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10. Februar 2014 | Thomas Vorwerk für satt.org | ||||||||
Alle Terminangaben sind sorgfältig abgetippt, aber ohne Gewähr. Die Filme werden immer unter dem Titel aufgeführt, unter dem man sie im offiziellen Berlinale-Katalog findet. |
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Bildmaterial © 2013 Fox Searchlight |
USA 2014, Buch: Wes Anderson, Kamera: Robert Yeoman, Schnitt: Barney Pilling, Musik: Alexandre Desplat, Kostüme: Milena Canonero, Production Design: Adam Stockhausen, Special Photography Unit: Roman Coppola, mit Ralph Fiennes (Gustave H.), Tony Revolori (Zero Moustafa), F. Murray Abraham (Older Zero), Mathieu Amalric (Serge X), Adrian Brody (Dmitri), Willem Dafoe (Jopling), Jeff Goldblum (Deputy Vilmos Kovacs), Harvey Keitel (Ludwig), Jude Law (Young Writer), Bill Murray (M. Ivan), Edward Norton (Albert Henckels), Saoirse Ronan (Agatha), Jason Schwartzman (M. Jean), Léa Seydoux (Clotilde), Tilda Swinton (Céline Villeneuve Desgoffe und Taxis), Tom Wilkinson (Author), Owen Wilson (Monsieur Chuck), Larry Pine (Mr. Mosher), Florian Lukas (Pinky), Bob Balaban (Martin), Fisher Stevens (Robin), Waris Ahluwalia (Dino), Jella Niemann (Studentin), Wally Wolodarsky (Georges), Volker Zack Michalowski (Günther), George Clooney (vierter bewaffneter Hotelgast), 100 Min., Kinostart: März 2014
David Lynch, Aki Kaurismäki, Christian Petzold, Tim Burton, Sofia Coppola, Pedro Almodóvar, Quentin Tarantino, François Ozon, Doris Dörrie, Michel Gondry, Rainer Werner Fassbinder, Jim Jarmusch, Michael Haneke, Tom Tykwer, Wong Kar-Wei, die Brüder Coen oder Dardenne - alles Regisseure mit einer sehr persönlichen Handschrift. Aber gegen Wes Anderson stinken sie in dieser Hinsicht allesamt ab. Jeden Anderson-Film der letzten 15 Jahre erkennt man innerhalb von 40 Sekunden ohne den geringsten Zweifel - selbst wenn mal zur Abwechslung nicht Bill Murray, Owen Wilson, Jason Schwartzman oder ein anderer aus der langsam wachsenden Riege seine Schauspielerfreunde durchs Bild läuft. Nehmen wir etwa Moonrise Kingdom oder The Fantastic Mr. Fox – Filme, die durchaus mal aus dem typischen Rahmen fallen ... doch selbst jemand, der von der bloßen Existenz dieser Filme nichts mitbekommen hat, aber vier oder fünf andere »Andersons« halbwegs aufmerksam rezipierte - wird sie ohne Probleme zuordnen können.
Auch The Great Budapest Hotel ist in dieser Hinsicht unverkennbar. Ein Ausstattungsrausch, präzise arrangierte Kadragen, der unverwechselbare lakonische, aber bittersüße Humor - und hier und da echte Überraschungen, die sich aber quasi sofort in die typischen Facetten dieses Ein-Mann-Genres eingliedern. Brutale Verstümmelungen, Alphörner und zwei neue Transportmittel gehören fortan auch dazu zum Anderson-Universum.
