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September 2006
Thomas Vorwerk
für satt.org

Das Parfum - Die Geschichte eines Mörders
D 2006

Plakat

Regie:
Tom Tykwer

Buch:
Andrew Birkin, Bernd Eichinger, Tom Tykwer

Kamera:
Frank Griebe

Schnitt:
Alexander Berner

Musik:
Reinhold Heil, Johnny Klimek, Tom Tykwer

Orchester:
Berliner Philharmoniker

Dirigent:
Sir Simon Rattle

Szenenbild:
Uli Hanisch

Kostüme:
Pierre-Yves Gayraud

Darsteller:
Ben Whishaw (Jean-Baptiste Grenouille), Alan Rickman (Antoine Richis), Karoline Herfurth (Das Mirabellen-Mädchen), Dustin Hoffman (Guiseppe Baldini), Rachel Hurd-Wood (Laura), Harris Gordon (Marquis de Montesquieu), Corinna Harfouch (Madame Arnulfi), Paul Berrondo (Dominique Druot), Sam Douglas (Grimal), Sian Thomas (Madame Gaillard), Birgit Minichmayr (Grenouilles Mutter), Timothy Davies (Chenier), David Galder (Bischof von Grasse), Simon Chandler (Bürgermeister von Grasse), Jessica Schwarz (Natalie), Sara Forestier (Jeanne), Alvaro Roque (Grenouille, 5 Jahre), Franck Lefeuvre (Grenouille, 12 Jahre), Otto Sander (Erzähler)

Kinostart:
14. September 2006

Das Parfum
Die Geschichte eines Mörders

Ich bin ein ausgewiesener Bewunderer des Regisseurs Tom Tykwer und besitze sogar die DVDs seiner etwas kontroverser besprochenen späteren Filme Der Krieger und die Kaiserin oder Heaven. Doch während Tykwer auch bei seinem internationalen Debüt in jeder Minute des Films seine Handschrift erkennen ließ und diese sich sogar gegen einen Autoren wie Kieslowski durchsetzen konnte, ist bei Das Parfum weniger Patrick Süskind, der Autor der Bestseller-Vorlage, Tykwers Konkurrent, als Bernd Eichinger, der Produzent und Co-Autor.


Filmszene
Filmszene
Bilder © 2006 Constantin Film, München
Filmszene
Filmszene
Filmszene

Manch einer mag Eichingers Rolle auch positiv einschätzen, immerhin ist er der „Motor“ hinter der ganzen Produktion. Er kaufte schon früh die Filmrechte (bevor Süskind dann für Helmut Dietl mehrere Drehbücher schrieb, die allesamt von Eichingers Hausverleih Constantin verwertet wurden), der dritte (neben Tykwer) Co-Autor Andrew Birkin schrieb auch schon an The Name of the Rose und The Cement Garden, zwei Eichinger-Produktionen, und auch in der Besetzung findet man einige Namen, die man mit Bernd Eichinger eher in Verbindung setzen würde als mit Tom Tykwer - beispielsweise Corinna Harfouch und Birgit Minichmayr, die beide auch in Der Untergang, Eichingers letzter doch sehr bekannter Arbeit als Produzent und Co-Autor, mitwirkten (Frau Harfouch taucht sogar in Der große Bagarozy auf, einer von Eichingers seltenen Ausflügen ins Regiefach). Oder auch Karoline Herfurth, die man aus den bei Constantin verlegten Mädchen, Mädchen- Filmen kennt.

Wobei Harfouch, Minichmayer und insbesondere Herfurth sicher zum Gelingen des Films beigetragen haben, doch fragte zumindest ich mich öfters während des Films, wie dieser ausgesehen hätte, wenn nicht Bernd Eichinger seine Finger im Spiel gehabt hätte. Hätte Tykwer im Alleingang etwa auf den zu Beginn des Films doch sehr präsenten (und etwas altbacken wirkenden) Erzähler Otto Sander verzichtet, und sich mehr darauf verlassen, daß die wichtigen Informationen auch visuell vermittelt werden können? Hätte Tykwer für die weiblichen Opfer des geruchsgeilen Mörders Grenouille solch prominente europäische Darstellerinnen wie Sara Forestier und Jessica Schwarz verpflichtet und als Plakatmotiv eine suggestiv drapierte Rothaarige gewählt? Wobei Rachel Hurd-Wood seinerzeit als Wendy in P. J. Hogans Peter Pan durchaus überzeugte, doch scheint sich ihr schauspielerisches Talent seitdem nicht wahrnehmbar fortentwickelt zu haben - sie erscheint hier immer noch wie ein kleines Mädchen (ist es womöglich sogar die selbe piepsige Synchronstimme?), welches bereits bei der Unterscheidung eines Kusses von einem Fingerhut gewisse Probleme zu haben scheint. Solche eindimensionellen Nebenfiguren kennen wir aus Filmen von Tykwer ebensowenig wie die doch recht auffällige Zurschaustellung weiblicher Brüste, die eher einer langen Tradition von Eichinger und Constantin zu entsprechen scheint (Selbst in The Name of the Rose, der wohl in mehr als einer Hinsicht das große Vorbild von Das Parfum ist, war ja die - eigentlich ziemlich überflüssige - Sexszene wie ein cineastischer Höhepunkt aufbereitet).

