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Berlinale: Supermarkt
Zwei Verfilmungen von Büchern, die in meinem Regal stehen, ein Anime, eine Komödie mit Steve Zahn und ein neuer Film mit Isild LeBesco. Dafür kann man ruhig mal ein bißchen Klinkenputzen bei den internationalen Filmverleihern gehen, um die begehrten “Screening Invitations” zu bekommen. Die Filme, für die ich (aus unterschiedlichen Gründen) keine Einladung bekam, wären aber auch interessant gewesen: Oliver Stones W., eine Stephen King-Verfilmung (Dolan’s Cadillac), der japanische Oscar-Beitrag, eine Kurzfilm-Anthologie mit dem irgendwie vertrauten Titel New York, I love You (Regie u. a. Fatih Akin, Shunji Iwai, Natalie Portman und Scarlett Johansson) Natalie Portman, der neue Film von James C. Strouse sowie Filme mit Tim Allen, Emily Blunt, Nathan Fillion, Nichelle Nichols oder Olivia Williams ...
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Schande
(Steve Jacobs)
Australien / Südafrika 2008, Originaltitel: Disgrace, Buch: Anna Maria Monticelli, Lit. Vorlage: J. M. Coetzee, Kamera: Steve Arnold, Schnitt: Alexandre de Franceschi, Musik: Antony Partos, mit John Malkovich (David Lurie), Jessica Haines (Lucy), Antoinette Engel (Melanie), Eriq Ebouaney (Petrus), Fiona Press (Bev), Scott Cooper (Student), Monroe Reimers (Board member), Charles Tertiens (Ryan), 120 Min., Distributor: Fortissimo Films
Noch stärker als bei The Informers, der anderen Literaturverfilmung, die ich auf dem Market sah, hatte ich im Vorfeld bei Disgrace, nach dem Roman des Literaturnobelpreisträgers J. M. Coetzee, das Gefühl, dass die Geschichte, die mich beim Lesen des Romans etwa soweit herunterzog wie Mike Leighs Naked oder Boys Don’t Cry, für einen Film immens “commercially challenged” sei. Umso mehr überraschte (und erfreute) es mich, dass der Film mich noch stäker berührte (und dies durchaus nicht nur im negativen Sinn) als das Buch. Nun hatte ich allerdings auch den Vorteil, dass ich ziemlich genau wusste, was mich erwartete.
Disgrace beginnt mit der Affäre des in Kapstadt lebenden Englischprofessors David Lurie (John Malkovich in bewährter Form) mit einer Studentin (Antoinette Engel). Entsprechend des Details, dass wir Lurie kennenlernen, wie er gerade eine farbige Prostituierte besucht, ist auch diese Vereinigung eher fordernd, mit einem merkantil-kolonialen Hintergrund. Eine von oben auf dem Fussboden gedrehte Sexszene wirkt fast so, als mache Malkovich Liegestütze, während seine junge Gespielin als bewusstlos durchgehen könnte. Im Roman ist die Umschreibung hierzu:
“Not rape, not quite that, but undesired nevertheless, undesired to the core.
As though she had decided to go slack, die within herself for the duration,
like a rabbit when the jaws of the fox close on its neck.”
Nach einigen Zwischenfällen mit Melanies Freund kommt es zu einer Anhörung, bei der David ohne Kenntnis der Vorwürfe die Schuld auf sich nimmt und die Uni verlässt. Aus heutiger Sicht wirkt diese Prämisse wie eine Kombination der Anfänge von Philip Roths The Human Stain und The Dying Animal (verfilmt als Elegy), man darf dabei aber nicht aus den Augen verlieren, dass Coetzees Buch ein Jahr vor The Human Stain erschien. Vielleicht auch ein Grund, warum Roth immer noch geduldig auf seinen Nobelpreis wartet ...
David zieht daraufhin zu seiner Tochter (Jessica Haines), die auf einer kleinen Farm u. a. Blumen anbaut, die sie auf dem nahen Wochenmarkt verkauft. Über den weiteren Verlauf der Geschichte, in der er vor allem um die Probleme, Unterschiede und Machtverhältnisse zwischen Schwarz und Weiß und Mann und Frau geht, will ich nicht zuviel verraten. Wo der Roman ernüchternd und schockierend auf mich wirkte, bewahrt sich die Verfilmung eine lyrische Qualität, zu der neben den Darstellungen und der cleveren Adaption auch die Kameraführung sehr viel beiträgt. Wie Steve Arnold, ein seit Jahrzehnten in Australien tätiger D.O.P., von dem ich aber noch nie einen Film gesehen habe, die Geschichte über durchkomponierte, aber nicht klinisch wirkende Kadrierungen und leise Schwenks erzählt, ist in jeder Hinsicht meisterhaft.
