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21. März 2012
Thomas Vorwerk
für satt.org


  Take Shelter – Ein Sturm zieht auf (Jeff Nichols)
Take Shelter – Ein Sturm zieht auf (Jeff Nichols)
Bildmaterial © 2012 Ascot Elite Filmverleih GmbH
Take Shelter – Ein Sturm zieht auf (Jeff Nichols)
Take Shelter – Ein Sturm zieht auf (Jeff Nichols)
Take Shelter – Ein Sturm zieht auf (Jeff Nichols)


Take Shelter
Ein Sturm zieht auf
(Jeff Nichols)

USA 2011, Originaltitel: Take Shelter, Buch: Jeff Nichols, Kamera: Adam Stone, Schnitt: Parke Gregg, Musik: David Wingo, Production Design: Chad Keith, Art Direction: Jennifer Klide, Set Decoration: Adam Willis, mit Michael Shannon (Curtis), Jessica Chastain (Samantha), Tova Stewart (Hannah), Shea Whigham (Dewart), LisaGay Hamilton (Kendra), Kathy Baker (Sarah), Ray McKinnon (Kyle), Robert Longstreet (Jim), Katy Mixon (Nat), Ron Kennard (Russell), Natasha Randall (Cammie), Scott Knisley (Lewis), Robert Longstreet (Jim), Ken Strunk (Dr. Shannon), Heather Caldwell (Special Ed Teacher), Sheila Hullihen (Woman in Road), John Kloock (Man in Road), Marianna Alacchi (Bargain Hunter), Jacque Jovic (News Anchor), Bob Maines (Walter Jacobs), Charles Moore (Man at Window), 120 Min., Kinostart: 22. März 2012

Momentan drehen sich einige Filme um die internationale Finanzkrise und erzählen Geschichten aus den Chefetagen der Banken. Etwa Unter Dir die Stadt, Company Men oder Margin Call. Nicht unbedingt im direkten Bezug dazu gibt es außerdem auffällig viele Filme, die ökologische und meteorologische Veränderungen thematisieren, und dabei zwischen Horroszenario (The Road, Hell) und Untergangsstimmung (Melancholia, Another Earth, 2012) pendeln.

Jeff Nichols, der sich bereits mit seinem Regiedebüt Shotgun Stories als wichtige neue Stimme des US-Kinos etablierte, bringt jetzt die Krise aufs flache Land, zu den Arbeitern, und die apokalyptischen Visionen durchdringen hier vor allem die Psyche eines jungen Familienvaters. Mit Bravour meistert Michael Shannon die Rolle als Curtis.

Schon letzte Woche bei Hodejegerne verglich ich den Hauptdarsteller mit dem jungen Christopher Walken, doch Michael Shannon personifiziert noch stärker den gefährlichen Unterton Walkens, den man früher auch bei Ray Liotta und anderen fand. Shannon wirkt im einen Moment wie ein liebender Vater und Ehemann, doch man hat das Gefühl, dass er jeden Moment explodieren könnte. Und dass seine »Lunte« erschreckend kurz ist, die Vorwarnung kann schnell entfallen.

Während die Familie bereits durch finanzielle Extrabelastungen geschlagen ist (die kleine Tochter Hannah ist hörgeschädigt, eine genaue Analyse der Informationen, die man darüber im Film erhält, zeigt, wie meisterhaft das Drehbuch ist) und Curtis' Frau Samatha (Jessica Chastain, für The Help für den Golden Globe nominiert) sich mit Handarbeiten etwas zuverdienen muss, gerät Curtis in den Strom von Visionen, die der Film manchmal klar als Träume markiert, dann aber auch die Grenzen verschwimmen lässt. Curtis träumt von einem großen Sturm, von Schattengestalten, die ihm seine Tochter wegnehmen wollen, oder davon, dass der Familienhund Red (auch im Zusammenhang mit einem Unwetter) ihn plötzlich anfällt. Den Hund kann man ohne großen Aufwand zähmen (auch, wenn seine Frau seine plötzliche Einstellung dem Hund gegenüber nicht versteht), doch um seine Familie vor dem nahenden Sturm zu schützen, baut Curtis einen Bunker, der nicht nur Finanzprobleme mit sich bringt.

