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Mai 2008
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Paranoid Park (R: Gus van Sant)
Paranoid Park (R: Gus van Sant)
Paranoid Park (R: Gus van Sant)
Paranoid Park (R: Gus van Sant)
Paranoid Park (R: Gus van Sant)
Paranoid Park (R: Gus van Sant)
Paranoid Park (R: Gus van Sant)

Paranoid Park
(R: Gus van Sant)

USA 2007, Buch, Schnitt: Gus van Sant, Lit. Vorlage: Blake Nelson, Kamera: Christopher Doyle, Rain Kathy Li, Sound Design: Leslie Shatz, Soundscapes: Ethan Rose, mit Gabe Nevins (Alex), Dan Liu (Detective Richard Liu), Jake Miller (Jared), Taylor Momsen (Jennifer), Scott Green (Scratch), Lauren McKinney (Macy), Grace Carter (Alex’ Mutter), Christopher Doyle (Onkel Tommy), John “Mike” Burrouwes (Sicherheitsmann Wilcox), 85 Min., Kinostart: 15. Mai 2008

Nachdem Gus van Sant für Elephant schon mal in Cannes sowohl die Goldenen Palme für den besten Film als auch den Preis für die beste Regie erhielt (und normalerweise werden diese Preise immer an unterschiedliche Filme verteilt), bekam er nun für Paranoid Park einen Sonderpreis zum 60jährigen Jubiläum des Festivals, der sich sowohl als Ehrerbietung an van Sants Gesamtwerk versteht als auch ganz konkret den neuen Film auszeichnete. Und die beiden Filme weisen durchaus Parallelen auf. Elephant war das zentrale Mittelstück einer Trilogie van Sants, die mit teilweise experimentellen filmischen Mitteln Nachrichten vom Tod junger Menschen fiktionalisierte, dabei aber insbesondere das “Warum?” von zwei sich in einer Salzwüste verirrenden (Gerry), einem Schulmassaker (Elephant) und dem Selbstmord eines erfolgreichen Musikers (Last Days) trotz diverser, manchmal eher satirischer Lösungsansätze im Dunkeln ließ. Auch in Paranoid Park spielt der Tod eine zentrale Rolle, doch weniger als um die Geschehnisse, die dazu führen, geht es hier um die Folgen eines (durchaus wieder unnötigen) Todesfalls, der aber diesmal - trotz dokumentarischer Dichte des Films - rein fiktiv ist, denn diesmal gab es eine Romanvorlage.

Gus van Sant benutzt dennoch ganz ähnliche filmische Mittel. Würde es nicht im Vorspann stehen, würde man wahrscheinlich nicht ohne weiteres auf die Idee kommen, dass diesmal nicht Harris Savides, der die gesamte “Todes”-Trilogie betreute, für die Kamera verantwortlich war, sondern Christopher Doyle, der eher für einen farbenfrohen Stil bekannte häufige Mitarbeiter von Wong Kar-Wai (der aber auch schon van Sants Psycho-Remake photographierte). Neben den mal wieder auf die Rückenpartien der Protagonisten fixierten Steadycam-Einstellungen, die auch die Gebrüder Dardenne gerne verwenden, fallen hier vor allem auf Super8-Material aufgenommene Skater-Kapriolen auf, die gleichzeitig die Nähe zu Skatermovies betonen (der “Paranoid Park” ist ein von Skatern illegal gebautes Skate-Gelände in van Sants Wohnort Portland, Oregon), aber auch an van Sants Regie-Kollegen Larry Clark (Kids, Ken Park) erinnern, der sich ebenfalls gern mit semidokumentarischem Ansatz und Laiendarstellern mit der US-amerikanischen Jugendkultur und ihren Abgründen befasst.

Um das Trauma eines durch eine kleine Mutprobe zum Mörder (na gut, sagen wir Totschläger) gewordenen Alex (Gabe Nevins) fassbar zu machen, durchkreuzt van Sant erneut gängige Dramaturgien, lässt sich (und den Zuschauer) auf eine nichtchronologische Wiedergabe der Geschehnisse ein, unterschneidet die minimalistisch vorhandene Geschichte immer wieder mit traumwandlerischen Skateaufnahmen, bei denen (wie bei anderen Elementen des Films) durch Zeitlupe und die erneut in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzende Tonspur der Betrachter in eine ähnlich fragmentarische Wahrnehmung gedrängt wird, wie sie Alex offenbar erfährt. Das anderswo zum Dreh- und Angelpunkt eines jeden “Coming of Age”-Films aufgebauschte erste Sexerlebnis könnte angesichts von Alex’ Problemen kaum lapidarer sein, unbeteiligt lässt er die Entjungferung seiner erstaunlich oberflächlichen Freundin Jennifer geschehen, um kurz darauf zum Erstaunen sämtlicher Beteiligten mit ihr Schluss zu machen und sich lieber mit der gängigen Schönheitsidealen nicht entsprechenden, aber zu einem ernsthaften Gespräch in der Lage stehenden Macy zu treffen. Diese Momente stellt van Sant ebenso wie Strandbesuche oder Duschszenen (mindestens) gleichberechtigt neben die unspektakulären Ermittlungen der Polizei, für Alex ist alles um ihn herum gleich wichtig - oder unwichtig, wie es auch schon für die beiden Gerrys, die Attentäter in Elephant oder den Kurt Cobain-Platzhalter in Last Days galt. Und auch der Zuschauer muss sich auf diese Herangehensweise, diese fast ätherische Bewusstseinserfahrung einlassen, um dafür umso kraftvoller in einen filmischen Sog hineingezogen zu werden, der auch bei van Sant nicht immer funktioniert, aber vom Regisseur trotz mehrfacher Versuche gar nicht perfektioniert werden soll, sondern ein ums andere Mal seinen sperrigen Charme behalten soll. Und deshalb ist Paranoid Park erneut ein kleines Filmjuwel, dem man sich ohne übertriebene Sicherheitsvorkehrungen hingeben sollte, um etwaige cineastische Schürfwunden mit einem Lächeln des jugendlichen Übermuts in Kauf zu nehmen.