Was den narrativen Ausmaß angeht, ist The Great Budapest Hotel ein neue Höhepunkt. Es beginnt mit einer Rahmenhandlung: eine junge Frau auf dem »Old Lutz Cemetary« der fiktiven osteuropäischen Nation Zubrowka liest zu Füßen eines national verehrten Autors sein Buch, das heißt wie der Film. Dann folgt eine zweite Rahmenhandlung mit Tom Wilkinson als diesem Autor, der dann in einer dritten Verschachtelung zum jüngeren Jude Law wird, und auf diese dritte Matruschka-Puppe greift man während des Films immerhin mal kurz zwischendurch zurück, ehe die vierte folgt (man achte auch auf Formatwechsel), und für Flashbacks und Zeitsprünge ist immer noch viel Raum, 1968, 1932, seltsam vertraute aber doch unterschiedliche Konflikte und Kriege, junge Liebe, senile metrosexuelle Lust, Ein- und Ausbrüche, Flucht und Rache, Kunstdiebstahl und Erbschleicherei - doch weder verliert man hier trotz der mindestens 15 Hauptfiguren, die bereits per Portrait auf dem Filmplakat verewigt sind, den Überblick (auch, wenn einige Auftritte nur wirklich eher klein ausfallen und nicht jeder Tilda Swinton oder George Clooney überhaupt erkennt) oder kann dem Film abschließend jene Oberflächlichkeit vorwerfen, die etwa American Hustle auszeichnet – in dem selbst die fünftwichtigste Figur niemals eine charakterliche Tiefe erricht, die man hier selbst noch auf ein Zimmermädchen oder einen Anwalt projizieren kann, der nur zwei kurze Szenen hat.
Und ob es an Stefan Zweig liegt, der das ganze Projekt und jenen verehrten Autoren inspiriert haben sollen, oder einfach an der zunehmenden Reife Andersons: trotz der Modelle, Animationen oder der gern in absurden Körperhaltungen davonlaufenden Figuren ist The Grand Budapest Hotel auch nicht mehr so »comichaft« wie frühere Filme des Regisseurs, sondern auch die Tränen und Traumata kann man nicht einfach mit einem Schulterzucken abtun. Man ist wortwörtlich »gespannt wie ein Flitzebogen«, zählt die Klubecks mit und ahnt, dass »Lobby Boy« der ehrenvollste aller Berufe ist. Man will eine Ausstellung der Werke von Johannes von Hoytl dem Jüngeren besuchen (solang man sicher ist, das eine gewisse Figur dieses Films dort nicht auftaucht), in ein Mendl-Küchlein beißen, romantischer Poesie lauschen und oder Suppe schlürfen oder mit einem Strafgefangenen mit auffälliger Narbe einen gemütlichen Nachmittag verbringen. Verdammt, man will sich sogar von Harvey Keitel tätowieren lassen. Und den Film gleich noch mal schauen und eine Dissertation über die Bedeutung von Schlüsseln schreiben.
Es mag andere Regisseure geben, die Filme drehen, die Relevanz, Aktualität oder den Hauch des nie gesehenen anbieten. Aber nur Wes Anderson bietet dieses aufregende cineastische Heimatgefühl wie warme Hausschuhe nach einem 5-km-Barfussmarsch durch Schneewehen.
Vorführungen:
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USA 2014, Buch: David Zellner, Nathan Zellner, Kamera: Sean Porter, Schnitt: Melba Jodorowsky, Musik: The Octopus Project, mit Rinko Kikuchi (Kumiko), Nobuyuki Katsube (Sakagami), Shirley Venard (ältere Frau), David Zellner (Polizist), Nathan Zellner (Robert), Kanako Higashi (Michi), Kyokaku Ichi (Sicherheitsdienst-Mitarbeiter), Ayaka Ohnishi (Chieko), Mayuko Kawakita (Ms. Kanazaki), Takao Kinoshito (Mitarbieter in der Reinigung), 105 Min.
Wer bei Kid-Thing Probleme damit hatte, die Beweggründe des jungen Mädchen nachzuvollziehen, der wird sie nach einem Kennenlernen von Kumiko als Ausbund der zielgesteuerten Rationalität preisen. In diesem kleinen märchenhaften Meisterwerk, in dem ein cineastisches Bruderpaar einem anderen huldigt, dürfen die Zellners (übrigens mal wieder in zwei großartig gespielten Nebenrollen) mit einem Budget spielen, das vermutlich das Zehnfache ihres letzten Films beträgt. Immerhin drehte man diesmal nicht nur im heimatlichen Texas, irgendwo in der Peripherie, sondern in Japan und einem fernen und exotischen Land, das sich Minnesota nennt.
