Finnland / Frankreich / Deutschland 2011, Buch: Aki Kaurismäki, Kamera: Timo Salminen, Schnitt: Timo Linnasalo, Musik: Tero Malmberg, mit André Wilms (Marcel Marx), Blondin Miguel (Idrissa), Kati Outinen (Arletty), Jean-Pierre Daroussin (Monet), Elina Salo (Claire), Evelyne Didi (Yvette), Pierre Étaix (Dr. Becker), François Monnié (Gemischtwarenhändler), Roberto Piazza (Little Bob), Jean-Pierre Léaud (Denunziant), Laika (Laika), 93 Min., Kinostart: 8. September 2011
Fünf Jahre sind vergangen seit dem letzten Kaurismäki, und diesmal verschlägt es den Finnen wieder nach Frankreich, er knüpft sogar anhand der wiederkehrenden Figur des Marcel Marx (André Wilms) wie in einem verspielten Spin-Off an seine Burger-Adaption La vie de bohème an. (Jean-Pierre Leaud spielt ebenfalls in beiden Filmen kleine Rollen, aber gänzlich unterschiedliche.)
Die Themen sind die gleichen geblieben, die Hündin Laika ist wieder dabei, die gleichen Figuren, die Lakonie, die Bilder. Farbenkräftig wie einst bei Douglas Sirk, aber durchdrungen von aktuellen sozialdarwinistischen Hiobsbotschaften. Selbst Jim Jarmusch, Kaurismäkis US-amerikanischen Seelenverwandten, gelingt es nicht, dermaßen fließend wieder in das alte Universum zurückzufinden (allerdings will Jarmusch das wohl auch gar nicht).
Wieder geht es um einen etwas mürrischen Einzelgänger, der bei Kneipenbesuchen noch am ehesten erkennbar Energie aufbringt (mir ist bewusst, dass Marcel eine von Kati Outinen gespielte Gattin mit dem hübschen Namen Arletty - wie die Schauspielerin aus den nicht gänzlich verschiedenen Filmen Le jour se lève oder Les enfants du paradis - hat, doch ungeachtet ihrer liebevollen Unterstützung ändert das an der Figurenausrichtung nicht wirklich viel). Marcel ist Schuhputzer, sein Blick (und der des Films) ist entsprechend längere Zeit resignierend auf den Boden gerichtet. Da entdeckt er einen kleinen schwarzen Jungen, der als Flüchtling von den Behörden »zu seiner Unterstützung« gesucht wird, doch die täglichen Nachrichten über die Aktivitäten des Einwanderungsministers (in Frankreich gibt es den tatsächlich!) sprechen eine andere Sprache.
Gemeinsam mit einigen Nachbarn versteckt und füttert man Idrissa (Blondin Miguel), doch ein Denunziant (Leaud) hetzt ihnen die Einwanderungsbehörde auf den Hals. Und auch ansonsten gibt es einiges an melodramatischen Handlungssträngen, die ich hier nicht allesamt aufdröseln mag. Le Havre könnte Kaurismäkis Version der freundschaftlichen Nachbarschaft von Le fabuleux destin d’Amélie Poulain sein, angereichert mit etwas sozialen Realismus, aber dennoch der Märchenhaftigkeit nicht ganz abgeneigt. Und spätestens beim Schlussbild, das 1:1 aus Casablanca übernommen sein könnte (»round up the usual suspects«) überkommt es einen, dass der Streifen für Kaurismäki (wie seine Helden ein verbitterter Trinker*, der nur sein humanistisches Herz offenkundiger preisgibt) erstaunlich versöhnlich ausfällt.
*Passend zum Filmstart hat Kaurismäki übrigens einen auf 5400 Flaschen limitierten biodynamisch hergestellten Rotwein aus der südfranzösischen Domaine de Courbissac herausbringen lassen, der wie der Film heißt.