USA 2011, Buch: Hossein Amini, Lit. Vorlage: James Sallis, Kamera: Newton Thomas Sigel, Schnitt: Mat Newman, mit Ryan Gosling (Driver), Carey Mulligan (Irene), Bryan Cranston (Shannon), Albert Brooks (Bernie), Kaden Leos (Benicio), Oscar Isaac (Standard), Ron Perlman (Nino), Christina Hendricks (Blanche), James Biberi (Cook), Russ Tamblyn (Doc), Jeff Wolfe (Tan Suit), 101 Min., Kinostart: 26. Januar 2012
Eine der vielen schönen Szenen dieses Films: Driver (Ryan Gosling) und Irene (Carey Mulligan) unterhalten sich im Hausflur. Die Fahrstuhltür öffnet sich. Darin steht ein großer Mann in einem teuren Anzug, der sich entschuldigt, wohl das falsche Stockwerk gedrückt zu haben. Die beiden steigen dazu, der Fahrstuhl setzt sich in Bewegung. Das Gespräch ist eingefroren, auch das Bild ist in Zeitlupe, die Ausleuchtung und der Anzug evozieren zähfließenden Honig. Irene steht leicht versetzt hinter dem Anzugträger, Driver eher seitlich davon. Wenige Blickwechsel werden subtil inszeniert, dann sieht Driver in der Brusttasche des Mannes einen Revolver. Kurz darauf geht er entschlossen aber nicht aggressiv auf Irene zu, schiebt sie mit dem Arm in eine Ecke des Fahrstuhl, möglichst weit weg von dem Mann. Doch dieser reagiert kaum auf die vermeintliche Schutzgeste. Driver küsst Irene. Es wird ein langer und erstaunlich intensiver Kuss. Erst nach dem Kuss widmet sich Driver dem Anzugträger, der im gleichen Moment nach seiner Waffe zieht. Irene verlässt den Fahrstuhl, der in Sekunden zu einem Ort brutaler Gewalt wurde, und im Gegensatz zum Zuschauer ist sie zum ersten Mal damit konfrontiert, dass der Skorpion auf Drivers Jacke durchaus eine Aussage hat. Sie ist offensichtlich erschüttert, die Aufzugtüren schließen sich vor ihrem Gesicht.
Von Nicolas Winding Refns früheren Filmen Pusher (bzw. der ganzen Trilogie) und Valhalla Rising hatte ich immerhin gehört, aber auf diesen Film war ich so wenig vorbereitet wie Irene auf die kleine Gewaltorgie. Das Presseheft möchte gern, dass man den Film mit dem »ultraprofessionellen Genrekino der 1980er«, mit Walter Hill und Michael Mann vergleichen möge, doch meiner bescheidenen Meinung nach ist Michael Mann überschätzter Dreck und Refn braucht den Vergleich mit Howard Hawks oder Jean-Pierre Melville (die dieses Genre wirklich schufen) nicht zu scheuen.
Zugegeben, der Grad an Künstlichkeit, den Refn und sein Kameramann Thomas Newton Sigel (Three Kings, X-Men, Brothers Grimm) in der Bildkomposition und der punktgenauen Ausleuchtung realisieren, könnte zusammen mit den Vorspanntiteln in Pastellrosa und dem stampfenden Euro-Synthiebeat Michael Mann, Miami Vice (die Fernsehserie) oder The Thief evozieren, doch Streets of Fire oder Rumble Fish reizen das Bilddesign auf ähnliche Art aus, und mir fällt abgesehen von Blade Runner (der budgetmäßig in einer ganz anderen Liga spielte) kein Film ein, der sich Neo Noir schimpft und mit der unspektakulären Eleganz von Drive mithalten kann.
So geradlinig, wortkarg und schnörkellos wie Drive war zuletzt Im Schatten von Thomas Arslan, so erbarmungslos, aber mit einem Herzen voller Zärtlichkeit Jim Jarmuschs Ghost Dog - Way of the Samurai.Drive überflügelt noch beide, und könnte nebenbei sogar - trotz der elliptischen Rebellion gegen herkömmliches Erzählkino - ein Massenpublikum erreichen, nicht zuletzt aufgrund der großartigen Besetzung. Das wirklich traurige ist aber, dass solch ein Film, der in den 70ern oder 40ern tatsächlich hätte Mainstream sein können, vom mit Bruckheimer gefütterten jungen Publikum womöglich nicht mehr angenommen werden könnte. Wie ein hochgezüchteter Pudel, der ein Filetstück achtlos liegen lässt, weil er längst abhängig von Cesar ist.