Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




13. Februar 2010
Friederike Kapp
und Thomas Vorwerk
für satt.org

Alle Terminangaben sind sorgfältig abgetippt, aber ohne Gewähr. Die Filme werden immer unter dem Titel aufgeführt, unter dem man sie im offiziellen Berlinale-Katalog findet.


Cinemania-Logo 64:
Berlinale 2010:
Quer durch die Sektionen


◊ ◊ ◊

Berlinale 2010

Aufgrund der Regelung Weltpremieren betreffend ist es leider selbst den im Vorfeld bereits einiger Filme ansichtig gewordenen Journalisten nicht immer möglich, auf die Perlen im Programm hinzuweisen. Wenn unsere Kritik zu Nénette online geht, sind die Tickets für die Wiederholungen wahrscheinlich schon ausverkauft. Hier aber einige Kritiken zu Filmen, zu denen wir bereits unseren Senf dazugeben dürfen - und natürlich haben wir vor allem die positiven Entdeckungen ausführlich beschreiben.


◊ ◊ ◊

Der Aufenthalt
(Frank Beyer,
Hommage Wolfgang Kohlhaase)

DDR 1983, Buch: Wolfgang Kohlhaase, Lit. Vorlage: Hermann Kant, Kamera: Eberhard Geick, Schnitt: Rita Hiller, Musik: Günther Fischer, Bauten: Alfred Hirschmeier, mit Sylvester Groth (Mark Niebuhr), Fred Düren (General Eisensteck), Matthias Günther (Hauptsturmführer), Klaus Piontek (Major Lundenbroich), Hans-Uwe bauer (Obergefreiter Fenske), Alexander van Heteren (Jan Beveren), Horst Hiemer (Gasmann), Günther Junghans (Gestapokommissar Rodloff), Krzysztof Chamiec (Chef), Gustav Lutkiewicz (Szybko), Roman Wilhelmi (Ohnehals), 102 Min.


Vorführungen:
  • Mittwoch, 17. Februar, um 20 Uhr im International (mit Verleihung des Goldenen Ehrenbären),
  • Donnerstag, 18. Februar, um 18 Uhr im CinemaxX 8,
  • Samstag, 20. Februar, um 19 Uhr 30 im Zeughauskino

Auf den ersten Blick wirkt die “doppelte” Hommage an Wolfgang Kohlhaase und Hanna Schygulla wie eine Rückkehr zum zweigeteilten Deutschland (welches ja auch in fast zwei Dritteln der Berlinale-Geschichte Fakt war). Und die Leistungen von Frau Schygulla in allen Ehren, aber aus filmgeschichtlicher Sicht ist die Zweiteilung der diesjährigen Hommage ein ziemlich missglückter Balance-Akt. Seit einigen Jahren versucht man, im Programm der Berlinale bei den Wettbewerbsfilmen auch die jeweiligen Drehbuchautoren mal zu erwähnen, aber die Star-Power irgendeines Newcomer-Darstellers ist bei der Programmplanung offenbar diverse Male mehr wert als die mehr als ein halbes Jahrhundert umspannende Karriere des wahrscheinlich wichtigsten deutschen Drehbuchautoren seit Carl Mayer.

Fünf popelige Filme, verteilt auf zwölf Vorführungen: Berlin - Ecke Schönhauser (1956/57), Solo Sunny (1978-80), Der Aufenthalt (1982/83), Die Stille nach dem Schuß (1999/2000), Sommer vorm Balkon (2004/2005). Da hat man es sich zu leicht gemacht. Die berühmte Co-Regie Kohlhaases bei Solo Sunny abgehakt, darüber hinaus je eine Zusammenarbeit mit den bekanntesten Regisseuren: Gerhard Klein, Konrad Wolf, Frank Beyer, Volker Schlöndorff, Andreas Dresen. Zack, das war’s. Is ohne Frühstück. Ist auch ohne Diskussion.