Rinko Kikuchi, die japanisch-depressive Version von Audrey Tautou, spielt hier Kumiko, der man gleich zu Beginn des Films bei einer Schatzsuche zuschaut, die eines Frodo oder Indiana Jones würdig wäre. Das Fundstück: eine VHS-Kassette, die offensichtlich unter den Witterungsbedingungen gelitten hat. Auf diesem obsoleten Trägermedium, das zu Beginn des Films das fake-found-footage-Genre suggeriert (»This is a true story«) findet Kumiko die Informationen zu ihrer nächsten Schatzsuche, die ungleich lukrativer ausfallen dürfte. Und dem Kinogänger wird demonstriert, das eine Interpretation eines Films oft so komplett an den Intentionen des Künstlers vorbeigehen kann. Denn wo der eine absurde Verlorenheit verdeutlichen möchte, entdeckt jemand wie Kumiko ganz deutliche Hinweise. So ähnlich, als wenn man eine Wendler-Single rückwärts abspielt und dabei ein Kochrezept vernimmt.
Dass Alexander Payne diesen Film koproduziert hat, kann kein Zufall sein, und irgendjemand ließ sich hier von jemand anderem inspirieren. Die »untold riches buried deep in the Americas« werden mal in Nebraska gejagt, dann wieder in Minnesota vermutet. Und in beiden Fällen ist die Auflösung des Films, die irgendwo zwischen aufgesetztem Happy-End und ernüchternd-depressivem Realismus liegen könnte, ein kleines Wunder. In diesem Fall noch wunderbarer. Wie unglaublich cineastisch aktuell dieser zeitlos-altmodische Film wirkt, ist schon allein ein Kunststück. Auch an Inside Llewyn Davis erinnert dieser Film, nur dass die Katze diesmal ein Häschen namens Bunzo ist, das sogar noch eine Spur liebenswerter ist als Kumiko selbst (und die will man auch sofort adoptieren oder zumindest ordentlich wachrütteln). Wie der Eröffnungsfilm dieser Berlinale (etwas weiter oben) ist auch dieser Film nur etwas für Träumer, die sich verzaubern lassen wollen, die Unterhaltung lieben und Humor. Wer eine realistische Schilderung des Bürgerkriegs aus der Sicht eines leukämiekranken Bildhauers sucht, ist zwar auf dem richtigen Festival, aber glücklicherweise im falschen Film.
Für einen Film, dessen Hauptgag man eigentlich in einem Satz zusammenfassen könnte, in dem ein Wort nicht fehlen darf, dass aus Spoilergründen in dieser Kritik nur angedeutet wurde, hat Kumiko verdammt viel Tiefe. Wer das Kino liebt, kann diesen Film nicht hassen.
Bildmaterial © Kane Skennar |
USA 2014, Originaltitel: What We Do in the Shadows, Buch: Jemaine Clement, Taika Waititi, Kamera: Richard Bluck, D.J. Stipsen, Schnitt: Tom Eagles, Yana Gorskaya, Jonathan Woodford-Robinson, Musik: Plan 9, Production Design: Ra Vincent, mit Taika Waititi (Viago), Jemaine Clement (Vladislav), Jonathan Brugh (Deacon), Ben Fransham (Petyr), Cori Gonzalez-Macuer (Nick), Stuart Rutherford (Stu), Jackie van Beek (Jackie), Rhys Darby (Anton), Morag Hills, Morgana Hills (Child Vampires), Karen O'Leary (Polizistin), Elena Stejko (Pauline Ivanovich), Chelsie Preston Crayford (Josephine), Ethel Robinson (Katherine), Frank Habicht (Philip), Ian Harcourt (Zombie), Brad Harding (Vampire Hunter), 86 Min.
