deutschland ja sogar früher an, und im Bereich Animation gibt es momentan erschreckend viele “ähnliche” Geschichten (Madagascar / The Wild; Open Season als umgedrehte Version von Over the Hedge).
Auch wenn The Ant Bully nie den Bekanntheitsgrad aktueller Disney oder Dreamworks-Filme erreichen wird, kann der Film sowohl vom Casting als auch von der Story (wenn auch nicht immer von der Animation) durchaus mit den “größeren” Cousins mithalten. Und im Gegensatz zu allen oben genannten Animationsfilmen hat dieser sogar eine pädagogische Message, die über “Sei nett zu deinen Freunden” hinausreicht: “Quäle nie ein Tier im Scherz, denn es spürt wie du den Schmerz.”

Ein Freund von mir
(Sebastian Schipper)

Deutschland 2006, Buch: Sebastian Schipper, Kamera: Oliver Bokelberg, Schnitt: Jeffrey Marc Harkavy, mit Daniel Brühl (Karl), Jürgen Vogel (Hans), Sabine Timoteo (Stelle), Peter Kurth (Fernandez), Michael Wittenborn (Naumann), Oktay Inanc Özdemir (Theo), 84 Min., Kinostart: 26. Oktober 2006

Als leitender Angestellter in einer großen Versicherung hat Karl (Daniel Brühl) mit Mitte Zwanzig anscheinend bereits alles erreicht, was es zu erreichen gibt. Gleich zu Beginn des Films wird ihm sogar “der Bogenschütze” verliehen, ein Preis, der dem Leben von Karl aber keine entscheidenden neuen Impulse geben kann. So muss es sogar sein Kollege übernehmen, Karls Hand mit dem Preis hochzurecken. Während er später auf die U-Bahn wartet, erblickt er ein Mädchen, das ihm auch schon bei der Preisverleihung aufgefallen war, doch soviel Energie, sie anzusprechen, kann der Diplom-Mathematiker nicht aufbringen.
Sein Vorgesetzter Naumann will Karl wachrütteln - und schickt ihn zu einer Autovermietung am Flughafen, bei der er die “Versicherungsrisiken abschätzen” soll. Doch statt sich angesichts dieses blödsinnigen Auftrags (Sein Kollege: “Gestern den Bogenschützen, jetzt Undercover in der Tiefgarage - das ist doch total schwul.”) zu brüskieren, scheint Karl das Überführen von Fahrzeugen weitaus mehr zu erfüllen als sein Schickimicki-Job im noblen Hochhaus-Büro. Schon beim Vorstellungsgespräch lernt er Hans (Jürgen Vogel) kennen, einen extrovertierten Lebenskünstler, der diesen Job im Gegensatz zu Karl wirklich braucht. Die beiden freunden sich allmählich an, und Hans lockt Karl mit seltsamen Mutproben (nackt Porsche fahren etc.) immer mehr aus sich heraus.
Der Film setzt Karls Lethargie zunächst mit vielen statischen Kameraeinstellungen in “bewegten Räumen” um. Karl scheint wie ein Papierschiffchen, das von den Wellen bald hierhin, bald dorthin getrieben wird. Karl lebt in einer eigenen Welt, zu Beginn sieht man die Lichter fahrender Autos nur wie Sterne an seinem Horizont herumziehen. Diese Unbestimmtheit der Jugend bestimmte auch Sebastian Schippers ersten Film, Absolute Giganten. Und so wie dort der vierte Hauptdarsteller ein 74er Granada GMX-Coupé war, ist es diesmal das Auto von Hans, ein DAF 66, Baujahr 72, mit kaputtem Dachfenster, der den Porsches und Mercedes ein wenig den Rang abläuft. Und so wie in Absolute Giganten Julia Hummer als Telsa jenes Mädchen war, das wie eine kleine Schwester ein wenig zwischen den drei Jungs stand, gibt es diesmal mit Sabine Timoteo als Flugbegleiterin Stelle (ein mindestens genauso seltsamer Name) eine Frau, die trotz aller angedeuteter Homoerotik (Hans: “Wenn ich ‘ne Frau wär, hätte ich ziemlich geile Titten. Du hättest ‘nen geilen Arsch.”) zwischen den beiden steht. Vor allem auch, weil Hans dieses initiiert. Karl ist verärgert: “Findest Du es geil oder ‘top’, wenn ich Deine Freundin küsse?” Hans dazu ganz locker: “Du hast Dich verknallt - aber ein ganz kleines bißchen hast Du Dich auch in mich verknallt.”
Ähnlich wie in seinem Debüt gelingt es Schipper, eine überzeugende Männerfreundschaft aufzubauen - und sie immer wieder in Frage zu stellen. Man merkt dem Film seine lange Produktionszeit an, das Drehbuch ist sehr pointiert, die Kadrierungen mitunter großartig (die letzte Einstellung ist Weltklasse!), doch irgendwie springt diesmal der Funke nicht so über wie bei den Giganten, bei denen eine kleine Tanznummer oder ein Kickerspiel das Adrenalin des Zuschauers hochtreiben konnte. Auf dem Papier wirkt alles ganz “top”, doch so wie der gelungene Guiness-Weltrekord im Ausrichten möglichst vieler (6!) Filmpremieren an einem Tag (allerdings mit schnödem Flugzeug, nicht mit dem Auto …) geht der Film nicht wirklich in die Tiefe oder ins Blut. Schade.

