Anzeige:
Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




10. Juli 2013
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Das Glück der großen Dinge (Scott McGehee, David Siegel)
Das Glück der großen Dinge (Scott McGehee, David Siegel)
Das Glück der großen Dinge (Scott McGehee, David Siegel)
Bildmaterial: mm filmpresse
Das Glück der großen Dinge (Scott McGehee, David Siegel)
Das Glück der großen Dinge (Scott McGehee, David Siegel)
Das Glück der großen Dinge (Scott McGehee, David Siegel)


Das Glück der großen Dinge
(Scott McGehee, David Siegel)

Originaltitel: What Maisie knew, USA 2012, Buch: Nancy Doyne, Carroll Cartwright, Lit. Vorlage: Henry James, Kamera: Giles Nuttgens, Schnitt: Madeleine Gavin, Musik: Nick Urata, mit Julianne Moore (Susanna), Steve Coogan (Beale), Joanna Vanderham (Margo), Alexander Skarsgård (Lincoln), Onata Aprile (Maisie), Sadie Rae (Zoe), Jesse Stone Spadaccini (Martin), Diana Garcia Soto (Cecilia), Amelia Campbell (Ms. Baine), Maddie Corman (Ms. Fairchild-Tettenbaum), Paddy Croft (Mrs. Wix), 99 Min., Kinostart: 11. Juli 2013

What Maisie knew – so hieß schon das Werk von Henry James, auf dem dieser Film basiert (auf Deutsch nur »Maisie«, auf gutenberg für jedermann verfügbar). Doch auf diesen Film passt der Titel noch weitaus besser, denn das, was die kleine Maisie () in Erfahrung bringt, ist größtenteils das, was sie sieht oder hört – und somit ist die kindliche Perspektive des Films – sein wichtigstes Merkmal – durch den Titel bestens repräsentiert. (Was der deutsche Titel soll, habe ich nicht einmal im Ansatz durchdringen können – Merkt ihn euch, bis ihr im Kino sitzt oder die DVD gekauft habt, und vergesst ihn danach so schnell wie möglich.)

Henry James interessierte sich zwar durchaus für die Belange der Kindeserziehung (sein meistgelesenes, weil zugänglichstes Werk The Turn of the Screw ist nur oberflächlich gesehen eine Gruselgeschichte, darin geht es aber viel stärker um Verbrechen an Kinderherzen als um Geisteserscheinungen), doch in seinem Scheidungsdrama übernimmt er zwar den Standpunkt der Titelfigur, doch die Erzählerfigur interpretiert bereits das, was Maisie sieht, blickt teilweise auch in die Gefühlswelten der anderen Figuren und demonstriert dabei des Autors Verliebtheit in verschachtelte Sätze und den eigenen Intellekt. Das löst diese neue Verfilmung besser, die den Roman von 1897 ins heutige New York versetzt und das Ganze zeitlich verdichtet (bei James verbringt Maisie jeweils ein halbes Jahr bei den Elternteilen und ist am Schluss des Buchs etwa im Teenageralter).

Von der ersten Szene an übernimmt der Film die Perspektive der kleinen Maisie (Onata Aprile). Nicht mit einer plakativen und zumeist von der Geschichte ablenkenden subjektiven Kamera, aber beispielsweise wie bei Spielbergs E.T. mit einer Kamera, die bevorzugt die Augenhöhe Maisies einnimmt. Es wäre interessant zu sehen, wie ein Kind in Maisies Alter – am besten aus einer heilen Familie – den Film aufnehmen würde, inwieweit die Taktiken der Eltern, die ja im normalen Leben dem Kind gegenüber normalerweise verborgen werden, bereits einem Kind auffallen würden. Dem geschulten Auge eines erwachsenen Publikums (und wenn man nicht selbst Scheidungskind war oder eines hat, so hat man dieses alltägliche Phänomen doch zumindest im Umfeld miterlebt) entgehen die kleinen Details nicht. Soso, das Kindermädchen arbeitet jetzt für den Vater und übernachtet auch dort? Hochinteressant.