Das Positivste daran ist wohl, dass man mit Der Aufenthalt immerhin einen der vielen (aus relativ spätgeborener Wessi-Sicht) unbekannteren Filme Kohlhaases ausgewählt hat, denn den Meilenstein Ich war neunzehn kann man zumindest in der Magical History Tour im Arsenal fast jedes Jahr einmal sehen (wie auch Berlin - Ecke Schönhauser), Solo Sunny ist generell nicht kaputtzukriegen, und die Arbeiten der letzten zehn Jahre sind aus den Kinos noch nicht ganz verschwunden und in der gutsortierten Videothek auch erhältlich. Aus den vielen Filmen, die man somit hätte entdecken können, ist Der Aufenthalt immerhin eine wirkliche Entdeckung, die schon mal 1983 auf der Berlinale hätte laufen sollen, aber damals von der DDR wieder “zurückgezogen” wurde.

Ein junger Sylvester Groth als “Mark Niebuhr” findet sich nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs in einem polnischen Gefängnis für Kriegsverbrecher wieder, weil eine Polin glaubt, ihn wiedererkannt zu haben. Der in Zusammenarbeit mit polnischen Darstellern entstandene Film stellt die osteuropäische Nation nicht eben positiv dar, soviel steht fest. Deutsche waren nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs in Polen aus naheliegenden Gründen nicht eben die “Lieblingstouristen”, doch wie hier die Ressentiments die Oberhand gegenüber (verhältnismäßig leicht zu recherchierenden) gemeingültigen Beweisen gegen Niebuhrs ihm gänzlich unbekannte Kriegsbverbrechen gewinnen, könnte beim “Zurückziehen” des Films vor der Berlinale 1983 eine gewisse Rolle gespielt haben.

Die Buchvorlage von Hermann Kant würde ich gerne mal daraufhin untersuchen, inwiefern die Schuldfrage des Herrn Niebuhr eigentlich ambivalent bleibt (ein klitzekleiner innerer Monolog kann da ja alles klären, was im Film auch mit gutem Schauspiel - das zu jener Zeit in Deutschland wohl weitverbreitet war - zu erklären wäre). Doch da der jugendliche Protagonist sowohl die Identifikationsfigur und den Dreh- und Angelpunkt der Geschichte darstellt (und noch dazu sehr sympathisch daherkommt), geht es um diese Frage im Film lange Zeit nur unterschwellig. Vielmehr wird der Alltag Niebuhrs dargestellt, der nur seinen selbstgeschnitzten Holzlöffel als Besitz behalten darf, und beispielsweise “großzügig” desinfiziert wird, bevor er abwechselnd in seiner Zelle kauern darf, verhört wird und eigentümliche Arbeiten verrichten muss. Die Wärter, die wichtigeres zu tun haben, als sich mit den Details der deutschen Sprache zu befassen, sperren ihn beispielsweise zusammen mit einem Sack Salz in einen Kellerraum, wo er von oben per LKW abgeladene Mengen von Krautsalat “einstampfen” soll, wobei er dabei in Gefahr gerät, unter den unaufhörlichen “Lieferungen” zu ersticken.

Später “darf” er beim Demolieren von Bombenruinen helfen, wobei die polnischen Kollegen in Bodennähe arbeiten, er hingegen mit selbstarrangierter Sicherung die einstürzenden Altbauten “von oben herab” abtragen soll. Den Gefallen, hierbei zu Tode stürzen, was seinen Verwahrern viel Schreibarbeit ersparen würde, macht Niebuhr den Polen aber nicht. Neben bei darf er immer wieder seinen Lebenslauf schreiben, der aber wegen des fehlenden Geständnis seiner Kriegsvergehen ein ums andere Mal zerrissen wird.

Nachdem der Film so schon schnell eine starke Dynamik entwickelt hat, wird Niebuhr schließlich mit anderen deutschen Kriegsverbrechern zusammengesperrt, und ab hier wird die Geschichte noch interessanter. Hier herrscht ein eigentümlicher Ehrenkodex, man spielt “Schinkenklopfen”, pendelt zwischen stolzem Geständnis und Beharren auf die Unschuld, und wer glaubte, bei den Polen sei das Leben eines Deutschen keinen Pfifferling wert, muss schnell einsehen, dass man unter Landsmännern erst wirklich gefährlich lebt. Insbesondere, wenn man wie Niebuhr (mehr oder weniger unbeabsichtigt) die vorherrschende Hackordnung unter den Deutschen in Frage stellt.