Jagdfieber
(Roger Allers & Jill Culton)

Originaltitel: Open Season, USA 2006, Co-Regie: Anthony Stacci, Buch: Steve Bencich, Ron J. Friedman, Nat Mauldin, Schnitt: Ken Solomon, Pam Ziegenhagen, Musik: Ramin Djawadi, Paul Westerberg, mit den Original / deutschen Stimmen von Martin Lawrence / Thomas Heinze (Boog, Bär), Ashton Kutcher / Jürgen Vogel (Elliot, Hirsch), Gary Sinise / Oliver Stritzel (Shaw, Jäger), Debra Messing / Alexandra Neldel (Beth, Boogs “Frauchen”), Billy Connolly / Wolfgang Spier (McSquizzy, Hörnchen), Georgia Engel / Christel Merian (Bobbie), Jon Favreau / Jörg Hengstler (Reilly), Jane Krakowski / Dascha Lehmann (Giselle, Hirschkuh), Gordon Tootoosis (Gordy), Patrick Warburton / Engelbert von Nordhausen (Ian, Hirsch), Cody Cameron / Christian Gaul (Mr. Weenie / Herr Wiener), Danny Mann / Frank-Otto Schenk (Serge), Fergal Reilly /Tobias Kluckert (O'Toole), Matthew Taylor / Santiago Ziesmer (Stachelschwein), Matthew Taylor / Martin Kautz (Deni), 86 Min., Kinostart: 9. November 2006

Als Donaldist sieht man die Welt oft mit anderen Augen. Jackass wirkt plötzlich nicht mehr so absurd, wenn man erst vor einigen Wochen selbst die berühmte “Mülleimerrolle” nachgespielt hat. Und ein Film wie Open Season birgt in sich eine neue Erklärung, warum Enten manchmal Zähne haben und manchmal nicht (vergesst die Fehlmann’sche Kapsel!) und zeigt einem ferner, daß das Senfgewehr gar nicht so eine blödsinnige Idee war. Daß Carl Barks aber nicht nur ein Faible für Absurditäten hatte, sondern auch für ausgefuchste Handlungen, wird man leider bei diesem Film auch erkennen, denn nach der ganz netten Idee, jetzt wie im Umkehrschluß zu Over the Hedge ein von der Zivilisation verhätscheltes Tier mit dem “harten Naturgesetz” zu konfrontieren, folgen größtenteils absurde Ideen, die es leider nicht ganz vollbringen, den Zuschauer auf lange Sicht davon abzulenken, daß der Film abgesehen von der nicht eben innovativen Geschichte vom Buddy-Bären und seinem Hirschkumpel wenig zu bieten hat. Tiere mit seltsamen Akzenten (zumindest in der Synchronfassung), Geweihe, die mit Slips und BHs zu Katapulten umfunktioniert werden, Hasen, die wie Gasmasken vors Gesicht geschnallt werden - wie die Tierwelt hier der Menschheit (oder zumindest den Jägern) den Krieg erklärt, wirkt aufgrund der anthropomorphen Kriegsführung mehr als nur absurd.
Schade, denn die unfreiwillige Freundschaft zwischen Bär und Hirsch (Jürgen Vogel ist als Synchronstimme eine wirkliche Entdeckung) und die ihr zu Grunde liegende Charakterisierung der Hauptfiguren funktioniert wie einige der wirklich witzigen buddy movies meiner Jugend, wie Midnight Run oder Planes, Trains, and Automobiles. Immerhin ist die Handarbeit der neu aus dem Boden gestampften Animationsabteilung von Sony Pictures durchaus ansprechend, für den Soundtrack konnte man Paul Westerberg, den Sänger der hierzulande leider eher unbekannten Replacements, gewinnen, und auch das Casting kann mit den etaiblierten Konkurrenten mithalten, nur an einer Story, die einen noch 20 Minuten nach Filmende überzeugt, hapert es bislang. Da es dem Film aber immerhin schafft, einen anderthalb Stunden zu unterhalten (und da versagten beispielsweise einige jüngere Filme aus dem Disney-Studio), drückt man ein Auge zu und heißt die Grünschnäbel im Animationsbusiness willkommen.

