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4. Februar 2010
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Giulias Verschwinden (R: Christoph Schaub)
Giulias Verschwinden (R: Christoph Schaub)
Fotos: X-Verleih
Giulias Verschwinden (R: Christoph Schaub)
Giulias Verschwinden (R: Christoph Schaub)
Giulias Verschwinden (R: Christoph Schaub)


Giulias Verschwinden
(R: Christoph Schaub)

Schweiz 2009, Buch: Martin Suter, Kamera: Filip Zumbrunn, Schnitt: Marina Wernli, Musik: Balz Bachmann, mit Corinna Harfouch (Giulia), Bruno Ganz (John), Stefan Kurt (Stefan), André Jung (Lorenz), Aunnyi Melles (Alessia), Teresa Harder (Lena), Max Herbrechter (Valentin), Daniel Rohr (Thomas), Christine Schorn (Leonie), Renate Becker (Lili), Babett Arens (Helen), Susanne Marie-Wrage (Cornelia), Samuel Weiss (Max), Elisa Schlott (Jessica), Hanna Dietrich (Fatima), 87 Min., Kinostart: 4. Februar 2010

In einem stark besetzten Linienbus betrachtet Giulia (Corinna Harfouch) die Insassen. Eine ältere Dame sucht einen Sitzplatz, sie weiht Giulia ein “Uns Alte, uns sieht man nicht. Wir sind unsichtbar.” Und wenn Giulia das nächste Mal aufs Außenfenster schaut, ist ihre Reflektion tatsächlich verschwunden. So vielversprechend beginnt Giulias Verschwinden, ein Film des Schweizer “Erfolgsregisseurs” Christoph Schaub (Stille Liebe, Sternenberg, Jeune Homme, Happy New Year) nach einem Drehbuch des Schweizer Bestsellerautors Martin Suter (Lila, Lila, Der letzte Weynfeld, Drehbuch zu Beresina oder Die letzten Tage der Schweiz) mit diversen Schauspielern, bei denen man den schweizerischen Teil ihrer Biographie hierzulande nicht unbedingt wahrgenommen hat (u. a. Bruno Ganz, Sunnyi Melles, Stefan Kurt, Daniel Rohr, Babett Arens, Samuel Weiss).

Die Geschichte selbst spielt sich in Hochdeutsch ab und könnte irgendwo in einer deutschsprachigen Großstadt spielen. Streng genommen könnte sie auch in new York oder Tokyo spielen, denn das Thema ist universell. Wie sich irgendwann herausstellen wird, treffen sich mehrere Personen, um Giulias 50. Geburtstag zu feiern. Durch diverse Subplots werden in diesem Restaurant auch die alte Frau landen, die einer 80. Geburtstagsfeier in einem Altersheim entflieht, und eines der zwei minderjährigen Mädchen, die einem Jungen zum Geburtstag Turnschuhe schenken wollen, und wegen mangelnder Erfahrung beim Ladendiebstahl erwischt werden.

1988 drehte der Regisseur einen Film mit dem Titel Dreissig Jahre über drei Freunde und ihren 30. Geburtstag, nun also zwanzig Jahre später ein Film, der ohne das autobiographische Fundament des Frühwerks gleich mehrere Generationen und ihre Geburtstage thematisiert. Mit Bruno Ganz als John gibt es sogar eine Person, die gewisserweise “ohne Alter” ist, und so ziemlich alle Aspekte des Themas werden im Verlauf dieses Ensemblefilms berührt: die Ignoranz der Jugend (“James Dean ist mit 24 gestorben ...” --- “Wer?”), die Sturheit des Alters, Turnschuhe, Sexualpartner und ein Musikgeschmack, die dem Alter angemessen sind, Schönheits-OPs, ein Wadenkrampf beim Sex, Verlust des Gehörs, des Gedächtnisses, der Haare. Und natürlich die berechtigte Frage, ob in 50 Jahren die Altersheime voll von tätowierten und gepiercten Greisen sind.

Einige dieser Ansätze sind durchaus interessant, aber letztendlich wirkt das Drehbuch reichlich konstruiert, nerven einige der Protagonisten immens, und bei der Beobachtung von bestimmten Gesellschaftsgruppen hätte der Autor vielleicht mehr mehr Fürsorge hätte walten lassen - doch wichtiger schien ihm gewesen sein, dass eines der Geburtstagsgeschenke ausgerechnet ein Hörbuch von Martin Suter ist - soviel peinliche Schleichwerbung war selten.

Mich hat das Ganze sehr an Doris Dörrie erinnert, die auch oft gute Ideen hat, aber manchmal nicht darüber hinauskommt. Doch Frau Dörrie hat immerhin weitaus mehr Talent als der Autor und der Regisseur hier, und kann sich somit selbst noch bei ihren misslungeneren Filmen zumeist über die Zeit retten. In Giulias Verschwinden habe ich zugegebenerweise öfters mal gelacht, auch mal ein bißchen nachgedacht, aber mich letztendlich auch im letzten Drittel sehr gelangweilt.