Die zu DDR-Zeiten zum guten Ton gehörende Distanzierung von rechten Gedankengut ist in Der Aufenthalt zwar unübersehbar, aber wie Ich war neunzehn funktioniert der Film für ein deutsches Nachkriegspublikum auf beiden Seiten der Mauer. Der Film klagt nicht nur eine Seite an, sondern stellt eine Situation dar, bei der keiner (nicht einmal Niebuhr) eine weiße Weste hat, hierdurch aber verdeutlicht wird, dass man aus den alten Fehlern lernen muss. Und dass sogar, ohne allzu didaktisch zu wirken (Okay, als während des Geschichtsunterrichts in beiden Teilen Deutschlands zeigbarer Film funktioniert Der Aufenthalt, aber im Gegensatz zu vielen Filmen, die ich um 1983 herum in der Schule sehen durfte, hätte mich dieser Film wahrscheinlich schon zu Jugendzeiten sehr fasziniert).

Wer während der Berlinale nicht nur neue und viele, sondern vor allem gute Filme sehen will, bekommt hiermit einen der besten Kandidaten geliefert. Der klar Lust auf mehr Kohlhaase macht!

◊ ◊ ◊

Son Of Babylon
(Mohamed Al-Daradji,
Forum)

Irak / Großbritannien / Frankreich / Vereinigte Arabische Emirate / Niederlande / Ägypten / Palästinensische Gebiete 2009, Buch: Jennifer Norridge, Mohamed Al-Daradji, Mithal Ghazi, Kamera: Mohamed Al-Daradji, Schnitt: Pascale Chavance, Mohamed Jabarah, Ton: Glen Freemantle, Musik: Kad Achouri, mit Yasser Tali (Ahmed), Shazada Hussein (Um-Ibrahim), Bashir Al-Majid (Musa), 90 Min.


Vorführungen:
  • Samstag, 13. Februar, 20 Uhr 15, und Sonntag, 14. Februar, 17 Uhr 45 im CineStar 3
  • Sonntag, 21. Februar, 13 Uhr im Zoo-Palast 1 (Cross Section in Generation Kplus)

Der zwölfjährige Ahmed (Yasser Tali) und seine Großmutter (Shazada Hussein) machen sich vom kurdischen Nordirak auf die lange Reise in den Süden des Landes, nachdem sie erfahren haben, daß dort vor kurzem, wenige Wochen nach dem Sturz Saddam Husseins 2003, ein geheimes Militärlager entdeckt wurde, in dem wahrscheinlich auch Ahmeds Vater gefangen gehalten wurde. Auf der Pritsche eines Pick-ups gelangen sie bis Bagdad, von dort geht es weiter mit dem Bus. Die Stimmung ist angespannt, halb gedrückt, halb hoffend.

Die Reise fordert beiden viel ab, eine alte Frau, die kein Arabisch spricht, ein Kind, das für die Großmutter dolmetschen muß und zugleich ihren Schutz braucht. Bei einer Kontrolle durch amerikanische Soldaten wird es kurz gefährlich, als Großmutter und Kind eine Auseinandersetzung weiterführen, ohne die Nervosität der Soldaten mit dem Gewehr im Anschlage zu bemerken. In Bagdad geht das Kind um ein Haar verloren, als der vollbesetzte Bus ohne die Großmutter abfährt.

