Shotgun Stories
(R: Jeff Nichols)
USA 2007, Buch: Jeff Nichols, Kamera: Adam Stone, Schnitt: Steven Gonzales, Musik: Ben Nichols, Lucero, mit Michael Shannon (Son Hayes), Douglas Ligon (Boy Hayes), Barlow Jacobs (Kid Hayes), Coley Canerday (Cheryl), Glenda Pannell (Annie), Lynnsee Provence (Stephen Hayes), Michael Abbott jr. (Cleaman Hayes), G. Alan Wilkins (Shampoo), Trevor Smith (Mark Hayes), David Rhodes (John Hayes), Cole Hendixen (Carter), Vivian Morrison Norman (Melissa) 92 Min., Kinostart: 8. Oktober 2009
Der fünfte Film des Berliner fugu-Filmverleihs, und bereits der dritte “Film des Monats”. Man könnte hier Vetternwirtschaft vermuten, doch der Fachbegriff ist “Qualität”. Nach vier allesamt irischen Filmen (Red Road, Garage, 32A, Hunger) nun erstmals eine Geschichte, die in England spielt. In England, einem gottverlassenen kleinen Ort in Arkansas, lebt Son Hayes (Michael Shannon, der dieses Jahr schon sehr positiv in Revolutionary Road auffiel), der gerade wieder Stress mit der Mutter seines Kindes hat, und nach deren kurzfristigem Auszug seine beiden Brüder ins Haus lädt, die sonst in einem Caravan bzw. einem im Garten aufgebauten Zelt hausen. Die eigentümlichen Namen der Brüder, Son, Kid und Boy, sprechen bereits eine deutliche Sprache, und als der für diese “Nichtnamen” verantwortliche Vater beerdigt wird, kommt es zum Eklat, als Son seine Meinung über seinen Vater kundtut. In Anwesenheit der zweiten Familie des seinerzeit im Christentum einen Neuanfang gefundenen Ex-Alkoholikers. Der verstorbene Cleaman hat, nachdem er seine ungeliebte Familie verließ, eine neue gegründet, und anhand der Namen der vier Halbbrüder sieht man, dass er sich diesmal mehr Mühe gegeben hat: Cleaman, Mark, Stephen und John.
Zwischen den zwei Familien herrschte immer Feindseligkeit, doch nun wird aus dem Hass auch Gewalt, die im Verlauf des Films stetig eskaliert, bis einige der Brüder die Fehler erkennen und versuchen, die Eskalation aufzuhalten.
Shotgun Stories, der vor zwei Jahren auf dem Forum lief, wurde von David Gordon Green produziert, einem Regisseur, den ich in diesem Jahr erst für mich entdeckt habe. Sein Debütfilm George Washington wurde zur Feier des Forums im Arsenal wiederaufgeführt, seine Adaption von Stewart O’Nans Romandebüt Snow Angels organisierte ich mir auf DVD, und seine neueste Regiearbeit Pineapple Express, eine eher simple Kifferkomödie, kann man nur schwer in sein bisheriges Werk einrücken. George Washington und Snow Angels erzählen beide von ländlichen Ortschaften, in denen unter in ärmlichen Verhältnissen lebenden Menschen die Gewalt eskaliert. Doch noch stärker erinnerte mich der Film von Jeff Nichols an die großen Tragödien von William Shakespeare. Die Familienfehde wirkt wie in Romeo & Juliet, der Halbbruderstreit erinnert an Edgar und Edmund in King Lear. Eine veritable Lady Macbeth gibt die Mutter von Son, Boy und Kid ab, die allenthalben nur Hass sät, und mithilfe der etwas undurchsichtigen Figur namens Shampoo werden zumindest andeutungsweise Intrigen geschmiedet wie in Othello – mit ähnlich fatalen Folgen.
Die Art und Weise, wie Nichols eine sich verdunkelnde Atmosphäre aufbaut und die Gewalt nur ansatzweise, aber dadurch umso eindrücklicher zeigt, ist meisterhaft. Die Handlung entwickelt sich stringent, aber man sieht sowas wie “Streiflichter”, die Raum für Interpretation (siehe Shampoo) lassen. Die Ähnlichkeit zu Shakespeare ist keine Hommage oder auch kein Rip-Off, Shotgun Stories arbeitet einfach mit den selben universellen Themen (und wer nichts mit Shakespeare am Hut hat, für den funktioniert der Film genausogut).
Bei den drei Brüdern ist am interessantesten, dass ausgerechnet die beiden, die echte Zukunftsperspektiven haben (Son mit seiner etwas zerrütteten Familie und der glücklich verliebte Kid), sich am energischsten in die Spirale der Gewalt wagen, während der etwas plegmatisch wirkende Boy am vernünftigsten wirkt (bei den anderen vier Brüdern übernimmt der älteste, Cleaman, eine ähnliche Rolle).
Trotz kargen Baumwollfeldern (im Golden Twilight) überzeugt der Film auch durch seine Cinemascope-Fotografie und die folkig-minimalistische Musik, selbst ein Vergleich mit Terrence Malick (insbesondere Badlands) wirkt nicht überstrapaziert. Und trotz des gewichtigen Themas kommt (wie bei Shakespeare oder David Gordon Green) auch der Humor nicht zu kurz. Eben ein kleines Meisterwerk, und wir müssen fugu dafür danken, dass dieses Kleinod entdeckt wurde und zumindest einige Kinozuschauer beglücken wird.