Wo ist Fred? (Anno Saul)

Deutschland 2006, Buch: Cinco Paul, Ken Daurio, Bora Dagtekin, Kamera: Peter Nix, Schnitt: Tobias Haas, Musik: Marcel Barsotti, mit Til Schweiger (Fred), Jürgen Vogel (Alex), Alexandra Maria Lara (Denise), Christoph Maria Herbst (Ronnie), Anja Kling (Mara), Pasquale Aleardi (Benno Held), Tanja Wenzel (Vicky), Ramon Julia König (Linus), Erwin Aljukic (Niklas), Vanessa Petruo, Kurt Krömer, 107 Min., Kinostart: 16. November 2006

Til Schweiger war als Der bewegte Mann mitverantwortlich für einen zweiten Schub deutscher Komödien (der erste kam mit Doris Dörries Männer), wobei aber - wie so oft - mit qualitativ minderwertigen Produkten der Markt schnell übersättigt wurde. Solche Komödien, wie sie vom Boulevard-Theater abzustammen scheinen (Männer, die sich im Kleiderschrank verstecken) und heutzutage auch mit den nur selten gelungenen deutschen Privat-Fernseh-Sitcoms verglichen werden könnten, sind im Kino momentan glücklicherweise rar gesät - Preiswertere, innovativere und “ehrlichere” Komödien sind da gefragter. Eine solche hat mit Kebab Connection der aufstrebende Regisseur Anno Saul realisiert, und nun trafen zwei Welten aufeinander - nicht nur Saul und Schweiger, sondern vor allem Saul und sein Produzent Philip Voges, der in den letzten zehn Jahren fast jedes Jahr eine deutsche Komödie produziert hat, darunter die zwei Erkan & Stefan-Filme, die zwei Regie-Arbeiten von Mathias Dinter (Die Nacht der lebenden Loser sowie Feuer, Eis und Dosenbier) oder Der letzte Lude. Ich habe diese Filme alle nicht gesehen, habe aber klar das Gefühl, daß Subtilität oder Authentizität nicht eben Begriffe sind, die für das Werk dieses Produzenten stehen. Der einzige Philip Voges-Film, den ich gesehen habe, ist Fussball ist unser Leben, der zwar schon wegen seiner Besetzung Reminiszenzen an Männer mit sich bringt, aber dennoch durchweg gelungen war - wobei ich aber als Schalke-Fan vielleicht nicht völlig objektiv urteilen kann.
Auch in Wo ist Fred? spielt ein Ballsport eine große Rolle: Basketball und insbesondere Alba Berlin. Doch um es vorwegzunehmen: Für Basketball habe ich mich noch nie interessiert, und wahrscheinlich hätte die komplette deutsche Nationalmannschaft in dem Film einen Cameo-Auftritt gehabt haben können, und es wäre mir nicht aufgefallen. Ein echter Fan hingegen ist der kleine Linus (Ramon Julia König), der am liebsten einen der wirklich aus dem Spiel kommenden Basketbälle hätte, wie ihn sein Star Mercurio Müller nach vielen Spielen auf die Tribüne wirft (Nach dem Spiel werden sie natürlich auch noch von der gesamten Mannschaft signiert). Fred (Til Schweiger), der blöde Schnösel, der Linus’ Mutter (Anja Kling) anbaggert, soll ihm so einen besorgen, sonst wird Linus schon dafür sorgen, daß er den Typen nicht irgendwann Papa nennen soll.
Nun ist Fred offensichtlich so interessiert daran, sich mit Linus “gut zu stellen”, daß er nicht davor zurückschreckt, sich beim nächsten Heimspiel von seinem Kumpel Alex (Jürgen Vogel) im Rollstuhl in die Halle schieben zu lassen, denn als behindertenfreundlicher Verein werden die begehrten Bälle gern in jenen Teil der Tribüne geworfen, wo die geh- und anderweitig behinderten Zuschauer sitzen. In Linus’ Augen ist das natürlich eine absolute Verschwendung: “Sie können nicht springen oder laufen. Was wollen sie dann mit dem Ball? Draufrum sabbern?” Herzallerliebst, der kleine Fettarsch!