Die zutiefst ernüchternde letzte Szene im Buch (“Are you giving him up?”) erfährt im Film durch eine winzige Umstellung der Chronologie einen ungleich versöhnlicheren Epilog, der zwar gängigen Mainstream-Prinzipien entspricht, aber nicht die Integrität der Geschichte untergräbt, sondern die - auch durch die sparsam verteilten musikalischen Passagen - nuanciert unterschiedliche Atmosphäre des Films verstärkt, der dann auch im Nachspann einen Auszug aus der Oper, an der David arbeitet, folgt, und dadurch ein dezentes Happy End zaubert.
Wie es dem Film gelingt, noch in den abgründigsten Stellen eine gewisse Erhabenheit aufzubauen, die aber die Greuel nicht ungeschehen macht, das ist die Zauberkraft, die aus diesem Film, über dessen Situation auf dem internationalen Markt ich wenig weiß, einen Oscar-Gewinner machen könnte, der durchaus auch Kassenpotential hat, auch wenn jeder Kurzinhalt die Zuschauer abschrecken könnte. Neben der bereits erwähnten (ursprünglichen) Schlussszene wären hier etwa der eine, fast magische Zeitlupeneinsatz zu nennen, und die daran anschließende Szene, wie Lucy, durch die Tür zum “Badezimmer” kadriert, aufs Fenster zugeht und von der Sonne zum Leuchten gebracht wird, das folgt zwar der Beschreibung im Buch (“By the time he has the door open, Lucy has turned her back on him. She is wearing a bathrobe, her feet are bare, her hair wet.”), fügt dieser aber noch eine riesengroße Kleinigkeit hinzu, die diesen Film “möglich” macht, wo die beiden erwähnten Roth-Verfilmungen kläglich versagen. Wenn es je einen Film gab, dem ich einen weltweiten Erfolg (im Rahmen der Möglichkeiten) wünsche, dann diesem. Was allein die momentan so aktuellen Oscars angeht: Beste Kamera (ein Muss!), bestes adaptiertes Drehbuch, beste Musik (zumindest eine Nominierung), beste Nebendarstellerinnen (Jessica Haines und Fiona Press sind zwei Entdeckungen, die neben beispielsweise Naomi Watts oder Judi Dench bestehen könnten), und wo wir schon dabei sind, belassen wir die drei Hauptkategorien auch noch hier.
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Mai mai Shinko to
sennen no mahou
(Sunao Katabuchi)
Int. Arbeitstitel: Mai Mai Miracle, Japan 2009, Lit. Vorlage: Nobuko Takagi, mit den Originalstimmen von Mayuko Fukuda, Nako Mizusawa, Ei Morisako, Manami Honjo, 95 Min., Distributor: Shochiko
Japan, 1955. Shinko ist ein quirliges, etwa 8jähriges Mädchen, das in einer ländlichen Gegend wohnt. Sie hat eine ausgeprägte Fantasie und tobt zumeist in den Weizenfeldern herum oder liefert sich Wettrennen mit einem imaginären Wesen names Green Kojirou. Als ihr Großvater ihr davon erzählt, dass die Bewässerungsgräben der Gegend aus der tausend Jahre zurückliegenden Heian-Periode stammen, beflügelt dies ihre Fantasie und sie stellt sich vor, wie es wohl vor tausend Jahren gewesen sein muss. Dies wird visuell sehr schön umgesetzt, denn in Shinkos Umfeld erscheinen zunächst krakelige Kinderzeichnung, die dann aber von Schulbuch-Illustrationen und im Stil des Films animierten “richtigen” Häuser, Menschen, Tieren und Fahrzeugen ersetzt werden.
