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20. November 2013
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Venus im Pelz (Roman Polanski)
Venus im Pelz (Roman Polanski)
Bildmaterial © 2013 PROKINO Filmverleih GmbH
Venus im Pelz (Roman Polanski)
Venus im Pelz (Roman Polanski)

Venus im Pelz (Roman Polanski)
Roman Polanski bei den Dreharbeiten.



Venus im Pelz
(Roman Polanski)

Originaltitel: La Vénus à la fourrure, Frankreich / Polen 2013, Buch: Roman Polanski, David Ives, Lit. Vorlage: David Ives, Lit. Vorlage der lit. Vorlage: Leopold von Sacher-Masoch, Kamera: Pawel Edelman, Schnitt: Hervé de Luze, Margot Meynier, Musik: Alexandre Desplat, Art Direction: Bruno Via, Set Decoration: Philippe Cord'homme, mit Emmanuelle Seigner (Vanda), Mathieu Amalric (Thomas), 96 Min., Kinostart: 21. November 2013

Wie schon bei Carnage hat sich Polanski erneut eines Theaterstücks angenommen, statt vier Schauspielern sind es diesmal sogar nur zwei, und der Film spielt komplett in einem Theatersaal, mit Ausnahme der Einsteigs- und Ausgangsszene (vgl. Carnage), die den Weg zum oder aus dem Theater zeigen.

Hierbei ist schon die Einstiegsszene mitreißend. Die Kamera schreitet im nächtlichen Regen über einen Fußweg zwischen zwei Grasflächen, hin und wieder sind links und rechts symmetrisch Bäume und Parkbänke zu sehen (ich kenne mich mit Paris nicht so aus, die Landschaftsarchitektur hat mich aber stark an die Frankfurter Allee in Berlin erinnert). Sowohl der Regen mit ein paar Gewittereffekten als auch die Parkbänke bzw. altertümlich wirkenden Mülleimer haben etwas irreales, CGI-haftiges, die Atmosphäre, die Kamerafahrt und die Musik entwickeln schon früh einen starken Sog, ehe sich die Kamera nach rechts wendet und wir ein altes Theater sehen, so alt, dass schon ein Buchstabe vom bezeichnenden Schild fehlt, wo jetzt nur noch T EATRE steht. Die Kamera (oder die Figur, deren Blick sie darstellt) überquert die menschenleere Straße, geht auf den Eingang zu, und die Tür öffnet sich, ohne dass wir eine Hand sehen, die sie öffnen würde. Auf einer weiteren Tür innen sehen wir sowohl ein Plakat zu einer seltsamen Westernveranstaltung (später erfahren wir, das hier wohl eine belgische Musicalfassung von John Fords Stagecoach lief) als auch einen schmucklosen Anhang, dass Vorsprechen zu einer Theaterfassung von Venus im Pelz stattfinden.

Ein durchnässte Schauspielerin (Emmanuelle Seigner) mit Namen Vanda (auch die Frau in Leopold Sacher-Masochs Roman heißt so) betritt das Theater und beobachtet zunächst, wie der Regisseur und Bearbeiter des Stücks, Thomas (Mathieu Amalric) am Handy jemandem sein Leid plagt. Die bisherigen Anwärterinnen seien allesamt lachhaft gewesen. Zwischen diesen beiden entwickelt sich jetzt ein Spiel um Machtverhältnisse, Lust und Begierde (teilweise die Begierde nach einer perfekten Besetzung), wobei die Figur des Thomas nicht nur ein Stellvertreter ist für den Autor David Ives, der Sacher-Masoch auf kongeniale Weise fürs Theater adaptierte, sondern Mathieu Amalric schon rein visuell wie ein Alter Ego von Polanski wirkt. Der Autor und Regisseur steht für den Autor und den Regisseur. Wenn man dann noch in Betracht zieht, dass Polanskis Lebensgefährtin Emmanuelle Seigner die weibliche Hauptrolle spielt, verschafft das dem Stoff gleich noch eine zusätzliche Ebene.

Für einen Regisseur wie Polanski, der einst filmsprachliche visionäre Meisterwerke wie Repulsion, Rosemary's Baby oder Chinatown mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit schuf, wirkt der Film auffällig wenig »filmisch«, Polanski stellt sich ganz in den Dienst des Theaterstücks. Wie er den Theatersaal als Raum nutzt (das inhärente Machtverhältnis zwischen der Bühne und den Sitzreihen des Publikums), das ist abgesehen vom Intro noch die offensichtlichste »Erweiterung« eines abgefilmten Theaterstücks. Kameraführung und Schnitt ziehen sich bewusst zurück, um das Stück ganz ins Scheinwerferlicht zu rücken. Die komplett absurd erscheinenden Kulissen und Props aus dem »Western-Musical« wirken hierbei wie ein elegantes Augenzwinkern das Verhältnis zwischen Film und Theater betreffend. Die genialsten Ideen des Films (und Stücks) könnte man so genau auch auf einer Theaterbühne inszenieren, doch die Verfilmung lebt (wie schon Carnage) vom detailliert eingefangenen und perfektionierten Schauspiel sowie der außergewöhnlichen Besetzung und der genutzten Möglichkeit, Ives clevere Bearbeitung einem riesigen Weltpublikum nahezubringen. Und das ist weitaus mehr, als die meisten Filmregisseure nach einem halben Jahrhundert Dienstzeit noch vollbringen. Manchmal muss man das Medium Film auch einfach als Chance begreifen, den anderen Künsten eine größere Bühne zu bieten. Und wenn das für Tanz, Musik, Architektur, Malerei usw. gilt, dann sollte es für das Theater in besonderem Maße zutreffen.