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Bildmaterial: Kinowelt Filmverleih
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Brighton Rock
(Rowan Joffe)
UK 2010, Buch: Rowan Joffe, Lit. Vorlage: Graham Greene, Kamera: John Mathieson, Schnitt: Joe Walker, Musik: Martin Phipps, Kostüme: Julian Day, Production Design: James Merifield, mit Sam Riley (Pinkie), Andrea Riseborough (Rose), Helen Mirren (Ida), John Hurt (Phil Corkery), Phil Davis (Spicer), Andy Serkis (Mr. Colleoni), Nonso Anozie (Dallow), Sean Harris (Hale), Geoff Bell (Kite) Steven Robertson (Crab), Maurice Roëves (Chief Inspector), Steve Evets (Mr. Wilson), Pauline Melville (Mother Superior), 111 Min., Kinostart: 21. April 2011
Rowan Joffe, der Sohn von Roland Joffé (The Killing Fields, The Mission), tat sich bisher vor allem als Drehbuchautor hervor. Hierbei wird gern sein womöglich bekanntester Film, das misslungene Sequel 28 Weeks Later, genannt, doch ich interpretiere dies mal als reine (gut bezahlte) Auftragsarbeit. Andere Drehbücher wie die zu Pawel Pawlikowskis Last Resort oder Anton Corbijns The American sagen mehr über den Autor aus, der in seinem Kino-Regiedebüt quasi diese beiden Filme vereinigt. Zum einen spielte Last Resort in einem heruntergekommenen britischen Strandbad, und zum anderen war The American die genreuntypische Umsetzung eines Stoffs um einen Auftragskiller. In der Graham-Greene-Bearbeitung Brighton Rock geht es um eine genreuntypische Umsetzung eines Bandenkriegs in einem (1964 noch halbwegs akzeptablen) britischen Strandbad.
Kritische Stimmen (und davon gibt es nicht wenige) vergleichen Rowans Film mit der »klassischen« Verfilmung von 1947 (mit Richard Attenborough) und kritisieren unter anderem die Verlegung der Handlung in die 1960er. Dass die »klassische Verfilmung« von 47 den 1938 erschienenen Roman aus der Vorkriegszeit nach 1942 verlegte, kümmert(e) offenbar niemanden. Wenn aber der 1972 geborene Joffe sich einen Kunstgriff traut, der laut Kennern des Sujets durchaus Sinn macht (Gruß an den anonymen Kritikerkollegen, dessen gesammelte Einsichten zu dem Film ich hier nicht wiederkäuen möchte), dann gibt es immer diverse Kenner, die vermeintlich Buchvorlage und Erstverfilmung kennen (da würde ich doch gern mal ins Cache schauen, ob die entsprechenden Wikipedia-Seiten kurz vor der Kritik aufgerufen wurden), und dies als Ansatzpunkt sehen, den Film herunterzuziehen.
Meine Erfahrung ist übrigens, dass Regisseure, die Stoffe von einer Zeit in eine andere transferieren, sich vor allem dann Gedanken gemacht haben, wenn es sich bei der neuen Zeit nicht um die Gegenwart oder eine dem Regisseur persönlich liebgewonnene Periode handelt.
Wer wie ich unbehaftet in den Film geht, sich auch nicht darum kümmert, wie alt die Hauptfigur Pinkie im Buch war, und kein Problem damit hat, dass die Figuren allesamt nicht unbedingt strahlende Sympathieträger sind, die zur Identifikation einladen (vergleiche auch The American), der bekommt indes ein Stück Kino geboten, das in heutigen Zeiten auf positive Weise auffällt, denn die britische Atmosphäre der 1960er hat Joffe überzeugend eingefangen.
Er erzählt von einem aufstrebenden jungen Kleinkriminellen, der in einen Bandenkrieg gerät (was der Film sehr geschickt mit den Kämpfen zwischen Mods und Rockern doppelt - »the young own the country«), und dabei eine Zeugin (bevorzugt ohne Blutvergießen) davon abbringen will, eine Aussage zu machen. Die ziemlich schüchterne und nicht eben hellste Kellnerin Rose (Andreas Riseborough ist nicht so schnuckelig wie die ursprünglich geplante Carey Mulligan, aber sie füllt die Rolle wahrscheinlich überzeugender aus) lernt den jungen Tunichtgut Pinkie kennen und es entspinnt sich eine zarte Romanze, wobei die Gefühle beider Figuren eher unausgesprochen bis ambivalent dargestellt werden, was den Film in hohem Maße überhaupt ausmacht.
Sam Riley spielt sehr zurückhaltend (für viele zu zurückhaltend) und erinnerte mich an James Dean und Harry Lime (aus The Third Man, ebenfalls von Graham Greene). Regisseur Joffe weiß sehr wohl, wie man Britishness à la Greene mit jugendlicher Gewalt à la Scorsese zu Mean-Streets-Zeiten kombinieren kann.
Doch genauso prägend für den Film ist der religiöse Unterton, den Joffe geschickt nutzt, um aus Greenes Anschauungen seine eigenen Botschaften zu flechten (das kann ich jetzt mal einfach so behaupten anhand der zeitlichen Transferierung des Stoffs, die unübersehbare Veränderungen mit sich bringt).
Neben der Geschichte und der Atmosphäre des Films (wie ein Film Noir, aber in leichte Meeresgischt gehüllt) überzeugen auch die Nebendarsteller, wobei hier neben Helen Mirren und John Hurt als gespiegeltes älteres Paar zu den Hauptfiguren insbesondere Andy Serkis als Gangsterboss heraussticht, der einerseits gefährlich erscheint, aber mit klitzekleinen Nuancen auch sehr tongue-in-cheek interpretiert wird.
Wer The American langweilig fand, den wird wahrscheinlich auch Brighton Rock nicht vom Hocker reißen, aber wer genug Filmverstand hat, The American zu genießen, der wird auch hier nicht enttäuscht werden.
(Wenn ich nicht so beleidigend wäre, könnte man dieses Fazit fast leserfreundlich nennen.)