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Museum Hours
(Jem Cohen)
Österreich / USA 2012, Buch: Jem Cohen, Kamera: Jem Cohen, Peter Roehsler, Schnitt: Jem Cohen, Marc Vives, mit Robert »Bobby« Sommer (Johann), Mary Margaret O'Hara (Anne), Ela Piplits (Gerda), 106 Min., Kinostart: 10. April 2014
Museum Hours verbindet Elemente des Essay-Films inklusive einer freien oder leicht geleiteten Assoziation mit einer minimalen Spielhandlung und dokumentarisch erscheinenden Szenen, wobei ich behaupten würde, dass die Spielhandlung so etwas wie den Zuckerwürfel in einer kulturhistorischen Schluckimpfung darstellt – wenn der Titel Museum Hours nicht so unmissverständlich verdeutlichen würde, dass dieser Film Personen mit ausgeprägter Museumsallergie kaum zum Kinobesuch animieren wird – selbst wenn die Laufzeit von unter zwei Stunden dann doch die schlimmsten Befürchtungen gleich wieder entkräftigt. Und es sind erstaunlich spannende 106 Minuten!
Johann (Robert Sommer) erzählt im dokumentarisch wirkenden Voice-Over-Kommentar über seinen Beruf als Museumswärter – eine Betätigung, die, obwohl sie erst kurz nach der französischen Revolution »erfunden« wurde, eigentlich unzählige romantische Helden der Literaturgeschichte hätte inspirieren sollen – auch, wenn mir aktuell nur Donald Duck dazu einfällt.
Seit sechs Jahren arbeitet er im »Kunsthistorischen« (»the big old one«) in Wien, ein Job der »manchmal langweilig, aber nicht schlecht« ist – und zumindest ruhiger als Johanns illustre Vergangenheit als Berufschullehrer an der Motorsäge oder Manager von Rockbands in den 1980ern (letzteres übrigens eine Prise Autobiographie, die man von seinem Darsteller übernahm). Johann parliert über seinen Lieblingsraum, den »schönsten der Welt« und meistbesuchten des Museums, wo diverse Werke von Pieter Bruegel hängen. Manchmal, wenn wenig los ist, sucht Johann in den Gemälden nach wiederkehrenden Details wie symbolträchtigen Eiern, und der Film nimmt dies zum Anlass, um von Bruegel-Gegenständen wie einer Spielkarte oder einem Knochen gleich auf Wiener Impressionen wie einer Zigarettenkippe oder einer im Schnee steckenden Bierdose zu schneiden. Die Verbindung von der vielbeachteten Kunstgeschichte zum profanen Alltag wird öfters gezogen. Beispielsweise schaut Johann mal aus einem Museumsfenster auf einen Zwischenhof und beobachtet dort ein Kopftuch-Mütterchen, um an anderer Stelle über den österreichischen Rechtspopulismus zu referieren.
Doch Johann kaut nicht etwa dem Kinobesucher ein Ohr ab, er bekommt eine Gesprächspartnerin (ohne den üblichen aufgesetzten »love interest«), die auf Pump aus Montreal angereiste Anne (Mary Margaret O'Hara), die die einzige erreichbare Angehörige ihrer Cousine Janice war, die nun im Koma liegt. Und nachdem Anne und Johann sich kennenlernten (Johann ist mitunter sehr interessiert an einzelnen Museumsgästen), bittet sie ihn, am Krankenbett über Bildbeschreibungen die einst gute Vertraute aus der Kindheit wieder ins Leben zurückzurufen. Ein cleverer Schachzug des Regisseurs Jem Cohen, um die kleinen Exkursionen des Films über Theologie, Heavy Metal, Materialismus, Rembrandt oder Sex in ihrer Bedeutung aufzuwerten – hier geht es nicht um Smalltalk, sondern um Leben und Tod.