In dem ehemaligen Lager geht es zu wie in Deutschland 1945. Überall Zettel an Wänden mit Suchanzeigen, Angehörige auf der Suche nach Angehörigen. Nirgends Männer unter 60, überall Frauen. Manche erhalten gute Nachrichten, und freuen sich, daneben Gruppen trauernder, weinender Frauen. Die Großmutter erhält keine gute Nachricht, der Sohn Ibrahim liegt vermutlich in einem Massengrab. Nach dem ersten Schock beschließt die Großmutter Um-Ibrahim, die Mutter von Ibrahim, in den bekannt gewordenen Massengräbern der Umgebung nach ihrem Sohn zu suchen. Gemeinsam mit Ahmed durchstreift sie ein eben freigelegtes Gräberfeld. Säuberlich haben Helfer die Wehrausweise neben die jeweiligen sterblichen Überreste der Getöteten gelegt. Immer wieder werden Ahmed und Um-Ibrahim vor neue Aufgaben gestellt. Immer wieder werden diese Aufgaben gemeistert. Und immer ist die nächste schwerer als die vorherige. Son of Babylon zeigt die Zerstörungen, die dieser Krieg in die Leben der Überlebenden eingekerbt hat. Daß ihm dies so eindrucksvoll gelingt, liegt nicht allein an den erschütternden Umständen, die geschildert werden und die, das kann man getrost unterstellen, die Realität recht gut abbilden. So exemplarisch das Schicksal von Um-Ibrahim und ihrem Enkel auch ist, so individuell und lebendig wird es durch die persönlichen Begegnungen der Protagonisten. Das Kind, das am Tage stark sein muß und in der Nacht Angst hat. Die Großmutter mit ihrer genauen Vorstellung von der Ordnung der Dinge. Trage nicht die Jacke deines Vaters. Wasch dich, bevor wir ihn besuchen. Die vielen Gespräche, die sie führen, miteinander und mit anderen. Das macht die skandalöse Zeitgeschichte, die der Film aufdeckt, glaubhaft und konkret. [Kritik von Friederike Kapp]

◊ ◊ ◊

Rio das mortes
(Rainer Werner Fassbinder,
Hommage Hanna Schygulla)

BRD 1970, Buch: Rainer Werner Fassbinder, Idee: Volker Schlöndorff, Kaera: Dietrich Lohmann, Schnitt: Thea Eymèsz, Musik, Herstellungsleitung: Peer Raben, Ausstattung: Kurt Raab, mit Hanna Schygulla (Hanna), Michael König (Michel), Günther Kaufmann (Günther), Katrin Schaake (Katrin), Joachim von Mengershausen (Joachim), Lilo Pempeit (Günthers Mutter), Franz Maron (Hannas Onkel), Harry Baer (Michels Kollege), Carla Aulaulu (Maggie), Walter Sedlmayr (Sekretär), Ulli Lommel (Autohändler), Hanna Axmann-Rezzori (Mäzenin), Monika Nüchtern (Reisebüroangestellte), Ingrid Caven, Molly von Fürstenberg, Magdalena Montezuma, Elga Sorbas (Hannas Kolleginnen), Kurt Raab (Tankwart), Rudolf Waldemar Brem (Kneipenbesucher), Carl Amery (Bibliothekar), Rainer Werner Fassbinder (Hannas Tanzpartner), 84 Min.


Vorführungen:
  • Freitag, 12. Februar, um 18 Uhr im CinemaxX 8
  • Sonntag, 14. Februar, um 19 Uhr 30 im Zeughauskino

Selbst noch ein Vierteljahrhundert nach seinem Tod fasziniert Rainer Werner Fassbinder, und man fragt sich, ob der deutsche Film jemals wieder einen Regisseur erleben wird, der so euphorisch und energievoll das Filmemachen als Lebenszweck erkennen wird. Fassbinder hat zwischenzeitig die Filme so herausgehauen, wie man das heutzutage nur noch von Takashi Miike oder Johnny To kennt. An einem Frühwerk wie Rio das mortes erkennt man dadurch natürlich auch, wenn das Schauspiel eher improvisiert wirkt, die Drehbücher nicht bis ins Letzte ausgefeilt und beispielsweise die “Kampfszenen” teilweise schlicht lachhaft wirken. Man könnte hierbei das As aus dem Ärmel ziehen, das einiges davon gewollt war, aber gerade auch der - nennen wir das Kind beim Namen - Dilletantismus bringt eine Energie mit sich, von der ein Großteil der deutschen Regiehoffnungen unserer Tage nur träumen können.

Wenn zwei Männer ringen, bis dem einen die Hose platzt, dann ist das einerseits eine Drehpanne, zu der man steht, andererseits aber auch Realismus pur, der dann in der übernächsten Szene mit melodramatischer Musik kitschig bis an die Schmerzgrenze in einen unüberbrückbaren Widerstreit treten müsste - doch bei Fassbinder ist selbst der Dilletantismus Programm, so wie die manchmal pennälerhaften Ehrerweisungen an andere Regiegrößen (hier von Stroheim), die politischen Parolen, die sich selbst entlarven oder die Gastauftritte von Freunden aus der Münchener Szene, wie hier Carl Amery, Ulli Lommel oder Ingrid Caven.

