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16. Dezember 2009
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Brand upon the Brain! (R: Guy Maddin)
Brand upon the Brain! (R: Guy Maddin)
Bildmaterial © The Film Company
Brand upon the Brain! (R: Guy Maddin)
Brand upon the Brain! (R: Guy Maddin)


Brand upon the Brain!
(R: Guy Maddin)

USA / Kanada 2006, Buch: Guy Maddin, George Toles, Narration: Louis Negin, Kamera: Benjamin Kasulke, Schnitt: John Gurdebeke, Musik: Jason Staczek, Production Design: Tania Kupczak, Art Direction: Noel Paul, Apryl Richards, Kostüme: Laura Catigniani, Nina Moser, K.D. Schill, mit Gretchen Krich (Mother), Sullivan Brown (Young Guy Maddin), Maya Lawson (Sis), Katherine E. Scharhon (Wendy Hale / Chance Hale), Todd Moore (Father), Andrew Loviska (Savage Tom), Kellan Larson (Neddie), Erik Steffen Maahs (Older Guy Maddin), Cathleen O'Malley (Young Mother), Clayton Corzatte (Old Father), Susan Corzatte (Old Mother), Isabella Rossellini (Erzählerin), 95 Min., Kinostart: 17. Dezember 2009

Bei der Berlinale veranstalte ich jedes Jahr einen “Kritikerspiegel”, bei dem bekannte Filmjournalisten, -wissenschaftler und (-)Freunde die von ihnen gesehenen Filme bewerten. In sechs Jahren dieser Aktivität war Guy Maddins Brand upon the Brain! der klare Spitzenreiter, sowohl meine früheren Filmwissenschafts-KommilitonInnen Dorothée Basel, Mélanie Chebance und Benjamin Happel als auch der Berliner Kritiker-Kollege Andreas Hahn bezeichneten den Film als “herausragend”, und nachdem ich den späteren Maddin-Film My Winnipeg als extrem interessant einschätzte, wünschte ich mir immer, den absoluten Überflieger auch mal selbst begutachten zu dürfen, was durch den etwas verspäteten Kinostart nunmehr möglich wurde.

Ob es an den hohen Erwartungen lag oder daran, dass ich im Gegensatz zu einigen meiner Bekannten den Film ohne Live-Band, Geräuschemacher und Filmerzählerin Isabella Rossellini sah, kann ich nicht festmachen, aber ganz so weggefegt hat mich der Film nicht. Wie ein spätexpressionistisches Stummfilm-Serial erzählt der Film von der (angeblich autobiographisch inspirierten) Kindheit von Regisseur Guy Maddin, der hier (allerdings von einem Schauspieler dargestellt) zurückkehrt zu der Insel, auf der seine Eltern ein Waisenhaus führten. Der letzte Wunsch seiner Mutter war, dass er den angeschlossenen Leuchtturm neu streichen solle, und während sich der ältere Guy an die Arbeit macht, erleben wir in Flashback-Episoden die Jugend des 12jährigen Guy. Dazu gehört die übermächtige und wie der Leuchtturm alles sehende Mutter, der Vater, im Kittel eines mad scientist immer bei der Arbeit, und die Schwester “Sis”, die sich dummerweise für die selbe Person interessiert, die mit einer sehr variablen Sexualität Guy schier verrückt macht. Denn nach einigen Geschehnissen taucht im Waisenhaus Wendy Hale auf, eine Hälfte eines halbwüchsigen berühmten Detektiv-Zwillingspaares. Und nach einigen Tagen nimmt Wendy (nur für den Zuschauer erkennbar) die Rolle ihres Bruders Chance an, was Sis verzückt und Guy verwirrt.

Mit einem rasanten Schnitt-Tempo und nicht immer auf Anhieb lesbaren Zwischentiteln bastelt der Film eine ziemlich queere Mixtur aus The Most Dangerous Game und The Dreamers, wobei die Mutter sozusagen zur “Gräfin Zaroff” wird. Doch wo bei My Winnipeg die Müdigkeit des Publikums vom unendlichen Vertrauen zum Film zeugte, leidet Brand Upon the Brain! ein wenig darunter, das man die andauernden quirligen Ideen des Films irgendwann nicht mehr übertrumpfen kann und sich eine gewisse Abgestumpftheit einstellt, denn das Interesse am Ausgang der Geschichte wird spätestens nach einer gelungenen Wiederbelebung irgendwo zwischen Frankenstein und Rocky Horror Picture Show empfindlich abgeschwächt.

Brand Upon the Brain! bleibt dennoch ein durchweg sehenswerter Film, nur habe ich halt einen der drei Klassiker des Jahrzehnts erwartet und nicht “nur” einen der zehn bahnbrechendsten Filme seines Veröffentlichungsjahres.