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April 2008 | Thomas Vorwerk für satt.org | ||||||||||||||
Solving the Puzzle8 Blickwinkel
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© 2007 Sony Pictures Releasing GmbH |
Beide hier vorgestellten Filme sind spannend - das ist außer Frage. Beide Filme evozieren den starken Wunsch, zu wissen, wie es weitergeht. Doch beide Filme verursachen etwa 20 Minuten nach dem Abspann, wenn man sich die Mühe macht, noch mal darüber nachzudenken, auch einen unterschiedlich starken bitteren Nachgeschmack.
Vantage Point ist sicherlich der marktorientiertere Film der beiden. Schon die Geschichte um ein Attentat auf den Präsidenten, mehrere Bombenanschläge und Missetäter in den Reihen des Secret Service wirkt wie ein Aufguss von 24 und einigen ebenfalls daran orientierten Kinofilmen wie The Sentinel. Durch den Wechsel der Betrachter wird die Uhr immer wieder zurückgedreht (vgl. auch 11:14), nach und nach erfährt der Zuschauer mehr über die Hintergünde der Geschichte. Das beginnt mit einer Fernsehregisseurin (Sigourney Weaver), setzt sich dann über den offensichtlichen Helden des Films (Dennis Quaid), einen zufällig anwesenden Touristen (Forest Whitaker) und sogar den Präsidenten selbst (William Hurt) fort. Irgendwie soll dies laut tagline und deutschem Verleihtitel acht Blickwinkel ergeben, doch da der Film sich keine Mühe gibt, diese acht Personen besonders hervorzustellen, werde auch ich mich nicht abplagen, diese Zählweise nachzuvollziehen. Die “Wahrheit”, die sich - so will der Film es - aus den verschiedenen Blickwinkeln letztendlich für den Zuschauer herauskristallisiert, ist zu zirka 98% dem sich gegen Ende wieder in den Vordergrund drängenden Helden Dennis Quaid ebenfalls bekannt, wodurch sich das narrative Prinzip eigentlich recht überflüssig gestaltet. Noch ärgerlicher ist aber, dass immer (oder fast immer) vor dem Perspektivenwechsel ein Detail angedeutet (aber nicht ausgeführt) wird, das dann am Ende des nächsten “Blickwinkels” aufgelöst wird. Was ein ziemlich ermüdendes Prinzip ist, den Zuschauer bei der Stange zu halten. Doch kommen wir zu den Details, die an diesem Film wirklich ärgerlich sind. Da wäre zunächst der immense Verlust von Menschenleben zu nennen. Immer, wenn der Film Gefahr läuft, sein Tempo zu verlieren, gibt es einen Schuss, eine Explosion oder einen Autounfall - und kurz darauf kann man dann wieder die Zeit zurückspulen und dem Zuschauer seine Informationen häppchenweise offerieren. Das ist zwar legitim, doch bei all der zynischen Abschlachterei von Nebenfiguren und des perfiden und exzellenten Plans der Terroristen und Filmemacher, der auch bis zum Schluss funktioniert, ist dann das Detail, das die Bösen auffliegen lässt - aber das sollte ich an dieser Stelle nicht verraten. Ich will es so formulieren: Wer so böse ist und soviel Blut an den Fingern kleben hat, der wird am Schluss nicht wegen einer (relativ gesehenen) Lapalie (die aber aus filmischer Sicht einen Tabubruch darstellt) alles den Bach runtergehen lassen.
© Koch Media |
Das Endproblem von Before the Devil knows you're Dead geht eigentlich in die Gegenrichtung, doch ich will den Film so erzählen, wie er sich präsentiert. Es beginnt mit einer recht drastischen Bettszene, die uns zunächst nur wenig über die beiden Personen erzählt. Philip Seymour Hoffman als Andy betrachtet sich beim Liebesspiel offenbar gerne im Spiegel, seine Partnerin (Marisa Tomei) könnte mehr Enthusiasmus zeigen. Dann kommt ein Zwischentitel “The Day of the Robbery”, wir wissen zunächst nicht einmal, ob die zweite Szene vor oder nach der ersten liegt. Der Überfall auf ein kleines Juweliergeschäft geht reichlich daneben, der Fahrer (Ethan Hawke), der ohne Beute sowie ohne seinen Kumpanen das Weite suchen muss, verflucht Andy, von dem wir später erfahren, dass er sein Bruder ist. Viel mehr will ich an dieser Stelle gar nicht über die Geschichte verraten, denn wie diese sich langsam entfaltet, das ist weitaus liebevoller und interessanter als bei Vantage Point.
Interessant ist zum anderen auch, dass hier nicht immer wieder derselbe Zeitabschnitt vorgeführt wird, sondern mit dem Wechsel der Perspektive jeweils auch ein anderer Zeitabschnitt (manchmal natürlich auch mehrfach) vorgeführt wird, wobei der Überfall als Zentralpunkt die zeitliche Einordnung der Ereignisse erleichtert. Um den Wechsel zwischen den Perspektiven und Zeitpunkten zu markieren, hat man in Vantage Point recht einfallslos das Bild schnell zurücklaufen lassen, hier sind die Wechsel komplexer (die zeitliche Bewegung ist ja auch nicht immer dieselbe) und so hat sich Sidney Lumet zusammen mit dem Cutter auf eine Kombination von Freeze Frame, Standbildern und wieder “auftauendem” Bild gestützt, die zwar auch schon mal ähnlich da war (die flash-forwards bei Easy Rider, einige Montagetechniken in Michel Devilles La femme en bleu oder Steven Soderberghs The Limey), aber dennoch erfrischend wirkt, wo Vantage Point nur gängige und populäre Effekte nachäfft.
Das Problem beim Film von Sidney Lumet ist neben der schauspielerischen Überforderung von Ethan Hawke (er verzweifelt, verzweifelt mehr, ist schließlich total verzweifelt), dass nach der schönen Exposition, die nicht nur wegen der Musik von Carter Burwell an die missglückenden Kleinverbrechen bei den Coen-Brüdern (Fargo, The Man who wasn't there) erinnert, gegen Ende ebenfalls eine Spur zu oft getötet wird, wodurch das narrative Konzept des Films ein wenig verschwendet wird für einen “Schieß-mich-tot-Streifen”. Bei den Coens bekommen die Möchtegern-Kriminellen zum Schluss zwar auch immer die Rechnung präsentiert, aber ungleich stilvoller. Beim mittlerweile 83jährigen Lumet sieht man zwar die guten Ansätze, aber gegen Ende entgleist ihm der Film ein wenig. Schade.
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