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Bilder © 2008 Concorde Filmverleih GmbH
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Vicky Cristina Barcelona
(R: Woody Allen)
Spanien / USA 2008, Buch: Woody Allen, Kamera: Javier Aguirresarobe, Schnitt: Alisa Lepselter, mit Rebecca Hall (Vicky), Scarlett Johansson (Cristina), Javier Bardem (Juan Antonio), Penélope Cruz (Maria Elena), Patricia Clarkson (Judy Nash), Chris Messina (Doug), Kevin Dunn (Mark Nash), Josep Maria Domènech (Julio Josep), Christopher Evan Welch (Narrator), 96 Min., Kinostart: 4. Dezember 2008
Liebe in Zeiten des Kulturtourismus
[Rezension von Tobias Lenartz]
„Nur unerfüllte Liebe kann romantisch sein.“ Dieser Glaubenssatz der so neurotischen wie leidenschaftlichen Malerin Maria Elena (Penélope Cruz) steht als Leitfrage über Vicky Christina Barcelona, dem neuen Film von Woody Allen. Mit Liebe, besonders in ihrer ernüchternden Ausprägung hat sich der ewige Stadtneurotiker Zeit seines Lebens beschäftigt. Das große Gefühl aber wurde von ihm meist skeptisch kurz gehalten. Ausnahmsweise tritt es, wie in Purple Rose of Cairo, als Leinwandheld ins triste Leben einer Kellnerin. Aber auch hier blieb die Heldin am Schluss alleine zurück. Alles Neu oder alles beim Alten? Eine Konstante ist sicher: mit ihrer dritten Zusammenarbeit hat sich Scarlett Johansson wohl endgültig einen Stammplatz erspielt und die Nachfolge von Diane Keaton und Mia Farrow angetreten. Eine Neuheit auch: Nach seinem drei Filme währenden Londonaufenthalt findet Allen in Barcelona einen neuen Schauplatz.
Auch Christina (Scarlett Johansson) und Vicky (Rebecca Hall) sind zum ersten Mal in der Stadt. Vicky will über den Sommer an ihrer Magisterarbeit arbeiten, Christina nach einem gescheiterten Drehbuchversuch Abstand zu ihrem Gefühlswirrwarr gewinnen. Obwohl beste Freundinnen, sind sie in ihrer Einstellung zum Leben und zur Liebe grundverschieden. Christina weiß nur, was sie nicht will. Lieben und sich aufs Spiel setzen ist für sie ein und dasselbe. Die nüchterne und pragmatische Vicky hat ihr (Liebes-)Leben schon bis auf die dritte Stelle hinterm Komma ausgerechnet. Die Heirat mit dem ehrgeizigen Doug (Chris Messina) ist beschlossene Sache. Auch die Suche nach einem gemeinsamen Domizil - natürlich nur in bester Lage - ist auf gutem Weg.
Gemeinsam tauchen sie ein ins Leben der katalanischen Metropole. Bei einer Vernissage treffen sie auf den Maler Juan Antonio (Javier Bardem). Er lädt sie ein zu einem Kurzausflug nach Orvieto zu Wein, Musik und gemeinsamen Liebesnächten. Vicky kanzelt sein unmoralisches Angebot ab, als billige Anmache des Klischeespaniers auf Touristinnenjagd. Christina aber ist von seiner direkten Art und sinnlichen Ausstrahlung sofort fasziniert und überredet ihre Freundin die Einladung anzunehmen. Vicky bleibt Juan Antonio gegenüber zunächst extrem reserviert. Aber mehr und mehr beginnt sie den Maler mit neuen Augen zu sehen. Seine schwermütige Vitalität schlägt eine Seite in ihr an, die in ihrem aufgeräumten Leben bisher kaum zu hören war. Aus einem gemeinsamen Abend wird eine gemeinsame Nacht. Scheinbar bleibt sie ohne Folgen. Juan Antonio trifft sich wieder mit Christina und kurz darauf zieht sie zu ihm. Als dann noch Juan Antonios feurige Ex-Frau (Penélope Cruz) auf die Bildfläche stürmt, nimmt das Beziehungskarussell zunehmend Fahrt auf. Vicky aber kann ihr Abenteuer nicht vergessen. Dass ihr Verlobter mit vorgezogenen Heiratsplänen in Barcelona eintrifft, macht ihre Situation nicht einfacher.
Amour Fou oder Vernunftehe? In (Selbst-)Zerstörung ausartende Passion oder gewohnheitsbetäubte Verlässlichkeit? Wie viel Freiheit lässt die Liebe zu, wie viel hat sie nötig und wie viel zersetzt sie? Seit die Liebe im 18. Jahrhundert als himmelstürmende und welterschütternde Urkraft entdeckt wurde, ist das Spannungsverhältnis dieser einander abstoßenden Pole Menschheitsproblem. Von Werthers Lotte über Madame Bovary, Effi Briest und Anna Karenina arbeiten sich die großen Frauenfiguren der Literaturgeschichte ab am Konflikt zwischen Sehnsucht und Pragmatismus, Anspruch und Wirklichkeit. Meist mit fatalen Konsequenzen. In Zeiten von Patchworkfamilie, Homoehe und Scheidungsrekord, in der die harten Grenzen der Konvention durchlässig geworden sind und die allgemein verbindliche Norm vom Nebeneinander unterschiedlicher Lebensentwürfe abgelöst wurde, bedeutet ein Überschreiten der verblassenden Demarkationslinien nicht länger den gesellschaftlichen Tod. Sie wird zum persönlichen Problem - Vicky zur Madame Bovary unter modernen Bedingungen. Die Spannung zwischen großem Gefühl und wohnlicher Verlässlichkeit wird für sie zur Zerreißprobe.