Doch der Film hält sich nicht sklavisch an die dramatische Geschichte am Krankenbett, er lässt sich auch Zeit, etwa eine dritte wichtige Stimme zum Gehör zu bringen, eine Gastdozentin, die in einem vermeintlich freien Vortrag ihre Meinung über Bruegel einigen Touristen vermittelt und sich dabei auch mal auf Diskussionen einlässt. Hierbei (und bei einigen längeren Ausführungen Johanns) wird es offensichtlich, dass der Text von langer Hand geplant ist, die allesamt kreativen Hauptdarsteller des Films sind keine Profischauspieler, und so klingen manche Textpassagen auch etwas aufgesetzt, allzu literarisch oder rhetorisch ziseliert (Beispiel über »dokumentarische Schnappschüsse« bei Bruegel: »They are neither sentimental nor do they judge. Hallucinations of the real, one might say …«). Doch auch, wenn man als Zuschauer nicht glaubt, dass dies den Darstellern gerade eben mal so einfiel, ändert das nicht das geringste an der faszinierenden Kunstfertigkeit dieses Films, der mit geringem Budget, aber einem geschulten Blick für die Möglichkeiten der Montage eine ganz eigene Form findet.
Mit Schwarzblenden werden immer wieder Sinneinheiten akzentuiert, kleine Kapitel, und oft hat man das Gefühl, dass jedes kleine Detail des Films ganz bewusst gewählt wurde, um die Vision des Regisseurs zu unterstützen, bis hin zum Bilderrahmen im Krankenzimmer von Janice oder Plakaten für eine Comic-Figuren-Börse oder Machete, die scheinbar unbeachtet an einem Bauzaun hängen. Wie ein kleiner Junge, der auf einem Bruegel-Gemälde genau so wichtig erscheint wie der titelgebende Heilige oder ein halbversteckter scheißender Mann gehört alles mit zum Gesamtkonzept, ob es Johanns mal am Rande erwähnte Sexualität ist oder seine Vorliebe für Online-Poker.
Der Film versucht sich im Grunde daran, das absterbende Interesse der Gesellschaft an der Geschichte wiederzubeleben wie die Komapatientin, und das über unzählige Schnittstellen der Alltagswelt mit den repräsentativen Werken in Johanns Museum. Oder auch mal dessen Besuchern.
Ebenfalls in Wien hängen zwei Gemälde von Giuseppe Arcimboldo, der aus Früchten das Gesicht eines Mannes bildete (wie die zahlreichen abgeschnittenen Köpfe Favoriten von Schulklassen), einmal in der Sommer- und einmal in der Wintervariation. Ein drittes Gemälde hängt anderswo: »Spring we don't have, spring is in the Louvre. Like springtime in Paris.« Und wie diese beiden Gemälde springt der Film (für seine Spielhandlung eigentlich undenkbar) auch immer wieder zwischen den Jahreszeiten hin und her, während man neben Gemälden auch die »Landschaften« Wiens erkundet. Nur Frühling ist es nie, und Johann bereut es auch, dass Anne – unabhängig vom Zustand ihrer Cousine – Wien wieder verlassen muss, bevor der Frühling anbricht. Und selbst aus den Limitationen der Drehzeit bastelt Cohen noch eine etwas kulturpessimistische Grundaussage. Etwa repräsentiert eine Museumswand voller Kleinstportraits die Kunstgeschichte, während es in Johanns Stammkneipe (Ausdruck der Gegenwart) nur eine Wand voller vergänglicher Party-Fotos und eine andere mit kleinen leeren Jägermeisterflaschen gibt. Aber der Film liefert auch das Gegensatz-Paar mit umgedrehten Vorzeichen dazu: »Jetzt lernt man Event Management an der Uni, damals war es einfach Rock'n'Roll«.
Museum Hours schafft den Spagat und beweist, dass auch ein Museum rocken kann – oder, dass ein Essayfilm, der sich nicht schämt, eine Kopfgeburt zu sein, spannender ist als 90% dessen, was man sonst so im Kino vorgesetzt bekommt.