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28. August 2011
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Westwind (Robert Thalheim)
Westwind (Robert Thalheim)
Westwind (Robert Thalheim)
Westwind (Robert Thalheim)
Westwind (Robert Thalheim)


Westwind
(Robert Thalheim)

Deutschland 2010, Buch: Ilja Haller, Susann Schimk, Dramaturgie: Iain Dilthey, Kamera: Eeva Fleig, Schnitt: Stefan Kobe, Christoph Sturm, Oliver Grothoff, Musik: Christian Conrad, mit Friederike Becht (Doreen), Luise Heyer (Isa), Franz Dinda (Arne), Volker Bruch (Nico), Hans Uwe Bauer (Balisch), Hannes Wegener (Klaus), Albrecht Schuch (Ronny), 90 Min., Kinostart: 25. September 2011

Robert Thalheim wurde nach Netto als eine der größeren Hoffnungen des deutschen Films eingestuft, und sein autobiographisch angehauchter zweiter Film Am Ende kommen Touristen enttäuschte diese Erwartungen zumindest nicht.

Auch in seinem dritten Film Westwind geht es um eine kleine intime Personenkonstellation vor einem großen politisch-historischen (und dezidiert deutschen) Hintergrund.

1988. Die (zweieiigen) Zwillinge und Ruder-Leistungssportlerinnen Doreen und Isabel reisen von Leipzig aus ins sozialistische Ausland, zum Pionierlager am Plattensee, einer Kaderschmiede mit Möglichkeit zur deutsch-ungarischen Völkerfreundschaft. Doch schon auf der Hinreise verpassen die 17jährigen ihren Reisebus und lassen sich von einem knallorangen VW-Käfer mitnehmen, mit dem die Hamburger (Westdeutsche!!!) Abiturienten Arne & Nico den selben Urlaubsort (wenn auch ein Hotel) aufsuchen wollen. Über den gemeinsamen Musikgeschmack kommt man sich näher und zwischen Arne und Doreen bahnt sich die große Liebe ein, der zunächst einige Trainingseinheiten zum Opfer fallen und die letztlich aus der politisch naiven Sportlerin eine Republikflüchtige macht.

Der Film basiert auf den Erfahrungen eines realen Schwesterpaares (Handballerinnen), die den Film als Produzentin / Autorin bzw. Location Scout auch prägend beeinflussten, die zuvor starke Handschrift des Regisseurs droht jedenfalls inmitten des ostalgischen Sommerflirts zu verschwinden. Ungeachtet des brisanten und emotionalen Hintergrunds (die Liebe droht die Schwestern zu entzweien, sabotiert die gemeinsame Sportlerkarriere und Repressalien gegen verbleibende Familienmitglieder waren zumindest eine drohende Gefahr) geht das Potential unter lapidaren Anekdoten wie »Ananassaft fürs Haarstyling« oder »meine erste Coca-Cola« größtenteils verloren.

Authentizität ist natürlich wichtig, doch eine Produzentin, die ihrer Biographie quasi ein filmisches Denkmal setzen will (Sequel nicht ausgeschlossen), verträgt sich nicht unbedingt mit dem nicht wiederzuerkennenden Stil Thalheims. Wenn man sich die Mühe macht, das Pressematerial kritisch zu hinterfragen, stellt man fest, dass Susann Schimk »viele befreundete Profis« in den Dreh eingebracht hat. In Thalheims ersten zwei Filmen arbeitete er jeweils am Drehbuch mit und vertraute bei Kamera und Schnitt auf die selben Weggefährten, von denen nur noch der Cutter verblieb, sich aber seinen Credit mit zwei anderen teilen muss - und dazu kommt noch ein »Dramaturg«, den die Produzenten aber als für den Schnitt zuständig erachtet. Das alles erinnert mich an die »Zusammenarbeiten« zwischen Bernd Eichinger und Tom Tyker (Das Parfum) oder Jerry Bruckheimer und Mike Newell (Prince of Persia: Sands of Time), die jeweils zu ungunsten des Regisseurs und des Films ausgingen.

So ähnlich wehte wohl auch bei Westwind der Wind. Die Produzentin erzählt stolz von den Unsummen, die sie für die Musikrechte an Never Let Me Down Again von Depeche Mode und Friday I'm in Love von The Cure bezahlt hat, der Zuschauer hingegen wundert sich, warum man im Film auf einen sehr eingeschränkten innerdiegetischen Soundtrack festgefahren ist (The Great Commandments von Camouflage ist die einzige Abwechslung), wo doch mehrfach erklärt wird, dass es um die Alben der Bands geht (übrigens jeweils schon im Sommer 1987 erschienen und somit nicht unbedingt »brandneu«, wie im Film behauptet wird) und nicht um Singles. Casting und Location Scouting stimmen immerhin (wenn auch die angeblich monatelang trainierten Schauspielerinnen bei den Ruder-Closeups nicht annähernd so überzeugten wie bei den Totalen, wo man ihre Gesichter nicht erkennen kann), doch weder die behauptete große Liebe noch der angedeutete Spannung in der Inszenierung nimmt man dem Film ab - jede eigene Erinnerung an Jugendherbergen oder Ferienlager bleibt spannender als dieses Filmchen, das man als »Der schönste Liebesfilm des Sommers« bewerben möchte. Der Sommer 2011 war bisher nicht toll, und dieser Film verbessert das auch nicht.