Kreuzkölln
(R: Eva Lia Reinegger,
Anna de Paoli, Serdal Karaça)
Moruk (Serdal Karaça), Deutschland 2009, Buch: Serdal Karaça, Kamera: Dirk Lütter, Schnitt: Serdal Karaça, Kathrine Granlund, mit Oktay Özdemir (Murat), Burak Yigit (Hakan), Irina Potapenko (Irina), Klara Reinacher (Klara), 29 Min.
24 Stunden Schlesisches Tor (Eva Lia Reinegger, Anna de Paoli), Deutschland 2009, Buch: Eva Lia Reinegger, Kamera Interviews: Luciano Cervio, Kamera Impressionen: Jenny Lou Ziegel, Schnitt: Karin Nowarra, 60 Min.
Der Begriff „Kreuzkölln“ bezeichnet ursprünglich den Reuter-Kiez zwischen Kottbusser Damm, Sonnenallee und Maybachufer, hat sich aber inzwischen ein wenig verselbstständigt, und so erklärt es sich auch, dass keiner der zwei Kurzfilme, die hier unter diesem Titel zusammengefasst werden, im Reuter-Kiez spielt, sondern in Gebieten, die ursprünglich auf komplett unterschiedlichen Seiten jenseits der Grenzen von „Kreuzkölln“ lagen. Es ist auch müßig, an dieser Stelle zu diskutieren, inwiefern die beiden filmisch dokumentierten (zum einen in einem einstündigen Dokumentarfilm, zum anderen in einem halbstündigen Kurzspielfilm) Straßenzüge nun dem schwammigen (und meines Erachtens ziemlich überflüssigen) Begriff „Kreuzkölln“ zuzurechnen sind, oder inwiefern erkennbare Ähnlichkeiten im Straßenbild bestehen. Nehmen wir den Begriff „Kreuzkölln“ doch in seinem positivsten Aspekt war: der Zusammenführung von zwei Kurzfilmen, die sonst nie einen regulären Kinostart erfahren hätten (auch, wenn die Anzahl der Filmkopien eher gering sein dürfte). Denn als Doppelprogramm überzeugt „Kreuzkölln“ durchaus, mir persönlich hat besonders gefallen, dass der erste Film u.a. mit Hundegebell endet, dass dann (wohl eher zufällig) zu Beginn des zweiten Films gleich wieder aufgegriffen wird.
Uneingeweihte könnten bei Sichtung des Kurzspielfilms mit Titel Moruk annehmen, dass Moruk ein gemeinsamer Freund der Kumpel Murat (Oktay Özdemir) und Hakan (Burak Yigit) sei, auf den sie nach Beckett-Manier gemeinsam warten („Wir müssen noch auf Moruk warten“). Doch „Moruk“ ist, wie das Pressematerial entschlüsselt, sowas wie die türkische Version der beliebten Anrede „Alter“. Murat und Hakan hängen slackermäßig ab, philosophieren über das Leben, und heruntergekommene Neuköllner Hauswände geben den Background dazu ab. Man könnte annehmen, dass Kevin Smiths Clerks (ebenfalls in schwarzweiß gedreht) hier eine gewisse Vorbildfunktion für den Regisseur und Drehbuchautor Serdal Karaça hatte, doch Moruk erschöpft sich nicht in Gags und Unflätigkeiten, die Interaktion zwischen dem „Abi-Türken“ Hakan und seinem eher dem (hier eher schelmenhaften) Bad-Boy-Image von Oktay Özdemir (Knallhart) entsprechendem Kumpel zeichnet ein erstaunlich subtiles Bild, bei dem „klargemachte Bräute“, Fahrraddiebstahl, „was zu kiffen“ und Messer ihre Rolle fürs Alltagsleben nicht immer dem Klischee entsprechend spielen. Und trotz der nur halben Stunde Laufzeit lässt sich der Film sogar Zeit für einige inszenatorische Fingerspielereien.
Die Pressevorführung zu Kreuzkölln (und somit auch dem zweiten Film 24 Stunden Schlesisches Tor) fand übrigens zwei Tage nach der medienpräsenten Ausstrahlung des Doku-Projekts 24 h Berlin statt, und anfänglich war der sich dadurch anbietende direkte Vergleich dem Kinofilm nicht dienlich. Vom Fernsehereignis hatte ich ca. drei bis vier Stunden (verteilt auf einen geringfügig größeren Zeitrahmen) gesehen gehabt, und anstelle der sich unentwegt ablösenden Episoden hätten mich ein paar komplette Teile (bevorzugt von den interessantereren unter den zahlreichen Filmemachern) sicher mehr überzeugt.
|
|
Dem mit weitaus weniger finanzieller Unterstützung realisierten 24 Stunden Schlesisches Tor geht zunächst einmal die (vorgetäuschte) Objektivität des längeren Projekts komplett ab, denn das kleine Aufnahmeteam ist nicht nur öfters teilweise im Bild, hier werden auch die Fragen und die Fragende (also wahrscheinlich die früher auch mal für satt.org schreibende Eva Lia Reinegger, die ich aber nur über E-Mail-Austausch kennengelernt habe) gezeigt, was mir zunächst irgendwie „unprofessionell“ erschien. Doch im Verlauf des Films stellte sich heraus, dass seine größte Schwäche gleichsam auch seine größte Stärke darstellt, denn die manchmal etwas kleinmädchenhaft wirkende Spontanität („Esst ihr eure eigenen Burger noch?“) und die nur ansatzweise kaschierten Probleme bei der Realisierung verleihen dem Film einen gewissen Charme, der sich beim anderen, sehr viel professionelleren (und somit auch „gelackteren“) Projekt nicht einstellen wollte. Hier gibt es hingegen sowohl Personen, die die Aufnahmesituation zu einer Selbstdarstellung zu missbrauchen versuchen, aber auch jene Interviewte, die ein wenig ungehalten wirkt, weil während des Gesprächs ihre Currywurst kalt wird. Genau so ist Berlin eben! Zu den Stärken des Films zählen weiterhin die eingeschobenen Impressionen der Kamerafrau Jenny Lou Ziegel (die Einstellungen von der Sasse-Mitarbeiterin auf dem U-Bahnsteig haben mich verzaubert und ein wenig an den bekanntesten Moment im Werk von Bernie Krigstein erinnert) und die gelungene Auswahl an unterschiedlichsten Gesprächspartnern, die zwar einen politisch etwas zu vorbildlichen Querschnitt zu liefern scheinen - aber wer die Ergebnisse des Reuter-Kiez oder der Gegend um das Schlesische Tor bei der jüngsten Bundestagswahl kennt, weiß, dass die Auswahl durchaus repräsentativ ist. Wenn auch nicht für die gesamte Tigerentenrepublik, sondern nur für den rot-grün-lilanen Multi-Kulti-Dschungel.
Wer Kreuzkölln im Moviemento (wegen Michael-Jackson-Terror leider nur in Kino 2) zu sehen bekommt, kann sich darüber freuen. Für mich als jemanden, der seit zehn Jahren glücklich im Reuter-Kiez lebt, ist dies ein echter Heimatfilm.