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Fotos © Kaminski.Stiehm.Film
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Im nächsten Leben
(R: Marco Mittelstaedt)
Deutschland 2009, Buch: Marco Mittelstaedt, Sven S. Poser, Kamera: Michael Kotschi, Schnitt: Vincent Assmann, Gergana Voigt, Musik: Lars Jöhn, mit Edgar Selge (Wolfgang Kerber), Anja Schneider (Margitta Seiler / Silke Kerber), Ralf Dittrich (Konrad Probst), Marie Luise Stahl (Simone Harder), Silvina Buchbauer (Peggy Gehrke), Knut Berger (Jörn Steiner), Henning Peker (Andreas Harder), Daniel Fripan (Paul), Ludwig Trepte (Feuerwehrmann Marcel), 82 Min., Kinostart: 28. Mai 2009
Bei der Figur des ehemaligen Sport-Reporters der DDR, der nach der Wende als Polizeireporter für eine Boulevard-Zeitung arbeitet, hat sich Regisseur und Co-Autor Marco Mittelstaedt, der zuvor den thematisch ähnlichen Film Jena Paradies drehte, von der Biografie seines Vaters inspirieren lassen. Und so ist auch der Generationenkonflikt zwischen der Filmfigur Wolfgang Kerber (Edgar Selge) und seiner Tochter Margitta (Anna Schneider) zumindest im Ansatz eine Entsprechung der eigenen (damals noch jugendlichen) Entfremdung des Regisseurs vom Vater, der sich allzu schnell dem Westen “andiente” und das “sinkende Schiff” verließ.
Dieser (teilweise auto-)biographische Ansatz ist bei jungen Filmemachern fast immer ein gutes Zeichen, und wenn man Im nächsten Leben sieht, hat man auch das Gefühl, dass Mittelstaedt auch in cineastischer Hinsicht die richtigen Vorbilder hat. Der Film beginnt in einer Waschstrasse, Reporter Kerber lebt sozusagen in seinem Mercedes, den seine Tochter seinen (im übertragenen Sinne sicher auch emotionalen) “Panzer” nennt. Im Auftrag des “Berliner Blatt” (eine wenig kaschierte Version von B.Z. und Bild, mit rotem Logo und dem Untertitel “fleißig - flexibel - furchtlos”) klappert Kerber den Osten ab auf der Suche nach Nachrichten, unterstützt dabei von seinem alten Weggefährten Probst (Ralf Dittrich), der für ihn den Polizeifunk abhört und von einer Monographie über Honecker träumt.
Kerber ist ein Auslaufmodell. Von elektronischer Datenübertragung ist er schnell überfordert, seinem Chef ist ebenso sein hoffnungstriefender Schreibstil ein Greuel wie auch die Relation der abgefahrenen Kilometer und Spesenrechnungen zu den sich daraus entspinnenden realen Zeilen, die es ins Blatt schaffen. Bei einem Treffen mit der Tochter (zum Blumenablegen am Grab der Mutter) ist unübersehbar, dass auch hier nichts so ist, wie es sein sollte. “Wie läuft die Arbeit?” - Läuft gut, und bei Dir?” - “Läuft gut.”
Bereits hier zeigt sich die völlig unterschiedliche Mentalität. Die Tochter offenbart intime Ängste angesichts einer untergetauchten Schülerin, der Vater konstruiert daraus im Scherz eine Schlagzeile, und wenn er etwas später tatsächlich hieraus jene Schlagzeile basteln will, die ihn womöglich retten könnte, und er tatsächlich mit dem Gedanken spielt, dabei ein Foto der Lehrerin zu benutzen, was natürlich auch ein privates Foto der eigenen Tochter ist, das er bei einem der seltenen Treffen zum Kaffee geschossen hat, da ahnt man als Zuschauer, dass von Kerbers untrüglichem Reporter-Instinkt nicht mehr viel übrig ist.
Nicht nur aufgrund der ersten Einstellung in der Waschstrasse erinnerte mich dieser Film an Atom Egoyans The Sweet Hereafter. Wie Ian Holm versucht auch Kerber, aus dem Leid der Provinz ganz persönliches Kapital zu schlagen, auch die Entfremdung von der Tochter und das zunächst ähnlich wirkende Schicksal einer anderen Tochter kommt dazu. Und wem das alles noch nicht beweiskräftig genug wirkt, spätestens, wenn Kerber vom Fall abgezogen werden soll, um in Neuruppin von einem verunglückten Schulbus zu berichten, kann dies kein Zufall mehr sein.
Im Gegensatz zu Egoyan ist bei Mittelstaedt aber die Story ziemlich überschaubar und streng chronologisch aufgebaut. Der Regisseur legt sogar Wert auf die Feststellung, dass es im Film keinerlei Rückblenden gibt. Was alles kein Nachteil ist. Doch dass der nur 82 Minuten lange Film durch lange Einstellungen von Kerbers Autobahnfahrten noch sehr gestreckt wirkt, und die Dialoge nicht immer überzeugen, vereinfacht schon die klare Unterscheidung von Egoyan. Immerhin überzeugen die Darsteller (solange Edgar Selge sich nicht wie Clint Eastwood höchstpersönlich aufspielt), das Buch und auch die weder zu sensationslüsterne noch zu harmonische Auflösung der Geschichte, und machen aus dem Streifen trotz der kleinen Schwächen einen der gelungeneren Spielfilme über die Entwicklung seit der Wende, gerade was den Output junger Filmemacher angeht.