Dann zieht Kiiko in den Ort, eine neue Klassenkameradin, die zuvor mit ihrem wohlhabenden Vater in Tokyo lebte, und zunächst Probleme hat, sich einzuleben. So trägt sie etwa an ihrem ersten Schultag Lippenstift und etwas Parfüm, und wenn ein besonders rotznäsiger Junge sich bei einer Stunde, bei der die Kinder sich ohne Aufsicht selbst beschäftigen sollen, einen ihrer Buntstifte leiht (“26 Farben! So viele habe ich noch nie gesehen!”), diesen aber mehrfach abbricht und mit einem Taschenmesser großzügig “anspitzt”, will sie ihn wiederhaben, es gibt ein kleines Handgemenge, und der ärmliche Knabe Shigeru muss später in der Ecke stehen. Daraufhin verfolgt Shinko das seltsame Mädchen bei Nachhauseweg, konfrontiert sie damit, dass sie ihre Teilschuld der Lehrkraft gegenüber hätte zugeben sollen, und so entwickelt sich die Freundschaft zwischen den beiden, die bei Besuchen bei der jeweils anderen Familie (wobei Kiikos Mutter verstorben ist und ihr Vater selten zuhause) viel zu entdecken haben, beispielsweise Whisky-Pralinen, die sie mit Shinko kleinerer Schwester Mitsuko teilen.
Gleichzeitig erkunden sie aber auch zusammen die Felder und die Natur, bauen mit Shigeru und anderen Kindern (darunter auch der etwas ältere Tatsuyoshi, dessen Vater Polizist ist) einen Damm, in dem sie einen Goldfish halten, den sie nach der allgemeinen Lieblingslehrerin Hizuru benennen. Neben den Ausflügen in Shinkos Fantasiewelt, die Kiiko mitspielt, entwickelt sich jetzt ein Coming-of-Age-Thema, aber auf Kinderniveau. Man schleicht sich ins Kino herein und erlebt eine leidenschaftliche amerikanische Kussszene, Tatsuyoshis Vater stirbt auf unehrenhafte Weise, es geht um die Probleme mit der Heirat von Fräulein Hizuru, und zu allem Übel stirbt dann auch noch der Goldfish, weil die Kinder ihm viele bunte Gläser mit in sein Terrain gestellt hatten und eine Parfümflasche von Kiikos Mutter dabei umgefallen ist.
Dadurch kommt es dazu, dass Shinko die Lehrerin Hizuru in Tokyo auftreiben will, Tatsuyoshi in der zwielichtigen Hafengegend die Schurken konfrontieren will, die das Ansehen seines Vaters in den Dreck gezogen haben, man sich auf die Suche nach einem neuen Goldfish macht, und Kiiko, plötzlich wieder zurückgezogen, ebenfalls die Welt vor tausend Jahren erlebt, wo eine Prinzessin keine Spielgefährtin hatte, weil das dafür abkommandierte Mädchen sich um seine kranken Geschwister kümmern musste.
Gerade in der abschließenden Parallelmontage sieht man, dass der Regisseur mal bei Studio Ghibli gearbeitet hat (u. a. an Kiki’s Delivery Service), denn auch wenn Shinko, Kiiko und Shinkos Großvater ein wenig an die Anime-Versionen von Heidi, Klara und den Alm-Öhi erinnern, so ist die fantastische Welt des Films durchaus einem Miyazaki-Film ähnlich, baut aber wie Grave of the Fireflies auf einem Roman auf, und entwickelt trotz aller Kindlichkeit eine bemerkenswerte Tiefgründigkeit, die sowohl Erwachsene wie auch Kinder faszinieren kann.
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Management
(Stephen Belber)
USA 2008, Buch: Stephen Belber, Kamera: Eric Alan Edwards, Schnitt: Kate Sanford, Musik: Mychael Danna, Rob Simonsen, mit Steve Zahn (Mike), Jennifer Aniston (Sue), Woody Harrelson (Jango), James Hiroyuki Liao (Al), Margo Martindale (Mike’s Mother), Fred Ward (Jerry), Gilberto Martin del Campo (Priest), Katie O'Grady (Receptionist), Tzi Ma, 93 Min., Distributor: Kimmel International
Mike (Steve Zahn), der im Motel seiner Eltern (Margo Martindale und Fred Ward) in dem kleinen Nest “Kingman” in Arizona den Posten des “Nachtmanagers” innehat, ist unzufrieden mit seinem Leben, gelangweilt - und einsam. Als er auf die für zwei Tage einziehende Sue (Jennifer Aniston) aufmerksam wird, probiert er es mit einem Trick, der bis jetzt noch nie zum Erfolg (wie auch immer man diesen definiert) geführt hat. Er organisiert eine Flasche Wein aus dem Lagerraum, entfernt das Weihnachtsgeschenkpapier, klopft bei Sue an und präsentiert ihr das Willkommensgeschenk des “Managements” - dass diese wie Jogi Löw angesichts dieser Aufmerksamkeit argwöhnisch wird, hält ihn nicht von seiner stoischen Rolle ab (was er als “guten Jahrgang” anpreist, spuckt sie diskret ins Glas zurück), und am nächsten Abend legt er noch einen drauf - mit einer eigens gekauften Flasche Champagner (“for all our guests who stay two nights”). Wohl auch, um den seltsamen Kauz mit der Absurdität seiner Masche zu konfrontieren, erkundigt sich Sue nun, was Mike sich eigentlich erhofft, und um ihn loszuwerden (“It’s touch and go!”), darf er sogar mal kurz ihren Hintern berühren.