Doch zurück zu Fred und Alex. Es gelingt Fred tatsächlich, die begehrte Trophäe abzugreifen, auch wenn er dafür den Rollstuhl eines anderen echten Fans, des etwas nervigen (na gut, etwas mehr als “etwas” …) Ronnie (Christoph Maria Herbst), aus dem Weg räumen muss. Doch statt nun sofort seine (mitunter etwas anstrengende) Herzensdame zu ehelichen und sich ins Herz ihres missratenen Sohns einzuschleichen, erfährt Fred, daß er den Ball erst nach einer Woche ausgehändigt bekommt, und weil Alba ihn nun auch noch für einen “Image-Film” einspannen will, muß er eine Woche “in character” bleiben, wozu nun dummerweise auch noch gehört, daß er sich als stumm ausgegeben hat. Kumpel Alex findet das Ganze gar nicht so schlecht, denn er hat ein Auge auf die Kamerafrau des zweiköpfigen Filmteams geworfen, die ihn aber zunächst eiskalt abblitzen lässt. Wenn ich nun noch erwähne, daß die Regisseurin und Interviewerin Denise von Alexandra Maria Lara gespielt wird, dürfte es relativ klar sein, welche weiteren Probleme nun noch auf Fred (der in seiner Zweitidentität nun aufgrund besonderer Geistesgegenwärtigkeit den Nachnamen “Krüppelmann” trägt) zukommen werden.
Erstaunlich stilsicher umschifft der Film einige offensichtliche Fallstricke und wirkt trotz diverser politischer Unkorrektheiten und der nicht unbedingt empfehlenswerten Idee, sich als Behinderter auszugeben, um sich dadurch Vorteile zu erschaffen, nicht wirklich behindertenfeindlich, denn man lacht (abgesehen vom rachsüchtigen Ronnie) eigentlich eher mit als über die Behinderten, und eben vor allem über Fred, der sich seine Lage ja selbst zuzurechnen hat.
Wie das bei solchen Filmen oft so ist, wird natürlich alles immer katastrophaler und slapstickmäßiger. Irgendwann muß Fred sich noch einen nicht behinderten Bruder namens Theodor Krüppelmann einfallen lassen, um einerseits bei Denise ein zufälliges Treffen ohne Rollstuhl zu erklären, nebenbei aber noch für seine Verlobungsfeier mit Mara beispielsweise den Champagner auszuwählen (“gut, gut, bißchen süß, zu bitter, zuviel Kohlensäure” - wieder zurück zu Denise).
Am besten funktioniert Wo ist Fred?, wenn er die geheuchelte Freundlichkeit gegenüber Behinderten demaskiert oder zeigt, wie hilflos die “Normalen” manchmal bei einer Begegnung mit Behinderten wirken. Also etwa, wenn Maras Mutter ihren Schock angesichts des (nicht angekündigten) Zustands ihres Schwiegersohns-in-spe mit einem gut gemeinten “Der Schäuble sitzt ja auch im Rollstuhl” zu kaschieren versucht.
Freunde von Kebab Connection werden feststellen, daß Wo ist Fred? weitaus professioneller und “geschliffener” wirkt, doch auch, wenn ich jederzeit lieber einen “kleinen” Film mit Denis Moschitto und Nora Tschirner sehe als das allzu eingefrorene Lächeln von Til Schweiger oder die schier unerträgliche Cuteness von Alexander Maria Lara erlebe, war der Film doch eine gelungene Unterhaltung, die mich durchaus neugierig auf den nächsten Film von Regisseur Saul machte.

