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18. September 2013
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Die schönen Tage (Marion Vernoux)
Die schönen Tage (Marion Vernoux)
Bildmaterial © Wild Bunch Germany
Die schönen Tage (Marion Vernoux)
Die schönen Tage (Marion Vernoux)
Die schönen Tage (Marion Vernoux)


Die schönen Tage
(Marion Vernoux)

Originaltitel: Les beaux jours, Frankreich 2013, Buch: Marion Vernoux, Fanny Chesnel, Lit. Vorlage: Fanny Chesnel, Kamera: Nicolas Gaurin, Schnitt: Benoit Quinon, Musik: Quentin Sirjacq, mit Fanny Ardant (Caroline), Laurent Lafitte (Julien), Patrick Chesnais (Philippe), Jean-François Stévenin (Roger), Fanny Cottençon (Chantal), Alain Cauchi (Jacky), Marie Riviére (Jocelyne), Marc Chapiterau (Hugues), Féodor Alkine (Paul), Olivia Côte (Lydia), 91 Min., Kinostart: 19. September 2013

Zur Pensionierung bekommt Caroline (Fanny Ardant) von den Töchtern ein Schnupperabo für den Seniorenclub »Les beaux jours«, doch Töpfern als Lebensinhalt überzeugt die ehemalige Zahnärztin ebenso wenig wie die Aussicht, sich beim Laienschauspiel vor völlig Fremden vorführen zu lassen. Während ihr Gatte Philippe (Patrick Chesnais) weiterhin in der einst gemeinsamen Praxis tätig ist und ansonsten meist auf dem Sofa sitzt, entdeckt Caroline dann aber doch ein Hobby, das sie ausfüllt und befriedigt: den gut zwanzig Jahre jüngeren Frauenhelden Julien (Laurent Lafitte), der bei »Les beaux jours« den Computerkurs leitet.

Nach Catherine Deneuve (Elle s'on va), Jeanne Moreau (Un estonienne à Paris) und Bernadette Lafont (Paulette) nun eine weitere französische Schauspielikone, die »ihren« Film über das Rentnerglück erhält, wobei Fanny Ardant innerhalb dieser Gruppe vielleicht die größte Lebensfreude ausstrahlt. Man könnte an der Existenzberechtigung dieses seltsamen Genres zweifeln, aber zum einen sollte man die Zugkraft der reiferen Kinobesucher nicht unterschätzen, und zum anderen haben die Darstellerinnen es allesamt verdient, solch ein Vehikel auf den Leib geschneidert zu bekommen – und größtenteils garantieren schon die großen Namen die Rentabilität solcher Produktionen.

Und so lebt auch Les beaux jours von seiner Hauptdarstellerin, die sich für den Film regelrecht neu erfindet: Mit blonden Haaren, ungewohnt schnell sprechend und in Bluejeans (laut Auskunft der Regisseurin hat Fanny Ardant Zeit ihres Lebens niemals zuvor Jeans getragen). Dadurch besteht der besondere Reiz des Films darin, die sonst so hochgeschlossene, gutsituiert und seriös auftretende Schauspielerin in dieser doch eher »flippigen« Rolle zu erleben. Und das eben an einem Punkt ihrer Karriere, wo es besonders überraschend wirkt. Trotz des Jungbrunnens einer heimlichen Affäre geht es in dem Film aber auch um all jenes, was ihr bisheriges Leben ausmacht: Um ihren Mann, der angesichts eines falschherum getragenen Pullovers irgendwann Verdacht schöpft, sehr verletzt ist, es aber auch konsequent ablehnt, sie jetzt neu erobern zu wollen. Und um ihre Töchter, die durch die neue Facette der Mutter zunächst verschreckt wirken, dann aber begreifen, dass dies eine Chance bedeutet, einander näher zu kommen. Regisseurin Marion Vernoux beschreibt die Beschäftigung mit der Figur Caroline übrigens auch als eine Erfahrung, die sie im Zusammenspiel mit der eigenen Mutter verpasste – eine andere Interpretation der »verpassten Chance«, die diesen Film (zumindest ansatzweise) thematisch prägt.

Das hohe Humorpotential, gepaart mit den ruhigeren, introvertierten Momenten, zeichnen den Film aus. Und mehrere kleiner Ideen (einige vermutlich aus der Romanvorlage stammend), die den Gesamteindruck verbessern. Eine meiner Lieblingsszenen ist etwa ein Monolog, der etwa so geht: »Meine Wirbelsäule wird immer beweglicher! Ich beginne mich zu öffnen, Energie durchflutet meinen Körper.« Dies sind Kommentare vom Leiter des Yoga-Kurses, bebildert werden sie jedoch durch eine kurze Montage der ähnlich wirkenden Schäferstündchen.

Apropos: Wenn die Sache zwischen Caroline und Julien beginnt (in einem parkenden Auto, weil es draußen regnet), wäre Caroline (auch aufgrund Alkoholunterstützung) sicher zu mehr bereit, doch als sie beobachtet, wie Julien nebenbei eine Kondompackung mit den Zähnen öffnet (eine Aktion, die ihm vertraut ist wie einst die »typische Handbewegung« beim »heiteren Beruferaten«), ist es gerade sein souverän-routiniertes Auftreten, dass sie innehalten und die Notbremse ziehen lässt.

Erst viel später stellt sich übrigens heraus, dass Julien sich an den Besuch bei einer attraktiven Zahnärztin erinnert, als er etwa 12 oder 13 war. An diesen Stellen wünscht man sich, auch die Romanvorlage zu kennen (deren Autorin Fanny Chesnel das Drehbuch gemeinsam mit der Regisseurin verfasste). Und das ist etwas, was ich von den oben genannten anderen Rentnerinnen-Filmen nicht behaupten kann. Immerhin.