Anfangs noch ein wenig neben der sinnlichen Präsenz Christinas verblassend, entwickelt sie sich im Verlauf der Geschichte so zum interessantesten und berührendsten Charakter. Schon in ihrer verstohlenen Liebe zu spanischem Flamenco wird eine Intensität und Sehnsucht sichtbar, die sie unter ihrem gut sitzenden Kostüm der Alltagstauglichkeit sonst fest versiegelt hält und die in der Begegnung mit Juan Antonio dann endgültig aufbricht.
Rebecca Hall, die große Entdeckung dieses Films, spielt das Brüchigwerden Vickys mit großem Feingefühl. Bislang vor allem im Theater aktiv, hält sie mit Javier Bardem, Penélope Cruz und Scarlett Johansson problemlos mit. Mehr noch: Zwar füllen die drei Großschauspieler ihre Rollen mit der gewohnten Souveränität, dürfen aber ihre mimischen Möglichkeiten nicht wirklich ausspielen.
Vicky bleibt die einzige Figur, der Woody Allen einen tatsächlichen Konflikt zugesteht. Christina, Juan und Maria müssen auf den einmal ausgelegten emotionalen Bahnen fahren. Sie entwickeln sich nicht, sie entfalten sich nur. Angeregt durch Maria Elena, darf Christina ihr kreatives Potential entdecken. Maria Elena findet in ihr das Missing Link, durch das ihre Beziehung zu Juan harmonisch werden kann. Aus der verstörten Furie wird die kraftvolle Künstlerin und leidenschaftlich Liebende wiedergeboren. All das vollzieht sich weitestgehend reibungslos und überraschungsfrei. Diese flotte Flüchtigkeit erstreckt sich auch auf die dritte, titelgebende Hauptfigur: Barcelona.
„Als ich das Drehbuch zu schreiben begann, wollte ich einzig und allein ein Geschichte entwickeln, in der Barcelona als eigenständige Figur fungiert“ so Allen. „Ich wollte dieser Stadt Reverenz erweisen, denn ich liebe sie sehr.“
Allens Kameramann Javier Aguirresarobe taucht die Streifzüge durch die Hauptstadt Kataloniens in sonnengesättigte Bilder von der lebhaften Farbe spanischen Sandsteins: Rot und Gold und Ocker. Aber wie Juan Antonio für die gegensätzlichen Freundinnen den Reiseführer gibt, durch Kunst, Kultur und Lokalkolorit, wechselnd zwischen touristischen Pflichtstationen und Geheimtipps des Ortskundigen, verseichtet der Film manchmal zum Best-of Barcelona für Kulturtouristen. Allens Liebeserklärung an Barcelona und spanische Lebensart erschöpft sich in flüchtiger Schwärmerei. Sein Blick bleibt meistens außen vor.
Das gilt auch für seine Sicht auf die beiden Gruppen, die als exemplarische Lebensformen seine Zweiweltenlehre der Liebe ausagieren. Hier die Erfolgsmenschen nordamerikanischer Herkunft dort die Spanier in nahezu ausnahmslos kreativer Mission. Die Künstler sind wie Künstler sind: leidenschaftlich, sinnlich, lebensdurstig. In lebhaften Grüppchen drängen sie sich in lärmigen Cafés und philosophieren über Kunst, Leben und den ganzen Rest. Arrivierte Businesspeople treffen sich gern als Doppelpärchen und parlieren in gediegenem Ambiente über Golfpartner, Geschäftskontakte und die enormen Preis der Innenausstattung. Das sind nun alles Klischees. Und wie bei Klischees üblich, steckt mehr als ein Funken Wahrheit in ihnen. Aber Allen belässt es bei der Schablone. Sicher mag man es Woody Allen auch kaum vorwerfen, dass seine Sympathien vor allem dem Lager der Kreativkräfte gehören. Aber weder legt er ihnen wirklich originelle Sätze in den Mund, noch werden ihre mit Inbrunst verkündeten Platitüden ironisch gebrochen.
Bei aller (selbst-)zerstörerischen Heftigkeit Maria Elenas: Vicky Christina Barcelona erinnert in seinem Künstlerbild ein wenig an Puccinis Bohème. Es malt eine gefällige Vorstellung lebenslustigen Künstlertums und bleibt gerade darin bürgerliche Projektion des Lebens der Anderen. Nichts macht kurzsichtiger als Verliebtheit in eine Vorstellung. So bleibt der New Yorker Intellektuelle der spanischen Künstlergemeinde ferner als dem Leben der englischen Arbeiterklasse in seinem Vorgängerfilm Cassandra's Dream. Auch das Liebäugeln des notorischen Skeptikers mit der freien Liebe bleibt ein Urlaub vom Ich ohne Konsequenzen.