Jackass: Nummer Zwei
(Jeff Tremaine)

Originaltitel: Jackass Number Two, USA 2006, Kamera: Lance Bangs, Dimitry Elyashkevich, Rick Kosick, Schnitt: Seth Casriel, Musik-Supervisor: Tom Wolfe, Kostüme: Sarah de Sa Rego, Choreographie: Michael Rooney, Tiertrainer: David A. Weathers, Digitale Effekte: Brent M. Bowen, Stuntkoordinatoren: Jeffrey Cox, Andrew Scott Dixon, Jeremy Fitzgerald, Arzt: Kelly Farrell, mit Chris Pontius, Johnny Knoxville, Steve-O, Bam Margera, Jason 'Wee Man' Acuña, Preston Lacy, Ryan Dunn, Ehren McGhehey, Dave England, Jeff Tremaine, Lance Bangs, Jay Chandrasekhar (Cab Driver), Spike Jonze (Old Woman), Mike Judge, Luke Wilson, John Waters, April Margera, Vincent Margera, 95 Min., Kinostart: 30. November 2006

Ähnlich wie bei Borat hinterfragte ich bei den ersten Bildern von Jackass Number Two die Authentizität jener Aufnahmen: In Zeitlupe rennen die den Fans der MTV-Fernsehserie bekannten Gestalten vor einer zunächst unsichtbaren Bedrohung fort. Sie verzerren dabei die Gesichter, langsam erahnt man in der Staubwolke hinter ihnen Rinder. Die US-Version einer beliebten spanischen Mutprobe. Nun ist es für den geübten Dauerschauer schnell klar, daß diese Aufnahmen kaum “semi-dokumentarisch” sein können, sondern eher aus diversen “Takes” (teilweise sicher auch ohne die Stiere, die man oft eh nicht sieht) zusammengeschnitten wurden. Wenn dann eines der Tiere Johnny Knoxville mitten durch eine Wohnung quer durch die Außenwand der Wohnstube drückt, dürfte auch unbedarfteren Zuschauern klar sein, daß es sich hierbei um eine eigens dafür aufgebaute Kulisse handelt, höchstwahrscheinlich aus Balsa-Holz. Doch die Hörner des nicht eben freundlich gestimmten Bullen bleiben gefährlich, soviel steht fest.
Ungefähr nach dem vierten Stunt des Film kam ich nicht mehr auf die Idee, irgendwas zu hinterfragen. Selbst den mitunter fragwürdigen Geschmack mancher Darbietungen konnte man bei dieser Lawine teilweise zwerchfellerschütternder Kapriolen einfach nicht mehr so sezieren, wie man es sonst gewohnt ist. Das bloße Anschauen von Jackass Number Two ist fast so eine Tortur wie das Teilnehmen an solchen Stunts - und ich meine das jetzt nicht einmal nur streng negativ. Nach dem Kinobesuch ist man ausgelaugt wie sonst nach einer Stunde Squash oder einem Kindergeburtstag.
“Rectal bleeding … another first for Jackass.” Ein Penis, der mit einer Socke dekoriert aussieht wie eine Cartoon-Maus, wartet darauf von einer Schlange gebissen zu werden. Ein goldener Dildo wird als “Hau den Lukas”-Gewicht auf einen nackten Hintern abgeschossen, ein anderer Hintern wird mit einem anstößigen Brandzeichen verschandelt. Dann wieder versucht ein Proband durch einen Schlauch Gerstensaft auf dem völlig falschen Wege in den Verdauungstrakt aufzunehmen. Ganz wie das Publikum es wohl will, macht sich bei vielen der Spässen ein versteckt homophober Kern bemerkbar. Ärgernis 1.
“If your asshole can't see the camera, the camera can't see your asshole.” Mit verstreichender Zeit reichen irgendwann die reinen Stunts nicht mehr. Völkerball im Dunkeln mit Medizinbällen, Skifahren im Treppenhaus, im Einkaufswagen gegen die Wand, im Rollstuhl mit Raketenantrieb und der Höhepunkt des Einfallsreichtums: Firehose rodeo: Knapp über dem Erdboden endet ein von weiter oben herabgelassener Feuerwehrschlauch, an dem sich dann einer festklammert, bevor es “Wasser marsch!” heißt. Großartiger Moment 1.
Mein Versuch, irgendetwas in diesem Film zu zählen, wurde sehr schnell abgebrochen.

“My head stopped my body from getting really hurt on that.”
Irgendwann wird es dann ekelhaft. Kot und Samen eines Pferdes werden verspeist, aus (hygienisch nicht einwandfreien) Schamhaaren wird ein falscher Bart, aus einem Astronautenhelm, einem Schlauch und einem Trichter wird ein “Furzhelm”, der Proband erbricht sich zu Recht in die Vorrichtung. Dann zur Abwechslung wieder ein versteckter Boxhandschuh, ein Bienenstock, der ins Dachfenster der verschlossenen Limousine geworfen wird, eine unvorhergesehene Königskobra für den Schlangenhasser (“You crying?” --- “Yeah!”) oder ein freundschaftlicher Tritt in die Eier.
Für Donaldisten interessant: die Mülleimerrolle in Traktorreifen. Für Simpsonfans und ausgebildete Clowns ein Augenschmaus: Ein Looping auf dem Winzmotorrad (allerdings ohne Verschlucken selbigen danach).
“It’s the fucking stupidest thing I’ve ever seen.” Spike Jonze, einer der Urväter der Sendung, taucht auch auf. Zum einen ist er als ältere Frau verkleidet, deren unansehnliche Hängetitten (mit “Hang” dazu, sich bloßzustellen) Passanten sehr schnell aus der Fassung bringen. Wer das noch ganz nett findet, wird sich evtl. winden, wenn Jonze später als seniler Großvater in Hot Pants der engsten Variation seine (bzw. eher nachgebildete) Hoden heraushängen lässt und sich damit gefährlich nahe an auf Tischen von Biergärten stehenden Nahrungsmitteln vorbeibewegt. “Someone brought crabs to the party!”
“Get me out of here …” Wer greift freiwillig in die Bärenfalle? Wer macht den Buster Keaton-Stunt mit dem umfallenden Haus nach? Wer geht mit zwei Anacondas baden? Wer packt seine haarigen Eier auf einen Eisklotz? Wer besteigt eine Rakete? Wer setzt sich einen Blutegel aufs Auge? Man kann diesem wahnwitzigen Film einfach nicht gerecht werden. Immer, wenn man denkt, man hätte all das gesehen, was man nie sehen wollte, wird noch einer drauf gesetzt. Bis bereits diverse Zuschauer das Kino verlassen haben. “It’s not funny anymore - I wanna go home.”