Oder natürlich Fassbinders große Muse Hanna Schygulla, der wir die Aufführung dieser Filme auf der Berlinale verdanken, und die hier so jung, frisch und unverbraucht erscheint und agiert, dass es die blanke Freude ist.

Die Geschichte um den Wunsch zweier Tunichtgute, eines Fliesenlegers (Michael König) und eines aus dem Wehrdienst entlassenen (Günther Kaufmann), in Peru einen Schatz zu finden, ist einerseits purer Blödsinn, andererseits scharfe Sozialsatire - und wenn es Fassbinder in den Kram passt, schmeisst er auch noch ein paar Film-Noir-Elemente mit hinein - ohne Rücksicht auf Verluste.

Mit einigen Sätzen kann man so einen Film nicht erklären - man muß ihn erlebt haben ...

◊ ◊ ◊

WAGs
(Evi Goldbrunner & Joachim Dollhopf,
Perspektive Deutsches Kino)

Deutschland 2009, Buch: Evi Goldbrunner, Joachim Dollhopf, Kamera: Marco Armborst, Schnitt: Maja Stieghorst, Musik: Nicolas de Leval Jezierski, Nicolas Mendler, Johannes Heidingsfelder, mit Vesela Kazakova (Dina), Sonja Gerhardt (Judith), Gordon Schmidt (Ronny), Alen Hebilovic (Ivo), Alexander Radev (Minko), Dieter Hoeneß, Lucien Favre (as themselves), 39 Min.


Vorführungen:
  • Freitag, 19. Februar, 19 Uhr 30 im CinemaxX 3,
  • Samstag, 20. Februar, 13 Uhr im Colosseum, 20 Uhr 30 im CinemaxX 1

“WAGs” ist das englische, etwas abschätzig wirkende Kürzel für “Wives and Girlfriends”, und um zwei Spielerfrauen von Fussballprofis bei Hertha BSC Berlin geht es. Judith (Sonja Gerhardt) ist zwar schon seit drei Jahren mit Ronny (Gordon Schmidt) zusammen, aber wie Dina (Vesela Kazakova) ist sie neu in Berlin, beide finden nicht direkt Anschluss bei den anderen WAGs. Dina ist schon ein alter Hase, in Bulgarien ist sie laut eigenen Angaben ein Celebrity vergleichbar zu Victoria Beckham, und ihr Mann Ivo hat in seiner Karriere schon diverse europäische Städte wie Sofia, Lissabon, Zürich oder London durchlaufen. Entsprechend ist Dina die trotz finanzieller Sicherheit frustrierende Situation als Spielerfrau schon gewohnt, während Judith sich noch über die erste gemeinsame Wohnung freut, in die demnächst die Möbel geliefert werden sollen.

Nach einem zunächst geheimnisvoll wirkenden Titelvorspann (der später Sinn gibt) lernt man Dina, mit Sonnenbrille bewaffnet, auf dem Rollband eines Flughafens kennen, und auch, wenn man als Zuschauer noch nicht recht weiß, was man damit anfangen soll, ist die Körpersprache bereits bezeichnend. Das Drehbuch des Kurzspielfilm überzeugt auf ganzer Linie, das zaghafte Kennenlernen der zwei trotz fester Beziehung einsamen Frauen funktioniert über kleine Momente, durch das forsche Auftreten Dinas droht die Freundschaft aber schon zusammenzubrechen, bevor sie wirklich begonnen hat, und selbst, wenn das gemeinsame Shoppen und einige andere Szenen teilweise etwas überzogen zieht, funktioniert der Film, auch aufgrund seiner stringenten Struktur. Somit kann dieser Perspektive-Beitrag auch bereits mit einem Filmpreis aufwarten, der Abschlussfilm des mehrfach erprobten Filmemacherpaars bei der HFF Konrad Wolf in Potsdam gewann den First Steps Award für einen “Spielfilm bis 60 Minuten”. Und gerade bei Filmen mit solchen generell kinountauglichen Formaten ist die Perspektive (trotz mancher mitunter berechtigter Kritik) eine echte Fundgrube, denn ein Film wie WAGs würde ansonsten nahezu komplett ungesehen bleiben, und das hat er nicht verdient.

