Anzeige: |
satt.org | Literatur | Comic | Film | Musik | Kunst | Gesellschaft | Freizeit | SUKULTUR |
November 2006 | Thomas Vorwerk für satt.org | ||
|
Marie Antoinette
Mitteleuropa, Mitte des 18. Jahrhunderts. Um die Freundschaft zwischen Österreich und Frankreich zu zementieren, werden die minderjährigen Sprößlinge der Königshäuser miteinander verheiratet. "May you have many healthy children and produce an heir to our throne", so die guten Wünsche von Ludwig XV an seinen Sohn XVI (Jason Schwartzman) und die junge Schwiegertochter Marie Antoinette (Kirsten Dunst). Bevor die Hochzeitsnacht des sich bisher nur einige Male über den Weg gelaufenen Paares beginnt, versammeln sich noch gut 30 Personen vor dem Bett, ein Priester gibt seinen Segen dazu, und mit den Worten "good luck and good work" wird der Vorhang geschlossen. Die Schwierigkeiten, einen Erben zu "produzieren", nehmen in Sofia Coppolas unkonventionellem Biopic einen nicht geringen Teil der Handlung ein. Kirsten Dunst nimmt man zwar keine 14jährige mehr ab, doch die Probleme des jungen Paares im Ehebett werden ebenso realistisch wie unspektakulär geschildert. Der unbehaglich schüchterne junge König dreht seine bezaubernden Gattin bevorzugt sofort den Rücken zu, und lässt sich nach diversen frustrierend-distanzierten Nächten höchstens mal dazu bewegen, über eines seiner Hobbys, die Schlosserei, zu sprechen - aber natürlich ohne den geringsten Schimmer, daß das Publikum sich angesichts der offensichtlichen Analogie seines Interessengebiets mit dem persönlichen Problem bereits an den Kopf fasst. Nach zwei vorzüglich gelungenen Filmen (The Virgin Suicides, Lost in Translation) scheint die Tochter der New Hollywood-Legende absichtlich ein etwas kantigeres Sujet gewählt zu haben, denn auch, wenn es abermals um die Gefühlswelt einer jungen Frau geht, macht es Marie Antoinette zu keinem Zeitpunkt so leicht wie die Vorgänger, den Film ins Herz zu schließen. Kirsten Dunst als Titelheldin ist zwar weitaus sympathischer als die schlechte PR der von ihr dargestellten Person ("Let them eat cake"), doch die zermürbende Routine am Königshof wurde in Filmen wie Roman Holiday schon weitaus unterhaltsamer vorgeführt. Die kalte Morgentoilette, die Intrigen der königlichen Klatschweiber, wirklich auffällig an dem Film ist neben seiner eigentümliche Besetzung (Schwartzman, Steve Coogan, Marianne Faithfull, Asia Argento …) vor allem die zunächst wahnwitzig vorkommende Verbindung eines Kostümfilms mit halbwegs zeitgenössischer Rockmusik, auf die sich die gesammelte Kritik beim Filmfestival in Cannes dann auch stürzte wie das halbverhungerte französische Volk auf ein Kuchenbüffet. Vieles, was dem Film zum Vorwurf gemacht wurde (etwa die Aussparung selbigen Volkes oder der Hinrichtung Maries), gibt bei genauerer Betrachtung mehr Sinn als man denken würde. Genau, wie der Ausflug zur "neuen Natürlichkeit" im letzten Viertel des Films ganz der zugrundeliegenden Biographie entspricht, und die kleine Rousseau-Vorlesung mit Bedacht gewählt wurde, ist auch der Soundtrack weitaus durchdachter als die meisten Kritiker sich Mühe gegeben hätten, die Intentionen der Regisseurin nachzuvollziehen. Vielleicht wird Marie Antoinette in zehn oder zwanzig Jahren neuentdeckt werden, weil er im Werk der Regisseurin sicher eine bedeutendere Stellung als die gefälligen Vorgänger einnehmen wird, doch leider befürchte ich, daß der Film aufgrund des Fehlens einer (oberflächlichen) Begeisterungsfähigkeit zunächst einmal sehr unterschätzt und abgewertet werden wird. Coppolas neuester Film ist nicht im geringsten perfekt - aber dafür umso spannender. Wer diese Spannung aber nicht wahrnimmt, ist wahrscheinlich längst ein Opfer eines Konsumrausches, wie man ihn der letzten französischen Monarchin immer vorwarf. |
satt.org | Literatur | Comic | Film | Musik | Kunst | Gesellschaft | Freizeit | SUKULTUR |