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© 2007 Constantin Film Verleih GmbH / Wolverine Productions Limited
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Cassandras Traum
(R: Woody Allen)
Originaltitel: Cassandra’s Dream, USA / UK / Frankreich 2007, Buch: Woody Allen, Kamera: Vilmos Zsigmond, Schnitt: Alisa Lepselter, Musik: Philip Glass, mit Ewan McGregor (Ian), Colin Farrell (Terry), Sally Hawkins (Kate), Tom Wilkinson (Howard), Hayley Atwell (Angela Stark), Phil Davis (Martin Burns), John Benfield (Father), Clare Higgins (Mother), 108 Min., Kinostart: 5. Juni 2008
Woody Allens erste zwei London-Filme hatten viele Gemeinsamkeiten. Es ging um Verbrechen, die die Täter auf der sozialen Leiter nach oben führen sollten. Und in beiden Film spielte Scarlett Johannsson mit. Es gab aber auch Gegensätzliches. In nur einem spielte Woody Allen selbst mit. Einmal “gewann” der Schurke, einmal nicht.
In seinem dritten London-Film, der es erst nach einem Jahr (der neue Film des Regisseurs wurde schon in Cannes vorgestellt) in die deutschen Kinos schaffte, knüpft Allen an die erfolgreichen ersten zwei Filme seiner “neuen” Karriere an, variiert aber ausgerechnet den Punkt, der in der gesamten Karriere des Regisseurs immer die größten Rückschläge verursachte. Denn Cassandra’s Dream handelt zwar wieder vom sozialen Aufstieg und einem damit verbundenen Gewaltverbrechen, aber im Gegensatz zu Match Point und Scoop gibt es diesmal erstaunlich wenig zu lachen, Allen versucht sich mal wieder in den Gefilden eines Dostojewski oder Bergman: Mit Ingmar Bergman, einem seiner großen Vorbilder, maß sich Allen schon in seinen Filmen Interiors oder September, mit durchaus umstrittenen Erfolg. Doch die Kombination Dostojewski / Bergman hatte Allen auch schon einmal (zumindest bei der Kritik) erfolgreich ausgelotet, in Crimes and Misdemeanors (hier aber immerhin “teilkomisch”). Und hiermit kann man Cassandra’s Dream durchaus vergleichen. Mit einer erneut spektakulären Besetzung, die sowohl die Brücke zwischen Mainstream und “ernstzunehmender Filmkunst” als auch zwischen Großbritannien und den Vereinigten Staaten schlägt (Colin Farell und Ewan McGregor, die sowohl in kleinen britischen Independent-Filmen glänzten als sich auch an großen Hollywood-Produktionen versuchten), erzählt Allen eine Geschichte, die ein wenig an Sidney Lumets Before the Devil knows you’re Dead erinnert: Zwei ungleiche Brüder, der eine mit Träumen von Kalifornien, der andere mit Spielschulden, lassen sich auf eine kriminelle Machenschaft ein, die nach zumindest ansatzweise komischen Problemen für einen der Brüder Gewissensbisse à la Shakespeare entstehen lassen, die dann abermals neue Probleme verursachen. Allen gelingt es diesmal, die Identifikation des Zuschauers zu verstärken, und die Auflösung des Films wirkt zumindest für Betrachter, die nach dem nachspann auch mal um die Ecke denken, wie eine recht geniale Verbindung der Schlusspointen der vorhergehenden Filme. Nach wie vor zahlt sich Verbrechen nicht aus. Zumindest für die meisten Leute„...
