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13. Juni 2012
Thomas Vorwerk
für satt.org


  West is West (Andy De Emmony)
West is West (Andy De Emmony)
Bildmaterial: Kool Film
West is West (Andy De Emmony)
West is West (Andy De Emmony)
West is West (Andy De Emmony)


West is West
(Andy De Emmony)

United Kingdom 2010, Buch: Ayub Khan Din, Kamera: Peter Robertson, Schnitt: Jon Gregory, Stephen O'Connell, Musik: Rob Lane, Shankar Ehsaan Loy, mit Om Puri (George / Jahangir Khan), Aqib Khan (Sajid Khan), Linda Bassett (Ella Khan), Emil Marwa (Maneer), Jimi Mistry (Tariq Khan), Kamal Arora (Master Eyaz), Leslie Nicol (Aunt Annie), Raj Bhansali (Zaid), Ila Arun (Basheera Khan), Zita Sattar (Neelam Haqq), Dhanalaxmi Padmakumar (Raushana Khan), Sheeba Chaddha (Rehana Khan), Robert Pugh (Mr. Jordan), 103 Min., Kinostart: 14. Juni 2012

Die britische Komödie East is East war zwar hierzulande nicht der »Megahit«, zu dem ihm die Promoaktivitäten des Sequels erklären, aber insbesondere in England ist der Film etwa so bekannt wie Bend it like Beckham, eine vergleichbar erfolgreiche deutsche Komödie über Migrationsprobleme gibt es meines Erachtens nicht (mir fallen einige recht erfolgreiche ein, aber der kulturelle Einfluss der Filme von Fatih Akin oder Almanya auf größere Bevölkerungsschichten ist auf einem Level, dass man Ping Pong mit Wimbledon vergleichen müsste, und das gibt kaum Sinn), zumindest auf dem durch Filme reflektierten Bild der britischen Gesellschaft scheint die Integration dort besser zu funktionieren - wahrscheinlich auch, weil Bollywood über den Umweg englischer Großstädte zu einem internationalen Phänomen wurde, während die vergleichbaren türkischen Unterhaltungsfilme (ich meine die Komödien und Actionreißer) außerhalb der ethnischen Zielgruppe meist nur Kopfschütteln evozieren.

Ayub Khan Din, der einst das autobiographisch fundierte Theaterstück East is East schrieb, und nun als Drehbuchautor des Sequels wieder dabei ist, hatte hehre Ziele im Sinn, für ihn war es »am allerwichtigsten, einen ganz anderen Film zu schreiben, der für sich selbst stehen kann. Er sollte so ehrlich und frisch und echt und anders sein« wie der Vorgänger. Nun entfernt sich West is West schon mal rein geographisch weit von dem ersten Film, da der Großteil des Film im Punjab spielt, wohin Familienoberhaupt George (Om Puri) zurückkehrt, um seinen Jüngsten, Sajid, zu »erziehen«, was ihm in England offenbar so wenig gelungen war wie bei seinen älteren Brüdern, die in den fünf Jahren, die seit dem Originalfilm vergangen sind, allesamt das Elternhaus verlassen haben. Mittlerweile haben wir das Jahr 1976, und schon rein genretechnisch gibt es eine nicht übersehbare Veränderung zwischen den beiden Filmen. Ging es damals um die Generationskonflikte in einer Familie, dröselt sich der neue Film ein wenig in zwei Teile auf. Zum einen geht es um die Erlebnisse von Sajid, der ein neues Land kennenlernt, dort aber auch so etwas wie seinen einheimischen Zwilling, und gemeinsam sind sie unter anderem damit beschäftigt, einem »hoffnungslosen« älteren Bruder namens Maneer (meines Erachtens kein besonders günstiger Name, im Film gibt es keine entsprechende Szene, aber ich musste mehrfach an das englische Wort »manure« denken) eine »Traumfrau« zu organisieren. Zum anderen geht es wieder um George, der seinerzeit eine »Mrs. Khan Nr. 1« mit zwei Töchtern zurückgelassen hat, und der dafür einiges zu hören bekommt.

