König von
Deutschland
(David Dietl)
Deutschland 2012, Buch: David Dietl, Kamera: Felix Novo de Oliverira, Schnitt: Robert Rzesacz, Musik: Francesco Wilking, Patrick Reising, mit Olli Dietrich (Thomas Müller), Veronica Ferres (Sabine Müller), Wanja Mues (Stefan Schmidt), Katrin Bauerfeind (Ute), Jonas Nay (Alexander Müller), Jella Haase (Mira), Stephan Grossmann (Kurt Knister), Mirco Reseg (Kai Licht), Wolfram Koch (Wolf Grimm), Hanns Zischler (Wallenstein), Paula Hans (Ina Schuster), Peter Illmann (TV-Showmaster), 97 Min., Kinostart: September 2013
Laut Presseheft wuchs David Dietl in »Los Angeles, Paris und München« auf, zur offensichtlichen Frage, die man den Nachwuchsregisseur bezüglich haben könnte, äußert man sich dort nicht, die Antwort ist aber positiv und die Besetzung von Veronica Ferres (bekannt aus: Schtonk, Rossini, The Late Show) oder Katrin Bauerfeind (Kinodebüt: Zettl) ist offenbar kein kompletter Zufall. Aber der junge Herr Dietl konnte sich seine Herkunft nicht aussuchen, und so wollen wir ihm daraus auch keinen Vorwurf basteln.
Eine zweite, fast noch dringendere Frage stellt sich dem Betrachter beim Betrachten dieses Films: Der Film spielt offenbar in der Jetztzeit (2008 wird erwähnt, ist kontextuell schon etwas her), in einer Art Parallel-Deutschland, in dem die erfolgreichsten Parteien CDA, GPD oder DFP heißen. Die Hauptfigur Thomas Müller (Olli Dietrich) erlebt während des Films den 46. Geburtstag. Thomas wohnt in Normsen, einer Kleinstadt mit eigenem Kfz-Kennzeichen (NO), die laut Presseheft in einem ermitteltem Zentralpunkt Deutschlands liegt, der sich im westlichen Thüringen befindet. Das sind jetzt bereits Infos, die sich dem normalen Kinozuschauer nicht aufdrängen. Was der sich aber unweigerlich fragen wird: Warum sieht die Wohnung von Müller aus wie in den 1970ern? Wer 46 Jahre wird, ist Ende der 1960er geboren, die Einrichtung entspricht also größtenteils der seiner Kindheit. Doch Müller hat inzwischen selbst einen fast erwachsenen Sohn, und etwa in der Mitte von Müllers Leben gab es in »unserem« Deutschland im Jahre 1989 eine doch ziemlich wichtige Veränderung. Ob Thomas Müller in Ost- oder Westdeutschland geboren ist, und warum er seinen Wohnort in Normsen wählte (oder beließ), das wird in diesem Film nicht behandelt. Denn, so meine Herangehensweise: es ist ein Paralleldeutschland, das einerseits eine gewisse satirische Schärfe erlaubt, dabei aber andererseits niemanden direkt verunglimpflicht (ob Partei oder Region). Denn dieses Deutschland ist ein Deutschland der statistischen Mittelmäßigkeit: Thomas hat Sabine (Veronica Ferres) geheiratet, Thomas' Vater heißt Klaus, sein Sohn Alexander. Normalerweise hätten die Müllers wohl 1,7 Kinder haben müssen, aber das hätte abgelenkt. Seine Lieblingsfarbe ist Blau, sein Lieblingsessen Spaghetti Bolo... - ach nee, doch eher das Jägerschnitzel wie bei Muttern. Er schaut vier Stunden Fernsehen am Tag und unterhält sich 15 Minuten mit seiner Frau. Höhepunkt der Subtilität: sein Auto. Nicht nur Farbe und Fabrikat, sondern die Autonummer: NO-RM 0815. Man will hier eine Aussage machen, und man scheut sich nicht, sie direkt zu formulieren.
Der Titel des Films hängt übrigens nicht mit Rio Reiser zusammen, sondern mit einer Quiz-Show, einer Art unehelichem Nachwuchs aus Familien-Duell und Wer wird Millionär. Die schaut Thomas schon zu Beginn des Films, und jedes Mal, wenn man 1000 Menschen gefragt hat, was etwa der Deutschen Traumurlaubsziel ist, weiß Thomas die Lösung. Was sich als sein großes Talent, aber auch sein größtes Problem herausstellen wird.
Anstelle hier die weitere Handlung des Films zu skizzieren, betrachte ich lieber das Genre und komme zurück zur Frage »Warum 70er-Jahre Dekor?«. Einerseits spiegelt die Einrichtung ähnlich wie die Hauptfigur ein gründlich recherchiertes Mittelmaß. Der Setzkasten etwa, in dem auch eine Figur aus einem Überraschungsei nicht fehlen darf. Andererseits ist es aber so, dass die 1970er das Jahrzehnt des Genres waren, dem man auch König von Deutschland (trotz der Komödienelemente) zurechnen muss: dem Paranoia-Thriller. Im Presseheft behauptet Regisseur Dietl zwar, dass seine Vorbilder Punch-Drunk Love, The Truman Show und Stranger than Fiction seien (allesamt etwas anspruchsvollere Independent-Produktionen mit US-Comedy-Stars), doch das sind die Bezugspunkte, die Publikum ziehen sollen. Die Bezugspunkte, die die Story und das Setdesign suggerieren, sind Filme wie Welt am Draht oder The Stepford Wives. Konsumkritik und Verschwörungstheorien. Teilweise wirkt Olli Dittrich sogar wie Gene Hackman in Coppolas The Conversation. Und das ist als Kompliment gemeint.
Soweit der Teil des Films, der mich wirklich verzückte, die ambitionierte und innovative Kreuzung des Paranoia-Thrillers mit einer ganz auf ihren Star zugeschnittenen Komödie. Davon abgesehen hat der Film natürlich auch unübersehbare Schwächen. Die Anbiederung an ein junges Publikum (über die Figur des Sohnes) ist peinlich und wirkt aufgesetzt. An satirischer Schärfe und Subtilität vermisst man einiges (aber verglichen mit Zettl ist König von Deutschland immer noch Gold wert).
Als Vielschauer wird man oft mit dem Phänomen konfrontiert, dass man Filme sieht, die das Potential haben, wirklich gut zu sein - doch es fehlen dann noch 10, 20 oder 40%. Oder auch mal 270%. Bei König von Deutschland würde ich den Prozentsatz so mit 35 beziffern. Aber die 65% des Films, die gelungen sind, sind eine so willkommene positive Überraschung, die Offenbarung einer inszenatorischen Vision, dass man über so manche Schwäche gern hinwegsieht. Wer ohne allzu große Erwartungen an diesen Film herantritt (auch ohne die Erwartung, eine Knaller-Komödie zu erleben), der wird reich beschenkt.