Hinweis: aus unerfindlichen Gründen kann ich mich an die Sichtung dieses Films komplett nicht mehr erinnern, da ich aber diverse eng beschriebene Seiten mit Notizen habe, verlasse ich mich einfach stärker auf meine Handschrift als auf meine Erinnerung und habe aus den Notizen etwas zu rekonstruieren versucht.
Wenn Nutella draufsteht, muss nicht unbedingt Nuss-Kati drin sein. In Kumiko, the Treasure Hunter wird uns erklärt, dass nur Dokumentarfilme »echte« Filme sind, alles andere ist »fake«. Doch in What we Do in the Shadows steht zwar am Anfang was vom »New Zealand Documentary Board", aber offensichtlich ist alles auf alt getrimmt und noch weitaus weniger »real« als Fernsehserien wie The Real Life. Obwohl der Tonfall teilweise recht ähnlich ist. Auch hier geht es um eine WG, die von einem kleinen Kamerateam (alle trugen Kruzifixe) begleitet wurde. Hier und da ein Interview, auch mal einiges Bildmaterial aus dem Fotoalbum oder alten Büchern. Für ein junges Publikum wie bei der Generation 14plus ist so ein hipper Lifestyle-Report wie geschaffen, auch wenn auffällt, dass in diesem Film bis auf vielleicht zwanzig Sekunden allesamt Personen vor der Kamera fungieren, die eher 36 als 16 sind, und ein paar davon sollen sogar noch um einiges älter sein, denn die WG besteht komplett aus Vampiren. Viago, dargestellt vom Regisseur Taika Waititi, ist beispielsweise 379 Jahre alt, ein anderer, Peter, soll sogar schon über 8000 Jahre alt sein. »Generation 8000plus« hört sich aber nicht so toll an, und bis auf Peter sind die Jungs auch allesamt »junggeblieben«.
Die wirklich großartige Idee des Films ist die, dass die Vampire nicht nur die üblichen WG-Probleme haben (»Deacon didn't do the dishes for five years.«) oder auch nur die üblichen Vampirprobleme (Blut beschaffen, Sonne meiden, Vampirjägern aus dem Weg gehen, sich nicht mit Werwölfen anlegen), sondern hier auch gewisse »Epochen« der Vampirgeschichte repräsentieren. Der älteste, Peter, erinnert durchaus an Nosferatu (eher Schreck als Kinski), Viago, auch »Fagula« genannt, hat einen heftigen (vermutlich transylvanischen?) Akzent und ist ein Schönling wie Christopher Lee oder George Hamilton, der von Jemaine Clement (einst Star in Waititis Eagle vs. Shark, jetzt auch Co-Regisseur) gespielte Vladislav erinnert hingegen eher an die Coppola-Fassung und legt etwa Wert darauf, früher »the poker« (vgl. »Vlad the Impaler«) genannt worden zu sein. (Und ja, auf den naheliegenden Facebook-Gag verzichtet man nicht).
Während der dokumentierten Zeit kommt sogar ein Neuzugang dazu, der dann eher so wie Colin Farrel in Fright Night aussieht und sich einbildet, er sei mindestens so hip wie Edward in Twilight, dabei aber gehörig nervt.
Wie in jeder WG knallen hier Lebensentwürfe aufeinander, was spätestens seit Walter Matthau und Tony Randall immer Anlass zum Lachen gab. Hier möchte etwa Viago gerne vorm Zubeißen schnell ein paar Handtücher verteilen, weil man Blutflecken so schlecht aus dem Teppich herausbekommt (wie das junge Publikum weiß, können zu viele Handtücher aber auch die Stimmung verderben), während Vladislav eher mittelalterlichen Gesellschaftsregeln nachhängt und Peter lieber in seinem Wandschrank abhängt und sich generell nicht auf Diskussionen einlässt.
Es geht aber auch um aktuelle Probleme wie die Diskriminierung. Vampire werden oft als Prügelknaben missbraucht, und wer schon mal Vampir und Nazi war, weiß, dass einen die Nachbarn da durchaus seltsam anschauen.
