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Sofie Lichtenstein: Bügeln. Protokolle über geschlechtliche Handlungen




4. September 2013
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Shadow Dancer (James Marsh)
Shadow Dancer (James Marsh)
Shadow Dancer (James Marsh)
Bildmaterial: Fugu Films
Shadow Dancer (James Marsh)
Shadow Dancer (James Marsh)
Shadow Dancer (James Marsh)


Shadow Dancer
(James Marsh)

Irland 2012, Buch, Lit. Vorlage: Tom Bradby, Kamera: Rob Hardy, Schnitt: Jinx Godfrey, Musik: Dickon Hinchliffe, mit Andrea Riseborough (Collette), Clive Owen (Mac), Gillian Anderson (Kate Fletcher), Aidan Gillen (Gerry), Domhnall Gleeson (Connor), Martin McCann (Brendan), David Wilmot (Kevin Mulville), Karl Shiels (Mulville's Driver / Gunman), Brid Brennan (Ma), Frank Smith (Henderson), Berry Barnes (Gerry Senior), Maria Laird (Young Collette), Ben Smyth (Sean), Jamie Scott (Young Gerry), Bradley Burke (Young Connor), 101 Min., Kinostart: 5. September 2013

Nordirland 1993.

Warum 1993? Vielleicht, weil das hübsche runde zwanzig Jahre her ist, und gemeinsam mit einem Prolog gleich zwei Generationswechsel (inklusive so manchem Todesfall) andeutet? Nette These, aber streng genommen lief der Film schon Anfang 2012 auf den Festivals in Sundance und Berlina, da ist die Zahl schon nicht mehr ganz so rund.

Womöglich, weil 1993 ein besonders wichtiges Jahr im Nordirland-Konflikt war, mit Friedensverhandlungen, aber auch noch mit Terrorakten gegen England? Auch eine überzeugende Herangehensweise.

Man darf aber bei all diesen gescheiten Ansätzen nicht vergessen, dass die Romanvorlage bereits 1998 erschien, und der auf Malta geborene und in England lebende Autor des Debütwerks, Tom Bradby, ist hauptberuflich eigentlich Journalist für die britischen ITV News. Von 1993 bis 96 war er Irland-Korrespondent, 1994 heiratete er dann. Die zeitliche Verortung hat also auch viel damit zu tun, dass Bradby über den Zeitpunkt des Konflikts schrieb, bei dem er sich auskennt, nur aus der Sicht des Films wirkt dies wie eine Geschichtsstunde.

Der Aspekt der Geschichtsstunde wird natürlich noch verstärkt durch einen Prolog, den es so im Roman nicht gibt (Teile davon werden allenfalls vage angedeutet), und der abermals zwei Jahrzehnte zuvor spielt. Hier wird die Hauptfigur, die noch kleine Collette eingeführt, die, als sie für den Vater Zigaretten holen soll, stattdessen den kleinen Bruder losschickt - und das hübsch katholische Thema der Schuld drängt sich im Film besonders in den Vordergrund.

Zwanzig Jahre später ist Collette Mutter (im Roman von zwei Kindern, im Film hat man sich auf den Sohn Mark beschränkt). Außerdem ist sie als Bombenlegerin in London unterwegs. Und damit beginnt ihre Tätigkeit als Undercoveragentin, die die eigene Familie ausspionieren muss, um einer langen Freiheitsstrafe und der Trennung von ihrem kleinen Sohn Mark (im Film erfährt man noch weniger über den Vater als im Buch) entgehen zu können.

Ein reichlich taffer Polit-Thriller, ausnahmsweise mit einer weiblichen Hauptfigur, wobei man Andrea Riseborough, die in Brighton Rock so jung, naiv und zerbrechlich wirkte, teilweise nicht wiedererkennt. Das Drehbuch, das Bradby selbst schrieb, dreht den Romanstoff dabei reichlich durch den Fleischwolf, kaum ein Stein bleibt auf dem anderen. Was aber zum Wohl der Geschichte (neben einigen visuellen Ergänzungen wie den Plastikplanen) beiträgt. Das geht soweit, dass im Film und Roman ganz unterschiedliche Figuren unter die Räder des Konflikts geraten, aber es gibt auch andere Aspekte, die gänzlich anders wirken. So etwa die Einführung des ersten Gesprächs mit dem englischen Kontaktmann: »She was beautiful. That was his first thought.« Der Film legt zwar schon durch die Besetzung (Clive Owen) eine mögliche Romanze nahe, doch die Vorzeichen sind komplett andere.

Ich sah den Film zuerst, und wenn der Kontaktmann, quasi als kleinen Vertrauensbeweis erstmals seinen Namen preisgibt (gegen das übliche Protokoll), so fiel mir sofort auf, dass »Mac« (im Roman heißt er David Ryan) auffallend ähnlich klingt wie der Name von Collettes Sohn Mark. Weshalb ich auch eine clevere Beeinflussung vermutete, die von der Intelligenz und Abgebrühtheit Macs zeugte. Verglichen damit ist das »She was beautiful. That was his first thought« (über die Gedankenwelt beider Hauptfiguren erfahren wir im Film nichts aus erster Hand) doch unverhältnismäßig emotional und unprofessionell.

Film wie Roman können gut für sich stehen, aber man merkt der Verfilmung an, dass Autor Bradby mittlerweile gereift ist und von seinen Fehlern gelernt hat. So gibt es im Roman einen mysteriösen McIlhatton, der jeweils am Ende eines Kapitels einen kurzen Auftritt hat, vermutlich die Spannung aufrecht erhalten soll und später bei einem Attentat auf den britischen Premierminister eine verblüffend geringe Rolle spielt. Wurde fürs Drehbuch alles ersatzlos gestrichen, wie auch das Ende des Films vielleicht keine 180-Grad-Wendung zur Romanhandlung ist, aber sicher mindestens 140 Grad.

Man hat dabei auch das Gefühl, dass die Perspektive des Films eine andere ist. Im Roman sind Colette und Ryan fast ebenbürtig, mit gleich großem Fokus, im Film ist Collette klar die Hauptfigur, aus deren Sicht wir fast die komplette Geschichte erleben. Und damit wird auch aus dem Roman eines Engländers ein sehr irischer Film.


*Bei diesem Titel muss ich auch irgendwie an den Vorspann von Scorseses The Color of Money denken, der eigentlich nur Zigarettenrauch wie einen schemenhaften Tanz auf Zelluloid bannte.


Ich freue mich in Filmen immer, wenn ich vermeintliche Intentionen entdecke, die mir nicht offensichtlich erscheinen. In diesem Fall war es beinahe zufällig, dass es mir selbst auffiel. Den neben der auffälligen Farbdramaturgie von Collettes knallroten Mantel (ein Detail, das bei einer Schlüsselszene die Auffassungsgabe des Publikums fordert) ist es sehr subtil, wie Zigaretten im Film durchgehend bevorstehendes akzentuieren. Das beginnt schon, wenn der kleine Bruder Zigaretten holen soll, und man intuitiv weiß, dass das Probleme bringen wird. Wo in anderen Filmen erst im Nachspann politisch korrekt darauf hingewiesen wird, dass Zigarettenkonsum eben doch nicht so cool ist, wie Humphrey Bogart und Schwarzweißphotographie uns Jahrzehnte lang weismachten, so ist es durchaus begrüßenswert, wie Shadow Dancer* sehr konsequent klarmacht: Smoking can damage your health.