Eine klitzekleine Rolle als Ronny hat der aus Lucy (Henner Winkler, Forum 2006) bekannte Gordon Schmidt, aber vor allem die weiblichen Hauptdarstellerinnen überzeugen. Vesela Kazakova war der “Shooting Star” für Bulgarien im Jahre 2006, und Sonja Gerhardt spielte neben einer Fernsehserie in Sommer und Die wilden Hühner und das Leben.

Eine Menge Authentizität erhält der Film durch Aufnahmen in einer VIP-Lounge im Berliner Olympiastadion und einen kurzen Auftritt von Dieter Hoeneß und Lucien Favre (beim Presseauftritt, bei dem Ivo und Ronnier vorgestellt werden). Besonders hervorzustellen sind auch einige Bildideen (Vorspann, Rollbahn, Seitenspiegel), die dem Film trotz der (nötigen) oberflächlichen Werte eines Luxuslebens ein zusätzliches Standbein verschaffen, einzig die Filmmusik mit allzu offensichtlich zur Geschichte passenden Songtexten hätte ich mir subtiler gewünscht.

◊ ◊ ◊

I’m in Trouble!
(So Sang-min, Forum)

Originaltitel: Na-neun gon-kyeung-e cheo-haet-da!, Südkorea 2009, Buch: So Sang-min, Kamera: Ou Tae-seok, Schnitt: Kim Chang-joo, Music Supervisor: Shim Hyung-jung, Production Design: Park Ji-hyun, mit Min Sung-wook (Sun-woo), Lee Seung-yun (Seung-kyu), Jeong ji-yeon (Yuna), Kim Joo-ryung (Soon-ae), 98 Min.


Vorführungen:
  • Samstag, 13. Februar, um 16 Uhr 30 im Delphi,
  • Sonntag, 14. Februar, um 20 Uhr im Colosseum 1,
  • Montag, 15. Februar, um 19 Uhr 15 im CineStar 8,
  • Dienstag, 16. Februar, um 22 Uhr 30 im Cubix 9

Wenn in einem deutschen Film jemand Elvis heißt und aus Marzahn kommt, ist schon viel über ihn gesagt (weil der Drehbuchautor sich sicher etwas dabei gedacht hat). Wenn man einen asiatischen Film schaut, gehen solche Details schnell verloren. Protagonisten fahren von der Küste ins Inland (oder umgedreht), und für uns macht das keinen großen Unterschied, von Wortspielen und unterschiedlichen Sprachformen (Amtssprache, umgangssprachlich, ehrerbietig) merkt man bei den Untertiteln oft nicht viel, und ein Großteil möglicher Subtexte rauscht wie ein D-Zug am uneingeweihten Betrachter vorbei.

So kam es mir auch bei diesem Film vor, aber als Kritiker braucht man auch eine gewisse Portion Rücksichtslosigkeit, Selbstvertrauen und Mut zur Ignoranz, und somit sei vorangestellt, dass ein koreanischer Betrachter in diesem Film etwas völlig anderes sehen könnte als ich - und bei diesen möchte ich mich an dieser Stelle auch entschuldigen. Westliche Zuschauer hingegen könnten den Film durchaus ähnlich wie ich erleben ...

Sun-woo (Min Sung-wook) ist knapp dreißig und seit längerem mit Yuna (Jeong ji-yeon) zusammen. Der Film beginnt damit, dass sie ihn endlich ihrem Vater vorstellen will. Doch zum einen kann er außer der guten Plazierung in einem nationalen Gedichtwettbewerb wenig vorweisen, zum zweiten bekommt er schnell kalte Füße, und zum dritten baut er dauernd Vollmist - bevorzugt unter Alkoholeinfluss.

Weshalb Yuna die Beziehung einfriert - und Sun-woo gleichzeitig die Cahnce gibt, sein Leben auf die Spur zu bekommen. Doch der fährt ihr erstmal hinterher, zusammen mit seinem Freund Seung-kyu, der vergeblich einer Publizistin hinterherläuft - beim gemeinsamen “Urlaub” aber ein “coffee girl” organisiert, was Yuna nach einer fast geglückten Versöhnung mit Sun-woo völlig missversteht - und schon ist wieder alles vermurkst.