Doch beim Frühstück lauert Mike ihr erneut auf, und durch eine weitere Ermutigung entwickelt er sich zum veritablen Stalker, der auch mal an Sues Arbeitsstelle auftaucht, oder mit einem Fallschirm im Swimmingpool ihres Verlobten landet. Dieser “Ex-Punk” (und Joghurt-Millionär) namens Jango (Woody Harelsen) entleert dann aber gleich sein Schnellfeuer-Luftgewehr (oder so was ähnliches, bin kein Waffennarr) auf ihn, um seine Freundin, sein Leben und den Pool zu verteidigen.
Management ist eine simple Romantic Comedy, die mal wieder auf den offensichtlichen Unterschieden zwischen dem verhinderten Liebespaar aufbaut, dabei aber durch den sympathischen Loser Steve Zahn und einige sehr schöne Ideen sehr liebenswert daherkommt. Nebenbei gibt es auch ernstere Themen wie die Krankheit von Mikes Mutter, aber vor allem sind es die zumeist sogar subtilen Gesten, Blicke und Details am Rande, die Management über einen Großteil des Genres hinausheben. Manche Gags sind so subtil, dass ich das Gefühl hatte, als einziger zu lachen, gleich zu Beginn des Films etwa, wenn Mike das fehlende “B” beim Mietanreiz “Free HBO” auf dem Hinweisschild anbringt.
Ich weiß nicht, wie weit Kingman vom ebenfalls in Arizona gelegenen Phoenix entfernt ist, aber schon die Idee, aus der Prämisse von Hitchcocks Psycho sozusagen eine Liebesgeschichte zu basteln, finde ich erfrischend charmant. Dass Sue ausgerechnet “Motel paintings” verkauft, erinnerte mich zudem an Jason Littles seit vier Jahren erscheinenden Webcomic Motel Art Improvement Service, und auch das Hotel meiner Eltern nahm mich ganz persönlich für den Film ein. Dafür, dass ich nichts erwartete und den Film nur deshalb in meinen Zeitplan aufnahm, weil ich noch einen fünftes Market Screening brauchte und es zeitlich so gut passte, war es ein fast magisches Erlebnis. Wenn der Streifen nun noch mit Jennifer Anistons Hand auf Steve Zahns Hintern geendet hätte, statt danach die Kamera zurückziehen zu lassen, um mit einer sehr konventionellen Umarmung zu enden, wäre es noch schöner gewesen.
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The Informers
(Greg[or] Jordan)
USA / Deutschland 2009, Buch: Bret Easton Ellis, Nicholas Jarecki, Lit. Vorlage: Bret Easton Ellis, Kamera: Petra Korner, Schnitt: Robert Brakey, Casting: John Papsidera, Production Design: Cecilia Montiel, Art Direction: Inés Olmedo, Nick Ralbovsky, Kostüme: Sophie Carbonell, mit Jon Foster (Graham), Amber Heard (Christie), Austin Nichols (Martin), Kim Basinger (Laura), Billy Bob Thornton (William), Mel Raido (Bryan Metro), Lou Taylor Pucci (Tim Price), Chris Isaak (Les Price), Mickey Rourke (Peter), Winona Ryder (Cheryl Laine), Rhys Ifans (Roger), Brad Renfro (Jack), Diego Klattenhoff (Dirk), Aaron Himelstein (Raymond), Simone Kessell (Nina Metro), Cameron Goodman (Susan Sloan), Angela Sarafyan (Mary), Milena Arango (Miss Nebraska), Theo Rossi (Spaz), Distributor: Essential Entertainment
Bret Easton Ellis’ Roman The Informers erinnert vom Sujet her an sein Debüt Less than Zero, ist aber am bemerkenswertesten deshalb, weil es in Kapiteln erzählt ist, die fast immer einen unterschiedlichen Ich-Erzähler haben, und als Leser kommt man nur langsam hinter so Kleinigkeiten, welches Geschlecht der jeweilige Ich-Erzähler wohl hat, welchen Namen oder welches Alter. Zunächst verschwimmen die Geschlechter, erst langsam sieht man die Struktur und die wieder auftauchenden Personen, kurzum: auch wenn die Geschichte Anfang der 1980er spielt, ist das Erscheinungsdatum des Romans, 1994, die Zeit von Filmen wie Pulp Fiction, Short Cuts oder Kids, prägend für das Werk.