Gerade im Vergleich mit dem ebenfalls älteren Herren Lumet fällt auf, dass Allen seine Geschichte ganz klassisch erzählt (eine lange, in einer Einstellung gedrehte Szene auf dem titelgebenden Boot “Cassandra’s Dream” wird aber zumindest jene verblüffen, die dachten, sie wüssten, welche Szenen in einem Allen-Film vorkommen könnten und welche nicht), er seine Darsteller nicht überfordert oder vorführt, sondern ganz im Dienst der Geschichte einsetzt, und er den Zuschauer trotz irgendwann unvermeidbarer Gewaltakte nicht von den Figuren distanziert, sondern sein Werk mit einer Reife zu Ende bringt, die seit seinem kreativen Umzug nach London zum festen Bestandteil seiner Filmographie gehört. All jene, die wie ich nach zwanzig Jahren uhrwerkmäßig anlaufender Filme schon das Interesse zu verlieren drohten, entdecken den “europäischen” Woody als einen zwar vertrauten, aber dennoch immens “frischen” Filmemacher.
Und nachdem das Uhrwerk der deutschen Kinostarts von Allen-Filmen durch Hollywood Ending (nur als britische DVD) empfindlich gestört wurde, und auch bei Anything Else und Cassandra’s Dream (jeweils mit einjähriger Verspätung gestartet) Anlass zur Sorge gab, kann man nur hoffen, dass der neue Woody trotz fehlender Lachsalven das Publikum locken wird (verdient hat er es) und somit die deutschen Kinostarts der nächsten, vielversprechenden neuen Filme des vielleicht produktivsten Qualitätsregisseurs der Welt in Zukunft wieder gewährleistet sind.
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Second Opinion von Friederike Kapp
Zwei Brüder, junge Männer aus einfachen Verhältnissen, beide in dauernder Geldnot: Ian (Ewan McGregor), blond und aufstrebend, will mithalten können in der großen Welt der Immobilienzocker. Terry (Colin Farrell), dunkelhaarig und grüblerisch, hat Wettschulden in gesundheitsgefährdender Höhe.
Mutters Bruder, der reiche Onkel aus Amerika, soll’s richten. Onkel Howard (Tom Wilkinson) hat jedoch eigene Sorgen. Er ist zwar erfolgreich, aber leider auch korrupt. Doch er hilft gerne, wenn die Brüder dafür seinen Gegenspieler Martin Burns (Phil Davis) aus dem Weg räumen. Nur widerstrebend wird den beiden bewußt, daß der liebe Onkel einen Auftragsmord von ihnen verlangt.
Auf den Deal folgt die Tat, deren Folgen wiederum eine rasante Eigendynamik entwickeln. „Ist schon komisch, wie das Leben sein Eigenleben hat,“ kommentiert der nichtsahnende Vater. Während Ian den Mord als zwar unschönen, aber unvermeidlichen Schritt auf dem Weg nach oben abhakt, wird der verzweifelte Terry von seinem Gewissen heimgesucht. Die Frage ist doch, so vertraut er sich Ian an, was ist, wenn es doch einen Gott gibt? Ian sieht Terry zurecht als unkalkulierbares Risiko. Man vereinbart eine gemeinsame Bootsfahrt auf der „Cassandra’s Dream“.
Cassanda’s Dream ist ein Film, der nicht besser sein könnte, spannend von der ersten bis zu letzten Minute.
Neben der stimmigen Entwicklung der beiden Hauptfiguren sind auch die Nebenfiguren überzeugend ausgestaltet. Das Leben in der elterlichen Familie, die enttäuschte Mutter (Clare Higgins), der unter seinem finanziellen Mißerfolg leise gewordene Vater (John Benfield), Terrys bodenständige Freundin Kate (Sally Hawkins) betten die Handlung in einen authentischen sozialen Kontext ein, der die Freude am Zusehen zusätzlich erhöht.
Der Kontrast zwischen (Vor-)Stadt und Land, genauer: zwischen Stadt und Meer gibt den Rhythmus vor. In der Stadt wird gehandelt, auf dem Schiff gekungelt, gedacht, gegrübelt und entschieden. Im Hintergrund die atemberaubend schöne englische Küstenlandschaft, das Wetter eine Allegorie auf die Aus- und Ansichten der Protagonisten.
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