Das Selbstbild der Jungs scheitert ein wenig daran, dass Vampire ja kein Spiegelbild haben und man sich gegenseitig porträtiert oder Feedback beim Dresscode gibt. Dies kann aber auch positive Aspekte haben wie ein gestärktes Selbstbewusstsein. Wenn Vladislav erklärt, dass er in einen Vampir verwandelt wurde, als er 16 war, und deshalb jetzt immer wie 16 aussehen wird (Äh ... okay.), dann hat man auch gleich wieder den Jugendbezug (ich gehe davon aus, dass man sich mit 16 wie mit 66 bei diesem Film bepissen kann vor Lachen).
Die meisten mockumentaries leiden ja darunter, dass sich der Humorlevel nicht aufrechterhalten lässt, wenn die Prämisse erst mal steht, doch in diesem Fall haben sich die Filmemacher immerhin ausreichend Gags und Entwicklungen in der Hinterhand behalten, um die 86 Minuten lang ohne Problem zu unterhalten, und wer glaubt, ich hätte in diesem Text bereits die besten Gags verraten, dem kann ich versichern, es gibt noch viiiiel mehr. Wer übrigens tatsächlich mit 14 in den Film geht und mit Gewalt bisher nur konfrontiert wurde, als der Brillenschlumpf von einem anderen Schlumpf angeschubst wurde, hier nur der Hinweis: Manchmal ist es eben doch besser, ein Handtuch drunterzulegen, bestimmte Körpersäfte sind nur schwer unter Kontrolle zu bekommen.
USA 2014, Buch: Saar Klein, Joe Conway, Kamera: Matthias Koenigswieser, Schnitt: Hank Corwin, Saar Klein, Musik: Marc Streitenfeld, Production Design: Chad Keith, Art Direction: Jonathan Guggenheim, mit Wes Bentley (Bill Scanlin), Vinessa Shaw (Susan), Jason Isaacs (Frank), Haley Bennett (Ruby), Sam Trammell (Lee), Missy Yager (Carol), Boots Southerland (Pawn Broker), John F. Kollar (Detective), W. Earl Brown, Jeremiah Bitsui, 109 Min. Kerry Tasker © Part Ti
Nach den Erfahrungen mit The Better Angels waren meine Erwartungen an diesen Film aufgrund der Begleitumstände eher gering: noch ein Panorama-Film von einem ehemaligen Terrence-Malick-Cutter, in dem Wes Bentley diesmal sogar die Hauptrolle spielt. Ich ging sogar mit dem recht festen Vorsatz in den Film, die Vorführung frühzeitig zu verlassen, weil eine gute Stunde nach Filmbeginn David Zellners Kumiko, the Treasure Hunter in einem anderen Kino begann. Ich war dann aber doch von Things People Do ausreichend fasziniert, dass ich mich entschied, den Film zu Ende zu sehen (Kumiko wurde später nachgeholt, einfach etwas hochscrollen).
Das bedeutet aber nicht automatisch, dass ich mit der Malick-affinen Inszenierung in diesem Fall zufrieden war.
Das große Plus bei Things People Do ist, dass er eine Geschichte erzählt, die auch durchaus relevant wirkt. Ich mag narratives Kino, und anhand des »Film des Monats« Ship bun kann man schnell absehen, dass ich für die hier erzählte Geschichte schnell Interesse entwickeln konnte.
Bill Scanlin (Wes Bentley) ist glücklicher Familienvater und generell ein guter Mensch. Vielleicht ein bisschen zu gut für die Welt, denn beim Bowling schafft er zwar einen Strike, zeigt dann aber seinen eigenen Fußfehler an und benachteiligt durch seine übertriebene Fairness die eigene Mannschaft. Und seinen Job als Schadensprüfer einer Versicherung verlor er, weil er einfach nicht rigoros genug (und im Interesse der Firma) vorgeht. Vom Jobverlust weiß seine Familie aber nichts, vorerst überbrückt er dieses Problem mit dem Versetzen von Golfschlägern etc.