7 Zwerge - Der Wald ist nicht genug
(Sven Unterwaldt)

Deutschland 2006, Buch: Bernd Eilert, Sven Unterwaldt, Otto Waalkes, mit Axel Neumann (Rumpelstilzchen), Otto Waalkes (Bubi), Boris Aljinovic (Cloudy), Ralf Schmitz (Sunny), Martin Schneider (Speedy), Gustav-Peter Wöhler (Cookie), Mirco Nontschew (Tschakko), Norbert Heisterkamp (Ralfie), Cosma Shiva Hagen (Schneewittchen), Nina Hagen (Böse Hexe), Hans-Werner Olm (Spliss), Christian Tramitz (Oberhofjäger), Rüdiger Hoffmann (Spiegel), Heinz Hoenig (König Brummboss), Axel Prahl (Wurstverkäufer), Helge Schneider (Der Weiße Helge), Udo Lindenberg (Reiseveranstalter), Karoline Schuch (Gretel), Atze Schröder (Hofnarr), Oliver Pocher (Spiegel 2), 95 Min., Kinostart: 26. Oktober 2006

Nachdem Regisseur Sven Unterwaldt zwischendurch mit Tom Gerhardt die Nibelungen-Parodie Germanikus drehte, folgt nun das unvermeidliche Sequel der 7 Zwerge, wobei es bemerkenswert ist, daß sechs der Originalzwerge ebenso wie diverse Nebendarsteller (Nina Hagen, Hans-Werner Olm, Cosma Shiva Hagen, Rüdiger Hoffman, Atze Schröder, Christian Tramitz) wieder dabei sind. Und hätten deutsche “Comedians” heutzutage nicht so viel zu tun, hätte man wahrscheinlich auch den siebten Zwerg Cookie, dessen verändertes Erscheinungsbild im Film kurz erklärt wird, beibehalten können, wobei die Neubesetzung mit Gustav-Peter Wöhler (Erleuchtung garantiert) auch nicht eben eine Verschlechterung ist.
Nachdem das Märchen vom Schneewittchen im ersten Film komplett zuende erzählt worden war, hat man diesmal eine leicht veränderte Version des Rumpelstilzchen für die Haupthandlung verwendet, und ein paar Brocken Hänsel und Gretel (sowie einen Gastauftritt von Pinocchio) mit reingeworfen. Wenn sich zu Beginn des Films eine Zipfelmütze durch ein Meer von Sträuchern und Farnen bewegt, vermisst man noch das passende musikalische Thema von John Williams, bei späteren Filmverweisen (Lord of the Rings) ging man auf Nummer sicher.
Vor einigen Wochen hat sich der “Spiegel” noch darüber beschwert, daß die deutsche Filmkritik bei deutschen Erfolgsfilmen dazu neigt, dieso ungerechtfertigt niederzumachen (es ging dabei vor allem um Das Parfüm), spätestens vier Wochen später bei einem Otto Waalkes-Vehikel drischt man aber mit genauso viel Rage darauf ein. In meiner bescheidenen Meinung handelt es sich hier zwar nur um einen Film für Kinder, RTL-Fans und Bild-Leser, doch ungeachtet einiger Rohrkrepierer, überflüssiger Kurzauftritte und dramaturgischer Dümmlichkeiten (das “Geheimnis” und wie man versucht, es zu wahren) gibt es auch die eine oder andere wirklich gute Passage, bei der man fast so laut lacht wie bei Borat (der ja überall nur abgefeiert wurde). Ralf Schmitz kenne ich nur von seinem Auftritt als Pinguin Ping in der Sat.1-Version von Urmel aus dem Eis, aber hier ergänzt er sich als Sunny nicht nur sehr schön mit seinem mißmutigen Zwergen-gegenstück Cloudy (Boris Aljinovic), ihm allein ist auch jene Szene auf den Leib geschrieben, wo er im vermeintlichen “Palast der Fische”, einem Angler-Shop, zwei Fischexperten belauscht und versucht, seinen kleinwüchsigen Kollegen auf der anderen Seite des Schaufensters den Inhalt des Gesprächs simultanübersetzt in eine Gebärden- und Pantomimen-Darstellung zu übermitteln. da bedarf es gar nicht erst einer Vokabel wie dem “Hunsrück”, um das Haus zum Beben zu bringen. Leider sind nicht alle Einzelleistungen so überzeugend wie die von Schmitz, Aljinovic oder Axel Neumann als Rumpelstilzchen, doch wenn meine Nichte Joanna (9) sich den Film noch ein zweites Mal angesehen hat, mache ich ihr dafür nicht einmal einen Vorwurf. Nur auf ihre dauerhafte Darbietung des zum “Zwergenlied” verhackstückten Go West hätte ich beim Abendessen verzichten können. Da war die Benutzung von Vince Clarkes Only You aus meiner Sicht musikalisch ansprechender. Aber der Film bewegt sich zumeist nur im Mittelbereich, und auch, wenn sich nur selten wirkliche Höhepunkte ereignen, sind die schlechteren Scherze auch nicht so schlecht, daß sie einen so ärgerlich stimmen sollten, wie sich die Presse oftmals echauvierte. (T)Raumschiff Surprise war beispielsweise weitaus bekloppter und infantiler - trotz und wegen unzähliger sexueller “Anspielungen” (auch, wenn das Wort viel zu subtil klingt). Und da sind die Leute auch in die Lichtspielhäuser geströmt, als würden Kinos nächste Woche abgeschafft.