Die Geschichte erinnert irgendwie an die Filme des international renommierten koreanischen Regisseurs Hong Sang-soo (Woman on the Beach, Night and Day), bei dem es auch vordergründig um Ferien, Alkohol, One-Night-Stands und gebrochene Herzen geht, der aber ähnlich wie Eric Rohmer (mit dem er oft verglichen wird) darüber hinaus auch einiges zu sagen hat. So Sang-min, der Regisseur von I’m in Trouble!, hat in seinen an der Koreanischen Filmakademie entstandenen Kurzfilmen auch ein wiederkehrendes Thema bearbeitet, das im Pressematerial wie folgt umschrieben wird: “all men are all small-minded by nature”. Entsprechend hatten die Kurzfilme dann auch Titel wie There is no Sexual Relationship oder Beyond the Pleasure Principle. Diese Themen sind in I’m in Trouble! auch deutlich erkennbar, doch man ist als (westlicher, uneingeweihter) Zuschauer überfordert, eine Botschaft zu erkennen. “Männer sind Schweine”, das ist allgemein bekannt, und auch das Prinzip des Scheiterns unter Alkoholeinfluss ist keine Offenbarung (Sun-woo dazu: “I’ve made all the important decisions when I’m drunk - my life seems shaky and suffocating when I’m sober”). Die Motivationen der Figuren sind schwer nachzuvollziehen - insbesondere auch die der Frauen, die sich immer wieder auf den nicht besonders attraktiven Voll-Loser einlassen, der sie immer innerhalb kürzester Zeit enttäuscht oder demütigt ...

Erstaunlicherweise funktionierte der Film mit den holprigen englischen Untertiteln (“I’m having a fundamental scepticism between us.”) in den ersten zwei Dritteln wie eine Sitcom - allerdings ohne eingespielte Publikumslacher - oder auch nur ansatzweise erkennbar humorvolle Reaktionen der Figuren auf die in den Untertiteln mitunter immens witzig klingenden Dialogen: “This isn’t Europe - you can’t make a living as a poet” oder “He talks like T. S. Eliot but writes like an internet poet.”

I’m in Trouble! mäandert zwischen einem ohne Kenntnis der englischen Sprache verfilmten Two and a Half Men-Drehbuch und einem (zunächst komischen) Woody-Allen-Film, nimmt dann aber unerwartet eine Haarnadelkurve und wirkt wie Interiors oder September. Im letzten Drittel mag man den Film plötzlich gar nicht mehr wiedererkennen, doch leider wird er dabei nicht besser (Dialog-Beispiel: “It hurts my pride to say pride is all I have.”).

Zu Schulzeiten wollte ich mal einen Film drehen, der quasi schwarz-weiß und stumm eine Slapstick-Verfolgungsjagd zeigt. Die Bewegungen sind hektisch und zu schnell, es geht ohne viel Sinn um Ecken, durch Gassen usw. Bis dann entweder eine Bananenschale oder eine Glasscheibe zum plötzlichen und brutalen Tod einer der Figuren führt. Ob das Blut schon damals rot sein sollte oder ich diese Idee erst später bei Edgar Reitz oder Schindler’s List geklaut habe, kann ich nicht mehr beschreien.

Die bereits erwähnte Haarnadelkurve im Plot von I’m in Trouble! ist nicht ganz so extrem, aber man ahnt schon früh, dass es einige unschöne Entwicklungen gibt. Eine Katharsis ist aber (für den westlichen, uneingeweihten Betrachter) Fehlanzeige, und nachdem man eindeutig zu viele lange Einstellungen von Menschen sah, die sich auf Parkbänken unterhalten, und die Überraschungen hinter sich hat, zieht sich der Film trotz seiner überschaubaren Lauflänge von 98 min wie ein altes Kaugummi.

◊ ◊ ◊



Bald in Cinemania 65 (Kriminaltango):
Kritiken zu Berlinale-Filmen mit kriminalistischem oder kriminellem Einschlag, wahrscheinlich zu: The Ghost Writer, Im Schatten, Der Räuber, San qiang pai an jing qi (A Woman, a Gun and a Noodle Shop), Shutter Island ...