»Wenn Du es baust, wird er kommen.« So hieß es einst in Field of Dreams, wo Kevin Costner irgendwo in der Einöde ein Baseballfeld aufbaute, weil auch er Visionen (von früheren Legenden des Sports) hatte. Curtis und seine Familie kämpfen mit ähnlichen Problemen, es geht um das grenzenlose, fast religiöse Vertrauen an den Mann, wie es in der Bibel etwa die Frau Noahs aufbringen musste. Doch wie damals bei Costner weiß man auch bei Shannon (oder »Curtis«) nicht, ob er seine Familie retten wird oder durch seine psychologische Störung in den Ruin treiben wird.

Manche Zuschauer (oder auch »Experten«, die den Film gar nicht gesehen haben) werden womöglich denken, es ginge in Take Shelter darum, wie die Geschichte ausgeht. Doch meines Erachtens ist dies trotz der gelungenen Auflösung des Films nur ein Nebenaspekt.

Die Geschichte, die Nichols erzählt, ist – auch in ihrer Ambiguität – spannend. Doch viel spannender ist, wie er sie erzählt.

Da wäre etwa der unerwartete Spielort. Das Budget seines zweiten Films ist ungeachtet des gleichen Hauptdarstellers offensichtlich um einiges gestiegen. Doch die Landschaft ist eine ganz ähnliche, und wie Nichols seine hochdramatischen Geschichten feinmechanisch genau kalibriert, ist ein Meisterwerk an sich. Vieles an Take Shelter erinnerte mich auch an den Filmklassiker The Wizard of Oz (1939), insbesondere den ersten Teil der schwarzweißen Rahmenhandlung. Auch hier geht es um den Familienzusammenhang (der Hund ist bei Nichols eher potentieller Täter als Opfer), um eine Wirtschaftskrise, um einen Hurricane, sogar der Eingang zur unterkellerten Scheune findet ein visuelles Echo. Und natürlich spielt auch das Thema Traum eine große Rolle. Ausgerechnet die Stelle, wo Dorothys Leben in Kansas sich erstmals (noch in schwarzweiß) in eine Vorahnung von Oz verwandelt (die radelnde Nachbarin, die zur Hexe wird), wird bei Nichols zu einer der mysteriösesten Traumsequenzen ... mehr als Realität oder Traum interessiert Nichols das Schwellengebiet – und ich teile seine Faszination mit ihm. Man muss auf Kleinigkeiten achten, um zu durchdringen, wie großartig dieser Film ist.

Bei genauer Recherche der drei ländlichen Spielorte muss man jedoch feststellen, dass Kansas (The Wizard of Oz), Arkansas (Shotgun Stories) und Ohio (Take Shelter) sich geographisch zueinander so wie England, Belgien und Polen verhalten, Arkansas zählt man nicht einmal zum Mittelwesten der USA, und Kansas und Arkansas haben trotz des ähnlichen Namens nicht einmal eine gemeinsame Grenze. Dennoch verbindet die Filme und ihre Spielorte etwas, da bin ich mir ganz sicher.

Ich möchte eine Seminararbeit über diesen Film schreiben, zwanzig bis dreißig Seiten, ihn noch ein dutzend Mal anschauen und mich daran ergötzen, wie die Träume aufeinander aufbauen, wie die Grenzziehung erfolgt, was man beim Erwachen sieht (Körperflüssigkeiten) und vieles mehr.

Doch um die Zuschauer, die der Film verdient hat, ins Kino zu locken, müssen sie einfach etwas Vertrauen haben. In mich und in Jeff Nichols. Jetzt alles auszuplaudern, hilft dem Film nicht, man muss ihn selbst erleben. Und es ist ein Erlebnis, nichts weniger.