Das »ehrliche, frische, echte und andere« aus East is East funktionierte meines Erachtens auch deshalb, weil der Film einen damals mehrfach überraschte. Zunächst denkt man, in einer Komödie zu sitzen, doch George erweist sich dann einfach als zu herrisch, aggressiv und stur, um einfach nur witzig zu sein. Man machte sich wirklich Sorgen um die Kinder, die Ehefrau und die ganze Familie, und das Happy End war eher so auf einem Toleranz-Level, »er wird sich nie ändern, aber er meint es ja gut«. Kein Wunder, dass die Kinder allesamt fliehen und auch Sajid den rebellischen Grundton seiner älteren Brüder übernimmt. In West is West hingegen gibt es keine Überraschungen, abgesehen vielleicht von der Reise an sich. Zwar tun sich neue Abgründe auf, wie »daneben« George eigentlich ist, aber spätestens nach der Szene, wo Mrs. Khan Nr. 1 wortlos und unterwürfig ins Schlafzimmer des Vaters ihrer Kinder schleicht, nur um sich anhören zu müssen, dass der werte Herr »müde« sei (George weiß intuitiv, wie man mit wenigen Worten jemanden bis ins Mark demütigt), spätestens nach dieser Szene wusste ich, dass George keinen Ehebruch (zumindest nicht an »Nr. 2« Ella) begehen wird, und ab diesem Zeitpunkt entwickelt sich der Film viel zu gefällig, die typischen Eckpfosten einer beliebigen RomCom werden mit etwas mehr Tiefgang abgearbeitet, und diesmal ist das Happy End dann auch nicht wirklich »happy«, aber vor allem aus filmischer Sicht, weil es aufgesetzt wirkt.

West is West ist trotzdem eine überdurchschnittliche Komödie, mir persönlich gefiel auch der Einsatz von Kipling-Anspielungen und Zitaten, und selbst die denkbar oberflächlichste Motivation Maneers, sich für eine Frau zu entscheiden, hat noch etwas Grundsympathisches. Aber die zugegeben schwierige Aufgabe, neben dem Original eigenständig (und womöglich ebenbürtig) zu bestehen, kann der Film nicht einlösen.

Als kleiner Bonus hier mein alter Text zum Vorläufer-Film, erschienen in Klirr Di Birr #53, zum Jahreswechsel 1999/2000.

East is East
(Damian O'Donnell)

Die Reaktion eines Sneak-Preview-Publikums auf etwas ungewöhnliche Filme zeigt leider immer wieder, wie schnell Schluss ist mit dem Verständnis, wenn die Massen ihre Unterhaltung einzufordern gedenken. Etwa zur Mitte des Films bitten einige tumbe Toren sogar darum, der Filmvorführer möge einen anderen Streifen einlegen. Aber natürlich wären solche Kulturbanausen nie selbst auf diese Idee gekommen, geschieht doch im Film selbiges. Doch glücklicherweise war während meines Kinobesuchs kein Verwandter des Theaterbesitzers zugegen :-)

Anfang der Siebziger: Der Pakistani George Khan lebt seit 25 Jahren mit seiner britischen Frau Ella und mittlerweile sieben gemeinsamen Kindern in Manchester, doch er fürchtet um sein Ansehen, weil ihm von der Familie nicht der einem hoffnungslosen Patriarchat übliche Respekt gezollt wird. Die Kinder können immer noch kein Urdu sprechen, sehen zum Teil aus wie langhaarige Hippies und der Älteste wagt es gar, während einer arrangierten Hochzeit das Weite zu suchen. Die Mutter ist hin- und hergerissen zwischen der Liebe zu ihrem Mann und dessen Sturheit. Um die Schmach des inzwischen totgesagten Sohnes I reinzuwaschen, verscherbelt er gleich die nächsten beiden, noch dazu an Vertreterinnen des anderen Geschlechts, die schon beim Betrachten eines Fotos vom pöbelnden Spandauer Publikum lautstarke Hämerufe kassierten.

Zwischen Sozialstudie, nostalgischer, typisch britischer Komödie und Familiendrama entstehen einige bemerkenswerte Momente, wenn auch vieles etwas zu dick aufgetragen ist wie die (zumindest symbolisch) mehrfache Beschneidung des seltsam gewandeten Jüngsten, die derben Scherze auf Kosten einiger nicht den Schönheitsidealen entsprechenden jungen Damen oder der krasse Unterschied zum anderswo sein Glück suchenden Erstgeborenen.

Doch ob sie es zugeben wollen oder nicht, alle Zuschauer wurden unterhalten, laut genug gelacht wurde jedenfalls und einige Bilder dieses Films werden größeren Eindruck gemacht haben als die nächste seichte Hollywood-Komödie.