Der letzte Kuss (Tony Goldwyn)

Originaltitel: The Last Kiss, USA 2006, Buch: Paul Haggis, Kamera: Tom Stern, Schnitt: Lisa Zeno Churgin, Musik: Michael Penn, mit Zach Braff (Michael), Jacinda Barrett (Jenna), Casey Affleck (Chris), Rachel Bilson (Kim), Michael Weston (Izzy), Blythe Danner (Anna), Tom Wilkinson (Stephen), Eric Christian Olsen (Kenny), 104 Min., Kinostart: 16. November 2006

Schon bei Zach Braffs Regiedebüt Garden State konnte ich die Faszination unzähliger Personen für den Film nicht annäherungsweise nachvollziehen, bei seinem neuen Film (nur als Darsteller) scheine ich mit meiner Meinung immerhin nicht alleine zu stehen. In einem Interview erklärt Braff mal, daß Garden State den Zustand von Mittzwanzigern wiedergibt, The Last Kiss hingegen den von Endzwanzigern. Same difference!
Allzu beispielhaft und auf dem Reißbrett entworfen zeigt The Last Kiss fünf junge Männer gleichen Alters (Freunde seit dem Vorschulalter) in unterschiedlichen Beziehungsphasen. Einer ist sexuell aktiver Single mit neuer Freundin, einer ist frisch verheiratet, ein dritter hat ein kleines Baby und die damit verbundenen Probleme, ein vierter ist frisch getrennt, und somit fast auf dem Weg, in diesem Teufelskreis wieder zum sexuell aktiven Single zu mutieren. Zach Braff ist irgendwo dazwischen, denn seine langjährige Freundin hat ihm gerade eröffnet, daß sie schwanger ist, und die Jahre mit Frau, Kind und eigenem Haus scheinen ihm somit direkt bevorzustehen (“When you love somebody, why do you need a photo album with drunken people in tuxedos to prove it?”). Daß er in solch einer Situation auf die Annäherungsversuche einer anderen gutaussehenden jungen Frau besonders empfänglich reagiert (“I could be your last chance at happiness.”), kann man ja vielleicht noch nachvollziehen, warum sie aber wie die vier Jahre jüngere Kopie seiner zukünftigen Gattin aussehen muß (laut Drehbuch ist sie ca. elf Jahre jünger, aber so groß ist der Unterschied nun auch nicht), erklärt einem das trotz Autor Paul Haggis (Million Dollar Baby, [L. A.] Crash) sehr enttäuschende Drehbuch nicht.
Für den etwas älteren Teil des Publikums hat man noch die Eltern der nach einem Fehltritt womöglich nicht mehr zukünftigen Braut ins Spiel gebracht (Tom Wilkinson, Blythe Danner), die ebenfalls eine Krise durchmachen (Sie: “What would you do if I’d die?” - Er: “Iron my dark suit.”), doch abgesehen von den gutaussehenden jungen Frauen (Jacinda Barrett war mir schon in Poseidon und Mira Nairs The Namesake aufgefallen, sie kann aber außer ihren good looks nicht viel auf der Habenseite verbuchen, was für Rachel Bilson, die junge Konkurrentin, erst recht gilt) und einer ganz netten Veranda-Szene war für mich am Film das interessanteste die Frage, ob man den Coldplay-Song auf dem Soundtrack billiger oder einfacher bekommen hat, weil Gwyneth Paltrows Mama im Film mitspielt.
Daß das Ganze ein Remake eines wenig bekannten italienischen Films namens L’ultimo bacio ist, kann als Rechtfertigung des Films auch nichts bewerkstelligen. Wahrscheinlich waren alle Schwächen des Films schon im Original vorhanden, könnte Haggis sich versuchen rauszureden. Doch da die Drehbuchhoffnung auch beim neuen James Bond mitarbeitete, ist die Erklärung wahrscheinlich eher die leichte Kohle, die man mit so einem Filmchen machen kann.