Die (anfängliche) Familienidylle funktioniert ganz nach dem Malick-Ideal der reinen Liebe. Sonnenlicht bricht sich in der Linse, zelebrierte Lebensfreude in Zeitlupe, während man sich gegenseitig mit dem Gartenschlauch bespritzt, dazu Klassikgedöns von Orgel bis Oper, Bach, Bizet, Chopin. Da hat man schon das Gefühl, einem weiteren Epigonen zuzuschauen. Da die erzählte Geschichte aber eher von Jeff Nichols zu stammen scheint (und der Film arbeitet mit einigen wirklich kraftvollen Bildern, die die benötigte Härte in die Geschichte bringen, und mit Ausnahme einer Hundeleiche im leichten Gegenlicht auch nicht so pittoresk daherkommen), kann man sich mit der teilweise recht weichgespülten Inszenierung durchaus arrangieren. Wenn Bill nachts seinem abgeschleppten Auto hinterherläuft oder der Besuch eines Modellhauses ihn hinter die Fassade des Suburbia blicken lässt, dann hat man das Gefühl, dass man von Regisseur Saar Klein unbedingt noch mehr sehen will.
Laut Panorama-Inhaltsangabe (die vermutlich vom Verleih stammt) ist Things People Do auch eine Robin-Hood-Geschichte, denn irgendwann (zunächst eher ungeplant) entscheidet sich Bill, durch kleine Raubüberfälle seine Hypothek und die Familie zu retten. Und dabei gibt es dann diesen kleinen, etwas unglaubwürdigen, aber ungemein charmanten Fall mit einer Angestellten in einer Tankstelle (Haley Bennett war an diesem Tag, an dem ich auch American Hustle sichtete, klar die bessere Jennifer Lawrence), der von ihrem Boss übel mitgespielt wird, ehe Scanlin dann beim nächsten Raubüberfall pädagogisch vorgeht (»Just cause you're the boss doesn't mean you can be an asshole. Don't make me come back!«). Was daraus erwächst, verrate ich hier nicht, aber zumindest war's das dann erst mal mit »Robin Hood«.
Bill betont aber mehrfach im Film dass er ein »good guy« sei, und erst der etwas zwielichtig erscheinender Polizist Frank (Jason Isaacs) erklärt ihm, dass es im Leben nicht darum geht, etwas universell Gutes zu tun, sondern das, was in der aktuellen Situation das jeweils »Richtige« sei. »There ain't no sin, there ain't no virtue. There's just things people do.« Und weil man bei dieser plakativen Ausformulierung des Filmtitels schnell das Schütteln bekommen könnte, macht der »crooked cop« an dieser Stelle einen hübschen Gedankensprung und äußert sich lieber über eine gutaussehende Passantin: »I would like to do things to her!«
Die Bandbreite des Films lässt ihn bestehen. Da gibt es teilweise Postkartenphilosophie und weichgespülte Familienmomente, aber das erhöht auch die Fallhöhe. In einem Film wie Take Shelter, der für Saar Klein höchstwahrscheinlich eine Inspiriration war, weiß man ziemlich schnell, dass es nicht zwingend böse enden muss, aber das zumindest ein Happy-End wie im Werbefernsehen eher ausgeschlossen wirkt. In Things People Do hingegen sind unterschiedlichste Entwicklungen möglich und dieser Spagat zwischen zuckersüß und gallig bitter übt eine starke Faszination aus. Das ist so wie der Unterschied zwischen King Lear und Romeo & Juliet. Im einen Fall denkt man bei der Erstsichtung darüber nach, wie schlimm es wohl enden wird, im anderen Fall kann die Nadel in beide Richtungen bis zum Anschlag ausschlagen. Dafür, für Haley Bennett und für die Nutzung des Swimming Pools innerhalb des Films (einige wirklich großartige Momente!) liebe ich diesen Film, auch wenn mir der Malick-Einfluss Magendrücken bereitet.