Ähnlich wie bei den Ellis-Verfilmungen Less Than Zero oder American Psycho ist zunächst einmal die oberflächliche Welt der Reichen und ihrer Kinder ein Thema, das die Verfilmung erkundet, wobei hier noch die nostalgische Rückkehr in die Achtziger viele Impulse gibt. So gibt es all diese aus heutiger Sicht unvorstellbaren Frisuren, Farbkombinationen und einen Soundtrack (zuzüglich einiger Videoclips, die auf dem dauerpräsenten MTV laufen), der den Film schon allein zu einem Erlebnis macht: Wang Chung, Gary Numan, A Flock of Seagulls, Men without Hats, Devo, Simple Minds, Spandau Ballet, das volle Programm! Und sogar Bryan Metro, der weltbekannte Sänger im Film, wirkt komplett authentisch, was die Musik angeht. Weitere Geniestreiche sind die Besetzung von Kim Basinger und Mickey Rourke, die zur Zeit, in der der Film spielt, gerade auf dem Weg zum Superstar waren (ihr gemeinsamer Film 9½ Weeks stammt aus dem Jahre 1985), und die hier den Jugendwahn (auf dem Filmplakat heißt es: Greed is good. Sex is easy. Youth is forever.”) auf perfide Art karikieren. Eine weitere, unabsichtliche und unerfreuliche Entsprechung des Filmtitels ist der inzwischen an einer Überdosis gestorbene Brad Renfro (seine bekannteste Rolle dürfte wahrscheinlich die des “Musterschülers” in Bryan Singers Apt Pupil sein), den man hier noch einmal sehen darf und dem der Film gewidmet ist.
Als Entsprechung des Romans ist der Film mustergültig, was sicher auch daran liegt, das Ellis am Drehbuch mitschrieb. Aufgrund des Budgets (und anderer nachvollziehbarer Gründe) wurden die Vampire ausgespart und die Welttournee von Bryan Metro (im Film der Band “The Informers” - im Roman gibt es keine offensichtliche Erklärung für den Titel) führt ihn diesmal nicht nach Tokyo, weshalb er auch nicht von Godzilla träumen muss. Die Struktur des Buches wurde natürlich komplett umgedreht, weil das Rätselspiel der Ich-Erzähler im Film nicht funktionieren würde (subjektive Kamera ist einfach keine funktionierende Umsetzung dafür), und so werden einige Nebenfiguren vermengt, einiges fällt raus, die Krankheit von Cheryl wirkt durch eine Aids-Dokumentation im Fernsehen klarer definiert, und die bei Ellis oft inhärente Moral findet im Film eine Entsprechung, indem zumindest eine der Figuren noch einen Rest an Anstand demonstriert.
Ähnlich wie zuletzt bei Fireflies in the Garden hat Produzent Marco Weber (Rohtenburg, Igby goes down) wieder einen unbekannten Regisseur und viele bekannte Gesichter für kleine Rollen zusammengebracht, und auch, wenn einiges unispiriert (aber kompetent) wirkt, so gibt es hin und wieder auch mal eine positive Überraschung wie die Beerdigung von Bruce (entspricht dem Jamie im Buch, aber einiges wurde - zum Wohl des Filmes - verbessert), die im Buch kein Thema ist. Überall hängen Werbeplakate des Verstorbenen (wie gesagt, der Jugendwahn), und die Mutter spielt seinen “Lieblingssong”, der so oberflächlich ist, dass sogar ich ihn inzwischen verdrängt habe (beginnt mit den Worten “We’re running with the shadows of the night”, wahrscheinlich etwas amerikanisches). Wer über solche Details lachen kann, und sich nicht daran stört, dass es im Film vor allem um Luxus, Dekadenz, Sex, Drugs und etwas, was ich sicher nicht Rock’n’Roll nennen würde, geht (und zwar auf eine oberflächliche Weise, die im Gegensatz zu vielem aus den Achtzigern auch heutzutage noch allgegenwärtig scheint), dem sei der Film empfohlen, ebenso wie denen, die das inzwischen längst in Vergessenheit geratene Buch kennen.
