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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




17. September 2008
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Unschuld (R: Andreas Morell)
Unschuld (R: Andreas Morell)
Unschuld (R: Andreas Morell)
Bilder © novapool
Unschuld (R: Andreas Morell)
Unschuld (R: Andreas Morell)

Unschuld
(R: Andreas Morell)

Deutschland 2008, Buch: Kai Hafemeister, Kamera: Felix Cramer, Schnitt: Dirk Schreier, Musik: Enis Rotthoff, Nadeshda Brennicke (Simone), Aylin Tezel (Derya), Luise Berndt (Laura), Young Shin Kim (Kim), Kai Wiesinger (Alexander), Leslie Malton (Julia), Ronald Kukulies (Raimo), Tobias Oertel (Chris), Jevgenij Sitochin (Peter), Jacob Matschenz (Matte), Michael Kind (Christoph), Kinostart: 18. September 2008

Die eine Filmidee, die ich wohl schon am längsten mit mir herumtrage (noch länger als die Jackass-Parodie mit dem Teebeutel und den KZ-Aufstand im Stil eines Zombiefilms), trägt den Titel Kill, Katja, Kill und dreht sich um eine bekannte deutsche Schauspielerin, die hier zehn verschiedene Figuren darstellt (nicht notwendigerweise alle weiblich), die dann in möglichst unterschiedlichen Episoden (womöglich mal in Schwarzweiß oder animiert) einander umbringen. Katja I tötet Katja J, Katja H tötet Katja I und so weiter, und ganz am Schluss tötet dann Katja J Katja A. Das Ganze ist also nicht nur eine Art Zeitparadox, sondern kann auch als Allegorie auf die Schaupielkunst der hier nicht weiter identifizierten Person verstanden werden, die mich zu dem Film inspiriert hat. Es gehört nicht viel Sachverstand dazu, in diesem Plot eine Mixtur aus Schnitzlers Reigen und einigen Filmen von Quentin Tarantino zu erkennen, und erstaunlicherweise trifft dies auch auf den allerdings etwas anderen (und längst abgedrehten) Film Unschuld zu.

Hier wird der Reigen nur etwas modernisiert, die Geschlechtsakte, die Schnitzler in der schriftlichen Version nur mit “...” umschrieben hatte, werden nicht etwa durch Ermordungen ersetzt, sondern in den meisten Fällen mindestens angedeutet, manchmal mehr ...

Dazu gesellt sich noch eine etwas aufgesetzt wirkende Zeitstruktur, die das Zusammentreffen mehrerer Figuren in einem Hotel umständlich vorbereitet, und den Zuschauer (so er sich die Zeit nimmt, die Chronologie zu hinterfragen) allenfalls verwirrt, ohne ihm letztendlich entscheidende neue Impulse zu bieten.

Den Titel Unschuld interpretiere ich anhand einer Ellipse. Ich hatte Zeit genug, während der Vorführung den Schnitzlerschen Reigen zu rekonstruieren, und auch wenn Kai Wiesinger als Alexander und der Sänger “Chris” (laut Stabangaben doch kein Künstlername der selben Figur) mich etwas durcheinandergebracht haben, gibt es eine ganz klassische Anordnung, zehn Personen im strikten Wechsel der Geschlechter. Einzig zwischen dem mysteriösen Mädchen Laura (Luise Berndt) und dem etwa gleichaltrigen Knaben, den ich mit 80%iger Sicherheit als “Matte” identifizieren würde (im Verlauf des Films werden insbesondere die Männernamen nicht so häufig genannt), fehlt die Verbindung. Unabhängig davon, ob hier eine bereits abgedrehte Szene als zu misslungen auf dem Boden des Schneideraums landete oder die Auslassung von langer Hand geplant war, ich war mir bis kurz vor dem Ende des Films sicher, dass die beiden sich erst ganz spät treffen würden und gemeinsam in ein Schluss-Freeze-Frame blicken, wozu dann der Titel Unschuld erneut eingeblendet wird. Ich hatte aber den Tarantino-Einfluss wohl unterschätzt, denn die nicht sehr überzeugende Szene im Hotel, wo sich fünf der Protagonisten gegenseitig über den Weg laufen, wurde zum Schluss- und vermeintlichen Höhepunkt des Films erwählt.

Zwar hat der Film einige nette Ideen, doch an vielen Stellen ist die Inszenierung einfach völlig vermurkst. Wenn schon in der ersten Szene des Films ein Zuhälter zu der für ihn anschaffenden Prostituierten sagt “Da ist ja die Kohle, du Schlampe!”, bevor eine extrem auffällig an ihr vorbeizischende Ohrfeige folgt, und ausgerechnet der Linienbus M29 hier jederzeit Leerfahrten hat und sogar mal kurz “entführt” werden kann, dann ist das für die Glaubwürdigkeit des Films nicht eben zuträglich. Und auch, wenn eine der brenzligsten Szenen des Films einen seltsam sexuell verirrten Mann “Oh, ist das schön!” mit einer kranken Stimme sagen lässt, dass man sich an den Vorspann von Väter der Klamotte (die Spaghettis!) erinnert, und man sich das Lachen verkneifen muss, dann können auch die gelungeneren Passagen zwischendurch die Atmosphäre nicht mehr retten.