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Bildmaterial: Fugu Filmverleih
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Tao Jie
Ein einfaches Leben
(Ann Hui)
Originaltitel: Tou ze, Hong Kong 2011, Buch: Susan Chan, Yan-Iam Lee, Kamera: Yu Lik Wai, Schnitt: Kong Chi Leung, Manda Wai, Musik: Law Wing Fai, mit Andy Lau (Roger Leung), Deanie Ip (Ah Tao / Tao Jie), Qin Hailu (Frau Choi), Wang Full (Rogers Mutter), Eman Lam (Carmen), Anthony Wong (Heimleiter »Heuschrecke«), Hui Bik Kae (Tante Kam), Chin Pei (Onkel Kin), Hui So Ying (Mui Gu), Wu Wing Chong (Muis Mutter), Elena Kong (Tante Kams Tochter), Jason Chan (Jason), Chapman To (Zahnarzt), Mr. & Mrs. Raymond Chow, Yu Dong, Tsui Hark, Sammo Hung, John Shum, Mak Yun Sau, Lawrence Lau, Dennis Chan, Ning Hao, Enoch Lam (sie selbst), 119 Min., Kinostart: 24. April 2014
An Summer Snow, der auf der Berlinale 1996 den Silbernen Bären für die beste Darstellerin (Josephine Siao) gewann, kann ich mich 18 Jahre später kaum mehr erinnern. Ich weiß nur noch, dass er mir damals gefiel, und den Namen der Regisseurin habe ich mir auch gemerkt.
Ihr neuer Film wurde ebenfalls für die Hauptdarstellerin (Deanie Ip) ausgezeichnet, diesmal aber in Venedig (2011).
Tao Jie diente 60 Jahre lang, also fast von Kindesbeinen an, der Familie Leung, sie fristete ihr »einfaches Leben« aber unter dem »Dienstmädchennamen« (keine Belidigung) Ah Tao. Als Zuschauer lernt man die Frau kennen, als sie auf dem Markt, jedermann gut bekannt, besonders hochwertige Lebensmittel direkt aus dem Kühlraum zusammensucht. Doch die Verkäufer erlauben sich einen Spaß mit der alten Dame und drehen im Vorfeld die Temperatur einige Grad herunter. Mit Respekt hat das eher wenig zu tun.
Tao Jie kredenzt für den aus den USA zurückgekommenen erfolgreichen Sohn der Familie einige anspruchsvolle Mahlzeiten, nach wie vor geht sie in ihrem Job auf. Weil Filmproduzent Roger (Andy Lau) gewisse Magenprobleme hat und nebenbei mal erwähnte, dass er »lange keine Ochsenzunge mehr hatte«, nimmt sie einiges auf sich.
Als Tao Jie nun einen Unfall hat, verbirgt sie vor ihrem Arbeitgeber etwa, im Krankenhausbett liegend, dass ihre eine Hand gelähmt ist. Der Film begibt sich auf ähnliche Pfade wie bei der diesjährigen Berlinale Sto spiti, doch schon die Herkunft der Filme bestimmt eine gänzlich unterschiedliche Entwicklung. Wo es in Griechenland um Krisenstimmung und unterdrückte Verlogenheit geht, bestimmen hier die Traditionswerte das Geschehen.
Für Roger war Tao Jie immer so etwas wie eine Pflegemutter (auch hier besteht eine Parallele zu Sto spiti), und er kümmert sich mit mehr Hingabe, als man von ihm einfordern konnte, um die Frau. Bei der Betreuung ihrer Katze wie bei der Wahl und Finanzierung eines Platzes im Altersheim (Tao Jie: »Ich habe Geld, ich kann das selbst zahlen«). Mit dem nötigen Blick für finanzielle Zusammenhänge bemerkt er schnell, dass man dort bei der Buchführung betrügt (die Einwohner sind teilweise auch in einem jämmerlichen Zustand), und als er den Chef konfrontiert, stellt sich heraus, dass dies sein alter Bekannter »Heuschrecke« ist. Ein bisschen Vitamin B schadet nie, und plötzlich üben sich die Angestellten beim Empfang Tao Jies uncharakteristisch fürsorglich.
Der Zusatztitel »ein einfaches Leben« bezieht sich nicht nur auf die Jahre der Dienerschaft, sondern auch auf die Zustände im Altersheim, wo die kargen und kleinen Räume voneinander abgetrennt sind wie hier Toilettenkabinen. Es geht um die alten Leute, die Familienmitglieder, die kommen oder auch nicht, Respekt zeigen oder nicht. Viele unterschiedliche Konstellationen werden gezeigt, von rührselig bis ernüchternd, doch der Film bewahrt seinen Figuren immer eine gewisse Würde, selbst, wenn mal die Gebisse vertauscht werden oder einer der Anwohner sich kontinuierlich kleine Geldbeträge für ein bestimmtes »Hobby« im Ruhestand leiht.
Gerade weil man zu Beginn des Films erfuhr, das einiges auf einer wahren Geschichte basiert (der Drehbuchautor und Co-Produzent heißt laut Presseheft »Roger« Lee, der Sprung zu »Roger Leung« scheint nicht weit), fragt man sich im Verlauf des Films irgendwann, worin eigentlich die »Story« besteht. Und dass sich Drehbuch und Dramaturgie um eine solche Herangehensweise kaum kümmern, gehört zu den Stärken des Film. Wie im richtigen Leben weiß man nie, was als nächstes passiert. Verschlechtert sich Tao Jies Zustand? Welche Rolle spielen Rogers Familienmitglieder (sowohl seine »echte« Mutter als auch Geschwister und die aus Tao Jies Perspektive »fünfte Generation« spielen eine Rolle)? Geht es gar um Freundschaft oder Liebe zwischen den alten Heimbewohnern? Der Film lässt sich alles offen, hat einige Überraschungen und teilweise wirklich großartige Momente parat und bildet in der Tat ein »einfaches Leben« ab, das diverse Generationen und Gesellschaftsschichten abdeckt.
Zu meinen liebsten Momenten gehört zum einen der Auftritt einer Sängerin im Heim (muss man gesehen haben, jede Nacherzählung wird diesem zutiefst (un)menschlichen Augenblick nicht gerecht) und eine Filmpremiere, zu der Roger Tao Jie mitnimmt. Dabei gibt es nicht nur ein zu Herzen gehendes Missverständnis, sondern auch eine Äußerung Tao Jies, die aufgrund des Metatextes irgendwie der Kern des Films ist. Sie sagt zu Roger »Nur gut, dass Du kein Filmstar bist!« Selbst wenn man sich dabei voll und ganz dessen bewusst ist, dass Andy Lau in China und Hong Kong vielleicht nicht das Äquivalent von Brad Pitt, aber mit Sicherheit das von Jude Law darstellt, funktioniert diese Szene trotzdem – tausendmal besser als jede Entsprechung mit westlichen Stars funktionieren könnte. Denn der Film hat eine ruhige und sachte Intimität, die auf ihre Art einzigartig ist. Es wirkt alles so authentisch – was vielleicht auch daran liegt, dass Deanie Ip Andy Laus Patentante ist. Die zahlreichen Schichten von »Nacherzählung« und »Nachempfinden« und vielen Laiendarstellern (und Filmstars), die sich selbst spielen, schaffen einen Film, der in seiner »Einfachheit« so besonders ist.