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Fotos © 2008 Warner Bros. Ent.
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Der seltsame Fall
des Benjamin Button
(R: David Fincher)
Originaltitel: The Curious Case of Benjamin Button, USA 2008, Buch: Eric Roth, Story: Eric Roth, Robin Swicord, Lit. Vorlage: F. Scott Fitzgerald, Kamera: Claudio Miranda, Schnitt: Kirk Baxter, Angus Wall, Musik: Alexandre Desplat, Production Design: Donald Graham Burt, Supervising Art Director: Tom Reta, mit Brad Pitt (Benjamin Button), Cate Blanchett (Daisy), Taraji P. Henson (Queenie), Tilda Swinton (Elizabeth Abbott), Julia Ormond (Caroline), Jared Harris (Captain Mike), Jason Flemyng (Thomas Button), Rampai Mohadi (Ngunda Oti), Edith Ivey (Mrs. Maple), Peter Donald Badalamenti II (Benjamin 1928-31), Elle Fanning (Daisy - Age 7), Robert Towers (Benjamin 1932-34), Madisen Beaty (Daisy - Age 10), Tom Everett (Benjamin 1935-37), Spencer Daniels (Benjamin - Age 12), Chandler Canterbury (Benjamin - Age 8), Charles Henry Wyson (Benjamin - Age 6), Devyn A. Tyler (Queenie's Daughter - Age 14), Deneen Tyler (Queenie's Daughter - Age 40), Elias Koteas (Monsieur Gateau), Katta Hules (Caroline - Age 12), Lance E. Nichols (Preacher), Rus Blackwell (Robert Williams), Yasmine Abriel (Prostitute with Benjamin), Ed Metzger (Teddy Roosevelt), 166 Min., Kinostart: 29. Januar 2009
Nach den eher geteilte Meinungen hervorrufenden Filmen Panic Room und Zodiac arbeitet David Fincher wieder mit Brad Pitt, dem Rückgrat seiner erfolgreichsten und besten Filme (Seven und Fight Club), und plötzlich regnet es nicht weniger als 13 Oscar-Nominierungen (Bester Film, Regie, Buch, Kamera, Schnitt, Art Direction, Score, Make-Up, Kostüme, Sound Mixing, Visual Effects sowie für die Darsteller Brad Pitt und Taraji P. Henson), und im Gegensatz zu den Golden Globes, wo Danny Boyles Slumdog Millionaire der große Abräumer war und Benjamin Button leer ausging, dürfte die altehrwürdige Academy mit dieser uramerikanischen Geschichte, die ähnlich wie Forrest Gump ganze Jahrzehnte, ja fast ein Jahrhundert an amerikanischer Geschichte nachzeichnet, mehr anfangen können als die ausländischen Kritiker (die über die Globe-Vergabe urteilen) mit dem in Indien spielenden und von einem Briten inszenierten Bollywood-Märchen.
The Curious Case of Benjamin Button basiert locker auf einer Kurzgeschichte von F. Scott Fitzgerald, die ich leider nicht so kurzfristig auftreiben konnte, bei der mir aber sicher scheint, dass der offensichtlich verschobene Zeitrahmen der Geschichte (Fitzgerald dürfte vom Hurricane Katrina wenig mitbekommen haben) auch zu einer stärkeren Betonung des Rassenaspekts geführt haben dürfte. Denn Benjamin Button, der als normalgroßes, aber ansonsten eher greisähnliches Baby geboren wird, wird von seinem Vater ausgesetzt und ausgerechnet von einer Farbigen, die in einem Altersheim arbeitet (ein dankbarer Umstand für die Symbolik der Geschichte), aufgezogen. Was sich zwischen den Weltkriegen erstaunlich harmonisch entwickelt, dürfte bei einer Verlagerung der Geschichte um 50 Jahre in die Vergangenheit eine ganz andere Atmosphäre erhalten (die Nominierung von Taraji P. Henson als Benjamins Ziehmutter Queenie dürfte schon eher von solchen Faktoren beeinflusst sein, denn der Film verhält sich zu dieser Figur halt völlig anders als es etwa 1939 in Gone with the Wind geschah, für den Hattie McDaniel als beste Nebendarstellerin ausgezeichnet wurde). Aber genau weiß ich das nicht (da Fitzgerald nicht gelesen), und der Kampf gegen (erzwungen) stereotype Darstellungen Farbiger findet hier allenfalls durch die nahezu komplette Aussparung des Themas und somit nur im Subtext statt.
