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6. November 2013 | Thomas Vorwerk für satt.org | ||||||
Fack ju Göhte
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Umso überraschender ist es angesichts der humoristischen Kantinenkost, dass Regisseur und Drehbuchautor Bora Dagtekin das Ganze treffsicher abgeschmeckt hat. In Sachen Dialogwitz und Comedy-Timing macht dem Herrn zumindest deutschlandweit so schnell keiner etwas vor. Hierbei ist es besonders erfrischend, dass Dagtekin viele unterschiedliche Arten des Humors beherrscht. Da gibt es einerseits den derben Humor à la Bad Santa, wenn der Verlegenheitslehrer Zeki sich etwa seine Unterrichtsstunden angenehmer gestaltet, indem er ein harmlos wirkendes Tetrapak Kakao lieber mit Bier füllt (was etwa auch einen durchaus angenehmen Grad von Ekligkeit mit sich bringt), dem Dagtekin aber noch einen draufsetzt, indem er in der Wortwahl offenbar keinerlei Tabus kennt. So gibt es eine Szene, in der die Schüler animiert werden, bei einer Shakespeare-Adaption die Handlung mit eigenen Worten voranzutreiben, was dann dazu führt, dass ein junger Romeo skandiert: »Julia, du Fotze, ich will ficken! Zeig 'mal Möpse, zack zack!« es mag sich niedergeschrieben nicht so erschließen, aber diese vermeintlichen Tabubrüche (auch, wenn der Lehrer mit pädagogischem Feingefühl sagt »Heul' leise, Chantal!«) funktionieren hier tadellos.
Recht clever ist auch, wie man es schafft, nicht nur Jugendliche anzusprechen, sondern auch leidgeplagte Eltern und Nostalgiker, die sich an die eigene Schulzeit erinnern. So wirkt es wie ein Anachronismus, wenn einmal tatsächlich ein »Tageslichtprojektor« gefordert wird, doch der Wahnsinn hat Methode. Fack ju Göhte greift die komplette Bandbreite der letzten drei Jahrzehnte (vielleicht sogar noch mehr) Schulalltag ab, bei Dialogzeilen wie »Ich muss noch Räuber fertiglesen, da muss ich jedes zweite Wort nachschlagen!« hätte vermutlich selbst mein Opa schmunzeln können, sogar extreme Übertreibungen zünden (»Theater-AG? Niemals! Ich bin doch jetzt schon 3-4 mal die Woche in der Schule!«), nebenbei macht man sich über politische Korrektheit lustig (statt des Unworts »Asoziale« sollen die Lehrkörper bitte von »Jugendlichen aus bildungsfernen Schichten« sprechen) und streut ganz aktuelle Sprechformen ein (»assappissimo im Lehrerzimmer« – geschrieben wie gehört, den Älteren darf man dieses hübsche Wort gerne »übersetzen«). Und selbst bei einem Klassiker wie der »Exkursion« treffen die aktuelle ... wie hieß es noch? ... »Bildungsferne« auf Verhaltensmuster, die man auch dann noch wiedererkennt, wenn die eigenen Kinder längst die Uni abgeschlossen haben (»Geh'n wir Fantasialand?« --- »Oh, bitte nicht wieder KZ!«). Wobei die Exkursion, die Lehrer Zeki hier unternimmt, dem Film für einige Momente sogar so etwas wie ein soziales Gewissen verschafft.
Wie bereits ausgeführt, will Fack ju Göhte eigentlich nur unterhalten. Doch dabei unternimmt der Film oft einen gefährlichen Drahtseilakt, denn manche Themen bieten sich nur sehr eingeschränkt als Humorlieferant an. Wenn die Kunstlehrerin einen Selbstmordversuch macht, wird dies in einen absurden Kontext gestellt, dadurch, dass ihr Fenstersturz aus dem ersten Stock erfolgt und die Reaktion darauf ein lapidares »Ach Mensch, Frau Leimbach-Knorr! Nicht schon wieder!« ist. Ferner geht es im Film um Mobbing (wobei simple Gegengewalt nicht die ultimative Lösung sein kann) oder Sicherheitsmaßnahmen gegen einen Amoklauf. In dem Moment, wo man sich trotz der gelungenen Scherze mal die Zeit nimmt, über manches nachzudenken, hat der Film auch offensichtliche Probleme. So biedert man sich beim jugendlichen Zielpublikum an, indem man das Rauchen verharmlost (der »coole« Lehrer Müller hat hier eine negative Vorbildfunktion), und das Frauenbild innerhalb des Films ist so rückständig und reaktionär wie nur irgendwas. Dass die jüngere Schwester der Referendarin Schnabelstedt sich ausgerechnet in den Störenfried Daniel alias »Danger« verliebt, kann ja passieren. Aber dass der Film dann wie ein wohlmeinender Ratgeber propagiert, dass man statt persönlichem Geschmack lieber dem konformen Frauenbild entsprechen sollte (»Dann lauf doch nicht so rum, als wenn Du auf Deine Geschlechtsumwandlung wartest!«) und man als ultimative Style-Beratung ausgerechnet auf eine vom Schönheits-OP-Opfer Jana Pallaske gespielte Prostituierte schwört (»Sie ist Nutte, sie weiß, was gut aussieht!«), das tut wirklich weh. Ohne solche geschmacklichen und politischen Entgleisungen hätte Fack ju Göhte fast das Zeug gehabt, in positiver Weise das diesjährige deutsche Kino zu repräsentieren, aber angesichts dieser hässlichen Makel bleibt es dann doch nur bei guter Unterhaltung mit ein paar pädagogisch fragwürdigen Entscheidungen.
Jella Haase, die Darstellerin der Chantal, fand ich in Lollipop Monster eigentlich ziemlich unerträglich, und sie hat nach wie vor die seltene Gabe, einen wirklich zu nerven. Aber in ihrer stumpfen Penetranz ist ihre Stimm-Modulation manchmal auch irgendwie »voll süß«.
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