Whores' Glory Ein Triptychon zur Prostitution
(Michael Glawogger)
Deutschland / Österreich 2011, Buch: Michael Glawogger, Kamera: Wolfgang Thaler, Schnitt: Monika Willi, Score: Pappik & Regener, Musik-Supervision & -Clearing: Charlotte Goltermann, Tina Funk, 110 Min., Kinostart: 29. September 2011
Der Zusatztitel »Ein Triptychon zur Prostitution« bezieht sich nicht auf MegaCities und Workingman's Death, die vorherigen zwei Dokumentationen »globaler Befindlichkeiten«, sondern auf die dreigeteilte Struktur des neuen Films des Österreichers Michael Glawogger (Das Vaterspiel). Drei Schauplätze, drei Sprachen, drei Religionen, sogar drei jeweils zugeordnete Interpreten auf dem Soundtrack.
Der erste Teil des Films zeigt den »Fish Tank« in Bangkok, kein Teil des üblichen Sextourismus, sondern verwurzelt in der landeseigenen Tradition, laut der Erklärungen im Pressematerial verirren sich hier nur selten Fremde hier hin (auch wenn nicht wenige der Vermittlungsgespräche auf Englisch geführt werden). Zur Einstimmung eine »leichtfüßige Art der Prostitution, die sogar gewisse Freundlichkeit hat« (Pressematerial). Mit Laserpointern locken die hinter einer Glasscheibe die Außenwelt beobachtenden jungen und durchgestylten Damen die Freier an, dann gibt es eine weitere Glasscheibe, hinter der man mit Nummern ausgestattet auf den Aufruf zur Nummer wartet.
Im zweiten Teil in der »Stadt der Freude« in Faridpur in Bangladesh ist die Gangart bereits härter, das Elend sichtbarer, auf kleinem Raum arbeiten hier 600 bis 800 Frauen und größtenteils nicht unbedingt rein freiwillig. Hier werden junge Mädchen an »Mütter« verkauft, und sie lernen schnell: »Wenn ich keine Freier bekomme, bin ich unglücklich. Besonders meine Mutter ist dann wütend.« Oder aus der Sicht der Mutter: »Ärgere mich nicht, sonst lasse ich die Hand sprechen«, was fast noch euphemistisch ist.
Die Dramaturgie des Films, die sich in vielerlei Hinsicht vollzieht (auch anhand der den Dreharbeiten beiwohnenden Zensurbehörden, des immer härteren Soundtracks, der sich von Coco Rosie zu PJ Harvey »steigert«), findet ihren Höhepunkt in Mexiko, in »La Zona« in Reynosa, nahe der Grenze zu Texas. Hier stiftet die typisch mexikanische, fast religiöse Todessehnsucht, einen abschließenden Hintergrund für einen Film, der wie ein Abstieg in die Hölle konzipiert wirkt.
Glawogger, der schon in seinen früheren Dokumentationen die Grenze zur Inszenierung oft überschritt, gibt offen zu: »In Whores' Glory gibt es kein einziges Interview, kein einziges Bild, für das nicht in irgendeiner Form bezahlt wurde«. Schon weil die Beschäftigung mit dem Filmemacher natürlich von der Arbeitszeit abgeht. Glawogger: »Grundsätzlich ist man in einem Bordell ja als Journalist, Fotograf oder Filmemacher nicht sehr willkommen. Für jemanden, der recherchieren will, ist es wahrscheinlich der unfreundlichste Platz auf der ganzen Welt, mit Ausnahme des Vatikan.«
Man mag in Frage stellen, ob ein Interview mit einer mexikanischen Hure, die aus irgendwelchen Gründen (die für den Zuschauer nicht aufgeklärt werden) ihre Beine spreizt, die Einsichten in das Thema Prostitution »vertiefen« (die Doppeldeutigkeit ist unschön, aber unvermeidbar), doch der Regisseur nimmt seinen Kritikern bereits sämtlichen Wind aus den Segeln, mit Statements wie folgenden:
»Wenn man in den Film hineingeht und grundsätzlich findet, dass Prostitution ein Verbrechen ist und etwas Böses, dann wird man den Film beschönigend finden«
»Man muss zu einer einzigen Prostituierten gehen, denn der Mensch, der etwas selbst macht, weiß immer am meisten darüber. Jede einzelne Prostituierte weiß immer noch mehr über Prostitution als ich, obwohl ich mich über vier Jahre lang damit beschäftigt habe und in hunderten Bordellen in vielen Ländern gewesen bin.«
Glawogger kokettiert mit der Eingeschränktheit seiner eigenen Expertise, und so muss man sich dem Film unabhängig von seiner Thematik nähern: Über seine filmischen Qualitäten, die trotz aller Einwände unübersehbar sind. Das Zusammenspiel von Bild und Musik eröffnet ebenso eine Interpretation wie einige vermeintlich zufällige Aufnahmen, wenn sich beispielsweise einige Hunde am Hintereingang des Bordells streiten (man beachte die Doppeldeutigkeit des Begriffs »Hündin« in einigen Sprachen), man in der »Stadt der Freude« fragmentarische Einblicke in innerbetriebliche Reibereien bekommt oder (erneut wie ein Höhepunkt aufgebaut) in Mexiko eben jenes, was hinter geschlossenen Türen passiert, auch noch in Bildern aufgefangen wird (und offensichtlich nicht nur die Hure, sondern auch der Freier vom Filmemacher vergünstigt wurden, um diese Einblicke zu ermöglichen).
Nachdem man in diesem Jahr über Chester Browns Paying for it bereits einen didaktischen und politischen Einblick in das Thema Prostitution erhielt, wirkt der in Venedig in einer Nebenreihe mit einem Jurypreis ausgezeichnete Whores' Glory (ein Buch zum Film gibt es auch) fast schon wie ein weiterer Beitrag zu einem kulturellen Trend. Was jedoch den Einsatz der medienspezifischen Mittel angeht, sollte man, vor die Wahl gestellt, eher dem Comic den Vorzug geben. In einem von Glawoggers Statements geht es mal darum, ob der Film das Thema »beschönigt«. Paying for it tut dies, in vielerlei Hinsicht, und ganz persönlich finde ich, das ist auch gut so. Es gibt Dinge, die muss man mal gesehen haben, um mitreden zu können. Whores' Glory würde ich auf andere Art umschreiben. Wenn ich den Film schon empfehlen sollte, dann würde ich dem potentiellen Zuschauer (oder Zuschauerin) folgenden Hinweis mitgeben: Wenn es sie nicht mehr auf dem Kinosessel hält, gehen sie ruhig. Es wird eher schlimmer als besser …