Allen löst die antithetische Zweiseitigkeit der Liebe – Beständigkeit oder großes Gefühl – am Ende nicht zur Synthese auf. Dass er keine befriedende Versöhnung in Aussicht stellt ist Zeichen seiner Souveränität – und zugleich seine entscheidende Schwäche. Als Liebeskomödie, die leichthändig Liebes- und Lebensmöglichkeiten durchspielt, ist Allens Film zu ernst und seine Fragen zu lebenswichtig. Als ernstgemeinter Versuch über die Liebe bleibt er zu sehr an der Oberfläche und irritierend unverbindlich. Woody Allens Auslandsexkursion in Sachen Liebe lässt nicht nur seine beiden Heldinnen mit gemischten Gefühlen zurück.
Regisseur Woody Allen am Set in Barcelona Klischee olé!
[Rezension von Thomas Vorwerk]
Zwischen seinen drei englischen Filmen und der aktuellen Rückkehr nach New York wirkt Woody Allens Abstecher nach Spanien wie eine filmgewordene Urlaubsimpression. Nachdem die Finanzierung stand, war es für den Drehbuchautoren Allen schnell klar, dass er keine spanischen Dialoge ersinnen wollte, und so war die Einführung von zwei Urlauberinnen (darunter seine momentane Lieblingsmuse Scarlett Johansson) wohl eine recht leichte Wahl. Und wie leicht er den Film nahm, zeigt sich auch durch die manchmal recht ironische Erzählerstimme, die, wie Allen bereitwillig zugibt, vor allem dafür da ist, umständliche Expositionsszenen zu umgehen. Das ist nicht mehr der Allen von Annie Hall oder Zelig, der filmische Narrationsparameter, um nicht zu sagen, das ganze Universum “expandieren” lässt - Nein, dies ist ein Regisseur, der Europa unsicher macht, weil seine junge Frau gerne dort shoppen geht, und der sich altmodischer filmischer Stilmittel wie des voice-over annimmt, ohne Rücksicht darauf, dass ca. 30% der Kritiker ihn dafür steinigen möchten.
Allen spielt gerade mit seinen Schwächen gern, das hat er schon in seinen Zeiten als Stand-Up-Comedian getan. Doch heute, mit 73 Jahren, liegt es schnell nahe, ihm die verbohrte Kindsköpfigkeit als Beginn einer Senilität unterzujubeln. Allen erzählt in seinem Film von Leidenschaft, Penélope Cruz und Javier Bardem fegen wie ein Wirbelsturm durch den Streifen, und die beiden amerikanischen Touristinnen schauen zu wie zwei Opfer von Katrina.
Vieles, was man dem Film als Schwäche ankreiden könnte (beispielsweise die plakative Auswahl von Urlaubslektüre, zum einen Jeffrey Eugenides’ Middlesex, zum anderen eines der Tropic-Bücher von Henry Miller), hat irgendwie auch Methode. Das ganze Gefüge des Films scheint auseinanderzubrechen, aber einem Regisseur wie Allen kann man nur schwer unterstellen, dass ihm dies nicht bewusst war. Der ganze Streifen wirkt wie die misslungene Domestizierung seiner beiden spanischen Stars, die Sex und (europäische) Action einbringen, wie man sie bei Allen sonst selten sah. Doch so, wie Bardem seine Kollegin immer wieder daran erinnert, doch bitte Englisch zu sprechen, für den Besuch (der stellvertretend für das Publikum steht), um dann öfters im nächsten Moment selbst wieder in seine Muttersprache zu wechseln, so zeigt sich auch der Humor in der vermeintlichen Hilflosigkeit des Regisseurs. Barcelona wird zu einer Postkarten-Odyssee von Gaudi-Bauwerken - doch so würden viele Amerikaner (nicht nur Kunststudenten) die Stadt auch erleben. Die schwer einzufangende spanische Leidenschaft funktioniert für die interessantere der zwei Urlauberinnen, Vicky (Rebecca Hall) über Klischees wie Rotwein und Gitarreros im Mondenschein - doch Allen gibt dem (teils ignoranten) Publikum nur, was es erwartet, er nimmt willentlich die Rolle des Aussenseiters ein, der die Gesetze seines Drehortes nicht versteht, und teilt diesen Standpunkt mit seinem Publikum. In den englischen Filmen lief das noch ganz anders, da zwängte Allen sich in ein fremdartiges Korsett, und das Publikum konnte sich an völlig anderen Allen-Filmen erfreuen. Doch Vicky Cristina Barcelona ist wie seine Midsummer Night’s Sex Comedy, ein Woody Allen “light”, wie man ihn nach Cassandra’s Dream vielleicht auch verdient hat. Wer sich darüber erzürnt, weder Woody Allen noch Spanien in dem Film wiederzuerkennen, hat ein ebenso verbohrtes Bild davon, wie man diese Themen präsentieren sollte, wie es uns der Film vorgaukelt.