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Emma & Marie
(Sophie Lalois)
Originaltitel: Je te mangerais, Frankreich 2009, Buch: Sophie Laloy, Co-Autoren: Jean-Luc Gaget, Eric Veniard, Kamera: Marc Tévanian, Schnitt: Agathe Cauvin, mit Judith Davis (Marie), Isild LeBesco (Emma), Johan Libereau (Sami), Edith Scob (Mlle. Laine), Marc Chapiteau (Marie’s Father), Fabienne Babe (Marie’s Mother), 96 Min., Distributor: Doc & Film International
Da nach wie vor die wenigsten Filme mit Isild LeBesco den Weg in die deutschen Kinos schaffen, fand sich hier eine weitere Markt-Vorführung, bei der ich den Namen der Regisseurin nie zuvor vernommen hatte (diesmal bei allen fünf Filmen, in den Vorjahren waren es fast immer Regisseure wie Hayao Miyazaki, John Sayles oder Barbara Albert, die mich lockten), noch dazu mit einem vielversprechenden Titel.
Marie (Judith Davis) zieht in die Stadt, um Konzertpianistin zu werden. Erstmals teilt sie nicht das Haus mit ihren Schwestern und Eltern, sondern zieht in die Wohnung von Emma (Isild LeBesco), einer Freundin aus Kindertagen, die sie aber lange nicht gesehen hat, ein. Die ehemals schüchterne Emma hat sich eine fordernde junge Frau verwandelt, die zumeist bekommt, was sie haben will. Was in diesem Fall Marie ist, die sie zum einen aufgrund ihres Selbstvertrauens bewundert, und die zum anderen die Zuneigung und Vertrautheit ihrer Schwestern vermisst und sich, wie durch die Inszenierung schnell geklärt wird, auch aus anderen Gründen zu Emma hingezogen fühlt. Aber es gibt einige Probleme. Marie interessiert sich durchaus auch für Männer, Emma will sie ganz allein besitzen. Das Klavierüben leidet zunächst durch die aufkeimende Liebe, später durch den sich ausbreitenden Zickenterror, der unter anderem dazu führt, dass Marie wieder zu ihren Eltern zieht, wo sie aber mit ihrem neuen Freund Sami, ebenfalls ein aufstrebender Pianist, nicht so intim werden darf, wie sie möchte, weshalb sie dann zu Emma zurückzieht, und diese quasi durch den erzwungenen Einzug von Sami foltert. Es ist ein Wechselbad der Gefühle, ein kleiner Psycho-Thriller, der durch Emmas bedingungslose und besitzergreifende Liebe zu Marie gerade in der Öffentlichkeit oft peinliche Züge einnimmt, denn die Musikprofessorin reagiert nicht eben positiv darauf, wenn man sie öffentlich beleidigt, weil sie Maries Talent nicht zu schätzen weiß.
Je te mangerais hat zwei überzeugende Darstellerinnen und einige sehr schöne Ideen. Als Marie zum Beispiel beim Üben eines Stücks immer mehr verkrampft, tut eine kleine Nummer auf dem Piano (zu der man dann nicht-diegetisch das korrekt gespielte Stück hört) Wunder, doch der Sado-Maso-Zickenterror wirkt oft überzogen und allzu dramatisch, und das Thema Klavierspiel, sehr präsent im französischen Film, erschöpft sich auch zunehmend. Gerade auf der Berlinale (wenn auch glücklicherweise nicht in diesem Jahr) sieht man aber oft genug missratene Kammerspiele, und verglichen mit dem Durchschnitt ist Je te mangerais immerhin bis zur letzten Einstellung interessant und zu keinem Zeitpunkt langweilig. Trotz des auf und ab, hin und her, vor und zurück dieser seltsamen Hassliebe.
Demnächst in Cinemania 59 (Girls on Film):
Kritiken zu The Exploding Girl, Flickan, The Happiest Girl in the World, The Private Lives of Pippa Lee, La journée de la jupe usw. ...