Doch glücklicherweise setzt sich der Tykwer-Touch insbesondere in der zweiten Hälfte des Films durch. Die Idee, weniger auf das „Jack the Ripper“-Motiv zurückzugreifen, als die Mordserie wie einen Vampirfilm zu behandeln, überzeugt jedenfalls in ihren stärkeren Momenten. Wenn das letzte Opfer Laura in einen Raum eingesperrt wird, von dem nur ein Fenster zum Meer (unter einem beachtlichen Abgrund) weist, fühlt man sich gleich wie bei Stoker oder Murnau. Wenn allerdings Frank Griebes Kamera die Aufspürung des Opfers einige Minuten zuvor wie eine gewaltige Michael-Ballhaus-Hommage aufzieht (Kreiselfahrt plus Highspeed-Verfolgung wie in Coppolas Dracula), so zeigt sich, daß der Tykwer- (oder in diesem Falle vielleicht Griebe-) Touch auch nicht immer zum Vorteil gereicht.

Wie ein Vampir will der talentierte Parfumierassistent Grenouille (sehr intensiv: Ben Whishaw, der zuvor in My Brother Tom auffiel) nur das eine von den Frauen: ihre flüssige Essenz - diesmal nicht das Blut, sondern ihren in Parfum-Grundstoffen konservierten Geruch. Ähnlich, wie Tausende von Rosen- oder Narzissen-Blüten für die Gewinnung einiger Tropfen Duftwässerchens vernichtet werden, geht Grenouille bei der Gewinnung des titelgebenden Parfums auch über Leichen, über Frauenleichen. Daß sein von sämtlichen Moralvorstellungen befreites Handeln auf seiner „schwierigen“ Kindheit und Jugend basiert (die jeden Charles Dickens-Roman wie einen netten Spaziergang erscheinen lässt), weiß Tykwer mit seinem beachtlichen Gefühl für die Balance der Figuren sehr gut einzufangen. Grenouille ist zu jedem Zeitpunkt des Films der einzige Hauptdarsteller. Dustin Hoffman hat zwar einen netten Auftritt, und Alan Rickman scheint sich für einen Moment zu einem frühen Detektiv à la Johnny Depp in Sleepy Hollow entwickeln zu wollen, doch jede Szene hat Whishaw als ihren Dreh- und Angelpunkt, und die Faszination seiner Einsamkeit wie seiner angeborenen Genialität als Parfumeur überträgt sich so auf den Zuschauer wie im Buch auf den Leser. Weitaus stärker als im Buch (nicht, daß ich es gelesen hätte, aber man hat ja seine Informanten) kommt am Schluß aber über die message von der Kraft der Liebe der unverbesserliche Romantiker Tykwer ins Spiel. Karoline Herfurth trägt in ihrer Rolle als namenloses, und nur mit zwei kurzen Dialogzeilen versehenes „Mirabellen-Mädchen“ sehr zum Gelingen des Films bei, und verkörpert wie selbstverständlich das (für Grenouille unerreichbare) Ideal der Liebe - wie zufällig stossen hierbei wie beim Eskimokuss auch die beiden Nasen aneinander, und der Film findet damit die Entwicklung eines sehr frühen - und eindrücklichen - Bildes des Films, wenn aus einer schier undurchdringlichen Dunkelheit plötzlich die Nase Grenouilles ins Rampenlicht durchbricht.

Das Parfum erscheint wie Tykwers „Amor & Psyche“: Nicht perfekt, aber solides Handwerk und durchaus gefällig - man wird es bald überall riechen.