Bildmaterial: J. M. Louis @ SHNP3 Vorführungen:
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Intern. Titel: At Home, Deutschland / Griechenland 2014, Buch: Athanasios Karanikolas, Kamera: Johannes M. Louis, Schnitt: Lorna Hoefler Steffen, Monika Weber, mit Maria Kallimani (Nadja), Marisha Triantafyllidou (Evi), Alexandros Logothetis (Stefanos), Giannis Tsortekis (Markos), Zoi Asimaki (Iris), Nikos Georgakis (Alexis), Ieronimos Kaletsanos (Dimitris), Alexia Kaltsiki (Dora), Nefeli Kouri (Katerina), Romanna Lobats (Tania), 103 Min.
Der neue Film von HFF-Absolvent Karanikolas überzeugt weitaus mehr als die Fingerübung mit Schauspielern im Vorjahr, Echolot. Für sein zweites »kleines Fernsehspiel« besann er sich auf seine griechischen Wurzeln, denn griechisches Kino ist aktuell ja angesagt. Und die Geschichte passt auch gut in dieses Umfeld.
Diese Geschichte entwickelt sich im Film ungleich umständlicher als in den meisten Inhaltsangaben. Der Film beginnt mit einer Frau, die in Richtung eines fernen Horizonts blickt. In der nächsten Szene sieht man sie mit Pferd, Kind und einem besseren Stallburschen (mit dem offensichtlich etwas läuft oder lief), und hält sie zunächst für eine wohlhabende Touristin o.ä. mit Tochter. Doch als sie etwas später scheinbar grundlos zusammenbricht und man sich in ihrem Umfeld sorgen macht, stellt sich langsam heraus, dass die scheinbar besten Freunde, die nach dem Unfall sofort zur Stelle sind, die Eltern der jungeren Reiterin Iris sind, und Nadja (Maria Kallimani) nur Haushaltshilfe, Kindsbetreuerin und schlichtweg »Angestellte« ist - auch, wenn ihre Chefin Evi (Marisha Triantafyllidou) Wert auf den Umstand legt, dass sie »wie Freunde« sind und sie für Iris wie eine Mutter fungiert. Interessant ist an dieser Stelle auch, dass Evi sich ihrem Gatten Stefanos gegenüber teilweise auch fast wie eine »Angestellte« benimmt (irgend etwas ist ziemlich verkorkst in der Beziehung – oder ist das einfach das gute alte Patriarchat?).
Anyway, die Geschichte dreht sich vor allem um Nadja, bei der eine neurologische Störung diagnostiziert wird, die nicht automatisch Riesenprobleme bescheren muss, aber sie sollte sich zum Beispiel von verstärkter Sonnenbestrahlung fernhalten. Da sie es aber vorzieht, dies ihren Arbeitgebern (und den meisten anderen) vorzuenthalten, führt das zu einem schleichenden Suspense, der den Film durchzieht, weil man sie dann immer mal wieder bei Gartenarbeiten oder mit der Familie am Strand erlebt und weiß, dass sie jeden Moment wieder umknicken könnte. Oder schlimmeres.
Kommen wir kurz zurück zum Patriarchat. Noch schneller als Nadja selbst erfuhr offensichtlich ihr Chef Stefanos von einigen Umständen ihrer Erkrankung. Was mich ein wenig an Hysterie-Behandlung zu Zeiten Freuds oder die erste Staffel von Mad Men erinnerte, wo Don Draper vom Psychologen seiner Gattin umgehend informiert wurde. So etwas wie ärztliche Schweigepflicht gilt wo im engen Kreis wohlhabender Männer nicht. Auch, wenn vieles danach aussieht, dass Stefanos demnächst aus diesem Kreis herausrutschen könnte. Weshalb man mit dem Gedanken spielt, sich von Nadja zu trennen. Während diese noch mühsam eine Fassade aufrechterhält.