Sehr schön auch eine frühe Szene, bei der Maisie die gleichaltrige Freundin Zoe zum »sleep-over« zu Besuch hat, während Maisies Mutter (Julianne Moore), eine Rocksängerin im Karrieretal, gerade eine Party mit lauter Musikern feiert. Die Kinder werden gleichzeitig von unzähligen Fremden verwöhnt wie sie von der Mutter grob vernachlässigt werden, und während Maisie dieser Zustand offenbar schon vor der Trennung der Eltern vertraut war, bricht die kleine Zoe angesichts der lauten Feierei schluchzend zusammen und muss von ihrem Vater abgeholt werden. Spätestens da sollte der Mutter offenbar werden, wessen sie auch ihre Tochter aussetzt, doch ungeachtet der Liebe, die sie für Maisie offensichtlich empfindet, gehört sie wahrscheinlich nicht zu den Menschen, die Kinder haben sollten. Maisies Vater (Steve Coogan, der gerade erst in Our Idiot Brother eine ganz ähnlich selbstsüchtig-schleimige Rolle hatte) ist womöglich noch unsympathischer in seinem Karrieredenken, und ein Mangel des Films wie der Buchvorlage ist es, dass das Ganze eine Spur zu adrett symmetrisch aufgebaut ist. Denn die selbe Egozentrik, die den Eltern einen gesunden Umgang mit ihrem Kind vermiest, schleicht sich auch sehr schnell und überdeutlich in die jeweils neue Liebes-Beziehung ein, die zu allem Übel auch jeweils eine Angestellten-Abhängigkeit mit sich bringt. Der Vater lässt das Kindermädchen Margo (Joanna Vanderham) mit Maisie zurück, während er nach Europa fliegt (Maisie ist bei nichterfolgter Abholung aus dem Kindergarten weitaus gesammelter als Margo, als sie bemerkt, dass sie nicht einmal einen Schlüssel fürs eigene Apartment hat), die Mutter lässt einen Musiker- (und Bett-)Kollegen (Alexander Skarsgård als Lincoln) auf die Tochter aufpassen, der zwar keine Ausbildung hat, aber viel Herz – und deshalb schon sehr bald von Maisies Mutter ausgenutzt und abkommandiert wird. Margo kommentiert ihre Situation auch treffsicher mit den Worten »People shouldn't be used like this.«

Die Grundkonstellation zwischen Mamis, Papis und vielen Scheidungskindern hat Henry James schon auf den ersten Seiten seines Romans gut zusammengefasst: »They had wanted her not for any good they could do her, but for the harm they could, with her unconscious aid, do each other.« Erschreckend, dass dies schon zu einem Zeitpunkt offensichtlich war, als Scheidungen noch die absolute Ausnahme darstellten.

Nicht nur die Titelfigur Maisie und ihre jungen »Stiefeltern-in-spe« tragen diesen berührenden Film voller Sympathie (selbst die Stelle, wo Lincoln an der Ampel Maisie Hand hält, die schon hart an Kokowääh-Kitsch vorbeischrammt, hat mir gefallen), das besondere ist, dass man trotz all ihrer Verfehlungen auch Julianne Moore und Steve Coogan Sympathie entgegenbringt, weil der Film sie eben mit den Augen der liebenden Tochter sieht, und diese Bedingungslosigkeit sich auch bedingt auf den Betrachtenden überträgt.

Somit trotz der allzu symmetrischen Konstruktion durchweg ein positives Kinoerlebnis, das nur dadurch geschmälert wird, dass man einem fröhlichen kleinen Mädchen dabei zuschaut, wie es sich in ein weniger fröhliches Mädchen verwandelt. Aber da kann man sich ja sagen: die schauspielert nur. Und das ziemlich gut!