Goyas Geister (Milos Forman)

Originaltitel: Goya’s Ghosts, Spanien / USA / Frankreich 2006, Buch: Milos Forman, Jean-Claude CarriËre, Kamera: Javier Aguirresarobe, Schnitt: Adam Boome, Musik: Varhan Bauer, Josè Nieto, Production Design: Patrizia von Brandenstein, Art Direction: Eduardo Hidalgo, mit Javier Bardem (Brother Lorenzo), Stellan Skarsgård (Francisco Goya), Natalie Portman (Inés / Alicia), Blanca Portillo (Queen María Luisa), Randy Quaid (King Carlos IV.), Michael Lonsdale (Father Gregorio), Craig Stevenson (Napoleon Bonaparte), 114 Min., Kinostart: 23. November 2006

Madrid 1792. Zu Trommelwirbeln auf dem Soundtrack betrachten einige Klerikale (darunter auch einige Inquisitoren) Radierungen von Francisco Goya und versuchen sich, “ein Bild davon zu machen”. Man braucht kein Kunstwissenschaftler zu sein, um bei diesen Bildern zu erkennen, daß Goya kein besonderer Anhänger der Kirche ist. Einer der Geistlichen, Lorenzo (Javier Bardem), ist in seinem Urteil zurückhaltend - was wohl auch damit zusammenhängt, daß er gerade bei Goya ein Portrait von sich bestellt hat.
Goyas aus gutem Hause stammende Muse Alicia (Natalie Portman) macht unterdessen den Fehler, in einer etwas anrüchigen Kneipe einem Zwerg die Füsse zu küssen und auch beim Servieren eines Spanferkels an ihrem Tisch unangenehm aufzufallen, denn die Spione der Kirche sitzen überall. Und so wird sie zu einer “Befragung” eingeladen, die eigentlich mehr eine Folterung ist. Frau Portman scheint momentan auf solche Rollen (vgl. V for Vendetta) besonders positiv zu reagieren. Ihr Vater versucht in einer der besten Szenen des Films, die Logik der Kirche (“releasing her would be contrary to our faith - it would suggest that we don’t have faith in the truth of the questioning”) gegen die Kirche einzusetzen, doch Alicia bleibt in den Kellergewölben, wo Lorenzo sie besucht - und sich besonders christlich zeigt, indem er das halbnackte frierende Mädchen “umarmt” - if you catch my drift …
Goya (Stellan Skarsgård) führt indessen der spanischen Königin (Blanca Portillo, vor kurzem in Volver zu sehen) sein Gemälde von ihr vor, und wenn diese nicht zu diesem Zeitpunkt erfahren würde, daß ihr Cousin Louis in Frankreich gerade guillotiniert wurde, hätte das auch unangenehm werden können …
15 Jahre später ist die Inquisition abgeschafft und die Gefangenen werden frei gelassen. Darunter auch Alicia, die sich zum Haus ihrer Eltern schleppt, und für einen Moment könnte man diesen Film für ein Sequel von Marie Antoinette halten, denn der Anblick, den sie dort anfindet, wirkt wie jenes Zimmer in Versailles, das man dort in einer der letzten Einstellungen sieht. Natalie Portman spielt man jedoch sehr viel übler mit als Kirsten Dunst. Als nächstes besucht sie Goya, der inzwischen taub geworden ist, und erzählt ihm von ihrem Kind, das sie während der Haft gebar.
Danach wird die Geschichte immer absurder, und Natalie Portman kann sich auch noch in einer Doppelrolle beweisen. Passend zu Goyas absurden und grotesken Bildern wirkt die Handlung des Films so, als hätte Voltaire eine zeitgenössische Sitcom geschrieben. Zwei Dutzend gefesselte Huren inmitten einer Garnison der britischen Armee, ein Tanz auf dem Schafott, immer wieder politische Wendungen, die die Machtpositionen ins Gegenteil umkehren, und ein Schlußbild, das direkt von Goya hätte stammen können, aus heutiger Sicht aber eher lächerlich als tragisch wirkt.
Milos Forman hat sowohl mit Biopics als auch mit einer Darstellung des staatlichen oder individuellen Wahns in seiner Karriere schon weitaus überzeugendere Arbeiten abgeliefert. Von seinen Oscargewinnern Amadeus und One flew over the cuckoo’s nest sind Goyas Geister ebensoweit entfernt wie von Man on the Moon oder The People vs. Larry Flynt, bei denen die Darstellung der (von Forman miterlebten) Zeit weitaus überzeugender wirkt als bei diesem seltsamen Kostümfilm, der wohl eine Tragikomödie sein soll, aber nur wie eine Groteske wirkt, etwa so zu Herzen gehend wie die Soap Opera zu Beginn von Oliver Stones Natural Born Killers - nur leider nicht so mitreißend in ihrer Inszenierung.

Coming soon in Cinemania 37 (Kinostart Dezember 2006:
Rezensionen zu aktuellen Kinostarts wie Black Christmas, Es begab sich aber zu der Zeit …, Der Lebensversicherer, Shinobi, Tailor Made Dreams …