Der Grundkonflikt des Films ist durchaus interessant, und ähnlich wie in seinem Kurzfilm Mein Erlöser (seinerzeit auch schon in der Berlinale) arbeitet Karanikolas wieder mit durchkomponierten Kadragen oder flächig wirkenden Bildern, die architektonische Eigenheiten betonen. Sozusagen Bildwelten, wie man sie von Tykwer, Mendes oder Petzold kennt - nur mit geringerem Budget. Das Budget ist auch ein gewisses Problem, wenn man den Film nicht im Nachtprogramm des ZDF schaut, sondern im Kino. Denn offenbar gab es einen zusätzlichen Kameramann, der für Second-Unit-Aufnahmen zuständig war (größtenteils Außenaufnahmen und nur selten mit den Hauptdarstellern), und der dafür offenbar eine Kamera benutzte, die eine geringere Auflösung hatte. Mich störte es jedenfalls schon ein bisschen, dass es neben den glasklaren, durchkomponierten Bildern immer mal wieder Einstellungen gab, die ziemlich pixelig wirkten. Ein Effekt, der mich an dreckige jpgs erinnert. Das war störend.
Außerdem störend war, dass der Spannungsbogen der Geschichte (der Begriff »schleichender Suspense« umschreibt es schon gut) gegen Ende ein wenig ausgeleiert wirkt. Man erreicht irgendwann einen Punkt, von dem an die Geschichte ziemlich mäandert. Zwar gibt es keine drei hintereinandergepappte »Enden« wie oft bei Spielberg, aber auch, wenn die Schlusseinstellung des Films sehr überzeugt und »closure« bietet, gibt es in den letzten 25 Minuten oder so des Films sicher 10, auf die man auch verzichtet hätte. Während andere interessante Aspekte fast komplett ausgeblendet werden. Mich hätte beispielsweise interessiert, wie Tochter Iris darauf reagiert, dass man ihr Schlag auf Schlag nicht nur das geliebte Pferd wegnimmt (Reaktion den Eltern gegenüber: »Ich hasse euch beide!«), sondern auch noch die »Ersatzmutter«, die ihr teilweise Nähe und Mitgefühl entgegenbringt, die bei der »wirklichen« (überforderten) Mutter schon mal auf der Strecke bleiben. »Iris ist ein großes Mädchen, sie wird es verstehen!« ist mir da zu wenig.
Ich kann es auch nachvollziehen, wenn man den »Abschied« zwischen Nadja und Iris elliptisch ausspart, weil entweder die junge Darstellerin überfordert gewesen wäre oder der Film zu sehr ins Emotionale, womöglich »kitschige« abgerutscht wäre, aber wenn stattdessen gegen Ende des Films Nadjas »echte« Tochter auftaucht, ein paar autobiographische Elemente einbringt (sie studierte in Potsdam und lebt in Berlin – da gibt es durchaus Anknüpfungspunkte an den Regisseur) und einen unerwarteten Gesangsauftritt hat, dann wirkt das zwar ungleich steriler, aber nicht überzeugender. Oder emotional tiefschürfender. Im Zusammenhang mit dem belgischen Oscar-Anwärter The Broken Circle (den beide Gesprächspartner nicht gesehen haben) behauptete jüngst ein Kollege, dass der Film ja viel mit »manipulierten Tränen« arbeiten soll. Woraufhin ich dann entgegnete, dass mir manipulierte Tränen immer noch lieber sind als keine Emotion.
Sto spiti hat durchaus viel Emotion, aber er zeichnet sich durch jene elliptische »Kühle« aus, die man u.a. mit der »Berliner Schule« assoziiert (und zumindest ansatzweise auch mit dem jungen griechischen Kino). Karanikolas' Film ist kraftvoller als viele deutsche Filme, die man etwa in den letzten Jahren im Wettbewerb sah (nein, keine Namen!), aber da ist auch noch Raum nach oben. Ein beherzter Schritt zum Risiko, auch vielleicht mit der Gefahr, Zuschauer zu polarisieren, wäre hier vielleicht nicht die schlechteste Idee. Insbesondere, wenn man dieses Publikum überhaupt noch erst generieren muss.
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