Die Hauptaspekte des Films sind eher die Umsetzung der visuellen Herausforderungen an die Hauptfigur (und den Hauptdarsteller), die nicht allzu kitschige Liebesgeschichte und das fantastische Sujet innerhalb eines ansonsten eher realistischen Umfelds. Als (cineastisch prunkvoll inszenierter) Prolog wird dem Zuschauer noch von einer Bahnhofsuhr erzählt, die der Uhrmacher absichtlich rückwärts ablaufen ließ, um somit seinen im ersten Weltkrieg verlorenen Sohn wie bei einem rückwärts ablaufenden Film zurückzubekommen (was übrigens nicht funktioniert). Diese Uhr (die erstaunlicherweise Jahrzehnte lang im Bahnhof mit vermutlich geringer Affinität zur tatsächlichen Zeit hängt) wird subtil in einen möglichen Kontext mit dem seltsamen Fall des Benjamin Button gestellt, aber eine wirkliche Erklärung gibt der Film (glücklicherweise) nicht ab.
Und so wächst Benjamin im Altersheim auf, hat zunächst viele Bezugspunkte zu den Patienten, interessiert sich aber zunehmend auch für die Kinder, die auf der anderen Straßenseite spielen, oder die Stadt New Orleans generell (aufgrund von Arthritis und schlechter Sicht ist seine Mutter zunächst dagegen, dass er das Heim verlässt). Und mit ca. sieben Jahren lernt er Daisy (zunächst Elle Fanning, später Cate Blanchett) kennen, mit der er sich - aus Sicht der Erwachsenen - schon früh zu sehr beschäftigt, deren Großmutter aber ihm und ihr gemeinsam Geschichten vorliest, die auf beide einen großen Eindruck hinterlassen (Rudyard Kiplings Just-so-Stories, eine interessante Wahl, die abermals viel für eine tiefergehende Interpretation bieten). Da die gesamte Geschichte, wie sie von Benjamin niedergeschrieben wurde, ebenfalls vorgelesen wird, und zwar von Daisys mittlerweile ca. 40jähriger Tochter Caroline der im Sterben liegenden Daisy, gibt der Struktur des Films eine weitere Ebene von Closure und Symmetrie, doch von Benjamins späteren Abenteuern in Bordellen, auf See oder in Russland will ich an dieser Stelle ebensowenig erzählen wie von Daisys Ehe oder die Rolle, die Tilda Swinton im Film spielt. Dafür lässt sich der Film 166 immens unterhaltsame Minuten Zeit, das muss man nicht schon im Voraus alles wissen.
Im Werk von David Fincher ist Benjamin Button vielleicht eine Zuwendung zu kassenkräftigeren Stoffen und ein Experimentieren mit einer zunächst simpel wirkenden Erzählkunst - doch auch wenn der Film sich seinem Publikum nicht so versperren mag wie Zodiac, ist er doch ähnlich tiefgründig. Nur mit dem Unterschied, dass bei Zodiac der Zuschauer in die Tiefe gehen musste, um mit dem Film etwas anzufangen, und bei Benjamin Button bietet Fincher für Betrachter, die einfach nur unterhalten werden wollen, ausreichend Stoff - und für jene, die etwas länger über die Themen des Films nachdenken oder diskutieren wollen: jede Menge Subtext.